Frankreich: Streik der Kultur sorgt für heissen Sommer
Frankreich : Streik der Kulturschaffenden sorgt für heißen Sommer
(in vier Abschnitten)
1. Einige Eindrücke aus Paris vom Kulturstreik
Paris unweit der Bastille, am vorigen Samstag abend, kurz vor 21 Uhr: Im Theater der rue de la Roquette soll eine Vorführung beginnen. Ich weiß, dass die Kulturwelt in Aufruhr ist und eine Reihe von Aufführungen derzeit abgesagt werden. Doch das Stattfinden des Stücks war vorher angekündigt worden, also konnte man es ja mal riskieren.
Die Aufführung verzögert sich um circa 15 Minuten, während derer man auf einer Leinwand abwechselnd Fernsehwerbung und Werbung für - anscheinend mehr oder weniger pornpographische - Call-Centers beobachten kann. Dann tritt ein Künstler mit einem Plakat auf die Bühne: "Ohne intermittents" - so heißen die prekären Kulturschaffenden, die zwischen zwei Aufführungen keinen Broterwerb haben und deswegen (bisher jedenfalls) nach Sonderregeln aus der Arbeitslosenkasse alimentiert werden - "würde so die Auswahl für das Abendprogramm aussehen." Nacheinander lösen sich fünf oder sechs KünstlerInnen ab, die das Plakat halten. Einige Zuschauer applaudieren. Dann beginnt die Aufführung. In der Mitte gibt es keine Pause, stattdessen laufen erneut Künstler mit Plakaten über die Bühne: "Eine intermittence (also Diskontinuität) ist keine Unterbrechung, sondern die Fortführung eines Prozesses." Dann geht es weiter. Am Ende treten alle SchauspielerInnen auf die Bühne, unter donnerndem Applaus. Einer hält ein Schild hoch: "Drei Jahre lang haben wir diese Aufführung vorbereitet. Anderthalb Jahre lang suchten wir eine Finanzierung, ein Jahr und drei Monate haben wir geprobt. Einen Monat werden wir bezahlt. So leben wir."
Gleichzeitig wurde am Samstag abend die Grande Halle des Freizeitparks Parc de la Villette im Pariser Nordosten besetzt. Es handelt sich um das ehemalige Zentralgebäude der Pariser Schlachthöfe - unter seinem Dach fand im späten 19. Jahrhundert der Pariser Viehmarkt statt -, das mit der Errichtung des Freizeitparks in den 1970er Jahren zur Multifunktionshalle für Spektakel und Konzerte umfunktioniert wurde.
Über die Mailing-Listen der diversen sozialen Bewegungen läuft in der Nacht die Information: "Kommt zur Unterstützung ab 9 Uhr, und um 17 Uhr ist Vollversammlung". Das trifft sich gut: Ich wohne direkt nebenan. Gegen 9.30 Uhr treffe ich, noch reichlich schlaftrunken, ein. Das trifft sich noch besser: Die Ordnungshüter räumen gerade die Grande Halle. Einige Kulturschaffende lassen sich aus der Halle tragen, aber es kommt nicht zu Zusammenstößen. Die Beamten sagen: "Wir ziehen jetzt ab, wir sind von der Gendarmerie nationale - aber wenn es Klagen gibt, dann kommt die Bereitschaftspolizei CRS, dann könnte es unsanfter zugehen." Das alte Spiel vom good guy und dem bad guy.
Die (nunmehr ehemaligen) BesetzerInnen sammeln sich - der harte Kern besteht aus rund 150 Leuten - unter dem Vordach der Grande Halle zur Beratung. Anderthalb Stunden lang wird über die nächsten Schritte beraten.
Die RednerInnen sind erst einmal bemüht, alle Einzelheiten des - "höllenkomplizierten" - Abkommens für ihre KollegInnen zu erklären, das in der Nacht vom 26. zum 27. Juni unterzeichnet wurde und die Unterstützung für die intermittents in Zeiten, da sie keine Aufführungen haben, neu regeln soll.
