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Hamburg: Erklärung zu den antisemitischen Ausschreitungen am 31.01.04 in HH-City


Auf der Anti-Nazi-Demo in Hamburg am 31. Januar 2004 wurde eine Gruppe von
AntifaschistInnen mit Israelflaggen sowie Fahnen der alliierten Siegermächte von
dem vorderen Teil der Demonstranten gewalttätig aus der Kundgebung geworfen.
Dies geschah durch “Hamburger Zusammenhänge”, die nun beklagen, dass sie von
Antideutschen provoziert und angegriffen worden seien, was zu einer Gefährdung
der Demo geführt hätte. Erwähnt sei hier nur, dass der nachfolgende
Knüppeleinsatz der Polizei sich gegen die aus der Demo geprügelten
israelsolidarischen GenossInnen wendete, in Folge dessen mehrere von ihnen fest-
beziehungsweise in Gewahrsam genommen wurden.

Die mittlerweile in der Hamburger Linken durchgesetzte Sprachregelung, dass es
sich beim Tragen der israelischen Fahne um eine “Provokation” handele, wird
gestützt mit dem Verweis auf einen Beschluss, “keine Nationalstaatsfahnen” auf
der Demo zu tragen.

Es zeichnet sich somit eine Diskussion um vermeintliche Regelverstöße und andere
Demoformalitäten ab, die von der politischen Dimension dieser Übergriffe und
daraus zu ziehenden Konsequenzen ablenkt.

Im folgenden geht es darum thesenartig inhaltliche Mindeststandards zu benennen;
es handelt sich hierbei um:

Basisbanalitäten


1. Mit dem Angriff auf die Israel-Fahne waren nicht die “antideutschen
Provokateure” sondern Israel direkt gemeint. Die unbeanstandet gebliebenen
“Mörder, Mörder”-, “Intifada”- und „Juden raus“ -Rufe, die man zum gleichen
Anlass auch beim Naziaufmarsch hören konnte, zeigten deutlich, was ein Großteil
der Demonstration mit der Fahne assoziierte. Aber auch in den Augen der
VertreterInnen der “kritischen Solidarität” mit Israel kann, wer in Deutschland
Kritik am Antisemitismus betreibt ohne sich zugleich in den antizionistischen
Konsens einzureihen, nur antideutsch oder Mitglied der jüdischen Gemeinde sein -
was leider meist den Tatsachen entspricht. Vor und während der sich
antifaschistisch nennenden Demonstration wurde mit den stadtbekannten
antisemitischen Schlägern, die es selbst in einigen Szene-Läden zu Hausverboten
gebracht haben, zusammengearbeitet. Diese Prototypen des linken Antisemitismus
wurden nicht nur geduldet, sondern sie konnten gemeinsam mit großen Teilen der
Demo ihrem Hass auf Israel freien Lauf lassen. Die „Bündnisfähigkeit” hat eben
ihren Preis. Eine Kritik am Antisemitismus, die keinerlei Konsequenzen hat,
erinnert an jene konservative Innenminister, die vor brennenden
Flüchtlingsheimen stehend, “Fremdenfeindlichkeit auf schärfste verurteilen”.

2. Die beklagte “Provokation” setzt die Bereitschaft voraus, sich provoziert zu
fühlen. Dass die nationalen Symbole des jüdischen Staates und der Länder der
Anti-Hitler-Koalition auf einer sogenannten antifaschistischen Demonstration in
Deutschland gewaltsam entfernt werden, ist zwar skandalös, hat aber bisher in
der Hamburger Linken keinen Widerspruch hervorgerufen. Die Schläger, die sich
der Fahne mit dem Davidstern entledigen mussten, konnten ungestört aus der
Demonstration heraus agieren, ohne dass auch nur ein Teil der Demonstrierenden
eingegriffen oder sich zumindest distanziert hätte.

Dass der Sieg über die deutsche Barbarei und damit auch über die Wehrmacht, ohne
den Anteil der westlichen Alliierten unmöglich gewesen wäre, war den
Überlebenden des KZ Buchenwald bei ihrem Schwur selbstverständlich bewusst:

“Wir danken den verbündeten Armeen, der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen
Freiheitsarmeen, die uns und der gesamten Welt Frieden und das Leben erkämpfen.

Wir gedenken an dieser Stelle des großen Freundes der Antifaschisten aller
Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue
demokratische, friedliche Welt. F. D. Roosevelt - Ehre seinem Andenken!”

Dass die Fahnen der Alliierten in der Tradition des Antifaschismus stehen, ist
anscheinend nicht einmal mehr der Antifa bekannt. So kann der sechzigste
Jahrestag des D-day, der neben Stalingrad wichtigste Meilenstein bei der
Befreiung von der deutschen Barbarei, wohl nur außerhalb Deutschlands gewürdigt
werden – jedenfalls nicht auf einer Demonstration, welche doch angetreten war,
die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht gegen einen Naziaufmarsch zu
verteidigen.

