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Leipzig: Eine ganz normale deutsche Familie

Über den Skandal, dass es keinen Skandal gibt, dass Albert Speer –
nach 1936 in Berlin – zum zweiten Mal Olympia – 2012 in Leipzig
– bauen darf


Fotos zum Text:  http://www.nein-zu-olympia.de/picture/speer/index.php


      „Die immer gleiche Rasterarchitektur der Geschäfts- wie der
      Wohnbauten hat offenbar nicht nur die Unterschiede zwischen einer norddeutschen
      Handelsmetropole und einer süddeutschen Bischofsresidenz eingeebnet,
      sondern auch dem Profil deutscher Städte etwas von internationaler
      Gesichtslosigkeit verschafft.“

      Albert Speer sen. (1964)(1)

      „Die rings um die Erde einander immer ähnlicher werdenden
      Stadtstrukturen führen zum Verlust lokaler Eigenständigkeit. ...
      Daß die Wohnungen von Hamburg bis Garmisch in Größe und
      Ausstattung immer ähnlicher werden, läßt sich bei gleichen
      Ansprüchen nicht verhindern. Aber warum müssen Städte auch
      gleich aussehen? Anstatt landschaftliche und andere Eigenheiten zu betonen,
      haben wir, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bisher nur nivelliert und
      modernisiert.“

      Albert Speer jun. (1992)(2)

Das Anti-Olympische Komitee Leipzig (AOK)(3) rief im vergangenen
Monat zu einer Aktion auf dem Gelände der Neuen Messe auf. Dort sollte am
20. Februar 2004 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Planwerk Olympia
2012“ unter dem Motto „Großveranstaltungen als Motor der
Stadtentwicklung“ u.a. mit dem Chefplaner und -architekten der Leipziger
Olympiabewerbung, Albert Speer, diskutiert werden. Die Aktion musste mangels
Beteiligung ausfallen. Das lag aber nicht an der Kürze der Mobilisierung,
sondern an der bewussten Ignoranz der Leipziger Szene, die sich zwar
antideutsch dünkt – und sich dieses Bekenntnis auf die Fahnen
geschrieben hat, aber außer dem gelegentlichen Schwenken dieser Fahnen,
nicht viel damit anfangen kann. Die gleichlautenden Reaktionen auf das
Mobilisierungsflugblatt lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Das
ist doch Sippenhaft, der Speer kann doch nichts für seinen Vater.
Und:
Das ist doch Personalisierung, ob der Speer oder jemand anders, ist doch
egal.
Diese Einwände sind in etwa so dümmlich, wie das typisch
deutsche Lamento, dass die Kollektivschuldthese doch rassistisch, weil
deutschfeindlich, wäre – obwohl niemals eine Kollektivschuldthese
postuliert wurde. Auch in diesem Fall linker Verdrängungskünste wurde
sich erst ein Argumentationsmuster konstruiert, um sich dann um so besser davon
abgrenzen zu können. In dem Flugblatt fand weder die Sippenhaft auf den
Sohn des Naziarchitekten Anwendung, noch wurde der Eindruck erweckt, das
Problem bestünde in der Person Speer. Vielmehr wurde kritisiert, dass
Speer jun. eben nicht nur glaubt, für sich – wie es ja fast alle tun
– die Gnade der späten Geburt in Anspruch nehmen zu
können, sondern sich sogar positiv auf seinen Vater bezieht. Betont wurde,
dass Speer als Architekt „so gefährlich wie wohl alle anderen seiner
Zunft“ und eben kein Nazi sei. Der Skandal, so im Flugblatt weiter, liege
aber darin, dass die Stadtverwaltung „nicht nur Olympia nach Leipzig holen
will, sondern dann ausgerechnet Albert Speer mit der Konzeption und Bauleitung
beauftragt, als ob nichts gewesen wäre.“

Zugegebenermaßen wurden diese Punkte im Flugblatt nicht weiter
ausgeführt – was mit der Kürze der Vorbereitungszeit zu tun
hatte. Dies ist nun aber den antideutschen und sonstigen Linken nicht Ansporn
für eigene, weitere Recherchen, sondern wird als Anlass genommen, um gegen
das AOK zu pöbeln und auf Stammtischniveau Täterschutz zu
betreiben.(4) Wieso findet eine Linke, die auf Demos
„Morgenthau, der war schlau“ ruft, nichts dabei, dass sich Vater wie
Sohn mit ihren Olympiakonzeptionen einen ruhmreichen Namen gemacht haben und
mit ihrem arisiertem Geld weiteren Reichtum anhäufen? Wieso wird die
richtige Erkenntnis, dass sich die Speersche Familiengeschichte in
ähnlicher, wenn auch oft nicht in so prominenter Form, millionenfach in
Deutschland abgespielt hat, nicht gegen die Deutschen und damit auch gegen
Speer gewendet, sondern als entlastendes Argument ins Feld geführt? Wieso
ist, völlig in Unkenntnis der Wirklichkeit, davon auszugehen, dass der
Sohn von Albert Speer eben nur ein Apfel sei, der weit genug vom Stamm gefallen
ist? Wieso führt die Tatsache, dass der Skandal nicht darin liegt, dass
die Antigraffiti-Schutzschicht des Holocaust-Mahnmals von einer Firma stammt,
die das Zyklon B hergestellt hat, sondern darin, dass es keine deutsche Firma
geben wird, die nicht in der einen oder anderen Weise vom Holocaust profitiert
hat, wieso führt also die nun analoge Tatsache, dass Albert Speer nicht
durch einen besseren, unbelasteten deutschen Architekten ausgewechselt werden
kann, nicht zu der klaren Haltung, dass unter solchen Umständen keine
Olympiade in Deutschland stattzufinden hat, sondern zu der
anything-goes-Einstellung: Lasst den Speer mal machen...?

Der folgende Geschichtsexkurs ist für diejenigen gedacht, die in sich die
leise Ahnung noch nicht abgetötet haben, dass Antideutsch mehr ist, als
das CEE IEH im heimischen Bücherregal (antikes Stück vom Opa oder
IKEA-Modell vom Geld der Oma?) zu sammeln und öden antideutschen
Veranstaltungen im Conne Island zu Massenaufläufen werden zu lassen.

Albert Speer sen.

Ab 1931, als Albert Speer in die NSDAP eintrat, arbeitete er sich zum
Lieblingsarchitekten der Partei hoch: Er bekam nicht nur alle
Privataufträge der NSDAP-Kader, sondern war für die architektonische
Inszenierung des Dritten Reiches der Hauptverantwortliche. Alle wichtigen
Gebäude dieser Zeit – so z.B. die Olympia-Bauten in Berlin (1936)
– wurden von ihm entworfen bzw. entstanden in seinem Verantwortungsbereich
als Generalbauinspektor. In dieser Eigenschaft war er auch für die
Verteilung von “arisierten” Wohnungen zuständig. Außerdem
organisiert und choreographiert Speer ab 1933 alle Großkundgebungen und
Aufmärsche der NSDAP. Ab 1942 wird Speer Reichsminister für
Rüstung und Kriegsproduktion und intensiviert den Einsatz von
ZwangsarbeiterInnen in der deutschen (Rüstungs-)Industrie. Zum Kriegsende
ist Speer – zumindest informell – nach Hitler der zweitwichtigste
Mann in der NS-Hierarchie.(5)