Mehrere Redner betonen, dass die jetzige Bewegung � die Anfang Juni, mit dem Beginn der Verhandlung über die Arbeitslosenkasse und die intermittents, begonnen hatte - in Verbindung stehe mit der allgemeinen sozialen Bewegung gegen die Renten"reform" und andere antisoziale Einschnitte. "Wir werden den gesamten Juli und August über von uns reden machen", betont der Schauspieler Laurent, einer der Hauptredner. "Dadurch verhindern wir, dass die soziale Bewegung in's Sommerloch fällt, wie einige befürchten" - und die Regierung hofft! - "wenn die LehrerInnen in den Sommerferien sind. Im September können die anderen dann wieder loslegen".
Dann wird die Frage aufgeworfen: Wo soll es nun hingehen? Einige plädieren für den nahe gelegenen Kinokomplex MK2, der dem - sich gerne als Linken gebenden - Betreiber Marin Karmitz gehört, dem etwas auf den Zahn gefühlt werden soll. Die Idee wird verworfen: "Bei Karmitz machen wir jetzt schon jede dritte Woche eine Aktion!" Am Ende geht es zum Stadttheater bei der Place du Châtelet. Ungefähr 100 intermittents - die Menge ist längst auf mehrere hundert angeschwollen - gelingt es, Einschlupf zu finden, obwohl die Polizei auf der Hut ist. Ein vorgesehenes Tanzfestival muss verschoben werden. Beim vorigen Mal, drei Wochen zuvor, hatte die Direktion desselben (städtischen) Theaters noch geschickt versucht, eine damalige Aktion als ihr ureigenes Verdienst erscheinen zu lassen: Zwei Delegierte der "herein geplatzten" intermittents hatten ein paar warme Worte auf der Bühne sagen dürfen, nicht ohne dass ausgiebig betont worden wäre, dass man diese Aktion der Großzügigkeit der Theaterleitung verdanke.
Für die Abendnachrichten, nicht nur von TF1, finden sich dann noch vereinzelte Zuschauer - oder war's ein Theaterleiter? -, die sich über ihre "Geiselnahme" durch die Protestierenden beklagen. Gähn - diese Story kennt das Publikum bereits im Schlaf auswendig: Das ganzen Streikfrühjahr hindurch wollten TF1 und bestimmte Zeitungen ("Le Figaro" oder "Le Parisien") den Leuten mit der ewig gleichen Formulierung einreden, sie seien durch die Streikenden im öffentlichen Dienst, in den Transportmitteln� "als Geiseln genommen". Einfallsreicher wird die Propaganda auch nicht.
2. Die Hintergründe
Aber worum geht es eigentlich? Das strittige Abkommen läuft darauf hinaus, die Unterstützung für die Kulturschaffenden zwischen zwei Aufführungsperioden drastisch zu reduzieren. Aufgrund der diskontinuierlichen Natur ihrer Beschäftigung wurde zu Anfang der Neunziger Jahre ein sozialrechtlicher Sonderstatus für diese Beschäftigten geschaffen, jener des intermittent. Rund 100.000 Personen haben derzeit diesen Status; er betrifft sowohl KünstlerInnen als auch TechnikerInnen, die in diesem Bereich arbeiten (Toningenieure, Bühnenbauerinnen). Eine mehrwöchige Streikbewegung im März/ April 1997 hatte damals zu einer Verbesserung der sozialen Absicherung dieses Personenkreises geführt. Heute soll diese nun großenteils wieder demoliert werden.
Zum einen sollen die Kulturbeschäftigten in der Periode zwischen zwei Engagements nur noch 8 Monate, und nicht mehr wie bisher 12 Monate, Geld aus der Arbeitslosenkasse erhalten. Zum anderen sollen nur noch jene Kulturschaffenden überhaupt Anspruch erhalten, die mindestens 507 Anrechnungsstunden in den letzten 10,5 Monaten (statt bisher 12 Monaten) gearbeitet haben - für die sie begleitenden Techniker sind es gar nur 10 Monate. Das klingt nach einem technischen Detail, ist aber bei weitem nicht so harmlos. Um nämlich mathematisch auf 507 Verrechnungsstunden im Jahr zu kommen, hatten die Kulturschaffenden bereits bisher oft am Jahresende gehörig tricksen müssen - die Auftritte umfassen ja oft nur wenige Stunden. Oft ließen sie sich irgendwelche Sekundenauftritte in Filmen arrangieren, um noch einen Verrechnungsbon zu erwerben, oder handelten gegenseitig mit Anrechnungsmöglichkeiten.
