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Wuppertal: Antifaschismus ist nicht kriminell, sondern selbstverständlich!

Weiterleitung:


Antifaschismus ist nicht kriminell, sondern selbstverständlich!

Oberlandesgericht hebt das Urteil eines Wuppertaler Amtsrichters auf. Die
Angeklagten waren beschuldigt am 11.01.03 auf dem Oberbarmer Bahnhof gegen
§21 Vers.G verstoßen zu haben und damit eine Nazi-Demonstration grob
gestört zu haben.
Am 29.03.2004 stellt das Oberlandesgericht fest: "Die tatrichterlichen
Feststellungen [...] tragen den Schuldspruch wegen gemeinschaftlicher
Störung einer Versammlung nicht. [...] Diese Feststellungen belegen nicht,
dass die Angeklagten "grobe Störungen" der genehmigten Versammlung i.S.v.
§21 Vers.G verursacht haben."

DIE PROZESSE GEHEN TROTZDEM IN DIE 2. INSTANZ. AM 16., 18. UND 28. JUNI 2004
JEWEILS UM 9:15 VOR DEM LANDGERICHT WUPPERTAL.

Die Hintergrundgeschichte

Als die NPD im Jahr 2002 den ersten neonazistischen Aufmarsch in Wuppertal
seit 1945 anmeldete, ging eine Welle der Empörung durch die ganze Stadt.
Sowohl der Oberbürgermeister Kremendahl und der ganze Rat der Stadt
Wuppertal als auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und viele andere
Initiativen riefen damals zu folgendem auf: "Gerade eine Stadt wie
Wuppertal, die nach rechtsextremistischen Übergriffen an der KZ-Gedenkstätte
Kemna zu besonderer Wachsamkeit und durch die Errichtung einer neuen
Synagoge ihren jüdischen Bürgern als neue Heimat besonders verpflichtet ist,
muss mit Zivilcourage und deutlicher Präsenz auf eine NPD-Demonstration in
der Stadt reagieren." (Erklärung des Rates, 22.08.2002)

Im Vorfeld dieser NPD-Demonstration vom 07.09.2002 bildete sich ein Bündnis
aus verschiedenen Initiativen, Institutionen, Gewerkschaften und der Stadt,
das sich "Wuppertal stellt sich quer" nannte und ein Gegenkonzept zu der
Demonstration der Neonazis erarbeitete. Am Tag des Neonazi-Aufmarsches war
der Rathausvorplatz in Wuppertal-Barmen mit 3.000 Menschen voll und die
NPD-Demonstranten konnten nichts weiter tun, als eine kurze Kundgebung am
Barmer Bahnhof zu veranstalten. Ihre Demonstration konnten sie nicht
durchführen, da zu viele Menschen auf den Straßen waren und die Wuppertaler
Polizei deswegen die Demonstration der Neonazis nicht erlaubte.

Ein Teilerfolg der Wuppertaler AntifaschistInnen! Besser wären die Neonazis
ganz weg geblieben aus Wuppertal, aber die NPD ist geübt in solchen
Situationen. Christian Worch, ein führender Nazikader, der seit 1977 in der
rechten Szene aktiv ist und in der gesamten Bundesrepublik Aufmärsche für
die Neonazis anmeldet, setzt die Strategie der NPD um, die darin besteht,
dass sie durch häufige Aufmärsche in ein-und-derselben Stadt den Protest in
der Stadt immer weiter reduzieren, um dann schließlich ungestört zu
demonstrieren.

Damit schafft sich die NPD "Normalität" und ein Desinteresse im Umgang mit
ihren Aufmärschen. Irgendwann interessiert sich kaum noch jemand dafür, dass
Neonazis durch die Straßen marschieren und die NPD hat sich eine weitere
Stadt als Agitationsfeld erschlossen. "Nazi-Demo? Ist doch normal." wird es
irgendwann heißen. Die Antwort der Stadtöffentlichkeit ist dann meistens,
dass man die Nazis doch ignorieren solle, dann würden sie auch wieder aus
der Stadt verschwinden. Außerdem würden sie niemanden stören. Ziviler
Ungehorsam ist nicht mehr gefragt!

Aus dieser Strategie heraus folgte dem ersten Aufmarsch im September 2002
auch genau einen Monat später ein weiterer. Wieder gab es Proteste, bei
denen leider schon deutlich weniger Menschen auf die Straße gingen. Kurze
Zeit später am 11.1.2003 meldeten die Nazis wieder einen Aufmarsch in
Wuppertal an. Diesmal in Oberbarmen bzw. Wichlinghausen, also genau in dem
Stadtteil Wuppertals, in dem im Jahr 2000 ein menschenverachtender
Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim von Neonazis verübt worden war.

