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Halle: Volkstrauertag und Wehrmachtsausstellung


Am 16.11.03 war es wieder soweit, der sogenannte Volkstrauertag wurde
auch in Halle begangen.

In Halle/S. hat der Volkstrauertag eine unrühmliche Geschichte von
fünfjähriger Duldung von Nazis. Noch im Jahr 2001 wurden die Nazis durch
Protest von VertreterInnen des VVN/BdA von der offiziellen
Volkstrauertagsveranstaltung der Stadt fern gehalten.

Nachdem im letzten Jahr in Halbe das Nazigedenken über Waffen-SS Gräbern
verboten wurde, kamen Nazis aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen nach
Halle/S. auf den Gertraudenfriedhof. 200 Nazis und OB und Stadträte der
Stadt Halle führten ein gemeinsames Gedenken auf dem Gertraudenfriedhof
durch. Daraufhin gab es empörte Proteste. Viele antifaschistische
Gruppen, unter anderem der Kellnerstraße e.V. verlangten ein Ende des
gemeinsamen Gedenkens und eine klare Positionierung der Stadt gegen Nazis.
OB Häußler, die ihre Rede am 17.11.02 ohne Änderungen vor mehrheitlich
Nazis hielt, erklärte anschließend absurderweise: „Die Stadtverwaltung
hat in den zurückliegenden Jahren öffentlich deutlich gemacht, dass sie
rechtem Gedankengut keine Chance gibt. In zahlreichen Initiativen wurde
vielmehr das aktive politische Bekenntnis in der Auseinandersetzung mit
neonazistischen Aktionen deutlich gemacht. ... Der Vorwurf einer
gemeinsamen Aktion mit Rechts zum Volkstrauertag, am Sonntag, 17.
November entbehrt jeder Grundlage.“ (Quelle:
 http://www.halleforum.de/article.php?sid=396 ).
Vielmehr wurde ein linker Verein für seine Kritik an dem Verhalten der
Stadt durch die Streichung der einzig bezahlten Stelle abgestraft.
(weitere Infos unter  http://www.ludwigstrasse37.de und
 http://www.volksttrauertagabschaffen.tk ).

Als Reaktion wurde für den 16.11.03 Jahr eine Demo mit dem Motto
„Volkstrauertag abschaffen“ angemeldet. So sollte eine Demo gegen das
naziduldende Verhalten der Stadt Halle durchgeführt werden.

Bereits im Vorfeld des Volkstrauertags 2003 verdichteten sich die
Hinweise, das diesmal die Nazis eine eigene Kundgebung am
Gertraudenfriedhof angemeldet hatten. Weder Stadt noch Ordnungsamt waren
zu keiner Stellungnahme bereit.
Erst am 10.11.03 wurde die Desinformationspolitik von Stadt und Polizei
beendet und öffentlich zugegeben, das es eine Nazianmeldung gibt. Diese
Anmeldung erfolgte von derselben Naziinitative wie auch die für den
29.11.03. Sie nennt sich: Initative „Zivilcourage gegen das Vergessen“.
Ein Verbot der Nazi-Anmeldungen wurde seitens der Stadt nicht erwogen.

Die linke Demo wurde mit unerträglichen Auflagen versehen. Es sollten
der Ort verlagert, keine akkustischen Verstärker (Lautsprecherwagen) und
keine Sprechchöre erlaubt sein. Grundlage für diese die Demo zu einem
Trauermarsch machenden Auflagen war das sogenannte Feiertagsgesetz des
Landes Sachsen-Anhalt.

Die offizielle Volkstrauertagsveranstaltung der Stadt Halle fand dieses
Jahr in der „großen Feierhalle“ auf dem Gertraudenfriedhof als
geschlossene Feier statt. Der Veranstalter war nicht die Stadt, sondern
der Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge (siehe Bild). Es wurde ein
Volkstrauertagssubunternehmen gegründet, damit die Stadt nicht
verantwortlich ist. Einladende im Namen des Volksbundes waren OB Häußler
und Bernhard Bönisch1), nicht in seiner Funktion als Stadtrat, sondern
als Kreisverandsvorsitzender des Volksbundes. Die Stadt flüchtet vor den
Nazis in eine geschlossene Veranstaltung, um so ein Zusammentreffen mit
Nazis zu entgehen, und gründet einen Kreisverband des Volksbundes, um
(auch wenn es schief geht) die Verantwortung abwälzen zu können.

Am Sonntag war ein Großaufgebot Polizei und BGS in der Stadt, auf dem
Friedhof war das Ordnungsamt stark vertreten.