Der neue Berechnungsmodus wird, nach Angaben von Jean Voirin von der Branchengewerkschaft der CGT (CGT du spectacle), gut 30 Prozent der Kulturschaffenden ganz aus dem Unterstützungsanspruch gegenüber der Arbeitslosenkasse herausfallen lassen. Diese sehen sich daher existenziell gefährdet. Auf der Demonstration zum Kulturministerium am vorletzten Donnerstag (26. Juni), an der mindestens 10.000 Menschen teilnahmen, führten sie einen riesigen Galgen mit, in dessen Schlinge ein Kulturbeschäftigter stundenlang seinen Hals stillhielt. Ihren Sinn für�s Spektakel stellten auch die grimmig dreinblickenden "Henker" unter Beweis.
Daneben sieht das Abkommen
- als verlockendes "Zuckerl" - auch eine spürbare Anhebung der Unterstützung für die niedrigsten Einkommen in dem Sektor an. Doch Sylvie, eine der Sprecherin der Streikkoordination der intermittents in Paris, kann darüber bestenfalls lachen: "Eine schöne Sache, von der aber kaum jemand profitieren wird - denn gerade die niedrigsten Einkommen werden nunmehr ganz aus dem Versicherungsmechanismus rausfliegen. Denn sie betreffen meistens jene Beschäftigten, die nur auf eine relativ geringe Zahl von Engagements im Jahr kommen. Sie verlieren künftig den Unterstützungsanspruch gleich in Gänze. Es handelt sich also um eine Blenderei."
Unterzeichner des regressiven Abkommens, das am 1. Oktober dieses Jahres in Kraft treten soll und dem der konservative Kulturminister Jean-Jacques Aillagon am Montag (30. Juni) seine explizite Unterstützung aussprach, sind die Arbeitgeberverbände und auf Gewerkschaftsseite die rechtssozialdemokratische CFDT und die katholische CFTC sowie die Vertretung der höheren Angestellten (CGC). Die beiden letztgenannten sind kleinere Gewerkschaften ohne wirkliche Bedeutung. Die CFDT dagegen, einer der beiden größten Gewerkschaftsverbände in Frankreich, hat Gewicht. Ihre Unterschrift aber hat ihre eigene Logik: Die CFDT leitet auf nationaler Ebene den Verwaltungsapparat der (paritätisch besetzten) Arbeitslosenkasse und ist dort nach Kräften darum bemüht, eine eiskalte Sparpolitik umzusetzen.
Die (früher kommunistische, jetzt irgendwie undefinierte) CGT, mit Abstand stärkste Gewerkschaft bei den Kulturschaffenden und die reformistische Gewerkschaft FO opponieren gegen das Abkommen. Nach Angaben mehrerer Kulturbeschäftigter sind 90 Prozent der gewerkschaftlich Organisierten unter ihnen in der CGT.
3. Warum das Ganze ?
Warum der Streit? Natürlich geht es in erster Linie um Geld: Die Arbeitslosenkasse UNEDIC soll sparen. Das ist in erster Linie das gemeinsame Interesse des Arbeitgeberverbands MEDEF, der grundsätzlich weniger Sozialbeiträge abdrücken und daher die Arbeitslosenkasse - auf Kosten der EmpfängerInnen - sanieren will, und der CFDT als Verwalterin der Kasse. Letztere will vor allem ihre Fähigkeit zu "vernünftiger", sozialpartnerschaftlich-technokratischer Verwaltung unter Beweis stellen. Ferner profitiert sie indirekt von ihrer Präsenz in der Kassenbürokratie, da sie Teile ihres Apparats - dessen Kader zugleich Funktionsträger der Sozialversicherungskassen sind - so über das Sozialversicherungssystem anstellen und bezahlen lassen.
