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Hamburg: Den Kriegsdienst zu verweigern ist verboten - Konsequenter Kriegsdienstverweigerer verurteilt

Heute wurde der konsequente Kriegsdienstverweigerer Stefan S. (23) vom Amtsgericht Hamburg-St. Georg verurteilt. Das Gericht befand ihn der Dienstflucht (§53 Zivildienstgesetz, ZDG) für schuldig und verhängte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 EUR. Der Staatsanwalt hatte 120 Tagessätze gefordert, die Verteidigung plädierte auf Freispruch und prüft nun weitere Rechtsmittel.

S. hatte sich bereits am ersten Verhandlungstag vergangenen Montag in einer ausführlichen Prozesserklärung abschliessend geäusssert, sodass der heutige zweite Verhandlungstag den Plädoyers und der Urteilsverkündung gewidmet war.

Nach dem äusserst kurzen und inhaltlich dünnen Plädoyer der Staatsanwaltschaft, das nach 2 Minuten bereits beendet war, plädierte S. Anwalt A. Beuth auf Freispruch. Er betonte die verfassungsrechtliche Unantastbarkeit der Gewissensentscheidung des Angeklagten und forderte in Konsequenz, das Strafrecht in diesem Fall nicht zur Anwendung zu bringen,da ein übergesetzlicher Notstand vorliege. Es gibt ausreichend Urteileauch des Bundesverfassungsgerichts, die dieser Linie folgen, sie bisher allerdings nicht auf die Fälle Totaler Kriegsdienstverweigerer angewandten.

Anschliessend verkündete Richterin Fr. Dr. Reitzig nach vierzigminütiger Beratungszeit vor über 20 Zuschauern das Urteil, mit dem sie die Argumentation der Verteidigung ohne nähere Würdigung weitgehend verwarf. In der mündlichen Begründung des Urteils überraschte Fr. Dr. Reitzig dann noch mit der Feststellung, dass der Annahme, es könne im Zuge der derzeit diskutierten und angestrebten Neufassung des Zivildienstgesetzes möglicherweise zu einer Amnestierung Totaler Kriegsdienstverweigerer kommen, Wahrheit unterstellt werden. Für das aktuelle Verfahren seidies aber nicht von Bedeutung. Mit dieser Aussage ging Richterin Reitzigzwar zumindest im Ansatz auf die politischen Dimension der Prozesse gegen Totale Kriegdienstverweigerer ein, zog sich aber sofort wieder von sämtlicher Verantwortung zurück, aus dieser Feststellung auch Konsequenzen für die Rechtssprechung zu ziehen. Der Weg einer vorläufigen Einstellung des Verfahrens oder einer Vorlage an höhere Gerichte waere, wie vonder Verteidigung aufgezeigt, möglich und vor dem Hintergrund aktuellerDiskussionen um die Abschaffung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes auch geboten gewesen. Mit dem gefällten Urteil weigerte sich das Gericht aber, der politischen Entwicklung auch eine juristische folgen zulassen.

S. war einberufen worden, seinen Zivildienst in einem Pflegeheim in Hamburg abzuleisten. Da der Student jedoch auch den Ersatzdienst für einen „militärisch verplanten Dienst“ hält, hat er diesen nicht angetreten. Als Folge droht ihm nun eine Verurteilung zu einer empfindlichen Haftstrafe. Zu seinen Gründen äußert er sich: „Der
Zivildienst geht genau wie der direkte Waffendienst bei der Bundeswehr in die Strategie der Gesamtverteidigung ein. Selbst das Bundesverteidigungsministerium bestreitet nicht, daß Kriege ohne Zivildienstleistende nicht mehr führbar sind. Meine Entscheidung, auch den Ersatzdienst zu verweigern, ergab sich einfach zwingend aus den Gründen, warum ich eigentlich nicht zum Bund wollte.“

Damit gehört S. zu den Menschen, denen man vorenthält, was gemeinhin als große Errungenschaft der Bundesrepublik gewertet wird: Aus Gewissensgründen den Kriegsdienst zu verweigern. Denn das einzige, was in Deutschland rechtmäßig abgelehnt werden kann, ist der direkte Waffeneinsatz: „Es ist für mich jedoch nicht ausreichend, niemanden erschießen zu müssen, um dafür im Sanitätswesen diejenigen zu versorgen,
die dann an meiner Stelle kämpfen.“

 

16.01.2004
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