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Berlin: Tagung zu Gouvernementalität und Geschlecht am 31.o5 | Are you a boy or a girl?

Tagung zu Gouvernementalität und Geschlecht

mit Vortägen von
Isabell Lorey, Thomas Lemke, Katharina Pühl und Andrea Maihofer
am 31.o5 in Berlin
an der Humboldt-Uni
 http://www.boygirl.tk


11.oo-14.oo h

In meine Werkzeugkiste packe ich...

Isabell Lorey
(Selbst)regierte Subjekte:
Gouvernementalität und Biopolitik

Thomas Lemke
Das Geschlecht der Gene


15.00-18.oo h

a girl is a grrl is a grrrl.

Katharina Pühl
Gouvernementalität, Geschlecht und Neoliberalismus:
Neue Fragen, alte Probleme oder
Alte Fragen und neue Probleme? Produktive Irritationen

Andrea Maihofer
Neue Selbstpraxen - neue Geschlechter(verhältnisse)?
Kontinuitäten und/oder Veränderungen


|| Ansatz ||

Seit den frühen neunziger Jahren haben sich die gouvernementality studies im Anschluß an Foucaults Arbeiten über die Regierung etabliert. Die Veranstaltung, die sich in zwei Themenböcke aufteilt, will sich in einem ersten Schritt noch einmal darum bemühen, zentrale Begriffe der gouvernementality studies auf Foucault abzubilden und dabei etwaige Differenzen und Modifizierungen herauspräparieren. Es soll dabei nicht so sehr darum gehen, das Konzept der 'Regierung' als Veränderung in Foucaults Machtkonzeption herauszustellen, als vielmehr einzelne, kleinere Elemente, mit denen das Konzept der Regierung arbeitet, zu rekonstruieren. Dies soll den ersten, den analytisch-exegetischen Block der Veranstaltung bilden. In einem zweiten Schritt sollen dann die in der gouvernementality studies Literatur - zumindest was die einschlägigen Sammelbände betrifft - eher unterrepräsentierten genderperspektivischen Ansätze zum Zug kommen. Die gleichzeitige Zementierung und Flexibilisierung von Geschlechterverhältnissen soll anhand ausgewählter Beispiele einer Analyse unterzogen werden. Dies soll den zweiten, analytisch-thematischen Block der Veranstaltung bilden. Die einzelnen Elemente und ihre Verbindngen seien im folgenden unverbindlich skizziert:

|| Gouvernementalität ||

Seit den frühen Neunzigern haben sich die 'governmentality studies' im Anschluß an Michel Foucaults Arbeiten über die Regierung etabliert. Dessen Aufsatz über "Die Gouvernementalität" bildet den programmatischen Mittelpunkt dieser Forschungsperspektive. Der Neologismus, der nur schwer über die Lippen kommt, rückt eine Machtkonzeption in den Mittelpunkt, die über das 'mittlere Werk', vor allem die Analysen in "Überwachen und Strafen", hinausgeht. Das Subjekt wird von Foucault nicht länger allein unter dem Gesichtspunkt seiner Formung und Hervorbringung durch die Disziplinargesellschaft betrachtet, sondern es rückt selbst als aktiv Handelndes in den Vordergrund. Der Begriff der 'Technologien des Selbst' hebt dies hervor. Nun rücken jene Mechanismen in den Blick, mit denen sich die Subjekte selbst 'unterwerfen' und 'zurichten' und so aktiv ihr eigenes Leben 'führen'. Die Führung dieser Führung nennt Foucault die Gouvernementalität, Kopplung von Selbst- und Fremdführung. Im Gegensatz zur souveränen Macht, die laut und lärmend daherkam, und zur Disziplinarmacht, die immerhin noch schepperte und klapperte, ist die gouvernementale Führung leise und lautlos. Für die Analyse neoliberaler Zustände, die zunehmend auf Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Eigenvorsorge setzen, hat sich dieser Ansatz als äußerst produktiv erwiesen.