Es stimmt, dass jene Sparte der Arbeitslosenversicherung, aus der die intermittents ihre Unterstützung erhalten, Defizite aufweisen. Im Jahr 1991 gab sie noch 260 Millionen Euro im Jahr aus, derzeit sind es 1 Milliarde Euro jährlich; davon waren im Vorjah 740 Millionen Euro Defizit. Die wachsenden roten Zahlen rühren aber vor allem auch daher, dass - wie in so vielen anderen Wirtschaftssektoren auch - die Arbeitgeber dauerhafte in kurzlebige Beschäftigungsverhältnisse umwandeln, wofür der intermittent-Status ihnen natürlich eine prima Rechtfertigung liefert. Unter den KünstlerInnen, die um eine starke intellektuelle Autonomie besorgt sind, stößt das allerdings durchaus auch auf ein eigenes Interesse, im Sinne von mehr individueller Freiheit - sofern die materiellen Bedingungen ein Überleben ermöglichen! Anders sieht es natürlich aus, wenn ihnen dabei das Wasser bis zum Hals steht - wie das für viele unter ihnen zunehmend der Fall ist -, und das Freiheitsgefühl nur mehr zum Deckmantel für drohendes materielles Elend wird.
Die sich verschärfenden Konkurrenzbedingungen, die aus einer Kapitalkonzentration und der Intervention von Konzernen mit wachsender Größe und Finanzkraft auch auf diesem Sektor (vor allem im Kino- und Fernsehbereich) erwachsen, tragen dazu bei. Denn sie erschweren die finanzielle Überlebensfähigkeit für viele kleinere Kulturbetriebe, die so zuätzlich gezwungen sind, ihre Ausgaben zu drücken.
Ferner spielt eine Rolle, dass - wie in anderen Sektoren auch - die Sozialbeiträge der Arbeitgeber oftmals nicht oder nur schlampig bezahlt werden. Das gilt auch für Arbeitgeber der öffentlichen Hand (etwa Veranstalter kommunaler Festivals, das Kulturministerium), die es sich erlauben können, nachlässig im Umgang mit ihren Verpflichtungen zu sein. In anderen Fällen wird Nachgiebigkeit gegenüber privaten Arbeitgebern mit dem Arbeitsplatz-Argument - gerade in einem von Prekarität geprägten Sektor - gerechtfertigt. Nach Angaben der Streikkoordination der intermittents du spectacle - unter dem Namen Culture en danger (Kultur in Gefahr) - sind "die Missbräuche auf diesem Gebiet enorm".
Dem Kapitalverband MEDEF freilich geht es um mehr, und das wird kaum verhüllt so gesagt. Endlich soll Schluss sein mit den Marotten, die den armen Arbeitgebern (als Zahlern von Sozialbeiträgen) nur Geld kosten. Denn in diesen Kreisen gilt: Kultur hat Luxus zu sein und ist "eigentlich" für jene da, die auch fett dafür bezahlen können.
So äußerte sich der MEDEF-Präsident, Baron Ernest-Antoine de Seillière, in ebenso deutlichen wie scharfen Worten auf "Radio Classique": "Das Kulturmilieu ist es gewohnt, dass man seine Privilegien nicht antastet. Wir tasten sie an, wie die anderer Leute auch, und genau das nennt man 'Reform'" Es gehe nicht an, dass "Leute von Arbeitslosenunterstützung leben anstatt von ihrer Arbeit". Unverhohlen wird ausgesprochen: Faules Pack, rührt Euch!
