Berlin: Cui bono? Den Antisemiten!
Verschwörungstheoretiker-Treffen am 7. September
Cui bono? Den Antisemiten!
Verschwörungstheoretiker-Treffen am 7. September in Berlin
Eine Link-Sammlung und Zusammenfassung der aktuellen Diskussion
Von Ivo Bozic
Am 7. September findet im Berliner Tempodrom die Fortsetzung der
Verschwörunstheoretiker-Veranstaltung statt, die am 30. Juni im Audimax der Humboldt
Universität im Chaos endete. Damals war es zu Tumulten gekommen, weil plötzlich der
NPD-Kader Horst Mahler im Publikum entdeckt wurde
( http://de.indymedia.org//2003/06/56353.shtml ). Ein paar zufällig (sic!) anwesende Antifas forderten
daraufhin, dass Mahler gehen solle, es kam auch zu einem Gerangel, bei dem Mahler
ein paar Hiebe abbekam. Das Publikum wollte jedoch - ebenso wie das Podium -
nicht, dass Mahler und seine Kameraden den Saal zu verlassen hätten, sondern
die "Störer". So kam es dank des Saalschutzes schließlich auch. Kommentar vom
Podium (Ekkehard Sieker): Jeder habe das Recht hier zuzuhören, solange er nicht
störe, bzw. (Andreas von Bülow): Mahler sei vermutlich vom Verfassungsschutz
her geschickt worden, um die Veranstaltung zu diskreditieren. Und Bröckers
erklärte gegenüber der taz: "Mahler hat sich sogar vor Gericht mit Zitaten aus
meinem Buch verteidigt, da kann ich doch nichts dagegen machen".
Auch bei der bevorstehenden Veranstaltung am 07. 09. ist wieder mit
Nazi-Beteiligung zu rechnen. Eine Einladung vom VS braucht es dafür sicher nicht. Die
Thesen der Verschwörungstheoretiker bezüglich der Anschläge vom 11. September
2001 in New York und Washington sind absolut kompatibel mit den
antiamerikanischen Ressentiments der NPD. Die taz schrieb dazu am 02. 07.: "Bröckers und Co
bedienen mit ihren Theorien auch jene Klientel, für die US-Außenpolitik
einschließlich des 11. September ein großer Plan des jüdischen Finanzkapitals ist -
da klatscht Horst Mahler, da nickt manch PDS-Opa eifrig mit dem Kopf."
( http://www.klick-nach-rechts.de/ticker/2003/07/verschwoerung2.htm )
Kein Wunder, dass auf der Veranstaltung am 30. Juni auch - ohne dass es
jemanden störte - Werbung von Nazi-Verlagen verteilt wurde
( http://de.indymedia.org//2003/07/56624.shtml ) und ein NPD-Stand im Foyer geduldet (von Antifas später
abgeräumt) wurde. Und nicht zuletzt saß auf dem Podium zumindest ein Mensch,
zu dem sich Antisemiten wie Mahler hingezogen fühlen dürften: Gerhard
Wisnewski. Auf seiner irren Homepage ( http://www.raf-phantom.de ) wirft der Buch- und
Fernsehautor u.a. die "Frage" auf, ob nicht vielleicht Ariel Sharon hinter den
Anschlägen vom 11/9 stecke. Und auch die "angeblichen" Selbstmordattentate in
Israel seien möglicherweise fingiert: "Heuert irgendjemand einen ahnungslosen
Palästinenser an, damit er für zehn Schekel, oder wie diese Währung auch immer
heißt, eine Plastiktüte oder ein Paket transportiert, wobei dieser jemand
dann im geeigneten Moment auf den Knopf seiner Fernsteuerung drückt?"
Dass Wisnewski nicht als Antisemit gelten möchte, ist logisch. Der
Wochenzeitung Jungle World, die ihn so bezeichnete
( http://jungle-world.com/seiten/2003/26/1184.php ), schickte er daher eine Unterlassungserklärung, man möge ihn nie
wieder einen "Antisemit" nennen, die allerdings nicht unterschrieben wurde
( http://www.jungle-world.com/seiten/2003/31/1373.php ). Auch hatte er gute
Argumente, warum er gar kein Antisemit sein könne. Erstens stamme seine Frau "aus
einer jüdischen Familie" und zweitens habe die Jungle World ein Zitat von seiner
Homepage, das ihn diesbezüglich entlaste, böswillig unterschlagen. Und dann
zitiert er sich selbst mit folgendem Satz: "Die Verbrechen an den Juden haben
ein Recht auf einen angemessenen Platz in der Geschichte. Sie haben ein Recht
darauf, dass man an sie denkt und sich ihrer als Warnung erinnert - auch als
Warnung vor Verbrechen der Juden. Denn sonst wäre das Opfer Millionen jüdischer
Menschen völlig umsonst gewesen."
