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Leipzig: Kein Frieden mit Deutschland

Gegen Geschichtsrevisionismus, Antiamerikanismus und deutsch-europäische Großmachtambitionen - Demonstration am 01.09.2003 in Leipzig (Neues Rathaus/Ring), 18:00 Uhr


Der erste September, Jahrestag des Überfalls auf Polen und der Beginn des zweiten von Deutschland ausgegangenen Weltkrieges, markiert den Ausgangspunkt der aggressivsten Phase deutscher Großmachtpolitik. Während des beispiellosen Zivilisationsbruches durch die deutschen Projekte der Judenvernichtung und des Rassenkrieges verloren etwa sechzig Millionen Menschen ihr Leben. Diese von den Deutschen begangenen Verbrechen hätten das nationale Projekt Deutschland für immer delegitimieren müssen. Doch ganz im Gegenteil hat die deutsche Nation seit der Wiedervereinigung, die dem Nationalgefühl neuen Aufwind gab, zu ihren Großmachtambitionen zurückgefunden. Seit 1989 ist die militärische Option auf Grundlage ei-nes eigenen politischen Projektes und dies in jüngster Vergangenheit sogar in Abgrenzung zu den USA wie-der denkbar geworden. Den Gedanken sind heute längst Taten gefolgt.

Die nationale Selbstfindung ging einher mit rassistischen Pogromen und einer rassistischen Ausgrenzungspolitik, die in der Abschaffung des Asylrechts gipfelte. Der modernisierte Rassismus der Sozialdemokraten an der Macht, an denen der Geist von `68 durchaus Spuren hinterlassen hat, unterscheidet sich vom alten völkischen Rassismus vor allem in seinen Ausprägungen. Ein Bruch mit der rassistischen Abschiebepraxis und Ausgrenzungspolitik oder dem deutschen Nationalismus hat jedoch niemals stattgefunden. Vielmehr markierten die Lichterketten der Zivilgesellschaft „für das bessere Deutschland“ den Beginn einer neuen Epoche des nationalen Projektes zur Wiedererlangung politischer Geltung auf Weltniveau. Dieses anzugreifen sollte wichtiges und dringliches Projekt der radikalen Linken sein und damit unseres.

Die Revision der Erinnerung

Das deutsche Verbrechen der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden wird für deutsche Interessen instrumentalisiert. Wie diese Verbrechen indirekt als Legitimation für den ersten Krieg Deutschlands nach 1945 gegen Jugoslawien dienten, so streben heute intellektuelle Vorreiter der deutschen Zivilgesellschaft wie Habermas nach einer Transformation von Auschwitz in eine gemeinsame „europäische Erfahrung“ – ganz im Sinne deutscher Europastrategien. Die Shoa selbst muss dafür herhalten, den Amerikanern vorzuwerfen, die Lehre aus der Geschichte nicht verstanden und die Niederschlagung des Nationalsozialismus nur unbewusst vollzogen zu haben. Die Deutschen hingegen halten sich nach Reeducation und Geschichtsaufarbeitung heute geradezu dafür prädestiniert, ähnliche Verbrechen überall zu erkennen und zu verhindern. Eine Lehre, die - gerade wegen der eigenen Geschichte - Deutschland heute zu einem größeren geopolitischen Gewicht verpflichten soll. Also genau das Land, dessen Bevölkerung ihrem Führer geradezu entrissen werden musste, weil diese bis zum letzten Blutstropfen“ zu kämpfen entschlossen war. Diese skandalöse Uminterpretation historischer Fakten stellt die ideologische Basis für die fortschreitende deutsche Großmachtpolitik dar.

Bei der Revision der Erinnerungen wirken wesentlich die aktuellen Opferdebatten mit. Die alliierten Bombenangriffe auf deutsche Städte während des zweiten Weltkrieges werden entkontextualisiert als Verbrechen denunziert. Sie werden nicht verstanden als die unbedingt notwendige Zerschlagung des fa-schistischen Deutschlands, die für Millionen Menschen die Befreiung von einem Schrecken bisher ungekannten Ausmaßes bedeutete. In den Publikationen von Friedrichs „Der Brand“ über Grass’ „Im Krebsgang“ bis hin zu den Spiegel-Sonderausgaben zum Thema „Bombenkrieg“ verschwimmen vorsätzlich die Grenzen zwischen Opfern und Tätern. Als wäre diese Verdrehung historischer Erfahrungen nicht genug, dienen diese Debatten über das „euro-päische Unglück“ zur Konstruktion eigener moralischer Verantwortung in Abgrenzung zur Politik Amerikas. Generell kommt es in diesen, von der deutschen Bevölkerung begierig aufgenommenen Entlastungsdiskursen, zu einem zunehmend inflationären Gebrauch von Kategorien des Dritten Reiches. Neben heute titulierten „Serben-KZs“ (Fischer) und „Vernichtungskrieg“ (Friedrich) verlieren die Originale von ihrem Schrecken. Und so erdreistet sich auch der Spiegel auf einer Titelseite, wohlwissend um die Vernichtungsfeldzüge der Deutschen, den Vereinigten Staaten vorzuwerfen, einen „Blitzkrieg“ im Irak geführt zu ha-ben.