Obwohl er also im Dritten Reich einen der wichtigsten und höchsten Posten
inne hat, tut das seiner Karriere nach 1945 keinen Abbruch – ganz im
Gegenteil: sie nimmt eine überraschende Wendung. Beim Nürnberger
Kriegsverbrechertribunal gesteht er als Einziger eine gewisse, ganz
allgemeingehaltene Schuld ein. Zwar sei er – als völlig unpolitischer
Mensch, der nur Freude an der Architektur gehabt habe („Für die
Politik habe ich mich nie interessiert, der Aufbau der Rüstung war nur
eine organisatorische Herausforderung für mich“
113(6)) – gegen seinen Willen und ohne sein Wissen in den
Nationalsozialismus verstrickt gewesen, persönliche Vergehen könnten
ihm aber nicht vorgeworfen werden. Um diesem Bild Plausibilität zu
verleihen, versucht er aus der Haft heraus Dokumente vernichten zu lassen, die
beweisen, dass er den Befehl zur Deportation zehntausender Berliner
Jüdinnen und Juden erteilte.(7) Daraufhin kann er ganz
unverschämt öffentlich verkünden: “Auch bei strengster
Selbstforschung muß ich sagen, dass ich kein Antisemit war. Auch
ansatzweise nicht.” (40). Er behauptet, es gebe keine einzige ihn
belastende Äußerung, kein einziges belastendes Dokument – und
deswegen habe er zu Kriegsende auch nichts vernichten lassen, sondern alles
„den Amerikanern als Studienmaterial übergeben“. Die
verschlagenen Amis jedoch dankten es ihm mit einer Anklage und verwendeten
sogar Teile seines nur wissenschaftlich zu verwertendes Studienmaterials,
„um mich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu
überführen.“ (56)

Albert Speer wird auf diese Art und Weise – im Gegensatz zu seinen
Mitangeklagten, die nicht abschwören und deswegen nur als Vorbild
ewiggestriger Neonazis taugen – zum Miterfinder der deutschen
Schuldabwehr.(8) Schon 1966 wird er aus der Haft entlassen.
Willy Brandt schickt ihm Blumen. So prominente Unterstützung hat Speer
allerdings gar nicht nötig. Er veröffentlich seine Autobiografie
(“Erinnerungen”) und später seine geheimen Aufzeichnungen aus
dem Gefängnis (“Spandauer Tagebücher”). Mit diesen beiden
Büchern wird er zum Liebling fast aller Deutschen.(9) Denn
so wie Speer blicken auch sie auf ihre Vergangenheit. Sie bedauern die
Niederlage, an der Hitler schuld war, fühlen sich als Opfer der
Verhältnisse und von den Alliierten zu Unrecht bestraft. Sie haben vom
Holocaust nichts geahnt oder gar gewusst. Sie sind natürlich keine
Antisemiten, aber dass es die Juden erwischt hat, wird schon seinen Grund
gehabt haben. Völlig grundlos hingegen wurden sie, die Deutschen, aber
bombardiert.

Diese Gefühle bedient Speer hervorragend mit seiner Entlastungsliteratur.
Er beklagt die angeblich ungerechte “Siegerjustiz”, versucht, den
Alliierten größere Verbrechen gegen die Deutschen nachzuweisen bzw.
die Verbrechen als in den Traditionen der europäischen Moderne stehend zu
relativieren (530) und projiziert alle Verbrechen des Dritten Reiches auf
Hitler („Der Krieg selber war immer nur die Idee und das Werk
Hitlers“, 221), von dem er aber auch gleichzeitig ein liebevolles Portrait
zeichnet (634). Sein Fazit: Ein armer Verrückter hat die noch ärmeren
und grundehrlichen Deutschen ins Verderben geführt. Ein anderer
Erklärungsversuch macht aus Hitler ein „Dekadenzproblem“, die
große Anhängerschaft sei eine Folge der „Zersetzung der
moralischen Lebenskraft des deutschen Bürgertums“ (550). Speers
Bücher avancieren zu Bestellern und verkaufen sich
millionenfach.(10) Er betätigt sich aber nicht nur als
Literat, sondern wird einer der wichtigsten Entlastungszeugen bei weiteren
Prozessen gegen Funktionäre des Dritten Reiches. Wohlwollende Biografien
erscheinen über Speer, sein Leben wird verfilmt. Viele, auch kritische und
nicht-deutsche Historiker, die über den Nationalsozialismus geforscht
haben, beziehen sich positiv auf Speer: Er wird einerseits als seriöse
Quelle genutzt, wenn es gilt über das Innenleben des Regimes zu berichten,
andererseits für seinen „Widerstand“ gegen das Dritte Reich
geschätzt. So wird anerkennend berichtet, dass er sich erfolgreich der
Politik der verbrannten Erde(11)  widersetzt
habe. Die Motivation für diese scheinbar humanistische Politik Speers, die
unzerbrechliche Treue zum deutschen Volk und der ewige Glaube an eine
leuchtende Zukunft für Deutschland, wird dabei ausgeblendet oder sogar
lobend erwähnt. Speer legte damit als erster vor Kriegsende den Grundstein
für einen erfolgreichen Wiederaufbau, für das „Wirtschaftswunder
Deutschland“, für eine neue Weltmachtrolle Deutschlands. Speer ist
derjenige, dem es in materieller wie ideologischer Hinsicht gelingt, das
nationalsozialistische Regime in die bundesrepublikanische Nachkriegszeit zu
transformieren, d.h. einen wirklichen Bruch mit den faschistischen
Kontinuitäten zu vermeiden und, anknüpfend an die
„Errungenschaften“ des Dritten Reiches, ein neues Deutschland
aufzubauen.

Wie so viele andere Verbrecher genoss er bis zu seinem Tod 1981 seinen
beschaulichen Lebensabend in Deutschland. Seine Architektur wird bis heute in
Ehren gehalten und unterliegt vielerorts dem Denkmalschutz – auch wenn sie
als etwas “großspurig” gilt. Für andere Erfindungen, z.B.
die Lichtinszenierungen, wird Speer bis heute als Avantgardist geehrt.

Schauen wir uns die von Speer direkt nach 1945 in seinen Tagebüchern
entwickelte Verdrängungs- und Verleugnungsstrategie einmal genauer an,
weil sie so unheimlich aktuell ist und sich erst in den letzten Jahren
endgültig öffentlich entfalten konnte. Gleichzeitig lässt sich
damit auch erklären, warum weder sein Sohn ein Problem mit Albert Speer
hat, noch die Stadt Leipzig mit seinem Sohn.(12)

Speer ahnte oder wusste nichts vom Holocaust und anderen NS-Verbrechen (z.B.
Euthanasie, Menschenversuche im KZ), weil die Fachleute der Vernichtung nicht
miteinander darüber geredet hätten: Die direkten Täter des
Holocaust erzählten Speer nichts von ihrem Tun, „so wenig, wie ich
... je offenbart hätte, daß wir an Raketen arbeiteten, die London in
Schutt und Asche legen sollten.“ (44) Der Holocaust ist für Speer
aber schon deswegen ein Rätsel, weil Hitler der einzige Antisemit in ganz
Deutschland war. Sowohl für die Führungskader des Dritten Reiches
legt er die Hand ins Feuer als auch für das gemeine Volk: Wenn Hitler
antisemitische Reden schwang, dann war „die gesamte Runde, nicht nur die
niederen Chargen, sondern Generale, Diplomatenvolk, Minister und
schließlich ich selber“ in einer gewissen „Verlegenheit ...,
wie wenn man einen nahestehenden Menschen bei einer peinlichen
Selbstenthüllung beobachtet“ (46). Das Volk hingegen tat mehr, als
nur „ernst und düster vor“ sich hin zu sehen und beflissentlich
darüber hinweg zu gehen (46), wie die „gesamte Runde“, sondern
leistete Widerstand. So weiß Speer davon zu berichten, dass selbst noch
1941 der Judenstern nicht zur gewünschten Stigmatisierung der Juden
innerhalb der deutschen Volksgemeinschaft führte, sondern zur
anteilnehmenden Sympathie seitens der deutschen Volksgenossen anstiftete
(401).