Dazu bemerkte Radio Darmstadt in einer Sendung am 11. August ( http://waltpolitik.powerbone.de/kv/kv_antis.htm ): "Diese Bemerkung ist von einer derart
bemerkenswerten Schwachsinnigkeit, dass man sich fragen muss, warum ein Autor
derartigen Unsinns im WDR munter seine Verschwörungstheorien ausplaudern darf." Und
Henryk M. Broder kommentierte das in der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung
( http://www.juedische-allgemeine.de/archiv/politik/politik-07802.html ) so:
"Auf die Idee, dass man an den Holocaust erinnern sollte, damit die >Verbrechen
der Juden< nicht in Vergessenheit geraten, auf eine solche Idee kann nur einer
kommen, der kein offener, dafür aber ein praktizierender Antisemit ist". Fakt
ist, dass dieser Satz Wisnewskis in Nichts hinter den Äußerungen J.W.
Möllemanns zurücksteht.
Dass Wisnewski zur letzten Bundestagswahl neben der PDS ausgerechnet die
rechtsextreme Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) empfahl, die vom
amerikanischen Verschwörungstheoretiker Lyndon LaRouche gesteuert wird, mag Zufall sein.
Passt aber ebenfalls gut zusammen. Denn LaRouche verbreitet die These, der
11/9 sei von Israel inszeniert worden, um die USA zum Einsatz gegen den Irak zu
bewegen
( http://larouchein2004.net/pages/pressreleases/2002/020414aljazeera.htm ). Schon im "RAF-Phantom" wurde die LaRouche-Connection von Wisnewski, Sieker
und Landgraeber als angeblich seriöse Quelle herangezogen.
In einem Interview gegenüber der Jungle World
( http://www.jungle-world.com/seiten/2003/33/1425.php ) erklärte Broder, die Behauptung von
Verschwörungstheoretikern wie Wisnewski, sie würden ja nur Fragen stellen, sei falsch. Sie hätten
ihre Antworten längst, "wenn auch oft nur unterschwellig". Und in der Tat
ging es den Teilnehmern der Audimax-Veranstaltung am 30. Juni nicht nur darum, in
Frage zu stellen, dass Bin Laden hinter den Anschlägen steckt, bzw. dass sie
überhaupt stattgefunden haben, sondern es ging natürlich auch darum, zu
erklären, dass nur die Amis oder die Israelis Nutzen von den Terrorangriffen gehabt
hätten, denn sie würden damit ihre jeweiligen Missetaten legitimieren.
So berechtigt jedes Misstrauen gegenüber der amerikanischen - wie gegenüber
jeder - Regierung und die Kritik an der US-Militärpolitik auch ist, und so
richtig es ist, ihnen grundsätzlich alles zuzutrauen, so offenbart sich doch
hinter den jetzt so beliebten Verschwörungstheorien ein latenter bis offener
Antisemitismus. Denn am Ende steht hinter allem (auch hinter den Amerikanern
natürlich) die jüdische Weltverschwörung. Es ist kein Wunder, dass sich fast alle
Verschwörungstheoretiker auch ausgiebig mit der Situation in Israel beschäftigen.
Auch der ehemalige taz-Journalist Mathias Bröckers
( http://www.broeckers.com/index.html ), dessen verschwörungstheoretischer Bestseller zum 11/9 bei der taz
( http://www.taz.de ) gar als Abo-Prämie ausgelobt wurde, hat keine Probleme
damit, in einem Artikel auf Telepolis Sharon mit Hitler zu vergleichen ("...nicht
anders als Adolf...")
( http://www.heise.de/tp/deutsch/html/result.xhtml?url=/tp/deutsch/special/wtc/11974/1.html&words=Kosher ), und unterschwellig zu
behaupten, dass letztlich Sharon die Fäden der Weltpolitik in der Hand halte: "Er
(Sharon, d.A.) verfügt offenbar tatsächlich über geeignete Daumenschrauben, den
großen Bruder USA jederzeit beizubiegen."
Hier soll jetzt nicht auf den Unsinn eingegangen werden, den die
Verschwörungstheoretiker bezüglich des 11/9 so von sich geben. Ähnlich wie schon bei dem
durch die Geschichte längst widerlegten und vor allem gegen die
UnterstützerInnen von RAF-Gefangenen gerichteten Wisnewski-Buch "Das RAF-Phantom"
( http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2001/22/06a.htm ), werden bei ihrer
Argumentation ganz selektiv Quellen benutzt und andere komplett ausgeblendet.