3. Nicht provoziert fühlte sich die Mehrheit der Anwesenden davon, dass eine
große Anzahl der DemonstrantInnen mit dem sogenannten Palästinensertuch
herumlief, einem Kleidungsstück, das bekanntlich in den 30er Jahren vom Mufti
von Jerusalem als Zwangsbekleidung zwecks Bekundung nationaler Identität gegen
Jüdinnen, Juden und säkulare PalästinenserInnen eingeführt wurde. Kein Wunder,
dass sich dieses Accessoire auch auf der Nazi-Demo großer Beliebtheit erfreute.
Wenn nicht gerade gegen die Wehrmachtsausstellung demonstriert wird, sind
Nazidemos unter dem Motto “Solidarität mit Palästina” längst an der
Tagesordnung. Kritik an dieser nationalen Symbolik galt für die “Hamburger
Antifakoordination” schon als Provokation. So hat sie eine Zusammenarbeit mit
dem Freien Sender Kombinat von der Zensur des Beitrages “Coole Kids tragen kein
Palituch” abhängig gemacht. FSK beugte sich diesem Ultimatum bereitwillig. Der
“Antinationalismus” ist anscheinend eine sehr einseitige Angelegenheit.

4. Für die „Solidarität mit Palästina“ der deutschen Nazis gibt es handfeste
Gründe: Bereits die NSDAP unterstützte panarabische NationalistInnen und
AntisemitInnen, in denen sie natürliche Bündnispartner gegen die Juden sah.
Unmittelbar nach 1945, zu einem Zeitpunkt, als die Linke noch für sozialistische
Kibbuzim schwärmte und gegen reaktionäre arabische Regimes wetterte, wurden
Syrien, Ägypten und andere arabische Länder zum Exil für hunderte von geflohenen
NS-FunktionärInnen, die sich dort als PropagandistInnen oder technische
Hilfskräfte gegen Israel betätigten.

5. Die Geschichte des Antisemitismus ist immer auch die Geschichte der
Konterrevolution. Beginnend mit dem antirevolutionären zaristischen Machwerk der
“Protokolle der Weisen von Zion” und nicht endend mit dem antisemitischen
Antikommunismus der Nazis. Das bedeutet keineswegs im Umkehrschluss, dass die
Geschichte der Linken eine Geschichte des konsequenten Kampfes gegen den
Antisemitismus wäre. Im Ressentiment gegen die Zirkulationssphäre hatte die
Linke immer eine offene Flanke zum Antisemitismus. Dieser attackiert am Geld die
vermittelte Herrschaft, indem er die „Kapitalmystifikation in der grellsten
Form“ (Marx), also des Fetisch vom Geld und vom zinstragenden Kapital
personalisiert, um sie durch die Barbarei des Unmittelbaren zu ersetzen.

Müssten sich die Jüdinnen und Juden heute auf den Schutz durch die Linken
verlassen, wären sie völlig schutzlos. Die Rote Armee zerschlug immerhin
Nazideutschland. Dass schon kurz nach 1945 wieder antisemitische Verfolgungen in
der Sowjetunion möglich waren, verdeutlicht auf bittere Weise, dass der „Reale
Sozialismus“ keineswegs die Antwort auf die Antisemitenfrage war.

6. Die nach dem Sechstagekrieg 1967 einsetzende globale linke
antiimperialistische Solidarität mit PanarabistInnen und IslamistInnen in ihrem
Kampf gegen Israel ist in den Metropolen Ausdruck linker Projektionen - in den
betroffenen Ländern hatte sie gravierende Folgen: Allein im islamistischen Iran
und im baathistischen Irak wurden säkulare, nichtnationalistische Teile der
Bevölkerung sowie zehntausende von KommunistInnen umgebracht. Viele Linke trafen
diese Angriffe völlig unvorbereitet, da sie sich eben noch im Volksfrontbündnis
mit Khomeini oder den Baathisten befunden hatten. Ein Teil der dortigen
Oppositionellen spricht inzwischen mehr oder weniger offen aus, in was für eine
Falle sie der Antiimperialismus geführt hat.

Die heutigen Antiimps dokumentieren dagegen mit ihrer Hetze gegen alle, die
derzeit im Irak besseres zu tun haben, als mit Kadern des Baath-Regimes und
DjihadistInnen gegen die US-Besatzung vorzugehen, dass ihr Volkskampf
unmittelbar gegen all jene gerichtet ist, die sich für ein bessere Zukunft
einsetzen.