Da er sich also nicht die Finger schmutzig gemacht hat, kann er sich auch nach
1945 ungebrochen auf seine Arbeit im Dritten Reich beziehen. „Als Leiter
des Amtes ‘Schönheit der Arbeit’ war ich für einen Teil
dieser Programme [der technischen Welt ein ‘humanes’ Antlitz zu
geben. Beispiel: Fachwerkhäuser als Autobahnraststätten]
verantwortlich und ich verschweige nicht, dass mich alles, was ich in dieser
Eigenschaft unternahm, noch heute mit ungebrochener Genugtuung
erfüllt” (585). Er lässt sich Bücher und Zeitschriften
über Architektur ins Gefängnis schicken und setzt – allerdings
fast nur im Geiste – seine Arbeit fort: sinniert über die Verwendung
von Glas und Licht (636), arbeitet zum Thema Anteil der Fensterfläche
in verschiedenen Epochen
, hetzt weiter gegen Bauhaus und jüdische
Architekten (die inzwischen in den USA erfolgreich sind), Hochhäuser und
moderne Architektur („ging an den sozialen Problemen der Krisenjahre
unbewegt vorbei“ 417), plant seine Karriere nach der Entlassung und
bedauert, dass er nicht mehr solchen Ruhm wie vor 1945 erlangen wird. Stolz
nimmt er zur Kenntnis, dass er in der Fachliteratur „als einer der
Väter der Lichtarchitektur“ genannt wird und merkt scheinbar
selbstkritisch an: „Merkwürdig berührt mich der Gedanke,
daß die gelungenste architektonische Schöpfung meines Lebens eine
Chimäre ist, eine immaterielle Erscheinung.“ (636-637) Gegen seine
großen Widersacher, wie die Architekten van der Rohe und Gropius, die mit
ihren Entwürfen angeblich nur provozieren wollen und einen
„Universalstil ..., der von London bis Tokio, von New York bis Rio
reicht“ geschaffen hätten, wendet er ein: „Mag nun gut oder
schlecht sein, was wir im Sinn hatten, so glaube ich doch, daß die
Menschen ein Bedürfnis nach ummauertem Raum haben und daß ein Haus
vor allem ein Haus sein soll. Es läuft auf die Frage hinaus, ob die
Wohnbedürfnisse der Menschen wirklich veränderbar sind und ob ihr
Glück stärker von der Geborgenheit oder von der Luxzahl abhängig
ist.“ (418) Er hingegen will mit seiner Architektur „gegen den
Größenwahn des Industriezeitalters“ protestieren, die
„einfachen, handwerklich sauberen Häuser“ bilden den Gegenpol zu
den „Wolkenkratzern und Industriebauten“ (113).

Er frönt weiter seiner Mischung aus antimoderner Technikfeindlichkeit, die
er mit dem industriell betriebenen Holocaust begründet, und faschistischer
Technikbegeisterung. „Jeder Fortschritt erschreckt mich nur noch. Und eine
Meldung wie die Nachricht vom ersten Satteliten läßt mich nur an
neue Vernichtungsmöglichkeiten denken und erweckt Angst in mir.“
(470) Dass es aber in erster Linie er selber war, der mit seinen
Rüstungsprojekten alle Vernichtungsmöglichkeiten, die die Technik
bietet, ausgelotet hat, verdrängt er – obwohl es gleichzeitig
präsent ist. Wenn es nämlich darum geht, gegen die DDR-Misswirtschaft
zu hetzen, dann schreibt er, dass es ein Skandal ist, dass in Betrieben, in
denen vor 1945 „die ersten Düsentriebwerke der Welt auf dem
Prüfstand [liefen,...] die ersten Raketen der Welt erprobt [und...] die
ersten Kunststoffe entwickelt [wurden]“ sich jetzt „Kommissionen mit
Problemen herum[schlagen], die zu Beginn des Jahrhunderts Handwerker
lösten: ein Kohlebadeofen mit Mischbatterie!“ (505)

Weil er sich nichts zu Schulden hat kommen lassen, ist natürlich auch der
Nürnberger Prozess eine Farce. Vor allem nach Ausbruch des Vietnam-Krieges
und dem sowjetischen Einmarsch in Budapest ist für Speer klar, dass in
Nürnberg eine üble Siegerjustiz betrieben wurde. Speer hätte
sich ja eine Vereinheitlichung des Völkerrechts gewünscht – und
damit auch die Anklage der USA und der UdSSR vor dem Internationalen
Strafgerichtshof, für den Speer schon kämpfte, als dessen Name noch
nicht einmal geboren war. Aber nicht nur für Vietnam und Budapest seien
die Alliierten zu verurteilen, sondern auch für ihre, die Deutschen
übertreffenden Untaten im Zweiten Weltkrieg. „Nicht der
Vernichtungswille der Alliierten war größer als der deutsche,
sondern die Vernichtungskapazität ... Der Hass und die Entschlossenheit,
den Gegner mit allen Mitteln zu vernichten, war hier wie dort gleich
groß. Das eben macht einen Prozess von Sieger über Besiegte
problematisch“ (84) Und schon gleich nach dem Krieg gingen die Verbrechen
der Alliierten (die „problematische und mancherorts einfach
unmenschliche“ Zwangsarbeit für deutsche Kriegsgefangene) weiter, die
schwerer wiegen, als die von Speer praktizierte Vernichtung durch Arbeit, da
„in unserem Falle die Rechtslage noch nicht ganz klar sein mochte: jetzt,
nach den Nürnberger Urteilen, sind solche Maßnahmen ohne Zweifel ein
Vergehen gegen internationales Recht ... Indem der Gerichtshof sie [die
Zwangsarbeit] aber als Verbrechen verurteilte, verpflichteten die Alliierten
sich dazu, diesen Grundsatz auch ihrerseits zu beachten.“ (94) Ungeniert
behauptet Speer dann sogar noch, dass es die Schuld der Alliierten gegen
Deutschland im Ersten Weltkrieg war, dass es zum Dritten Reich kam. Wäre
nämlich schon damals in einem Kriegsverbrecherprozess Zwangsarbeit
geächtet worden, hätte Speer dies als Meßlatte für sein
eigenes Verhalten nehmen können – und keine Zwangsarbeiter
eingesetzt.

„Die abgeleistete Strafe setzt mich zunehmend ins Recht“ (169)
verkündet Speer siegessicher – und trifft damit den heutigen
Zeitgeist, der Kriege wegen Auschwitz ermöglicht. Dabei haben weder die
Deutschen noch Albert Speer jemals für ihre Taten gebüßt. Den
Deutschen ging es materiell und ideell nach 1945 immer besser als den wenigen
Opfern, die überhaupt noch überlebt hatten. Und selbst Speer bekam
nie eine Strafe, die diesen Namen verdient. Sein Gefängnis glich, und das
beschreibt Speer akribisch, einem Luxushotel mit vielen Freiheiten und
Vorzügen. Die 50 Angestellten sind nett und helfen den sieben Gefangenen,
wo sie nur können. “Noch nie in meinem Leben habe ich so aufwendig
gewohnt.” (264) Sie riskieren ihren Job, um Briefe raus und Bücher,
Alkohol und Schokolade rein zu schmuggeln, sie spaßen und scherzen mit
den Gefangenen, die im Prinzip Narrenfreiheit genießen (268). Widersetzt
sich Speer einer Anweisung und begründet dies damit, dass er keinen
Mitgefangenen schaden will, erntet er für seine Kameradschaft nur
Verständnis und Unterstützung. Ab und zu kommen hohe
Würdenträger vorbei und erkundigen sich nach dem Wohlbefinden der
Gefangenen oder bezeugen ihre Ehrerbietung vor dem großen Architekten und
den heldenhaften Militärs. Speer kann sich also nicht beschweren und
genießt das beschauliche Leben als erfolgreicher Gärtner, gefragter
Architekt(13), gewissenhafter Gefängnispsychologe und
-ethnologe(14), Erzieher(15), sportlicher
Erdumrunder(16) und einzig kompetenter
Hitlerbiograph(17). Nur die Gefangenen machen sich untereinander
das Leben zur Hölle, weil jeder sich als was besseres dünkt. Speer,
der dies alles analysiert, glaubt deswegen auch, besser zu sein, nicht nur
besser als die dummen Wärter, die seine geistreichen Witze nicht verstehen
(516), sondern auch besser als die NS-Führungskader, die im Knast langsam
an Haltung verlieren, durchdrehen und sich nur noch für ihr
„persönliches Schicksal und die Speckseiten der Freundin zu
interessieren zu scheinen.“ „Die Zukunft des Landes“, so
konstatiert Speer mit Enttäuschung, berühre seine Kameraden nicht
mehr (97). Speer hingegen bliebt auch im Gefängnis ein Politiker von
Weltrang und analysiert, dass Stalin Deutschland in die Hände des Westens,
„dem Geist blanker Aufklärung“ trieb, obwohl die Deutschen dem
Westen „immer mißtraut, ihn als seicht, rationalistisch
zurückgewiesen“ haben. „Jetzt wird Deutschland, das sich dem so
lange widersetzt hat, vom Westen auch innerlich erobert“ (364).

