Hamburg: Fahnen auf Halbmast! - Noch 'ne Stellungnahme zum 31. Januar
Pauschalisierst du noch, oder denkst du schon aka reich und sexy sucht...
In der „heavy-rotation- Wiederholungsschleife“ laufen sich die Positionen "Wir sind die Guten - Ihr seid die Bösen" heiss und die "schweigende Mehrheit" soll sich an diesen Polen aufreiben. Konstruktiv ist das nur in einigen Situationen und dann auch nur kurzfristig. Langfristig werden hier nur Positionierungen an den Gegenpolen antiimperialistisch (alias Palästinasolidarität) und antideutsch (alias Bahamas) verfestigt, politische Diskussionen auf Schrebergartenniveau geführt und Handlungsfähigkeit erschöpft sich in Grabenkämpfen. Ziel dieses Textes soll sowohl ein Plädoyer für ein "Dazwischen" sein, als auch den Begriff "antideutsch" aus der einseitigen Definition durch den Bahamas-Dunstkreis zu lösen. An dieser Stelle also einige Gedanken, die weder der Weisheit letzter Schluss noch auf eine Vermittlung konträrer Positionen angelegt sind.
Unser politischer Ausgangspunkt ist ein antideutscher, der sich von und wegen Auschwitz herleitet und so die Art der Analyse und des Blickes auf deutsche Verhältnisse bestimmt. Dieser Bezugspunkt und in der Folge Israel, sind innerhalb der deutschen radikalen Linken als eine wichtige Grundlage für Politik zu benennen. Antisemitische Positionen sind hiermit für uns nicht vertretbar, gleich in welchem Gewand sie auftreten. Seien es Aufrufe zum Boykott Israels, zur Solidarität mit der Intifada oder wenn sie als verkürzte bzw. personalisierte Kapitalismuskritik und Verschwörungstheorien daher kommen. In diesem Sinne geht es uns weniger um eine Positionierung im aufgeladenen Nahost-Konflikt, als zu gucken, wo hier antisemitische Ressentiments bestehen, die dort ihre Projektionsfläche finden.
Trotz dieses Grundverständnisses finden wir es falsch, mit diesem Punkt Identitätspolitik zu betreiben. Denn allein das Schwenken einer Israel-Fahne macht uns noch nicht zu "den Guten". Soll heißen, ein Politikansatz, in dem die Solidarität mit Israel für eigene identitäre Zwecke instrumentalisiert und als das einzige "non plus ultra" linker Politik stilisiert wird, lehnen wir ab. Das Zurückfallen in die Zeiten von Haupt- und Nebenwidersprüchen ist auch heute weder produktiv noch konstruktiv. Kurzfristig vermag Identitätspolitik von erfrischender Durchschlagskraft sein, besitzt ein Mobilisierungsvermögen und macht Grenzen und Trennungen auf unmissverständliche Art und Weise deutlich. "Wir sind die Guten" läßt sich dann in die Welt hinausbrüllen. Aber wer ist "wir"? Diese Frage muss wohl immer wieder erneut beantwortet werden, ebenso wie die der „Guten“.
Eine streitbare Position muss also her!
So können die Ereignisse auf der Antifa-Demo in Hamburg vom 31.01.2004 als symptomatisch für diesen Konflikt gewertet werden. Auch wenn die Ansage galt, dass keine Nationalfahnen im linksradikalen Block mitgebracht werden sollten, stellt sich die Frage, warum ein paar Fahnen Teile der Demo so in Rage bringen können. Schließlich wurden jahrelang Fahnen von der Sowjetunion über Kuba bis hin zu Palästina (je nach Anlass auch noch von Kurdistan, Jugoslawien oder Irak) geschwenkt - ohne großen Widerspruch zu ernten. Ganz zu schweigen von der DKP, die noch immer ein Deutschlandfähnchen auf ihrem Banner trägt. Doch erst seit auch Israel- und USA-Fahnen auf Demos auftauchen, wurde sich auf den "Anti-Nationalismus" der Linken berufen, um von nun ab jegliche Fahnen zu unterbinden. Und auch wenn wir von je her sämtliche Nationalfahnen abgelehnt haben und auch heute nicht wirklich verstehen können, was so geil am Fahnenschwenken sein soll, ist für uns eins klar: Da es Israel auch heute noch immer wieder zu verteidigen gilt, ist diese Fahne für uns die Letzte, gegen die wir uns aussprechen würden.
In diesem Sinne finden wir auch die Stellungnahme des Vorbereitungskreises wenig erhellend. Zum Einen wird die Fahnen-Diskussion nicht transparent dargestellt und zum Anderen wird nur formale Kritik geübt, die inhaltliche Punkte unbeachtet lässt. Weiterhin werden die antisemitischen Äusserungen am Rand der Demo verortet. Klingt nach zufällig anwesenden Personen, die nicht zugeordnet werden können und die organisierten Zusammenhänge sind fein aus dem Schneider. Wir sehen hier den fehlenden Willen, sich inhaltlich auseinanderzusetzen, um festzustellen, dass ein plattes "gegen Nazis" nicht mehr als Minimalkonsens taugt. Denn wie bereits gesagt: bei Rufen wie "Scharon Faschist" oder "Intifada bis zum Sieg" hört für uns die Bündnisfähigkeit auf und solche Leute gehören von der Demo geschmissen!
Im Sinne unser bereits geäusserten Ablehnung von Identitätspolitik und krudem Symbolismus können wir auch der immer noch hohen Palituchdichte auf Demos - auch bzw. gerade in den organisierten Reihen - nichts abgewinnen. Abgesehen davon, dass die schwarz-weissen Feudel einfach derbe unsexy sind und als Modeassesoir spätestens seit Anfang der 90er eingemottet gehören, stellen diese ein Symbol für eine Geschichte und einen politischen Ansatz und Praxis dar, den wir ablehnen. Da wir auf einer symbolischen Ebene Palitücher ähnlich wie Nationalfahnen beurteilen, sollten Gruppen, die sich gegen Nationalfahnen aussprechen, das Gleiche auch für Palitücher tun.
