Die französische extreme Rechte und der Irakkrieg
Aus der Ferne würde man zweifellos glauben, es handele sich um ein Plakat
von Pazifisten oder Linken. Oben steht in dicker Schrift "Irak: Nein zum
Krieg", und darunter sieht man Rumpf und Arme eines Soldaten mit schwerer
Waffe sowie, im Hintergrund, ein weinendes Kind. Doch im rechten unteren Eck
prangt die blau-weiß-rote Flamme mit dem Kürzel "FN", daneben steht die
(postalische sowie elektronische) Kontaktadresse der rechtsextremen Partei.
Dieses Motiv ziert seit dem 21. März die elektronischen Botschaften, die der
Front National mehrmals pro Woche über seine Mailingliste an die
eingetragenen Sympathisanten (und JournalistInnen) versendet. Ende März
tauchten dann auch entsprechende Plakate auf. So fanden die linken und
sonstigen kriegsgegnerischen DemonstrantInnen - unter ihnen zahlreiche
ImmigrantInnen aus arabischsprachigen Ländern -, die sich am 29. März zur
vierten Demo seit Kriegsbeginn auf die Parise Place de la Concorde begaben,
in der Nähe des Sammlungsorts geklebte Plakate mit diesem Motiv vor. Aus
antifaschistischem Reflex heraus hatten junge Leute die FN-Flamme mit
Aufklebern der KP-Jugend (JC, für Jeunesse communiste) überklebt.
Mitmarschieren durften die Neofaschisten freilich nicht, da sie
erklärtermaßen unerwünscht waren.
Der scheinbar humanistische Charakter des vom FN verbreiteten Materials
belegt seine Fähigkeit, auf geschickte Weise aktuelle gesellschaftliche
Stimmungen aufzugreifen - und Verwirrung zu stiften. Die
pseudo-pazifistische Pose hat dabei in jüngerer Vergangenheit eine gewisse
Tradition. Denn der Front National opponierte in den 90er Jahren gegen die
größeren militärische Konflikte, die von den westlichen Führungsmächten
geführt wurden - namentlich gegen den Irak 1991 und gegen Serbien 1999 - und
nutzte dabei die Gunst der Stunde, um eher unerwartete Formen des Auftretens
zu erproben.
So plakatierte der FN zu Anfang des Jahres 1991 auf breiter Fläche:
Mitterrand, la guerre - Le Pen, la paix (Mitterrand, der Krieg - Le Pen, der
Frieden), als Frankreichs damaliger sozialistischer Präsident Francois
Mitterrand das Land mit 15.000 Soldaten am seinerzeitigen Golfkrieg
teilnehmen ließ. Damit überraschte die extreme Rechte, von der man ein eher
militaristisches Profil gewohnt war, viele Beobachter.
1991: Überraschender Umschwung der extremen Rechten
Tatsächlich widerspiegelte die Opposition des FN gegen die US-geführte
Allianz im Golfkrieg von 1991 seinen damaligen Paradigmenwechsel. Bis dahin
war der FN vor allem antikommunistisch orientiert und gegen die Dritte Welt
ausgerichtet, und in den 80er Jahren war er auch eher pro-atlantisch.
(Jean-Marie Le Pen hatte 1986 noch US-Präsident Ronald Reagan aus Anlass
eines Konvents der US-Republikaner die Hand geschüttelt, dem er durch
Rechtsausleger wie den Senator Jessy Helms vorgestellt worden war; und das
Foto vom Händedruck wurde in seinem Präsidentschaftswahlkampf 1988 massiv
verwendet, um seine vorgebliche weltpolitische Kompetenz zu beweisen.) Doch
am Ende der Blockkonfrontation hatte der Front National seine internationale
Orientierung gründlich neu definiert.