Export deutscher Ideologie

Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands und dessen selbstbewusste Au-ßenpolitik führten und führen zu ausgedehnten Einflussmöglichkeiten vor allem in Osteuropa. Dabei gehen „normalkapitalistische“ Expansion und Interessenvertretung in Verzahnung mit dem Export von Deutschtum und der Unterstützung deutscher Europastrategien einher. Über die vom Außenministerium und verschiedenen Stiftungen geförderte Einrichtung von deutschen Schulen und Universitäten sollen deutschfreundliche Eliten geschaffen und gestützt werden. Parallel dazu werden durch die Unterstützung von „deutschen Minderheiten“ die letzten Reste des Deutschtums im Ausland gestärkt.
Die Unterstützung deutsche Interessen vertretender, gesellschaftlicher Strömungen geht Hand in Hand mit wirtschaftlicher Expansion, die teilweise ebenso ideologietransportierende Komponenten enthält. Die von deutschen Unternehmen erlangte Dominanz der Presselandschaften beispielsweise in Polen, Tschechien, Bulgarien und Kroatien (je-weils 70 bis 90%) eröffnet diesbezüglich Möglichkeiten für einen Export deutscher Wertvorstellungen und Ideologie. Während der Offensi-ven der Vertriebenenverbände gegen die tschechischen Benes-Dekrete spielte die in deutscher Hand befindliche tschechische Presse eine maßgebliche Rolle bei deren Unterstützung. Nach der Ablehnung der deutschen Forderungen durch das tschechische Parlament begegnete das deutsch-dominierte Zeitungswesen der „Prager Anmaßung“ mit heftiger Kritik: die „tschechische Urangst vor einer Wiedereröffnung der ‚deutschen Frage’“ sei „blanker Unsinn“. Kapital- und Ideologieexport stellen somit einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt deutscher Großmachtpolitik dar.
Die Forderung Deutschlands nach der Abschaffung der Benes-Dekrete, welche die Enteignung und Aussiedlung der fünften Kolonne der Deutschen in Folge des zweiten Weltkrieges rechtlich legitimieren, stellt einen weiteren Schritt in Richtung des Endes der Potsdamer Nachkriegsordnung in Europa dar. Diese Dekrete sind Hemmnisse für die Großmachtambitionen Deutschlands auf Europaebene, da sie an die deutschen Verbrechen aus denen sie hervorgingen erinnern. Die Forderung nach deren Aufhebung unterstützt die historische Revision der Erinnerung an das unermessliche Leid, das im Verlauf zweier Weltkriege von Deutschland ausging. Auf dieser ideologischen Basis finden die Interessen revanchistischer Vertriebenenverbände und der deutschen Regierung zusammen. Die Forderung des deutschen Bundesrates nach Aufhebung der Benes-Dekrete, die Gastrede des deutschen Innenministers Schily auf dem „Sudetendeutschen Tag“ und die seit je her existierenden personellen Überschneidungen verdeutlichen die Verflechtung der deutschen Strategien von Europäi-sierung und Geschichtsrevisionismus.

Old Europe - Die „zivile“ Gegenmacht

Die anlaufende Einbettung national-staatlicher Souveränität in eine überstaatliche Souveränität Europas geht einher mit einer Transformation der in deutschen Gefilden schon immer beliebten nationalstaatlichen Identifikation hin zu einer neuen europäischen Identität, wie sie erst kürzlich von Habermas und Derrida in trauter kerneuropäischer Zusammenarbeit eingefordert worden ist. Den Kitt für diese europäische Identität bildet dabei die Formung einer gemeinsamen Geschichte und Kultur, für die von den antiken Griechen bis hin zu Napoleon alle herhalten müssen. Ob und wie sich nationale Identitäten im europäi-schem Rahmen auflösen oder die na-tionalstaatlichen Identitäten domi-nant bleiben werden, darüber kann aus heutiger Perspektive nur spekuliert werden.