4. Aufruhr in der Kulturwelt
Solche Äußerungen gossen noch Öl in's Feuer. Nunmehr droht den Betreibern von Festivals und Kulturveranstaltungen ein heißer Sommer. So ist das Stattfinden des berühmten und prestigeträchtigen Theaterfestivals von Avignon (das normalerweise am 8. Juli beginnen würde) ernsthaft gefährdet. Zunächst traten die TechnikerInnen - die um diese Jahreszeit normalerweise Tag und Nacht die Bühnen errichten würden - am Freitag, 27. Juni in Streik. Nach Ablauf des Wochenendes nahmen sie die Arbeit wieder auf, aber mit der Ankündigung, am 8. Juli - rechtzeitig zur Festivaleröffnung - in den vollständigen Ausstand zu treten, falls sich bis dahin nichts Entscheidendesgetan habe. Für das Lyrikfestival in Aix-en-Provence seinerseits, das am letzten Freitag (4. Juli) beginnen sollte, wurden die ersten Aufführungen abgesagt, woraufhin allerdings die TechnikerInnen nach einem lokalen Abkommen ihrer Streikaufruf am vorigen Donnerstag zurückzogen.
Ebenso wurde das vom 9. bis 13. Juli in Rennes geplante Kulturfestival "Les Tombées de la nuit" insgesamt annulliert. Ferner musste ein bereits begonnenes Tanzfestival in Montpellier am Ende doch ausfallen. Ausfällig wurde dabei auch der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt, Georges Frêche, der damit drohte, streikende TechnikerInnen zu entlassen. Das ist nach geltenden französischen Arbeitsgesetzen "eigentlich" glatt rechtswidrig.
Unter anderem in Lille und im normannischen Caen besetzten intermittents und ihre UnterstützerInnen vorübergehend die städtischen Theater. In Caen wurde das Gebäude daraufhin am letzten Montag durch die Bereitschaftspolizei CRS geräumt, ebenso wie die zeitweilig besetzte Niederlassung der UMP, der bürgerlich-konservativen Einheitspartei Jacques Chiracs. Am folgenden Tag wurde in Paris der Hauptsitz des rechtssozialdemokratischen Gewerkschaftsbunds CFDT im Stadtteil Belleville von protestierenden Kulturschaffen ordentlich mit überreifen Früchten - von Tomaten bis zu dicken Melonen vom nahen chinesischen Markt - eingedeckt, am Ende glich die Eingangshalle einer erstklassigen Müllkippe. Ungefähr gleichzeitig sprengten im nordfranzösischen Arras rund 100 intermittents ein feierliches Essen des Unternehmerverbands MEDEF, an dem Denis Gautier-Savagnac teilnahm, der im Namen des MEDEF das Abkommen über die Arbeitslosen-Rechte der Kulturschaffenden ausgehandelt hatte. Was bereits ein Symbol an sich ist, denn Gautier-Savagnac ist nun wirklich weit davon entfernt, irgend was mit Kultur zu tun haben - er ist der ehemalige Vorsitzende des (besonders reaktionären) Metall-Arbeitgeberverbands UIMM.
Im westfranzösischen La Rochelle fiel, nach Störungen durch aufrührerische KulturproduzentInnen, am Dienstag zunächst das berühmte Kinofestival "La Coursive", zu dem rund 5.000 Cinéphile angereist waren, für einen Tag aus. Doch am folgenden Tag beschloss eine Vollversammlung der protestierenden intermittents mit knapper Mehrheit die Wiederaufnahme der Fortführungen (an denen selbst nur wenige Beschäftigte ihrer Kategorie mitarbeiten), um das Festival "als Tribüne zu nutzen" und mit dem Publikum in's Gespräch zu kommen. Falls allerdings die Regierung den Forderungen der Protestierenden nicht rasch nachkommt, so soll allerdings das - in der selben Region (Poitou-Charentes) stattfindende - Musikfestival "Les Francofolies" vom 11. bis 17. Juli, das ebenfalls viele TouristInnen anzieht und daher einen Wirtschaftsfaktor bildet, gestört und verhindert werden.