Obwohl sich also die Wärter wie verständnis- und liebevolle Lehrer
benehmen, weil sie nicht begreifen, dass die Bande nicht umerziehbar ist, hat
Speer Detailkritik zu üben: „Es stört mein Gefühl,
wie“ mit einem Mitgefangenen umgegangen wird, weil ein Wärter
„ihn wie einen aufsässigen Schuljungen abkanzelt. Wenn man schon
seinen militärischen Rang nicht achtet, sollte ein Jahrzehnte
Jüngerer wenigstens die Würde des Alters respektieren” (405).

Da er aber völlig zu Unrecht im Gefängnis sitzt –
schließlich sind alle seine ehemaligen Mitarbeiter inzwischen wieder in
leitende Positionen aufgerückt (234) und bieten ihm an, nach der
Entlassung in ihren Architekturbüros anfangen zu können – kann
diese gute Behandlung ihn nicht milde stimmen. So versucht er wenigstens, das
schwere Schicksal anderen zu ersparen. Er wird zum wichtigsten, weil
aussagebereiten und reuigen Entlastungs-Zeugen der Anklage. „Als
ehemaliger Reichsminister [ist ...] es meine Pflicht, meinen Mitarbeitern und
nicht den Anklägern zu helfen.“ (82) Er verachtet nur jene, die die
Kameradschaft verraten und wirklich aussagen. „Meine ehemalige
Sekretärin ... ließ mich wissen, daß Otto Saur im Prozeß
gegen Krupp [den Speer kurz zuvor mit allen Kräften verteidigt hatte] als
Kronzeuge der Anklage aufgetreten ist. ... Ich wünsche es niemandem, aber
wenn einer meiner engeren Mitarbeiter einen Prozeß verdient gehabt
hätte, dann ist es Saur.“(18) (163-164)

Speer hingegen hätte statt der Haft ein Bundesverdienstkreuz für
seinen aktiven Widerstand verdient.(19) So wird für eine
Freilassungspetition eine Liste mit 25 „ausländischen Arbeitern
gesammelt ..., die ich aus dem Konzentrationslager geholt hätte.“ Er
schreibt es im Konjunktiv, weil es sich in Wirklichkeit um „dreißig-
bis vierzigtausend Arbeiter im Monat“ gehandelt habe, die „die SS
immer bedenkenloser unseren Fabriken“ entzog, obwohl sie dringend für
die Rüstungsindustrie benötigt wurden, wie Speer Hitler dann 1944
unmissverständlich klar machte (240) – schließlich ging es um
den großen Endsieg. Schindlers Liste hätte also schon 1975,
unmittelbar nach dem Erscheinen der Tagebücher, gedreht werden
können. Denn er rettete nicht nur massenhaft Zwangsarbeiter aus den
Konzentrationslagern, von denen er allerdings keine Kenntnis hatte, sondern
unterstützte auch den konservativen Widerstand, indem er ihn nicht
verriet. Er war zwar in die Umsturzpläne gar nicht eingeweiht, aber er
hörte einmal, wie Stauffenberg die NS-Führer als Opportunisten,
Psychopathen und Idioten bezeichnete – „und einen Augenblick war ich
entsetzt. Denn wir übten alle gelegentlich Kritik ... aber solche Worte
versagten wir uns. ... Aber ich habe ihn immerhin nicht verraten.“ (283)
Belohnt wird er mit einem Ministerposten auf der Liste der Verschwörer.
Daraus wurde jedoch nichts, also hielt Speer weiterhin zu Hitler und zu seinen
Schützlingen, die er vor dem Tod im KZ bewahrt hatte: „Die
Loyalität nach allen Seiten hin, die ich übte, zu Hitler wie zu
Stauffenberg, zu den Zwangsarbeitern, die ich gut behandelte, und zu Sauckel,
der sie mir zutrieb – was war das anderes als eine Form der Lauheit.“
(284) Mal abgesehen davon, dass Sauckel Speer keine Zwangsarbeiter zutrieb,
sondern Speer sie anforderte und sie auf Anweisung von Speer zu Tode
gequält wurden, fällt doch auf, dass Speers einziges Problem mit der
Geschichte sein ramponiertes Images(20) ist: Er steht nicht als
der Held da, der er zeitlebens sein wollte. Kleine Heldengeschichten hat er
nichtsdestotrotz vorzuweisen: „Als wir Weihnachten 1942 in der Nähe
von Bordeaux feierten, wurde mir während des Essens vom Leiter des
Bauabschnitts erzählt, daß eine Gruppe ehemaliger sogenannter
Rotspanier [Kommunisten und Anarchisten, die im Spanischen Bürgerkrieg
gegen Franco gekämpft hatten], die in einem unweit gelegenen Lager
interniert seien, mich eingeladen hätte. Ohne Begleitkommando der SS ...
führ ich ... in dieses Lager. Die Feier hatte bereits begonnen. ...
Volkstänze und andere folkloristische Darbietungen schlossen sich an,
jeweils von stürmischen Applaus begleitet, während ich selber die
etwas steife Stimmung mir gegenüber erst auflockern konnte, als ich ein
größeres Kontingent von Zigaretten und Wein austeilen ließ.
Diese Spanier ... saßen inzwischen fast drei Jahre hinter Stacheldraht
fest. Es waren sympathische, tapfere Gesichter, wir blieben bis in den
späten Abend zusammen, der Abschied war fast herzlich.“ (251-252). Es
versteht sich wohl von selbst, dass sich Speer anschließend bei Hitler
für die Spanier im KZ (von deren Existenz er bis Kriegsende keine Ahnung
hatte, denn beim Weihnachtsfest im KZ wurde zu viel Wein gesoffen) einsetzte.
Denn: wer Volkstänze kann und „einen jahrhundertealten Hass gegen die
katholische Kirche abreagierte, die dieses spanische Volk immer
unterdrückt hat“, kann kein böser Mensch sein. Hitler erhoffte
sich, die Häftlinge gegen Franco einsetzen zu können und „gab
noch am gleichen Tag Anordnung, die ‘Rotspanier’ gut zu
behandeln.“ (253)

Richtig mutig wird Speer allerdings erst nach 1953. Er bezeichnet Hitler in
seinem Tagebuch als Verbrecher und notiert dazu: „Aber daran ist kein
Vorbeikommen. Entweder schreibe ich, wie ich es heute sehe, oder ich lasse es.
Bestimmt werde ich dabei manchen Freund verlieren und vielleicht keinen neuen
hinzugewinnen.“ (345) Es ist kein Vorbeikommen daran, weil Hitler mit dem
deutschen Volk und seinem „gesunden Volksempfinden“, dem Speer wieder
zu seinem Recht verhelfen will, „Schindluder“ getrieben hat (400).
Hitler hat alle Ideale verraten. „Das Volk, das ihn liebte, die deutsche
Größe, die er im Munde führte, das Reich, dessen Vision er
beschwor – das alles bedeutete ihm im letzten nichts.“ (531). Hitler
hat solche Geistesgrößen, wie ihn selbst, ins Verderben
geführt. „Alles kann ich mir vielleicht verzeihen: Sein Architekt
gewesen zu sein, das lässt sich vertreten; dass ich als sein
Rüstungsminister tätig war, dafür könnte ich mich
rechtfertigen. Es ist auch eine Position denkbar, von der aus sich die
Beschäftigung von Millionen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in
der Industrie verteidigen läßt, auch wenn es nie meine Position
gewesen ist. Aber schlechterdings ohne Schutz stehe ich da, wenn ein Name wie
der von Eichmann fällt.“ (531) Für den „krankhaften
Hasser“ Hitler, der vom Antisemitismus getrieben war, schämt er sich
vor seiner Frau und fragt sich, wie er es seiner Tochter Hilde erklären
soll, „die mit dem ganzen Feuer ihrer zwanzig Jahre Briefe und Appelle
verfaßt, Sympathien zu mobilisieren versucht, Reisen unternimmt und
interveniert, um den Vater freizubekommen“ (531-532).

