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Antisemit? I wo! | Der Verschwörungstheoretiker Gerhard Wisnewski will nicht »offener Antisemit« genannt werden.

Kennen Sie einen Antisemiten? Nicht? Kein Wunder. Denn es gibt gar keine. Noch die letzte braune Dumpfbacke legt wert darauf, kein Antisemit zu sein. Man ist ja nur gegen Sharon oder gegen Israel oder gegen den Zionismus oder gegen den Ostküstenkapitalismus, egal, alles, nur nicht gegen die Juden an sich. Und selbst dann wäre man ja noch kein Antisemit, weil auch Araber Semiten sind, und solange man zumindest die Araber mag, kann man also gar kein Antisemit sein. Sie sehen also, es gibt nicht nur keine Antisemiten, sondern wenn man es genau betrachtet, auch keinen Antisemitismus.

Auch der Journalist Gerhard Wisnewski ist kein Antisemit, sagt er. Jedenfalls kein, wie die Jungle World (27/03) behauptete, »offener Antisemit«. Daher reagierte der Autor des Verschwörungsklassikers »Das RAF-Phantom« nicht nur mit einem Text auf seiner Homepage (www.raf-phantom.de) auf den »Hetzartikel« in der Jungle World, sondern forderte durch seinen Anwalt auch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung.

Die Beweise dafür, dass Wisnewski kein Antisemit sein kann, sind in der Tat überwältigend. So schreibt Wisnewski über sich (in der dritten Person), der Vorwurf mache »schon deswegen keinen Sinn, weil seine Frau aus einer jüdischen Familie stammt«. Und außerdem habe die Jungle World ihn entlastende Passagen absichtlich weggelassen. Passagen wie jene: »Die Verbrechen an den Juden haben ein Recht auf einen angemessenen Platz in der Geschichte. Sie haben ein Recht darauf, dass man an sie denkt und sich ihrer als Warnung erinnert – auch als Warnung vor Verbrechen der Juden. Denn sonst wäre das Opfer Millionen jüdischer Menschen völlig umsonst gewesen.«

Ausgerechnet mit diesem Zitat versucht Wisnewski also zu beweisen, dass er kein Antisemit sein kann. Ausgerechnet mit der Aussage, die Opfer des Holocaust seien dann nicht umsonst gewesen, wenn sie heute als Mahnung an die Juden, keine Verbrechen zu begehen, verstanden würden. Ja, wie zugenagelt muss ein Mensch sein, um so einen Blödsinn zu verzapfen? Man könnte nun Wisnewski fragen, welche »Verbrechen der Juden« eigentlich gemeint sind, aber nähme man ihn dann nicht schon viel zu ernst? Leider nein. Er wird von nicht wenigen Leuten ernst genommen, und so ist es wohl nötig, sich um den Mann zu kümmern – als zeitgemäßes deutsches Phänomen.

Nicht nur, dass sein Frühwerk, das »RAF-Phantom«, obwohl es völlig abstrus und für die historische Bewertung des »bewaffneten Kampfes« verheerend ist, von manchen als »Standardwerk« über die RAF verklärt wird. Wisnewski durfte seine kruden Verschwörungstheorien, nach denen die Anschläge vom 11. September letztlich irgendwie auf die CIA oder den Mossad zurückgehen, zuletzt sogar in einem WDR-Film unter die Leute bringen. Denn er hat beim Sender jede Menge Fürsprecher. Darunter sind der »Monitor«-Journalist Ekkehard Sieker und der Leiter der Programmgruppe Kultur und Dokumentation, Wolfgang Landgraeber. Dass beide zufällig auch die Mitautoren des »RAF-Phantoms« sind, sei hier nur kurz und ohne jeden Unterton angemerkt.

Zu der Auseinandersetzung mit Wisnewski war es gekommen, nachdem die Jungle World seinen Film über den 11. September verrissen und dabei auf zahlreiche Zitate von Wisnewskis Homepage aufmerksam gemacht hatte. Wisnewski hatte dort u.a. nahe gelegt, dass die »angeblichen« Selbstmordattentate in Israel das Werk geheimer Mächte seien, die »ahnungslosen Palästinensern« eine Plastiktüte und »zehn Schekel, oder wie diese Währung heißt«, in die Hand drückten, um jene später per Fernsteuerung zur Explosion zu bringen. Auch fragte er auf seiner Website: »Steckte Sharon hinter den Anschlägen vom 11. September?« In seiner Antwort auf den Artikel in der Jungle World erklärt Wisnewski nun, dies alles behauptete er gar nicht. Das und die anderen Zitate stünden nicht auf seiner Homepage. Richtig sei hingegen, dass sie »schon vor Monaten aus redaktionellen Überlegungen gelöscht« wurden, »so wie von allen Internetseiten der Welt permanent Inhalte gelöscht werden«. Anders gesagt, sie standen dort alle, und es ist keinesfalls ein Zeichen von Einsicht, dass sie dort nicht mehr zu sehen sind.

Ein offener – im Sinne von: bekennender – Antisemit ist Wisnewski also nicht. Fest steht jedoch, dass ein Politiker, der solche Aussagen getroffen hätte wie Wisnewski, längst seiner Ämter enthoben worden wäre. Beim WDR jedoch scheint es ein Refugium für solche schrägen Vögel zu geben. Der Publizist Henryk M. Broder hat diesbezüglich den Intendanten Fritz Pleitgen um eine Stellungnahme gebeten. Vor Wochen. Eine Antwort erhielt er bis heute nicht.

 

31.07.2003
Ivo Bozic /Jungle World   [Aktuelles zum Thema: Kritik d. Antisemitismus]  Zurück zur Übersicht

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