7. Nichts hält die antiemanzipatorischen Kräfte im Nahen Osten, in Europa und
anderswo so sehr zusammen wie die antisemitische Agitation gegen Israel: Ob es
nun der arabische Diktator ist, der via Antizionismus die nationale Einheit
schmiedet, oder seine islamistischen GegnerInnen, die - wie auch die Neonazis -
das Erbe des linken Antiimperialismus angetreten haben. Ob die
Friedrich-Ebert-Stiftung (im Februar diesen Jahres) mit “gemäßigten”
Hizbollah-AnhängerInnen in Beirut über den besten Weg zur Beseitigung Israels
diskutiert, oder ob ein gestandener linker Führer wie Walid Jumblatt,
Vorsitzender der drusischen sozialistischen Fortschrittspartei und Mitglied des
libanesischen Parlaments, verkündet, dass “der Tod eines Juden - gleich ob
Soldat oder Zivilist - in Zeiten des Niedergangs, der Selbsterniedrigung und
Unterwürfigkeit eine große Leistung in dem Bemühen darstellt, den Plan zur
‚Judifizierung’ ganz Palästinas zu untergraben.” Nicht zu vergessen der
globalisierungskritische Anhang, der schon mal einem Rumsfeld-Darsteller den
gelben Stern anheftet und ihn mit einem Sharon-Mimen vor einem Goldenen Kalb
tanzen lässt, wie anlässlich des WEF in Davos 2003 geschehen, um gegen den
“Neoliberalismus” zu protestieren.

8. Angesichts der Geschichte des linken Inter-Nationalismus ist das Verbot von
Nationalfahnen auf einer linken Demonstration pure Heuchelei. Es geht dabei
keineswegs um die schwarz-rot-goldenen Insignien auf der Fahne der DKP oder die
Fahnen der Völker, für die sich die Linke früher begeisterte.

In den 70er und 80er Jahren war die israelische Nation die einzige, deren
Existenz und Legitimität im Namen der “Freiheit der Völker” bestritten wurde.
Heute wird Israel nicht mehr so sehr als “künstliches Gebilde” und als Antipode
echten (arabischen) Volkstums angegriffen. Aus “antinationalistischer” Sicht
soll das Vergehen der Israelis in dem liegen, was man früher bei allen anderen
nationalen Befreiungsbewegungen so schätzte: in ihrem sturen Beharren auf ihrem
eigenen Nationalstaat.

9. Damit sind die Bündnislinken auf dem Niveau ihrer Regierung und derer
intellektuellen ZuarbeiterInnen vom Hamburger Institut für Sozialforschung
angelangt. Die rot-grüne Innovation, deutsche Expansion nicht trotz sondern
wegen Auschwitz zu fordern, und allen “Nationalismus” vorzuwerfen, die diesem
Programm im Weg stehen, spiegelt sich im Begleitprogramm der
Wehrmachtsausstellung auf unzähligen Veranstaltungen, ohne dass es der Mehrheit
der Linken auch nur auffallen würde. Stattdessen wird mit den Regierungsparteien
gemeinsam demonstriert, als hätte es weder den Antifa-Sommer 2000 noch den
dritten deutschen Angriffskrieg gegen Serbien gegeben. Die Verurteilung Israels
durch den internationalen Strafgerichtshof wegen der Sicherung seiner
Staatsgrenze oder gar die Entsendung von UNO-Truppen wären für Deutschland die
ersehnte - und im Gegensatz zu Hohmanns Ausfällen - “politisch korrekte”
Schuldumkehr auf internationaler Ebene.

10. Israel ist die einzige Konsequenz aus Auschwitz in einer Welt, die keine
anderen Konsequenzen zu ziehen bereit war. Zwar kann seine Staatsgewalt ihren
BürgerInnen keinen garantierten Schutz vor antisemitischen Massakern bieten,
unter anderem wegen der materiellen und ideellen Unterstützung, die die
MörderInnen aus Europa erhalten. Aber Israel ist die einzige Gesellschaft, deren
Staatsräson darin besteht, genau diesen Schutz zu bieten, und die schon deshalb
dem antisemitischen Vernichtungswahn Grenzen setzt.

11. Israelische Fahnen auf antifaschistischen Demonstrationen, die diesen Namen
verdienen, sind aus all diesen Gründen eine Selbstverständlichkeit. Sie sind
dort nicht nur zu dulden, was noch immer heißt, dass sie geschützt werden
müssten, sondern sie sollten dort willkommen sein!


Zur Unterstützung mail to  basisbanalitaeten@gmx.net

ErstunterstützerInnen:

Bad Weather [Antifaschistische Gruppe ] - Hamburg

AANO – Anifaschistische Aktion NordOst - Berlin

BgAA - Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus - Berlin

Club 53 [Sektion Hamburg]

Pankower Antifa Offensive [PAO] - Berlin

AG Antifa an der Universität Potsdam

Hochschul-Antifa – Hamburg

Flaschenpost – Hamburg


Sonderseite:
 http://www.antifa-hamburg.com/basisbanalitaeten.html



 

19.02.2004
bad weather [antifaschistische gruppe hamburg] u.a.   [Aktuelles zum Thema: Antifaschismus]  [Schwerpunkt: Deutsche Täter sind keine Opfer]  Zurück zur Übersicht

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