Im Gefängnis wird Speer zum verständnisvollen Völkerkundler: So
bemerkt er, dass die jüdischen und schwarzen Wärter „als erste
die feindselige Schranke [zwischen Wärter und Bewachte] überwanden.
Sie schienen uns, nicht zuletzt aufgrund eigener Erfahrung, als
Unterdrückte anzusehen, denen Mitgefühl zukomme.“ (42) So wird
Deutschland bei Speer zum „nigger of the world“, der – und
dafür steht ja auch das Spandauer Gefängnis – von den Amis,
Briten, Russen und Franzosen unterdrückt wird. Aber auch der Feind will
analysiert sein. Die Russen sind brutal und schlau, die Amis harmlos und
ungebildet (409). Speer verteilt Sympathiepunkte: Es gewinnen die
französischen Wärter, gefolgt von den Russen, gleich auf mit den
Briten, und abgeschlagen auf dem letzten Platz landen die Amis (543). Dies
deckt sich zwar nicht mit dem beschriebenen Knastalltag (die Amis sind am
nettesten, unkompliziertesten und zollen Speer die meiste Anerkennung für
seine Arbeit), korrespondiert aber mit der Speerschen Theorie, dass die
normalen Russen eigentlich ganz in Ordnung seien, aber von sadistischen
Stalinisten tyrannisiert werden (wie die Deutschen unter Hitler), während
die Amis keinen Befehl und Gehorsam kennen und sich deswegen zu eigentlich ganz
annehmbaren Chefs böse Untergebene gesellen. Trotzdem konstruiert Speer
eifrig Landhäuser für seine Wärter und beachtet dabei sogar
landestypische Eigenheiten. Den Amis pflanzt er z.B. eine große
Nationalflagge in den Garten, die „das amerikanische Nationalbewusstsein
darstellen [soll], das mir bei Soldaten und Offizieren oft in erstaunlicher
Form, nicht selten auch in Auswüchsen entgegentritt.” (81) Speer
fühlt aber nicht nur die Liebe des schwarzen Volkes mit dem ebenfalls
kolonialisierten und versklavten deutschen Volk – so beschwert er sich
z.B. über die jederzeit verweigerbare und von ihm trotzdem so bezeichnete
Zwangsarbeit im Gefängnis und ganz allgemein über die Zwangsarbeit
für deutsche Kriegsgefangene und fragt anklagend: „Wo ist hier der
Richter?“ (55) –, sondern er praktiziert auch aktiv die
Völkersolidarität. Generös berichtet er, wie er einen
litauischen Wärter, der ihn geschlagen habe, nicht denunziert, damit er
nicht seinen Job verliert, „weil, wie ich ihm sage, er sein Vaterland
verloren habe.“ (82) Deswegen hat Speer ganz recht, wenn er schreibt:
„Ich war kein Antisemit, das Rassedenken schien mir stets eine Schrulle;
ich hielt auch nie etwas von der darwinistischen Totschlagstheorie“ (609).
Speer ist nämlich gebildet genug, um zu wissen, dass sich die deutsche
Volksgemeinschaft auch ohne das rasende, irrationale Ressentiment gegen Juden,
Slawen, Bolschewisten, Amis und Asoziale hätte durchsetzen können
– nämlich mit einem wohlüberlegtem
Überlegenheitsgefühl gegenüber jenen, was dann aber nicht
antisemitisch, rassistisch oder darwinistisch ist, sondern philosemitisch,
antirassistisch und sozial. Getreu der Devise: Ich weiß am besten, was
für die Juden/Neger/Penner gut ist, denn ich habe sie durchschaut und
werde ihnen helfen. Deswegen kann Speer selbst den Kalten Kriegern fünf
Jahre nach Kriegsende aus dem Gefängnis heraus noch eine Lektion erteilen.
„Westliche Wärter führen nach den Erfolgen ihrer Seite in Korea
dumme Reden: ‘Man muß alle Russen totschlagen!’ Schon stimmen
manche Mitgefangenen ein. Gelegentlich halte ich den einen wie den anderen
entgegen, daß sie auf dem besten Wege seien, den Unterschied zwischen der
Bekämpfung einer Doktrin und eines Volkes wieder zu vergessen. Jetzt sagt
dieser und jener .. ich sei prokommunistisch. Die Anschauungen, zu denen ich
während der Nürnberger Prozesse... gelangte, fangen an, unmodern zu
werden.“ (248) Speer – ganz der Pazifist – wünscht sich
hingegen nur eins: „Wenn nur kein Krieg kommt!“ (248)


Vater
und Sohn I – Das Vermächtnis


Die sechs Kinder von Albert Speer sind mitten im Machtzentrum des Dritten
Reichs aufgewachsen. Das älteste Kind, nämlich Albert Speer, war zum
Ende des Dritten Reichs zehn Jahre alt. Die Familie Speer hat auf dem
Obersalzberg einen Landsitz. „Wie ausgelassen waren meine Kinder, wenn ich
Zeit hatte, sie mit dem schnellen BWM-Sportwagen ... auf das Adlernest Hitlers
zu fahren.“ (207) Die Kinder Speers werden zu den wichtigen Feiern und
Veranstaltungen der Führung mitgenommen. So geben sie zu Hitlers
Geburtstag ein Ständchen und überreichen Blumen an den Führer.
Die Fotos vom kinderlieben Hitler, der Albert Speer jun. den Kopf
tätschelt, erscheinen anschließend in den Zeitungen des Reichs
(99).

Nach der Verhaftung 1945 reißt der Kontakt von Speer zu seiner Familie
nicht ab. Ganz im Gegenteil nimmt der Vater regen Anteil am Leben seiner
Kinder. Das Verhältnis ist zwar sehr sachlich, distanziert, was aber nicht
an politischen Meinungsverschiedenheiten liegt – denn darüber wird
nicht berichtet und Speer berichtet in seinem Tagebuch auf über 660 Seiten
über ausnahmslos alles –, sondern am patriarchalen
Rollenverständnis des Vaters. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die
Kinder wegen ihrem Vater in Konflikt mit ihrer Umwelt geraten. So zieht die
Familie Speer 1947 in das Haus der Großeltern väterlicherseits in
Heidelberg und wird „überall mit Sympathie behandelt.“ (101)