|| Gender ||

Auch hier bilden die frühen neunziger Jahre einen Anfangspunkt. Eingeleitet durch Judith Butlers Buch "Gender trouble" hat sich die Debatte um die soziale Konstruktion von Geschlecht radikalisiert. Die bislang für selbstverständlich genommene Kategorie des 'sex' wird von Butler einer Kritik unterzogen. So wird die noch für Simone de Beauvoir selbstverständliche binäre Konstitution des biologischen Geschlechts von Butler als Fiktion entlarvt: 'sex' ist immer schon 'social sex'. Was Butler theoretisch vormacht, führt Thomas Laqeur in seinem Buch "Auf den Leib geschrieben" praktisch vor: die Konstruktion des biologischen Geschlechts. Indem er aufzeigt, dass von der Antike bis ins 17. Jh. hinein 'sex' noch nicht binär aufgespalten, sondern vielmehr hierarchisch geordnet war. 'Mann' und 'Weib' waren ein Leib, konsequenterweise waren daher auch beide Körper sowohl zur Menstruation als auch zur Ejakulation fähig. Als Folge solcher Überlegungen wurde die Kategorie 'Frau', welche bisher die identitätsstiftende Funktion
feministischer Politik übernommen hatte, erschüttert. Probleme des Ausschlusses und der Begrenzungen einer identitären Logik rückten damit inden Vordergrund und eröffneten das Feld queerer Politik. Durch Butler erfuhr die Debatte um Geschlecht so eine zweifache Zuspitzung: traditionelle Konstruktions- als auch Repräsentationskonzepte wurden in Frage gestellt und radikalisiert.

|| Gouvernementalität und Geschlecht ||

Der Begriff des Wahrheitsprogramms soll uns den Zusammenhang der beiden Themengebiete eröffnen. Alles Regieren hängt von einem bestimmten Verfahren der Repräsentation ab. Um eine Repräsentation als gültig und wahr einzusetzen, bedarf es Institutionen und Apparate, die ihre 'Wahrheit' absichern und verbürgen. So ist es kein Wunder, dass für Foucault die gouvernementale Führung in jenem Moment einsetzt, in welchem die Wissenschaft von der Bevölkerung Daten, Zahlen und Fakten - kurz: Wissen - zu akummulieren beginnen. Durch die Zirkulation eines solchen Wissens entstehen Praktiken, Institutionen und Weisheiten, auf deren Basis Subjekte denken und handeln. Die Produktion von Wissen und die Durchsetzung und Etablierung eines Wahrheitsprogramms bilden so die zentrale Elementen der Gouvernementalität, durch sie verschränkt sich die Selbst- und Fremdführung der Subjekte. Ziel einer gouvernementalitätstheoretischen Betrachtung von Geschlecht könnte es sein, Geschlechterbinarität, normative Heterosexualität und Geschlechterhierarchie als Effekte eines solchen Wahrheitsprogramms zu entlarven. Die Funktionsweise eines solchen wäre unter diesen Bedingungen näher zu untersuchen. Nicht nur jene Selbsttechnologien, die den eigenen Körper bearbeiten und in Szene setzen, vom gekonnten Augenaufschlag bis hin zum Hüftschwung, sondern auch der Einzug sexueller 'Andersartigkeit' in den mainstream bzw. die Auflösung stereotyper Geschlechterzuschreibungen müssen vor diesem Hintergrund kritisch beleuchtet werden.

Um sich an diese Fragestellungen anzunähern, teilt sich die Tagung in zwei Blöcke auf. Im ersten Block sollen zunächst Grundlagen der gouvernementality studies im Rückbezug auf Foucault geklärt und vermittelt werden. Die Rekonstruktion zentraler Theorie-Elemente soll so die Grundlage für den zweiten Block bilden, der sich mit den aufgeworfenen Fragen geschlechtlicher Gouvernementalität beschäftigt.

 

12.05.2003
anonym   [Aktuelles zum Thema: Gender & HERRschaft]  Zurück zur Übersicht

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