Die Nazis wurden wie im letzten Jahr von der Polizei vom Bahnhof zum
Gertraudenfriedhof geleitet. Sie begannen ihre Kundgebung von Polizei
geschützt um 10 Uhr an der Dessauerstraße direkt am Eingang des
Friedhofs. Ihnen wurde so der Platz vor dem Haupteingang überlassen.
Einer kleinen Gruppe Nazis wurde es ermöglicht, unter Polizeischutz mit
ihrem Kranz auf den Friedhof zu gehen. Der Kranz hatte keine Binde, also
kein Problem. Sie wurden schließlich vor Beginn der offiziellen
Veranstaltung über den Friedhof geleitet. Die Nazis wurden dann nach
erfolgreicher Kundgebung und Besuch des Gertraudenfriedhofs unter
Polizeischutz zum Bahnhof gebracht.

Die linke Demo „Volkstrauertag abschaffen“ war für den Eingang Landrain
angemeldet worden, wurde aber durch die Auflagen 300 Meter weiter
abgedrängt. Sie sollte um 10.30 Uhr starten. Die offizielle
Veranstaltung der Stadt sollte um 11.30 Uhr beginnen. So war
abgesichert, dass die linke Demo bereits auf dem Weg ist und die
Nazikundgebung weit genug entfernt ist, wenn die städtische
Gedenkveranstaltung beginnt. Nichts hören, nichts sehen – nichts wissen
und unter Polizeischutz durch den Nebeneingang schleichen.

Die linke Demo mit knapp 250 DemonstrationsteilnehmerInnen forderte auf
dem Weg lautstark die Abschaffung des Volkstrauertags und das Ende des
deutschen Opferkultes, dass Täter zu Opfern und Opfer des
Nationalsozialismus zu Opfern unter vielen macht.

Die Volkstrauertagsveranstaltung des Volksbundes fand unter dem Motto
„Gedenken an die Toten, insbesondere an die Opfer der Weltkriege, des
Nationalsozialismus, des Stalinismus und jedweder Unterdrückung der
Menschenrechte“ statt. Also fast dasselbe Motto wie letztes Jahr. Die
Feierhalle war voll. Anwesend waren Stadträte aller Fraktionen, viele
Angehörige der Bundeswehr, der Bund der stalinistisch Verfolgten u.a..
Die Veranstaltung wurde massiv gesichert. CDU-Stadtrat Bernhard Bönisch
eröffnete die Veranstaltung. In seine Rede warb er für den Volksbund,
den Jugendaustausch des Volksbundes und die Wichtigkeit dieses Vereins,
außerdem erklärte er, dass der Kreisverband Halle/Saalkreis sich im
September diesen Jahres gegründet hat. Dann sprach Bürgermeisterin Fr.
Szabados in Vertretung für OB Häußler eine sehr vorsichtige Rede zum
Volkstrauertag. Anschließend sprach ein Vertreter der Kirchen. Als in
der „großen Feierhalle“ die nichtstädtische Volksbundveranstaltung zu
Ende ging, schaute ein Vertreter des Volksbundes nach, ob gerade keine
potentiellen Störer am Denkmal des „Langen Marsches“ sind. Er sagte dann
der Bürgermeisterin Szabados Bescheid. Es wurde zum Mahnmal gegangen.

Linke wurden auf dem Friedhof durch das Ordnungsamt genau beobachtet und
verfolgt. Einige AntifaschistInnen wollten ein Transparent mit der
Aufschrift „Wir trauern um die Opfer des Faschismus“ entrollen. Die
AntifaschistInnen durften nicht in die Umgebung des Denkmals „Der lange
Marsch“. Die Anwesenheit von AntifaschistInnen ohne offizielle Einladung
würde wohl die geschlossene Veranstaltung der Obrigen stören. Als die
Teilnehmer der offiziellen Trauerveranstaltung den Friedhof verließen,
wurde das Transparent von den AntifaschistInnen entrollt. Das sofort
zahlreich herbeigeeilte Ordnungsamt entriss ihnen das Transparent. Auch
vor dem Friedhof wurde das Entrollen des Transparents untersagt.

So durfte also am Volkstrauertag in Halle nicht ohne offizielle
Einladung den Opfern des Faschismus gedacht werden.

Wenn Nazis hingegen wie letztes Jahr ein Transparent mit der Aufschrift
„Wir sind ein Volk des Geistes, aber mit eiserner Faust – Kameradschaft
Salzgitter“ und schwarze Fahnen tragen, hat weder die Stadt noch das
Ordnungsamt das Hausrecht – man brauchte letztes Jahr noch keine
offizielle Einladung. Und auch Banner mit dem Ausspruch „Ehre wem Ehre
gebührt“ gelten nicht als anstößig.

Durch eine geschlossene Veranstaltung wurde die Teilnahme von Nazis an
der städtischen Veranstaltung unterbunden. Hingegen zu verhindern, dass
Nazis den Volkstrauertag in Halle für nationalsozialistisches Gedenken
nutzen, wurde wieder nicht versucht. Nur der ordnungspolitisch
reibungslose Ablauf des Volkstrauertags wurde gesichert.


Der Kampf um die Verdrängung der Nazis am Volkstrauertag und für die
Beendigung des naziduldenden Verhaltens der Stadt Halle geht weiter.