Das Schulzeugnis von Albert jun. wird ins Gefängnis geschickt (93), ein
anders Mal sind es Laubsägearbeiten von Albert, die seinen Vater zu
Weihnachten beglücken (52),1952 schreiben Albert und die Tochter Hilde
ihrem Vater stolz über ihren ersten Ballabend. „Sie haben bis vier
Uhr morgens gebummelt. Ihr Brief strömt über von Glück und
Erwartungsgefühlen. Sie haben das Leben wirklich noch vor sich.“
(275) Damit sie sein Erbe fortsetzen können, stellt er aus seinem
Vermögen für jedes Kind 60.000 DM zur Verfügung und weist an,
dass sie davon studieren sollen. (346). Albert besucht seinen Vater ein paar
Mal im Gefängnis (die Besuchszeiten sind recht eingeschränkt). Mit 18
Jahren ist Albert sehr erregt, dass er seinen Vater sehen darf (348), mit 26
Jahren drückt Albert seinem Vater entgegen der Gefängnisordnung
herzlich die Hand (548). Drei seiner Kinder spielen 1954 für ihren Vater
eine Schallplatte ein – Albert betätigt sich dabei als Cellist (406).
Der Vater kauft seinen Kindern einen Dackel, lässt sich die Fotos
schicken und bedenkt das Vieh zu Weihnachten mit einer Wurst, wovon die Kinder
wiederum freudig berichten (367, 396, 407). Im Januar 1960 notiert der Vater im
Tagebuch nach einem Besuch von Albert: „Wir behandelten seine
Studienprobleme; er will Architekt werden. Bevor wir uns privaten Dingen
zuwenden konnten, war die halbe Stunde vorbei.“ (520) Studienprobleme
scheint es allerdings nicht zu geben, denn schon im November 1960 gratuliert
der Vater seinen Sohn bei einem erneuten Besuch zur Erlangung des Diploms
(534). Dann geht es Schlag auf Schlag: 1962 gewinnt Albert jun. seinen ersten
Architekturwettbewerb und der Vater nimmt es stolz zur Kenntnis (567). Weitere
berufliche Erfolge übermittelt Albert teilweise im Monatsrhythmus seinem
Vater telegrafisch (652, 646, 653). Nach der Entlassung zieht sich die gesamte
Familie für 14 Tage auf ein Landhaus in Schleswig-Holstein zurück.
Alle verzweifelten Bemühungen, ihren Vater vor Ablauf der Haftstrafe von
20 Jahren freizubekommen, haben trotz Petition der Heidelberger Bürger,
trotz der vom Auswärtigen Amt finanzierten Reise der Ehefrau nach Moskau,
trotz dem Vorsprechen von Tochter Hilde bei allen wichtigen deutschen und
ausländischen Politikern und sonstigen Honoratioren, trotz des
volksgemeinschaftlichen Engagements quer durch Deutschland nichts genutzt. Doch
nun weilt der Vater wieder unter ihnen und schaut, wie sie sein
Vermächtnis an die Nachwelt, ausgesprochen im Schlusswort beim
Nürnberger Prozess, erfüllen: „Wertvolle Menschen lassen sich
nicht zur Verzweiflung treiben. Sie werden neue, bleibende Werke schaffen, und
unter dem ungeheueren Druck, der auf allen lastet, werden diese Werke von
besonderer Größe sein.“(21) Es lässt sich
ohne Abstriche behaupten, dass Albert Speer jun. diesen Anspruch aufs
mustergültigste eingelöst hat.

Albert Speer jun.(22) 

Die Geschichte seines Vaters ist für den Sohn keine Peinlichkeit, sondern
eine ehrbare Tradition, an die es sich lohnt anzuknüpfen. Er nennt sein
Büro “Albert Speer & Partner”(23), obwohl
dieser Name unauslöschlich im Gedächtnis aller Opfer des
Nationalsozialismus eingebrannt bleibt. Da es jedoch kaum Überlebende des
Holocaust und der Zwangsarbeit gibt, dafür um so mehr Deutsche, denen der
Name Speer nach 1945 noch vertrauter ist als davor, scheint es nur logisch,
seine Firma so zu nennen.

Ansonsten mag sich Speer jun. mit seiner Familiengeschichte nicht
beschäftigen. Obwohl es auf der Hand liegt, sich – wenn schon nicht
aus biografischen Gründen, so doch aus fachlichen – mit den Arbeiten
seines Vaters zu beschäftigen, findet sich bei Albert Speer nichts davon.
Ganz im Gegenteil: Als größte architektonische Sünden seit 1937
(!) benennt er nicht etwa die Arbeiten seines Vaters, sondern die 60er-Jahre
Visionen von der „autogerechten Stadt“, „Wohnmaschinen“,
„Wiederaufbau mit Hochhäusern“,
„Hauptbahnhofsüberdachungen“ (13)(24). Ganz im
Zeittrend macht der Sohn nämlich auf Ökologie, nachhaltige
Stadtplanung und partizipative Demokratie; seine Visionen sind aber genauso
umfassend und großspurig wie die seines Vaters – er gilt also nicht
umsonst als einer der berühmtesten deutschen Architekten. Er baut in
Saudi-Arabien und Algerien, konzipierte die Expo 2000 und entwickelte die
Bewerbungskonzepte für die Frankfurter, Berliner und nun auch die
Leipziger Olympia-Bewerbung.(25)

Das ist zwar alles nicht ökologisch, nachhaltig und bürgernah –
aber Speer versteht darunter auch etwas anderes. Seine Ökologie
mündet im Lamentieren über die “Amerikanisierung” der
Stadtplanung (117), die mehr Bausubstanz zerstört habe als der Zweite
Weltkrieg (66)(26). Unter Nachhaltigkeit versteht er eine
Bauweise, die die Armut „gerecht“ verwaltet und die sich den
vermeintlichen traditionellen Lebensweisen der örtlichen Bevölkerung
anpasst – und mögen sie noch so reaktionär sein. An einem Hotel
in der Elfenbeinküste kritisiert er den Stromverbrauch, der so hoch sei
wie der einer ganzen Provinz – ihn stört weder die Unterversorgung
der Provinz noch die Verschwendung im Hotel, sondern nur das
Missverhältnis zwischen den beiden innerhalb eines Landes (67). Er
belächelt saudi-arabische Architekten, die der westlichen Bauweise
nacheifern wollten und deswegen die separaten Treppenaufgänge für
Frauen vergaßen. Die „Wohnhochhäuser nach westlichen Vorbild
... widersprechen den Lebensbedingungen der Saudis, abgesehen davon, daß
ihre komplizierten technischen Einrichtungen wie Lifte und Wasserversorgung auf
die Dauer kaum zu unterhalten sind.“ (66) So was könnte ihm, dem
völkischen Experten, nicht passieren. Er hat nämlich von seinem Vater
nicht nur gelernt, dass die islamistische Moral wichtiger als das Grundrecht
auf Wasser ist, sondern auch folgendes: „Mit der kritiklosen
Übernahme europäischer und amerikanischer Bauformen wird in den
Entwicklungsländern kulturelles Erbe vernichtet. Das aus den heimischen
Bedingungen ‘gewachsene’ Bauen ... ist überall in der Welt in
höchster Gefahr. ... ganze Anlagen werden abgerissen. Es gehört keine
prophetische Gabe dazu, wenn man voraussagt, daß die nächsten
Generationen in den Entwicklungsländern allen denen, die heute bedingungs-
und bedenkenlos ‘westliche’ Bauformen ohne Rücksicht auf die
Konsequenzen kopieren, eine Todsünde wider ihre Kultur und ihre Geschichte
und somit wider ihren nationalen Stolz ankreiden werden. ... Uniformität
unterdrückt die Identität von Stadtbewohnern. Wo die Städte vor
noch gar nicht langer Zeit unverwechselbar waren, breitet sich heute eine
überall ähnliche Mischung unterschiedlichster Stile und Elemente aus,
geht der ureigene Charakter verloren. ... In den Entwicklungsländern
verhindern die örtlichen, westlich ausgebildeten Baubürokratien immer
wieder den Ansatz zu einem eigenen, sich auf lokale Baumaterialien und
überliefertes Handwerk stützenden Wohnungsbau. ... In den
Entwicklungsländern, mehr noch als bei uns, plant man immer wieder
Übertriebenes, um nicht zu sagen Größenwahnsinniges. ... Wenn
dort nicht rechtzeitig und auf die Bedürfnisse bezogen geplant und gebaut
wird, entstehen Krisenherde, die detonieren können wie Bomben.“
(65-70) In dieser schon 1980 im Auftrag der Bundesregierung erstellten Studie
zum Thema „Entwicklungshilfe durch Planen und Bauen – aber wie?“
verschmilzt Speer die Gedankenwelt seines Vaters mit den neuen und prophetisch
klingenden Anforderungen an die deutsche Außenpolitik. „Die
Bundesrepublik Deutschland muß in den nächsten Jahren in Riad, der
Hauptstadt Saudi-Arabiens, eine Botschaft bauen. Gerade in diesem Land, das
Öl im Überfluß hat, könnte mit neuen Baumethoden und
Materialien sowie durch Ausnutzung der Sonnenenergie eine Art Markstein gesetzt
werden, der große Multiplikatorwirkung erzielt. Der Begriff der
‘Repräsentation’ kann da zusätzlichen, neuen Inhalt
gewinnen.“ (70).