Sicher mögen Zweifel an der offiziellen Darstellung der US-Regierung zum 11/9
berechtigt sein. Erst wo rund um die tatsächlich offenen Fragen ein
Erklärungsnetz gesponnen wird, beginnt kritisches Hinterfragen zu einer kritiklosen
Verschwörungstheorie zu werden. Wer Fragen hat, bekommt Pseudoantworten, die noch
mehr Fragen aufwerfen. Um darauf Antworten zu finden, muss man also wieder den
Wahrheitsdealer besuchen. Und der freut sich über den Absatz seiner Bücher...
Verschwörungstheoretiker geben den Durstigen Salzwasser zu trinken. In einem
kritischen Fernseh-Beitrag im Magazin Kulturzeit auf 3SAT
( http://www.3sat.de/kulturzeit.html ) am 12. 08. hieß es: "Mit Verschwörungstheorien ist es wie Fußball
- jeder kann mitreden. (...) Vermutungen und Halbwahrheiten werden zu einem
schmackhaften Meinungscocktail vermischt."
Und immer wieder wird, statt Beweise zu erbringen, über mögliche Motive
spekuliert. "Cui bono?", wem nützt es, fragt Bröckers in seinem oben erwähnten
Telepolis-Artikel "Die Kosher Conspiracy" bezogen auf die Anschläge vom 11/9. Und
laut Bröckers "bleiben nur zwei: USA und George Bush sowie Israel und Ariel
Sharon". Dass in der arabisch-islamistischen Welt die Anschläge vom 11/9 als
großer Sieg und Schlag gegen den Teufel USA gefeiert werden, und es seitdem zu
einer regelrechten Welle von Anschlägen gegen zivile westliche Einrichtungen
gekommen ist, wird dabei einfach ignoriert. Cui bono? Den Antisemiten und denen,
die immer schon die USA und Israel für alles Böse der Welt verantwortlich
machen.
Kein Wunder also, dass Nazis auf ihren Websites die Losung "Stop New World
Order" mit einer durchgestrichenen Illuminaten-Pyramide bebildern
( http://www.widerstand.com/stop_nwo.htm ). Auch Mahler-Gefährte Gerhoch Reisegger
( http://www.idgr.de/news/2002/n020212.html) sieht den 11/9 als inszenierten Vorwand für
den Irak-Krieg. Dies verkündet er nicht nur in der NPD-Zeitung Deutsche Stimme
( http://www.deutsche-stimme.de/), sondern auch im vermeintlich linken
Web-Magazin rbi-aktuell
( http://www.rbi-aktuell.de/Politik-Inland/28052003-01/03062003-03/03062003-04/04062003-02/06062003-01.html), das personell mit dem
Querfrontprojekt Kalaschnikow ( http://www.kalaschnikow.net/de/) aufs engste verknüpft
ist. Hier zeigt sich auch, wie Verschwörungstheorien je nach Belieben benutzt
werden. Einerseits freut sich Horst Mahler über die Anschläge auf das WTC:
"Endlich mal! Endlich sind sie mal im Herzen getroffen." (Dafür kam er später vor
Gericht). Andererseits, und damit es die Amis doppelt trifft, wird ihnen
später vorgehalten, sie hätten die Anschläge selbst inszeniert. Dass sich beides
widerspricht, stört Mahler nicht.
Die politische Rechte mag die kruden Verschwörungstheorien aus drei Gründen
so gern: Erstens kann man zeigen, wie verbrecherisch die Juden sind, und dass
sie hinter allem Bösen stecken, zweitens rächt man sich an den USA, die 1945
Deutschland so übel mitgespielt haben und drittens steht Deutschland endlich
wieder als die gute Nation dar: "Je schuldiger die Amerikaner werden, desto
unschuldiger werden die Deutschen." (Broder). Es ist zu befürchten, dass die
Affinität von einigen Linken gegenüber diesen Theorien ähnlich gelagert ist.
Jedenfalls beweist die Debatte, dass speziell Querfront-Freunde die antiamerikanische
und antijüdische Klammer dieser Verschwörungstheorien für ihre Strategie
benutzen, Rot und Braun im Kampf gegen "den westlichen Lebensstil" ,die
"US-Ostküste" und das "Finanzkapital" zu vereinen.
Neben diesen politisch-ideologischen Fronten gibt es bekannter Maßen auch in
der Netzgemeinde und unter Hackern schon immer ein starkes - oftmals
tatsächlich sehr unideologisches - Interesse an Verschwörungstheorien ("23").