Da die Frontstellung "freie Welt gegen Kommunismus" überholt sei, so die
rechtsextremen Vordenker und Strategen, müsse man jetzt eine anti-westliche
Orientierung annehmen, um sich strikt von der liberalen Variante des
Kapitalismus abzugrenzen. Dieser Paradigmenwechsel verlief parallel zu jenem
in der Innenpolitik, der den FN zunehmend weiter von der konservativen und
bürgerlichen Rechten entfernte und ihn, mit verstärkter sozialer Demagogie,
um Arbeiter und Arbeitslose, ja ausdrücklich um frühere Linkswähler werben
ließ. Denn, so die Intellektuellen der extremen Rechten - wie ihr damaliger
Chefideologe Bruno Mégret, dessen politische Karriere heute freilich als
gescheitert gelten muss -, das Ende des "real existierenden Sozialismus"
sowie die Bekehrung der regierenden Sozialdemokratie zu neoliberalen
Paradigmen hätten den Platz der "Systemopposition" vakant werden lassen. Es
liege daher an der extremen Rechten, ihn zu besetzen, und die Opfer sozialer
Ungerechtigkeiten anzuziehen.
Allerdings war die pro-irakische Position so "revolutionär" auch wieder
nicht, denn der Irak hatte in den 70er und 80er Jahren einen der engsten
geostrategischen Verbündeten Frankreichs gebildet. Daher exisitierte auch
innerhalb der etablierten Parteien eine beträchtliche pro-irakische Lobby,
die eine stärkere Beachtung der geostrategischen Eigeninteressen Frankreichs
und ihre Geltendmachung gegenüber den USA forderte.
Dennoch vollzog fast die gesamte konservativ-liberale Rechte zwischen dem
Ausbruch der Kuwait-Krise im August 1990 und dem Kriegsbeginn im Januar 1991
einen Kurswechsel, zugunsten der Unterstützung der USA. Daher stand der FN
mit seiner klar pro-irakischen (und sogar dezidiert regimefreundlichen)
Position - Parteichef Jean-Marie Le Pen besuchte im November 1990
demonstrativ den Präsidenten Saddam Hussein - auf der Rechten am Ende quasi
allein da.
Eine SOFRES-Umfrage, die am 6. Oktober 1990 durch die Pariser Abendzeitung
„Le Monde“ veröffentlicht wurde, zeigt auch die möglichen Beweggründe der
Stellungnahme des FN-Chefs auf. Ein Drittel der Befragten gaben damals an,
Le Pen beziehe die pro-irakische Position, "um sich von allen anderen
Politikern abzuheben". Tatsächlich dürfte hier ein Hauptgrund liegen : Alle
großen Parteien (mit Ausnahme der KP und der radikalen Linken) waren damals
für den Aufmarsch der USA und ihrer Alliierten am Golf, unter Führung von
George Bush dem Vater. 25 Prozent der Befragten sahen Le Pens
Antisemitismus und sein Verhältnis zu Israel als Motiv an. Daran ist
sicherlich etwas Wahres dran, allerdings muss diese Aussage nuanciert werden:
Bis Ende der 80er Jahre, und seit den Kolonialkriegen der späten Fünfziger
Jahre - damals war Israel (gegen Algerien und Ägypten) mit Frankreich
verbündet gewesen - war Le Pen, der als Freiwilliger 1956 am Suezkanal
gekämpft und 1957 in Algerien eigenhändig gefoltert hatte, aus
außenpolitischen Motiven eher pro-israelisch gewesen. Aber seine Ausladung
von einem für Anfang 1988 programmierten Besuch in Israel, nachdem er sich
im September 1987 im französischen Fernsehen ein bisschen zu lautstark zu
den Thesen der Geschichtsrevisionisten bekannt hatte - Stichwort "die
Detail-Affäre" - hatte zu einem Umschwung seiner Position geführt. 15
Prozent der Befragten wiederum meinten, Le Pen unterstütze deswegen den
irakischen Präsidenten, weil er Bündnisse mit arabischen Herrschern suche,
um mit diesen über die Begrenzung (oder "Rückführung") der arabischstämmigen
Immigration in Frankreich zu verhandeln. Auch dies ist nicht völlig von der
Hand zu weisen, allerdings hat der Irak fast keinen Einfluss auf die real in
Frankreich lebenden Immigranten - die vor allem aus Marokko, Algerien und
Tunesien stammen. Aber als ideologische Konzeption mag Le Pen diese
Vorstellung gehegt haben.