Eine identitätsstiftende Funktion übernimmt dabei zunehmend die Betonung des deutsch-europäischen Konzeptes angeblich ziviler Konfliktlösungen. Diese bezüglich der Abgrenzung zur USA ideologische Konstruktion existiert fernab der Realität deutsch-europäischer Kriegseinsätze, gesellschaftlicher Militarisierung, der forcierten Etablierung einer europäischen Rüstungsindustrie und dem Aufbau einer europäischen Interventionsarmee. Die von Verteidigungsminister Struck und in den neuen Verteidigungsrichtlinien der Bundeswehr propagierte „Verteidigung“ Deutschlands am Hindukusch ist bereits erschreckende Realität. Und so ist Deutschland heute nach den USA das Land mit den meisten im Ausland stationierten Truppen. Die Wiederherstellung deutscher Kriegsfähigkeit und damit Souveränität spielt sich heute maßgeblich in europäischem Rahmen ab. Die bisweilen offene Konfrontation von Old Europe mit den USA verdeutlicht, wie viel geopolitische Souveränität Deutschland nach Abzug der Siegermächte bereits wiedererlangt hat – was durchaus weltpolitisches Konfliktpotential birgt.
Während bei eigener Kriegsbeteiligung wie z.B. in Jugoslawien, das „Völkerecht“ mitausgehebelt wurde, konnte im Falle der Nichtbeteiligung wie beim Krieg der USA gegen den Irak das Geschrei auf deutscher Seite über dessen Völkerrechtswidrigkeit kaum lauter sein. Derlei Instrumentalisierung erfahren auch der internationale Strafgerichthof und ökologische Projekte, wie das Kyoto-Protokoll. Die erzwungene 50jährige militärische Enthaltsamkeit Deutschlands wird als Lernprozess verkauft, der eine gesteigerte moralische Verantwortung begründen soll. Der militärische Mangel wird dabei zu einer moralischen Tugend umgedeutet. Trotz der Selbststilisierung zum Friedensengel wird die grundsätzliche Akzeptanz militärischer Konfliktlösung nie in Frage gestellt. Diese geradezu absurde Konstruktion einer deutsch-europäischen Moralität und Zivilität in Abgrenzung zu den USA ist ein Unterfangen, dessen heuchlerischer Charakter an vielen Stellen offen zu Tage tritt und den es offensiv zu denunzieren gilt.

Zivilgesellschaft für Deutschland

Die zivilgesellschaftliche Mobilisierung in Form der deutschen Friedensbewegung gegen Krieg und vor allem gegen Amerika ist dabei Teil des deutsch-europäischen Projektes. An dieser Stelle kann erfolgreich an die in der Bevölkerung latent vorhandenen antiamerikanischen Ressentiments angeknüpft werden, die in Deutschland schon immer antisemitisch aufgeladen waren. Die FriedensdemonstrantInnen werden dabei nicht nur „von oben“ durch deren ProtagonistInnen angestoßen und gesteuert, sondern sie erfüllen sich und ihren Landsleuten ein spezifisch deutsches Bedürfnis - das Verlangen nach dem ab- und ausgrenzenden homogenen Kollektiv. In dieser deutschen Gemeinschaft reproduziert sich deutsche Ideologie, Na-tionalismus und Antisemitismus.
Wie sehr dabei die Wahnvorstellung einfließt, zeigen beispielhaft die offen antisemitische „Friedenstour“ von ATTAC, die vorgab über den Irakkrieg reden zu wollen, aber in ihrer Logik folgerichtig wieder und wieder auf Israel zu sprechen kam. Ähnlich beispielhaft sind unsere eigenen Erfahrungen mit den TeilnehmerInnen der friedensbewegten Aufmärsche in Leipzig, die in uns sogleich Agenten des Mossad zu erkennen glaubten. Diejenigen Deutschen an der Friedensfront, welche Dresden nach Bagdad halluzinierten, waren so nicht nur für das deutsche Projekt der angeblich zivileren Gegenmacht Europa auf der Straße, sondern auch zur Entlastung ihrer Eltern und Großeltern.
Die deutsch-europäische Ideologie und die deutsche Großmachtpolitik sind der Kitt der Zivilgesellschaft, welche anlässlich des Irakkrieges der USA und Großbritanniens die weltpolitische Stärkung der UN und damit der EU forderte. Eine Friedensbewegung, deren Liebe zum Frieden während der europäischen Kriegsbeteiligungen in Jugoslawien, Afghanistan und im Kongo partout nicht für größere Demonstrationen reichen wollte und deren ganze Mobilisierungsfähigkeit im Hass auf Amerika kulmuliert, wird dabei zur Legitimation für die „Zivilmacht“ Europa. War die Zivilgesellschaft nach den Pogromen gegen Flüchtlinge Anfang der 90er ein nationales Projekt zur Propagierung eines „modernen Deutschland“ Anfang der 90er, so ist sie heute zusätzlich Apologetin der Gegenmacht Europa – einer Macht deren ideologische Zivilität keinerlei progressive Alternative darstellt. Eine Linke, die daran positiv anschließt, muss sich im klaren sein, dass sie an einem Projekt für Deutschland und dessen Großmachtambitionen teilnimmt. Die Beteiligung an den Aufmärschen der Zivilgesellschaft für Deutschland und für Deutsch-Europa wäre nicht nur falsch, sondern vielmehr halten wir es für geboten sich diesen entgegenzustellen.