Kommt alle am 29.11.03 nach Halle!
Naziaufmarsch in Halle verhindern!
Weitere Infos unter  http://www.nonazisinhalle.tk

1) zu Bönisch:

Bernhard Bönisch der CDU-Kreisvorsitzende der CDU-Halle und
Landtagsabgeordneter steht gerade im Fadenkreuz der Kritik, da er zu dem
Ausschluss Hohmanns aus der CDU öffentlich äußerte: „Ich halte den
Schritt gegen Hohmann für übertrieben. Ich habe seine Rede gelesen, ich
würde sie nicht so schreiben. Aber eine deutliche Rüge hätte gereicht,
der Parteiauschluss ist mir zu heftig. Wir leben in einer Demokratie und
müssen unterschiedliche Positionen aushalten.“ (Quelle Mitteldeutsche
Zeitung 12.11.03)

Die Grünen Halle fordern inzwischen einen Ausschluss von Bönisch aus der
CDU.

Pressemitteilung des Regional-Chefs der Bündnisgrünen Oliver Paulsen

Halle, 12. November 2003
Bönisch nicht mehr tragbar

Der Landtagsabgeordnete und Vorsitzende der CDU in Halle (Saale),
Bernhard Bönisch, hält laut Mitteldeutscher Zeitung vom 12. November
2003 den Parteiausschluss des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann für
übertrieben und meint, dass in einer Demokratie unterschiedliche
Positionen ausgehalten werden müssen.

Hierzu erklärt Oliver Paulsen, Vorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in
Halle und dem Saalkreis:

Erfreulicherweise ist Herr Bönisch mit seiner Meinung nach der späten
aber richtigen Entscheidung der CDU-Vorsitzenden Merkel zum Fraktions-
und Parteiausschluss von Martin Hohmann in der CDU isoliert. Es ist aber
hochgradig bedenklich, dass er den Abgeordneten Hohmann, der durch seine
antisemitischen Äußerungen mehrmals auf hochproblematische Weise
aufgefallen ist, immer noch schützt und dessen Äußerungen herunterspielt.

Bundestagsfraktionsvize Friedrich Merz bezeichnete nach Angaben des
"Spiegel" vergangene Woche in einer CDU-Präsidiumssitzung Hohmann
unwidersprochen als "Rechtsradikalen". Bernhard Bönisch verlässt den
Boden des demokratischen Konsens, wenn er sich schützend vor
rechtsradikale Entgleisungen stellt. Die Äußerungen von Martin Hohmann
sind für jeden Demokraten inakzeptabel und dürfen in einer Demokratie
nicht unwidersprochen und ohne Konsequenzen stehen bleiben. Wer hier vom
"aushalten unterschiedlicher Positionen" spricht, bagatellisiert dessen
antisemtische Ausfälle.

Die CDU in Halle sollte sich schnellstens von den Äußerungen ihres
Vorsitzenden distanzieren und für seine Ablösung sorgen.

(Quelle  http://www.gruene-halle.org/pm_boenisch.htm)


Aber die CDU kann noch mehr, so meinte Wolgang Kupke, ehemaliger
Ausländerbeauftragter der Stadt Halle, der wegen ausländerfeindliche
Äußerungen zurücktreten musste:

„Trotz der Signale der CDU aus Berlin in Sachen Hohmann, gibt es in
unserer Partei noch genug Menschen, denen Meinungsfreiheit höher steht
als Parteidisziplin, und die auch Menschen, wenn sie einen Fehler
gemacht haben, nicht fallen lassen und politisch zerstören.“

Zur Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht - Dimensionen des
Vernichtungkrieges 1941-44", die seit dem 14.11.03 in Halle gastiert,
äußerte Bönisch in einem Artikel in der MZ in dem es um Naziplakate
ging, die in der Nacht zum 65. Jahrestag der Reichspogromnacht
(09.11.1938) geklebt wurden und auf denen Einzelpersonen sämtlicher
Parteien als Unterstützer des Naziaufmarsches in Halle am 29.11.03
genannt wurden:
"Die CDU als Partei unterstützt diesen Plakatprotest nicht." Er selbst
glaube aber nicht, dass die Wehrmachtsschau nötig sei, weil sie "keinen
positiven Gewinn" bringe. Doch gehe er davon aus, dass sie seriös sei."
(Quelle Mitteldeutsche Zeitung 14.11.03)

Und diese Person organisierte den umstrittenen Volkstrauertag in Halle -
2003, nach dem Skandal im letzten Jahr!


Eine Dokumentation zur derzeitigen Stimmung im Bezug auf die
Wehrmachtsausstellung in der Stadt aus Presseartikeln des Amtsblattes,
dem offiziellen Verlautbarungsorgan der Stadt Halle, und der einzigen
Regionalzeitung, der "Mitteldeutschen Zeitung" unter
 http://www.nonazisinhalle.tk

 

21.11.2003
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