2003: Schwierigkeiten, Gehör zu finden
Im Jahr 2003 haben sich die Dinge geändert. Frankreichs offizielle Position
war, vor dem Hintergrund eines Interessenkonflikts mit den USA (dabei ging
es um die Neuordnung des Mittleren Ostens und die Aufgabenverteilung in der
NATO), seit dem Jahreswechsel eher gegen die Kriegspläne der
US-Adminstration gerichtet. Zumindest wurde eine Zustimmung zu einem Krieg
mit Bedingungen versehen, die durch die Regierung Bush zurückgewiesen
wurden.
Damit wurde dem FN tendenziell der Wind aus den Segeln genommen. Denn dass
dieser nicht nur - die inzwischen auch andere Kräfte - den US-Krieg ablehnt,
sondern auch explizit die Diktatur Saddam Husseins unterstützt, ist bis in
seine eigene Wählerschaft hinein recht unpopulär. Bereits während der
Kuwait-Krise und im Vorfeld des Zweiten Golfkriegs, 1990/91, war die
Mehrheit der FN-Wählerschaft in dieser Frage nicht unbedingt auf Seiten der
Position Le Pens gestanden. Nur 48 Prozent der Le Pen-Wähler bei der
Präsidentschaftswahl 1988 waren bei der vorher zitierten Umfrage vom Oktober
1990 der Ansicht gewesen, der FN-Chef vertrete mit seiner Position zum Irak
"die nationalen Interesse Frankreichs". Und als das "Figaro-Magazine" im
März 1997 die FN-Sympathisanten - der Kongress der Partei, der erstmals von
massiven Gegendemonstrationen und entsprechender Öffentlichkeit begleitet
war, stand dicht bevor - nach ihren Vorlieben für bestimme Länder fragte,
äußerten sich nur 14 Prozent zugunsten der Irak. Dieser nahm den letzten
Platz auf einer Liste von zwei Dutzend Vorschlägen ein. Und aus Anlass des
aktuellen Konflikts zwischen den USA und dem Irak zeigte sich, dass ab
August 2002 die FN-Wählerschaft jene war, die - unter allen Parteien - den
höchsten Anteil an offenen Kriegsbefürwortern aufwies. Der anti-arabische
Rassismus von bedeutenden Teilen dieser Wählerschaft spielt dabei sicherlich
eine Rolle. 35 Prozent der FN-Wähler wollten im Herbst 2002 einem US-Krieg
gegen den Irak auch ohne Mandat der Vereinten Nationen zustimmen - das war
der höchste Anteil unter allen befragten Wählerschaften.
Daher hat die extreme Rechte zur Zeit einige Probleme, in ähnlichem Ausmaß
wie 1991 auf sich aufmerksam zu machen. Im Zusammenhang mit dem begonnenen
Krieg, und den Protesten der Pazifisten und der Linken gegen ihn, spricht
man jedenfalls in der (Medien-) Öffentlichkeit dezeit so gut wie gar nicht
vom FN. Auch wenn etwa Marine Le Pen, die derzeit in raschem Aufstieg
befindliche Tochter des Parteichefs, etwa in ihrem Interview mit der
Boulevardzeitung 'Le Parisien' vom 30. September 02 bereits das Kriegsthema
aufgegriffen hatte, und ihre Ablehnung eines US-Kriegs im Irak mit Worten
begründete, die auch gut von irgend einer anderen Partei hätten stammen
können.
Der Front National hat zwar am 1. Februar 03 eine eigene Kundgebung mit
seiner pseudo-humanistischen Vereinigung SOS Enfants d'Irak (SOS Kinder des
Irak), der Le Pens Ehefrau Jany vorsteht, durchgeführt - dabei fanden sich
jedoch nur rund 150 Personen ein. Aus Anlass der großen
Antikriegsdemonstration (mit 200.000 TeilnehmerInnen allein in Paris) 14
Tage später hatte zwar die Le Pen-Tochter Marine, die mögliche künftige
Parteivorsitzende, eine Teilnahme ihrer Partei angekündigt. Die Veranstalter
hatten jedoch ihrerseits angekündigt, die extreme Rechte nicht im Zug zu
dulden. Letztlich hielt der FN es für angeraten, sich lieber nicht blicken
zu lassen. Seit dem 15. Februar hat man im Zusammenhang mit den
Demonstrationen auch nichts mehr von der rechtsextremen Partei gehört.