Bemerkenswert ist aber, dass Wisnewski und Bröckers zum Sommercamp des Chaos Computer
Clubs am 09. 08. in Altlandsberg eingeladen wurden, um ihre Theorien zu
verbreiten ( http://www.broeckers.com/CCC.htm ). Eine Debatte innerhalb des CCC darüber
ist leider bisher nicht bekannt geworden. Offenbar kommen
Verschwörungstheorien mehr und mehr in der Mitte der Gesellschaft an. Darum konnte Wisnewski
seinen Beitrag im WDR ( http://www.wdr.de/tv/wdr-dok/archiv/2003/030620_01.phtml )
unterbringen und von Bülow wird regelmäßig in Talkshows eingeladen. Laut einer
Umfrage der Zeit, glaubt jeder dritte Deutsche unter 30, dass die US-Regierung
den 11/9 selbst inszeniert hat.
Die Veranstaltung im Tempodrom wird, wie schon jene in der Humboldt-Uni von
dem Ex-Grünen Ronald Thoden, diesmal zusammen mit dem Amerikaner Nicholas
Levin, veranstaltet. Ferner werden neben den am 30. Juni schon bewährten Ekkehard
Sieker, Andreas von Bülow, Eckart Spoo, dem DKP-Mann Michael Opperskalski und
Mathias Bröckers diesmal u.a. auch Bröckers Co-Autor Andreas Hauß, der Brite
Nafeez M. Ahmed und Dieter Elken auf dem Podium sitzen. Letzterer fordert von
der Linken ein Bekenntnis zur nationalen Frage
( http://www.kalaschnikow.net/de/txt/2002/elken01.html ) und tritt auch schon mal als Imperialismus-Experte beim
Querfront-Projekt Philosophischer Salon
( http://de.indymedia.org//2003/08/59573.shtml ) auf, jenem Verein hinter der Kalaschnikow (s.o.), bei dem auch Bernd
Rabehl Mitglied ist. Bei der umstrittenen Nahost-Konferenz des Vereins am 28.
02. 2002 in Berlin referierte Elken zum Existenzrecht Israels
( http://www.kalaschnikow.net/de/txt/2002/schneyder19.html und
http://de.indymedia.org/2002/09/30167.shtml ). Nun also zum 11/9.
Dass der Kreis der Verschwörungstheoretiker eigentlich klein ist, aber gut
vernetzt, sieht man an der sich wiederholenden Liste der Referenten ebenso wie
an folgendem Szenario: Junge Welt-Autor Jürgen Elsässer, der selbst nach dem
11/9 in der konkret ( http://www.konkret-verlage.de/kvv/kvv.php ) diverse
Verschwörungstheorien publizierte - z.B. Interview mit Andreas von Bülow
( http://www.juergen-elsaesser.de/de/artikel/home/0112bue.html ) und ein auf Infos von
Andreas Hauß beruhender Artikel ( http://www.trend.partisan.net/trd1201/t251201.html )
- interviewte Thoden in der jungen Welt:
( http://www.jungewelt.de/2003/07-02/018.php ). Dort schreiben auch Hauß und Elken gelegentlich. Und Mitveranstalter
Nicholas Levin interviewte für die junge Welt zusammen mit Elsässer wiederum
Nafeez M. Ahmed ( http://www.jungewelt.de/2003/07-30/019.php ). Ringelpietz mit
Anfassen also. Und im Tempodrom sieht sich die ganze Familie wieder!
Die Verschwörungstheorien, die vermutlich auch am 7. September, Beginn 15 Uhr
( http://www.hintergrund.de ), im Tempodrom wieder verbreitet werden, sind
vielleicht nicht direkt antisemitisch. Aber sie sind es auf jeden Fall indirekt.
Nicht alle Teilnehmer sind Antisemiten, aber es werden jede Menge Antisemiten
da sein. Und es ist damit zu rechnen, dass Mahler und seine Kameraden erneut
auflaufen. Es wäre falsch, einfach ihren Ausschluss zu fordern, denn schließlich
unterscheiden sich ihre Positionen bezüglich des 11/9 in keiner Weise von
denen des Podiums. Außerdem haben die Veranstalter am 30. Juni bewiesen, dass sie
lieber die Anwesenheit von bekannten NPD-Kadern tolerieren, als von
kritischen, protestierenden Antifas. Die gesamte Veranstaltung gilt es daher mit
Protesten zu begleiten.
Kein Platz für Querfront-Projekte und antisemitische Propaganda!
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