Der selbsternannte Experte der Gesellschaft für bedrohte Bauweisen,
der mit den Bomben in der Dritten Welt droht, um sich selbst mehr Aufträge
zuzuschanzen, bei denen zwar nicht an Geld, Strom und
Wasser(27), aber eben auch nicht an getrennten
Treppenaufgängen gespart wird, sorgt sich– ganz im Sinne seines
Vaters – um die Vielfalt und Einzigartigkeit deutscher Städte.
„Lebensqualität besteht ... auch aus der Qualität und
Vielfältigkeit der gebauten Umwelt. ... Stadtgestaltung bedingt die
Auseinandersetzung mit örtlichen Besonderheiten.“ (79) Zu verhindern
sei „das weitere Hineinfressen der Städte in die Landschaft“, um
das drohende „Auseinanderfallen der Funktionszusammenhänge“ und
„die Zerstörung der Struktur der Innenstädte“ (117)
aufzuhalten. Er bezeichnet diese Entwicklung als „Amerikanisierung“
und hält dagegen: „Die Innenstadt verkörpert im wesentlichen das
Ambiente und die Identität einer Stadt. Dies muß sich sowohl in der
baulichen wie auch in der funktionalen Ausprägung nach außen
darstellen. Baulich bedeutet dies, daß man sich nicht am
‘Einheitsbrei’ der austauschbaren westdeutschen
Fußgängerzonen-Innenstädte orientieren soll, sondern eigenen
Charakter, eigene Architektur, eigene Gestalt entwickeln muß.“
(118). Speer schrieb dies alles 1991 in der F.A.Z. in Bezug auf Leipzig und
wurde dann mit der Neugestaltung der gesamten Prager Straße belohnt. Es
ist zwar unklar, was der Charakter der Stadt Leipzig sein soll bzw. ob eine
Stadt überhaupt einen Charakter haben kann, die Prager Straße –
eine der hässlichsten und imperialisten Straßen der Stadt –
aber als Ausdruck genau dessen zu bezeichnen, ist eine Unverschämtheit.
Dies auch vor dem Hintergrund, dass Albert Speer im gleichen Beitrag der
DDR-Architektur vorwarf, zu „gesichts- und geschichtslosen
Innenstädten geführt“ zu haben, „die hauptsächlich
geprägt sind durch maßstablose Gebäude, riesige, leere
Verkehrsflächen und mit Blumenrabatten dekorierte öffentliche
Räume“, wo der Mensch „orientierungslos ... in immer
ähnlich aussehenden Innenstadtfragmenten“ bzw. in der
„menschenverachtenden Leere“ verloren sei (116). Die
„menschenverachtende Leere“ allerdings geht heute allein auf das
Konto von Albert Speer. Er beriet nämlich die Stadt 1992 und prophezeite
ihr, dass sie viel mehr Büroräume bräuchte (127) –
woraufhin er verteilt im gesamten Stadtgebiet seine vom Vater so
geschmähten Hochhäuser hinsetzen durfte. Aber irren ist menschlich.
Unmenschlich hingegen sind die Aktiengesellschaften. „Die
Investorenpersönlichkeit, die selbst bereit ist, Risiko zu tragen und zu
entscheiden, wird abgelöst von anonymen Geldverwaltungsgesellschaften, die
sich in Unflexibilität und fehlender Entscheidungsfreude immer mehr dem
Verhalten öffentlicher Verwaltung annähern.“ (99) Speer wettert
gegen die „aufgeblähte Verwaltungsbürokratie ...
Ressortegoismen, Grabenkriege zwischen Dezernaten, ... Atomisierung der
Verantwortlichkeiten, ... ständige Bedenkenträger, neue, immer
perfektere Vorschriften und Gesetze in einem nicht mehr zu durchschauenden
Ausmaß“. Er hat die Demokratie mächtig satt, da sie die
innovative Stadtplanung nur behindere. „Die Vertrauenskrise zwischen
Bürger und Rathaus ist längst Tatsache.“ (99) Der Ruf nach einem
neuen Führer? Nein: Speer fordert vielmehr mehr Bürgerbeteiligung und
Fachverstand durch Experten wie ihn, statt Politik und Bürokratie (77).
Albert Speer trat zwar in beruflicher wie in ideologischer Hinsicht in die
Fußstapfen seines Vaters, aber er ist kein Nazi. Das liegt wohl eher an
der von beiden stets beklagten „Amerikanisierung“ Deutschlands, als
an einer kritischen Auseinandersetzung des Sohns mit seinem Vater. Unter den
geänderten Bedingungen konnte der Nachfolger nur kleine Schritte machen
– und hat sich nun aber zu einem der wichtigsten Architekten
hochgearbeitet. Sein Vater würde nicht alles gut finden, was der Sohn
gebaut hat – aber es ist ganz in seinem Sinne. Noch ist der
größte Menschheitsfeind für den jungen Speer nur der Lärm
in den Großstädten(28) und das drängenste
Problem das „Fremdparken auf Gehwegen“ (113), sprich die urbane
Lebensqualität für die Bürger. Es steckt aber gewiss noch mehr
in ihm – und wir werden davon hören.


Vater
und Sohn II – Die Erfüllung


„Jene Gebiete [die Ostprovinzen des Deutschen Reichs] waren doch auch
in kultureller, handelspolitischer und allgemeinpsychologischer Hinsicht die
Verbindung Deutschlands mit Rußland sowie überhaupt mit dem Osten.
... Der Osten Deutschlands war das große Durchgangstor zwischen
westlichem und östlichen Geist. Das ist nun nicht mehr.“

Albert Speer sen. (1954)(29)

„Die Aufhebung der politischen Zwangsgrenzen im Osten macht erneut
deutlich, daß Deutschland in der Mitte Europas liegt, mit entscheidenden
geographischen Standortvorteilen für die wachsenden internationale
Verflechtung und Zusammenarbeit.“

Albert Speer jun. (1989)(30)


Ausklang


Speer jun. ist so borniert, nationalistisch und gefährlich wie wohl
fast alle anderen seiner Zunft in Deutschland. Der eigentliche Skandal liegt
also nicht darin, dass Albert Speer jun. wie sein Vater Architekt geworden ist.
Auch nicht darin, dass er die Olympiade 2012 nicht nur architektonisch
gestalten will – auch wenn das nicht gerade von seinem
Geschichtsbewusstsein zeugt. Untragbar wird Speer allerdings aufgrund seines
völlig unkritischen Verhältnisses zu seinem Vater. Er hat in
persönlicher und ideologischer Hinsicht nie den Bruch mit seinem Vater und
seiner eigenen Kindheit vollzogen.

Der eigentliche Skandal liegt jedoch darin, dass die Stadt Leipzig Albert
Speer beauftragt, als sei nichts gewesen. Sie hält es nicht einmal
für nötig, zu den auf der Hand liegenden Parallelen – Architekt
Olympia 1936 in Berlin: Albert Speer, Architekt Olympia 2012 in Leipzig: Albert
Speer – Stellung zu nehmen. Nicht nur die Täter des Dritten Reiches,
sondern auch die wenigen noch lebenden Opfer können sich daran erinnern,
wie Adolf Hitler dem 8-jährigen Speer über den Kopf streichelt und
das Foto als Beweis für Hitlers Kinderliebe in allen Zeitungen des Reiches
erschien.

Es ist zu betonen, dass auch ein anderer deutscher Architekt keinen Ausweg
aus dem Dilemma geboten hätte. Denn diese Vergangenheit teilen wir alle,
wenn auch nicht alle so prominent und so unverblümt unkritisch wie die
beiden Speers. Deswegen kann auch die einzige Forderung nur lauten: Nie wieder
Olympia in Deutschland.

Anti-Speer-Speerspitze im AOK, 02.03.2004

http://www.nein-zu-olympia.de' target='_top'> http://www.nein-zu-olympia.de

Fußnoten


(1) Albert Speer: Spandauer Tagebücher, Propyläen:
1975, S. 616

(2) Albert Speer: Die intelligente Stadt, DVA: 1992, S. 66, 79

(3) http://www.nein-zu-olympia.de' target='_top'> http://www.nein-zu-olympia.de. Dort ist auch das Flugblatt
dokumentiert, was bei der Veranstaltung auf der Messe verteilt wurde (http://www.nein-zu-olympia.de/html/texte/flugi200204.htm'> http://www.nein-zu-olympia.de/html/texte/flugi200204.htm).