Die Regierung, genauer: Kulturminister Jean-Jacques Aillagon und Sozialminister François Fillon, haben noch einen Einfluss auf die weitere Entwicklung. Denn das zwischen einigen (Minderheits-)Gewerkschaften und den Arbeitgebern geschlossene Abkommen ist nur dann auf den gesamten "Wirtschaftszweig" Kultur anwendbar, wenn die beiden Minister es unterzeichnen. Ansonsten ist das Abkommen zwar rechtsgültig, aber nur auf die Mitglieder der unterzeichnenden Organisationen anwendbar. Am Donnerstag (3. Juli) begannen daher "in letzter Minute" Verhandlungen zwischen den gegen das Abkommen opponierenden Mehrheitsgewerkschaften (die wiederum die, auf Selbstorganisation aufbauenden, Streikkoordinationen im Rücken haben) und Kulturminister Aillagon. Diese endeten am Donnerstag abend zunächst ergebnislos. Doch am Freitag wurde der Faden wiederaufgenommen.
Für den Fall, dass es am Wochenende des 5./6. Juli zu keiner Vereinbarung komme, die zumindest durch einen bedeutenden Teil der Protestierenden als akzeptabel betrachtet wird, wurde für die jetzt beginnende Woche der "Flächenbrand" befürchtet. Nicht nur, dass dann das Festival von Avignon - an dem viel vom Prestige der französischen Theaterwelt hängst - ausfallen dürfte. Auch droht die Streikbewegung damit, dann noch ganz andere Joker aus dem Ärmel zu ziehen. So wurden öffentlich Aktionen zur Behinderung der Tour de France in bestimmten Départements, sowie lautstarke und spektakuläre Proteste bei der Militärparade am 14. Juli (dem Nationalfeiertag) angekündigt. Beides wäre noch nie dagewesen. Bei den intermittents sitzen Sie in der ersten Reihe.
Was kam bisher heraus? - Am Samstag abend (04. Juli) wurden die Verhandlungen ein weiteres Mal als gescheitert bezeichnet. Am folgenden Sonntag legte Kulturminister Jean-Jacques Aillagon einen neuen "Kompromiss"vorschlag auf den Tisch. Demnach soll die "Reform" der Arbeitslosenversicherung der intermittents schrittweise vis 2005, statt auf einen Schlag ab dem 1. Oktober dieses Jahres, eingeführt werden. Aillagons Vorschlag zufolge soll der jetzt geltende Zustand bis zum Jahresende 2003 beibehalten werden, danach würde für das Jahr 2004 eine Übergangsphase gelten (in welcher die 507 Stunden nicht mehr wie bisher in 12 Monaten, sondern in 11 Monaten zu erbringen wären) und erst ab 2005 soll die Neuregelung voll greifen.
Es sieht derzeit nicht danach aus, als ob sich die Situation damit "beruhigen" würde. Für den Dienstag (8. Juli) rufen die CGT-Kultur und die Streikkoordinationen zu einem Generalstreik der Kulturschaffenden auf. Am selben Tag sollte "eigentlich" das Theaterfestival von Avignon, als wichtigster Termin der Kulturwelt in diesen Wochen, losgehen. Daher wird sich bereits in den nächsten Tagen der Erfolg oder Misserfolg der sozialen Protestbewegung genauer ablesen lassen.
ERGÄNZUNG: Wie auch die anderen sozialen Bewegungen im Frühsommer 2003, wissen auch die intermittents derzeit einen bedeutenden Teil der öffentlichen Meinung hinter sich. Laut einer Umfrage für die Sonntagszeitung "Dimanche Ouest France" vom 5. Juli unterstützen 79 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen die Forderung nach Aufrechterhaltung der bisherigen Rechte der intermittents gegenüber der Arbeitslosenkasse. Sollte sich ihre Bewegung fortsetzen, so würden 64 Prozent ihr Sympathie oder Unterstützung entgegen bringen. Dagegen meinen nur 28 Prozent, die zuständigen Minister sollten das Abkommen über die "Reform" unterzeichnen. Eine Minderheit von 34 Prozent fände es ungerechtfertig, wenn Kulturveranstaltung abgesagt oder verhindert würden.
Bernhard Schmid, Paris (7. Juli o3)
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