Um noch nun noch einmal auf das Fahnenthema zurückzukommen. Bei diesem Punkt finden wir es wichtig, zwischen den Fahnen der USA und Großbritannien und der von Israel zu unterscheiden. Erstere werden immer wieder als Fahnen der Alliierten, also der Befreiung angeführt. Hier stellt sich für uns die Frage, wo denn die Fahnen der ruhmreichen Sowjetarmee und der revolutionären französischen Armee abgeblieben sind? Denn wenn es einzig um Befreiung und den Kampf gegen Nazi-Deutschland ginge, wäre es die Sowjet-Fahne, die in der ersten Reihe wehen müsste. Abgesehen davon, finden wir das Tragen von GB- und USA-Fahnen problematisch, da sie nur in diesem bestimmten Kontext gesehen werden. Andere geschichtliche Bezüge (z.B. Kolonialismus und Vietnamkrieg), die für uns Herrschaftsverhältnisse implizieren, mit denen wir uns nicht solidarisieren wollen, werden ausgeblendet. Trotz allem würden wir ein kontextgebundenes Mitführen auch dieser Fahnen o.k. finden, wenn sie z.B. an der Naziroute direkt gezeigt würden, bzw. dort aus dem Fenster hängen, um den Nazis die Niederlage Deutschlands immer wieder vor Augen zu halten. Ähnlich wie es ja mit "Stalingrad"-Transpis und -Rufen immer wieder geschieht.
Kommen wir nun zum heißen Punkt: Die Israel- Fahne. Prinzipiell ist sie als letzte Konsequenz überall mit hinzunehmen. Allerdings bereitet es uns schon ein mulmiges Gefühl, ganz selbstbefreit zur Fahne zu greifen und sie zu schwenken. Als NachfahrInnen deutscher TäterInnen scheinen wir doch am wenigsten geeignet, uns diese Symbolik anzueignen und Identitätspolitik zu betreiben. Wir denken, dass es möglich sein muss, Solidarität mit Israel zu üben, ohne im Fahnenschwenken der Weisheit letzten Sinn zu sehen. Doch auch hier finden wir kontextgebundenes Handeln wichtig. Wenn z.B. Nazis gegen jüdische Einrichtungen hetzen und Solidarität mit Palästina propagieren, überwiegt für uns die Symbolik der Israel-Fahne als Ausdruck des Überlebens - nämlich dass sie es nicht geschafft haben, alle Juden und Jüdinnen zu vernichten. In solchen Fällen stellt für uns auch das Mitführen von Israelfahnen auf Antifa-Demos eine nachvollziehbare Reaktion dar. Allerdings fragen wir uns trotzdem, warum der Spruch "drei Deutsche, ein Verein" in diesen Fällen "zwei Antideutsche, fünf Fahnen" heißt... .
Wie bereits am Anfang erwähnt, sprechen wir uns gegen die Konstruktion eines neuen Hauptwiderspruches (Antisemitismus) aus. Statt dessen finden wir es für eine linksradikale Politik unabdingbar, die Gesamtheit der Macht- und Herrschaftsverhältnisse, wie z.B. Kapitalismus, Rassismus und Sexismus im Blick zu behalten. In diesem Zusammenhang lehnen wir den "essentialistischen backlash" einiger Antideutscher ab. Wurde in Teilen der Linken in den letzten Jahren versucht, Zuschreibungen wie "Volk" oder "Kultur" zu dekonstruieren, werden inzwischen ganze Regionen vereinheitlicht a la "Alle Araber sind Antisemiten". Und um "den Westen" als das zivilisatorische Herz der Welt darzustellen, werden auch schon mal rechts-konserative Theoretiker wie Samuel Huntington zitiert, um den "Clash of Zivilisation" zu beschwören.
Zum Schluß noch eine letzte Wiederholung: Geschlossene Weltbilder, totalitäre Positionen und ein Denken in Gut und Böse bringen nicht weiter. Klar müssen Grenzen gezogen, bestimmte Positionen ausgeschlossen und Bündnisse genau unter diesen Gesichtspunkten angegangen oder aufgelöst werden. Dabei finden wir es wichtig, genau zu gucken, welche Inhalte die Nazis haben, welche diesbezüglichen Diskurse es in der Gesellschaft gibt und welche Bündnisse aus linksradikaler Perspektive daher nicht mehr eingegangen werden können: Dazu gehören für uns die SPD (sowieso), die Grünen (Kriegstreiber...) aber auch die Palästinasolidarität und ihr völkisches Umfeld. Ein irgendwie gegen Nazis sein reicht halt nicht mehr aus, wenn von genau diesen Leuten Symbole des Staates Israel angegriffen und antisemitische Positionen vertreten werden. In diesem Sinne wird es Zeit, den Minimalkonsens entweder zu erweitern oder aufzulösen. Wie eine zukünftige Zusammenarbeit aussehen kann, welche Taktiken und Strategien gebraucht werden und wie mit sog. "Wahrheiten" umgegangen wird, muss Gegenstand einer Streitkultur bleiben. Genauso, wie der eigene Sprechort, z.B. als Nachkommen deutscher TäterInnen, als Ausgangspunkt für politisches Handeln genommen werden muss.
Deutschland und deutsche Verhältnisse angreifen!
Auf eine destruktive Zusammenarbeit!
Rapidas aka Pluralismusschleudern.
Mail: rapidas at nadir.org
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