Das Ende der Nation als Bedingung für das Ende des Elends

Die Denunziation deutscher Großmachtambitionen ist dabei keineswegs Endpunkt unserer Kritik. Der Staat und im besonderen der deutsche Staat macht als ideeller Gesamtkapitalist die Zumutung der kapitalistischen Konkurrenz aller gegen alle durch deren Absicherung durch Gesetz und Gewaltmonopol erst möglich. Die Folgen dieser Konkurrenz sind katastrophal. Die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen fällt dabei nur für eine Minderheit nebenbei mit ab. Die Mehrzahl der Menschen muss zum Erwerb von Gebrauchsgütern ihre Arbeitkraft verkaufen, was bei systemimmanenter und unumkehrbarer Reduktion des Kostenfaktors Arbeit zunehmend schwieriger wird. Dementsprechend groß sind die gesellschaftlichen Bemühungen, diese erbärmlichen Verhältnisse den teilnehmenden Subjekten erfolgreich als Leben zu verkaufen. Ohne das Elend der Arbeit auch nur einem einzigen Menschen zu wünschen, ist dessen Verknappung doch der sichere Weg zur Verschärfung der sozialen Umstände.
Und doch geht es den sozial Abgesicherten der westlichen Welt noch unvergleichlich viel besser als den Millionen Menschen im Trikont, die im Produktivitätsvergleich des Weltmarktes unterlegen sind und denen innerhalb der globalen kapitalistischen Logik oft nur der Hungertod bleibt. Jeder Positivbezug auf die kapitalistische Gesellschaft, sowie jede Partizipation an deren Verbesserung oder Umgestaltung, also im besonderen das Streben nach einem „besseren Deutschland“, bedeutet damit in letzter Konsequenz nur die Verewigung dieses Elends. Der bürgerliche Natio-nalstaat ist Bedingung dieser unmenschlichen Verhältnisse und muss mit ihnen abgeschafft werden. Wer dabei an erster Stelle an Israel denkt, ist Teil des Problems.

Letztendlich ist Europa ideell ein dem alten Nationalismus äquivalentes Zwangsprojekt, welches rassistische Ausgrenzung und Ausschlüsse produziert und als „Festung Europa“ tagtäglich ihre Opfer fordert. Eine Linke muss das Projekt Europa ebenso als Teil einer deutschen außenpolitischen Strategie verstehen. Konnte die Tendenz der Europäisierung zu ihrem Beginn vielleicht noch den linken Traum vom Ende der deutschen Nation beinhalten, so muss sich dieser Traum heute an der Wirklichkeit blamieren. Der Weg über Europa ist heute der effizienteste deutsche (Sonder)weg zur Weltmacht Deutschland. Die deutschen Konzepte Geschichtsrelativierung und Europäisierung gehen damit Hand in Hand.

Der Protest dagegen bleibt bisher weitestgehend aus und eine gesellschaftliche Normalisierung geschichtsrelativierender Diskurse und der Zustände deutscher Groß-machtpolitik ist bereits Realität. Diese Realität und diesen deutschen Frieden anzugreifen ist ein dringliches Projekt für die radikale Linke. Deshalb ist es uns wichtig am Jahrestag des letzten Versuchs deutscher Weltmachtwerdung unseren Protest gegen die aktuellen Bemühungen Deutschlands diesbezüglich und gegen dessen Existenz als Nati-on im Allgemeinen auf die Straße zu tragen.

Für eine antinationale und antideutsche Bewegung. Deutsch-Europa den Krieg erklären.


Weitere Infos:  http://www.nadir.org/bgr

 

05.08.2003
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