(4) Dass der gleichnamige Sohn von Albert Speer, der mit der
Namensgebung seiner Firma seinem Vater huldigt, von der Stadt Leipzig mit den
Olympiaplanungen beauftragt wurde, ist in Leipzig seit mehreren Jahren
allgemein bekannt. (siehe z.B.: Jungle World 28/2001)

(5) Der Nürnberger Prozeß, Digitale Bibliothek 1999,
S. 81

(6) Alle folgenden Seitenangaben beziehen sich – sofern
nicht anders angegeben – auf die Spandauer Tagebücher. Schon
in diesen Tagebüchern entlarvt sich Speer selbst genügend. Allerdings
ergibt ein Abgleich mit weiteren Dokumenten über Speer und seinen Aussagen
vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, dass selbst da, wo es in den
Spandauer Tagebüchern nicht herauszulesen ist, Speer lügt,
verdrängt und verharmlost. Nicht trotz, sondern gerade deswegen gelten die
Tagebücher heute in Deutschland als wichtige Quelle über das Dritte
Reich, fehlen in keiner Bibliothek – mag sich auch noch so klein sein
– und werden auf diversen Internetseiten wärmstens empfohlen. Ein
Abgleich der Tagebücher mit anderen Quellen wird in diesem Text aus Zeit-
und Platzgründen nicht vorgenommen.

(7) Otto Köhler: Wirkliche Verbrecher: Der gute Nazi.
Konkret Nr. 10/1997, S. 60

(8) Nach Auswertung der Protokolle der Nürnberger Prozesse
kommt Jörg Friedrich (ja, genau der, der inzwischen erkannt hat, dass es
erfolgversprechender ist, für die Deutschen zu schreiben) zu dem Schluss,
dass Speer der „Pionier der deutschen Vergangenheitsbewältigung“
ist: „Die geteilte Verantwortung hat auch ein geteiltes Resultat: Im
persönlichen Sektor ist niemals Schuld zu finden. Die Gesamtverantwortung,
weil man dabei oder dafür gewesen war, wird nobel akzeptiert. Wer ohne
Schuld ist, werfe den ersten Stein. Das einzige, was hier hilft, ist
tätige Reue...“ (Jörg Friedrich: Die kalte Amnestie.
NS-Täter in der Bundesrepublik, Piper: 1994, S. 55)

(9) Schon vor Veröffentlichung seiner Bücher ist Speer
aufgrund seiner Haltung nach Dönitz, Schacht und Göring der
viertbeliebteste NS-Verbrecher. 1952 gaben in einer Umfrage des Allensbacher
Instituts 30% der befragten Deutschen an, dass sie von Speer eine positive
Meinung hätten, nur 9% hatten eine negative. (342)

(10) Selbst in den USA kann Speer 19 Millionen seiner
antiamerikanischen Spandauer Tagebücher verkaufen. (Hark Bohm:
Geheim im III. Reich, konkret 03/1982, S. 105)

(11) Hitler ordnete bei Kriegsende an, die gesamte Infrastruktur
in Deutschland zu zerstören, da sein Volk ihn enttäuscht und damit
sein Lebensrecht verwirkt habe und um den alliierten Streitkräften nichts
in die Hände zu geben.

(12) Hinzu kommt, dass der nationalsozialistische Charakter von
Speers Architektur kaum hinreichend analysiert wurde. Meist ist die Rede davon,
dass die unpolitische Handwerksfähigkeit und das ahistorische
Kunstverständnis des Albert Speers von den Nazis missbraucht wurde.
Deswegen wurden etliche Ideen von Speer nach 1989 für die Berliner
Stadtplanung – z.B. die Ost-West-Achse – wieder aufgegriffen. (siehe
Jungle World 04/2001 und 07/2002).

(13) Auch wenn er es etwas unter seinem Niveau findet,
amerikanischen Wärtern Landhäuser zu entwerfen, wo er doch zu
größerem berufen ist.

(14) Er steht über allen und beschreibt in einem arroganten
Tonfall die Schwächen der Gefangenen und die „rassischen“
Eigenheiten der Wärter.

(15) So beschließt Albert Speer, dass sein Sohn Albert ein
Handwerk erlernen soll, damit er nicht so vergeistigt, sondern sich mit
ehrlicher Arbeit sein Geld verdienen kann. (93)

(16) Er wandert im Gefängnishof täglich mehrere
Kilometer, deren Anzahl er genau notiert und stellt sich vor, einmal die Erde
zu umrunden. Deswegen kann er dann davon schreiben, er wäre gerade in der
sibirischen Tundra oder in Mexiko.

(17) Als solchen sieht er sich, weil es niemand anderen mit den
drei wichtigen Voraussetzungen gibt: lebend, objektiv, nah genug dran.

(18) Speer ist vor allem sauer, dass Saur „mich am Ende
durch dienernde Schönrednerei bei Hitler ausmanövriert hatte. ... In
dem Testament, das er kurz vor seinem Tode verfasste, hat er mich dann auch als
Rüstungsminister abgelöst und Saur zu meinem Nachfolger
ernannt.“ Diesen Vertrauensbruch konnte Speer nicht verwinden und
intrigierte seitdem mit allen Mitteln gegen Saur. (59-61)

(19) Nazi gewesen zu sein, wurde zur wichtigsten
Zulassungsvoraussetzung für diese höchste Auszeichnung der BRD. Speer
ging leider leer aus. Es sollte ihm posthum verliehen werden.

(20) An anderer Stelle fragt er sich: „Und welches Licht
wirft das auf mich!“ (61)

(21) Die kalte Amnestie, S. 55

(22) Über den Sohn lässt sich nicht so ausgiebig
berichten, da er noch nicht im Knast saß und somit seine Tagebücher
nicht veröffentlicht wurden. Folgende Ausführungen stützen sich
deswegen auf Interviews mit und Zeitungsartikel über Albert Speer, seine
Homepage, seine Publikationsliste und sein Buch.

(23) http://www.as-p.de/' target='new'> http://www.as-p.de/

(24) Alle folgenden Seitenangaben beziehen sich – sofern
nicht anders angegeben – auf Die intelligente Stadt

(25) In Frankfurt scheiterte er allerdings mit seinen
Plänen – die Stadt ist einfach zu modern und pluralistisch. In
Leipzig hingegen „war eine hundertprozentige Begeisterung ...
vorhanden“, wie er anerkennend in einem Interview hervorhebt.
(„Speers Freude über Leipzigs Sieg“, Frankfurter Rundschau,
15.04.2003)

(26) Der Vater schrieb in den Tagebüchern: „Jetzt sehe
ich in den Zeitungen, daß Hochhäuser nicht nur in den
mittelgroßen Städten ... entstehen, sondern auch in den malerischen
Städtchen in der Lüneburger Heide ... Manchmal kommt es mir so vor,
als finde hier eine zweite und von eigener Hand ausgeführte
Verwüstung Deutschlands statt.“ (616-617)

(27) Entgegen seiner Verlautbarungen baute er natürlich im
Trikont nur repräsentative Projekte mit nationaler Relevanz:
Hauptstädte (Nigeria, 1987), Botschaftsviertel (Riad, 1977-1985),
Ministerien (Nigeria, 1992), gehobene Wohnviertel usw. Analog dazu seine
Aufträge in Deutschland. (203-205)

(28) Während für den Vater der Kampf gegen den
Lärm nur eine marginale Rolle gespielt hat. Als Leiter des Amtes
„Schönheit der Arbeit“ verabschiedete er am 11. Februar 1936
einen entsprechenden Aufruf gegen den Lärm und andere unschöne
Erscheinungen am Arbeitsplatz. (Manfred Overesch u.a., Das Dritte Reich,
Droste, S. 260)

(29) Spandauer Tagebücher, S. 364

(30) Die intelligente Stadt, S. 168


 

17.03.2004
Anti-Speer-Speerspitze im AOK Leipzig    [Schwerpunkt: Anti-Olympia-Demo in Leipzig]  Zurück zur Übersicht

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