Aktuelle Stellungnahmen der extremen Rechten
Aus Anlass des Kriegsbeginns am 20. März 03 hielt Le Pen im Europaparlament
eine recht scharfe Rede, in der er ankündigte, nunmehr bräuchten die
Staatschefs der US-geführten Koalition sich "nicht zu wundern, wenn sie zu
den ersten Zielen terroristischer Vergeltungsaktionen werden". Dabei ging er
freilich nicht so weit wie der Chefideologe der „Neuen Rechten“, Alain de
Benoist, der in einem Kommuniqué vom 20. März an verschiedene
Zeitungsredaktionen ankündigte: "Jeder Vergeltungsakt gegen amerikanische
Interessen in der Welt (...), an welchem Ort auch immer er stattfindet, mit
welchem Ausmaß und welchen Mitteln auch immer, unter welchen Umständen es
sei, ist nunmehr zugleich legitim und notwendig." Ein paar Stunden später
schien Alain de Benoist jedoch kalte Füße bekommen zu haben, denn in einem
zweiten Kommuniqué präzisierte er, er habe natürlich keine "terroristischen
Aktionen" gutheißen wollen. Beide Kommuniqués wurden durch die rechtsextreme
Wochenzeitung Minute vom 26. März 03 veröffentlicht.
Der FN und seine parteieigene Zeitung National Hebdo (NH) vom gleichen Datum
legten ihrerseits besonderen Wert in ihrer Argumentation darauf, dass rund
eine Million Christen im Irak lebten, mit denen man besonders solidarisch zu
sein habe. Seitens der Partei äußerte sich zu diesem Thema besonders Bernard
Antony - der Chef des katholisch-fundamentalistischen Flügels - in einem
Kommuniqué, in der Zeitung NH kommentierte der ebenfalls den katholischen
Fundamentalisten angehörende Leitartikler Yves Daoudal in diesem Sinne "Den
ungerechten Krieg". Die Ultrakatholiken bilden eine der Strömungen innerhalb
der extremen Rechten, die aber in ihrem Kampf um die ideologische
Vorherrschaft besonders durch die neuheidnischen (und antichristlichen, da
antisemitischen, weil sie das Christentum zur "Ausgeburt jüdischen Geistes"
erklären) Rassebiologisten angegriffen wird.
Die irakischen Christen aber, so schreiben beide (Antony und Daoudal), seien
im Fall eines Sturzes des Baath-Regimes - als Ergebnis des US-Krieges -
besonders bedroht, da im Fall einer Einführung der Demokratie die
schiitischen Muslime als größte Gruppe automatisch das Land führen würden.
Daher sieht die rechtsextreme französische Partei "die Herrschaft der
islamischen Revolution und den Genozid der Christen" (sic) bevor stehen, so
steht es nachzulesen in 'National Hebdo' (Ausgabe vom 26. März). Allein die
Herrschaft Saddam Husseins sei in der Lage, wird hinzugefügt, das Land
zusammenzuhalten. Zu solchen Dingen wie Demokratie erklärt man die Bewohner
des Mittleren Ostens für generell unfähig. Nun ist es ansonsten richtig,
nicht an die Einführung einer Demokratie durch die US-Bomber zu glauben -
die Interventionsmacht wird wahrscheinmlich eher ein anderes autoritäres
Regime oder allenfalls eine Fassadendemokratie errichten, mit Augenmerk
hauptsächlich darauf, dass die neue Regierung möglichst pro-US-amerikanisch
ist. Aber das ist überhaupt kein Grund, das grundsätzliche Plädoyer der
extremen Rechten für die aktuelle Diktatur für etwas anderes als
bekämpfenswert zu halten.
Am Rande vermerkt sei noch: Die rechtsextrem-verschwörungstheoretische Sekte
"Nouvelle Solidarité" - einer der Ableger der Privatpartei des
US-Milliardärs Lyndon LaRouche, deren deutsche Variante zur Zeit
"Bürgerbewegung Solidarität" heißt - verteilte mehrfach vor Beginn der
Demonstrationen ihre Pamphlete und Flugblätter. Sie tat dies auf dem
(kürzesten) Weg zur Place de la Concorde, aber etwas abseits vom
Sammlungsort. Doch hier handelt es sich um eher harmlose Spinner, jedenfalls
verglichen mit einer organisierten Partei wie dem FN.
Bernhard Schmid, Paris
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