Die Ereignisse auf dem Bahnhof

Das Bündnis "Wuppertal stellt sich quer" rief zu einer Gegendemonstration
auf dem Oberbarmer Bahnhof auf. Leider verabschiedeten sich Teile des
Bündnisses - nämlich der Oberbürgermeister und der DGB - einen Tag vorher
von dieser Strategie, um sich im zwei Kilometer entfernten Barmen vor dem
Rathaus zu versammeln. Viele AntifaschistInnen hielten sich jedoch an das
vorher gemeinsam vereinbarte Konzept des Bündnisses und demonstrierten in
Hör- und Sichtweite der Nazis, um ihnen damit zu zeigen, dass sie in
Wuppertal nach wie vor unerwünscht sind und dies auch bleiben werden. Circa
500 Personen stiegen am Oberbarmer Bahnhof aus ihren Zügen und S-Bahnen und
blieben auf den Bahnsteigen stehen. Dort wurden sie von einer Einheit des
Bundesgrenzschutzes (BGS) erwartet, die in einer äußerst unkoordinierten
Aktion versuchte, die DemonstrantInnen, die sich ruhig und friedlich
verhielten, von dem Bahnhof zu räumen. Dabei wurden - wie Filmaufnahmen
beweisen - von den BGS-Beamten mehrere DemonstrantInnen auf die Gleise
geschubst.

Nach einiger Zeit trafen auch Einheiten der Wuppertaler Polizei ein, welche
die Räumungsaktion des BGS stoppten und die Einsatzleitung auf dem Bahnhof
übernahmen. Die Polizei meinte, dass die DemonstrantInnen auf dem Bahnhof
den reibungslosen Ablauf der Nazi-Demonstration stören würden und
verlangten, dass die DemonstrantInnen den Bahnhof verlassen sollten. Viele
der DemonstrantInnen gingen daraufhin, bzw. wurden vom Bahnsteig gedrängt.
Die letzten 69 Menschen auf dem Bahnsteig wurden eingekesselt, festgenommen
und schließlich in die Gefangenensammelstelle in Ronsdorf gebracht, wo ihre
Fingerabdrücke genommen und Fotos von ihnen angefertigt wurden.

Die Repressionen der Wuppertaler Staatsanwaltschaft

Etwa eine Woche später schickte die Staatsanwaltschaft Wuppertal
Strafbefehle über 300,-? an alle 69 Festgenommenen, in denen ihnen
vorgeworfen wird, gegen den Paragraphen 21 des Versammlungsgesetzes
verstoßen zu haben. Dieser lautet wie folgt: "Wer in der Absicht nicht
verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder
sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder
androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu
drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Die DemonstrantInnen legten gegen diesen Strafbefehl Widerspruch ein
woraufhin es zu Prozessen vor dem Amtgericht Wuppertal kam. Die Angeklagten
wurden allesamt - bis auf zwei Ausnahmen- nach dem Paragraphen 21
abgeurteilt. Selbst offensichtliche Ungereimtheiten wollten die meisten
Richter und RichterInnen des Amtsgerichts nicht ausgiebig nachgehen.
Zahlreiche Verurteilte legten Rechtsmittel gegen ihre Verurteilung ein. Der
aktuelle Stand der Dinge ist nun, dass die Prozesse am Landgericht Wuppertal
in die zweite Instanz gehen. Auch gab es eine Sprungrevision, die das
Landgericht Wuppertal übersprang und sofort an das Oberlandesgericht in
Düsseldorf ging. Das Oberlandesgericht bemängelte sofort, dass die
Beweisführung des Wuppertaler Amtsgerichts mehr als löchrig ist und hob das
Urteil auf.

Bewertung der Anklage

Das Oberlandesgericht schreibt in seiner Urteilsbegründung, dass eine grobe
Störung, wie sie den Angeklagten angelastet wird, solche Einwirkungen auf
den ordnungsgemäßen Ablauf einer Versammlung sind, die als besonders schwere
Beeinträchtigung des Veranstaltungs- oder Leitungsrechts empfunden werden
(Dietel et al § 21, Rd.Nr. 10). Die Beispiele, die hierfür in der
Kommentierung des Gesetzes angeführt werden, sind ständiges unbegründetes
Applaudieren, werfen von Stink- oder Rauchbomben, lautstarkes Spielen lassen
von Radiogeräten. Das Oberlandesgericht urteilt weiter, dass dieser
Tatbestand nicht erfüllt ist.

Die verurteilten DemonstrantInnen haben jedoch nichts weiter getan, als auf
einem Bahnhof zu stehen und waren noch nicht einmal in Sichtweite des
tatsächlichen Demonstrationsortes der Nazis. Diese sollten nur "aller
Wahrscheinlichkeit nach" am Bahnhof Oberbarmen ankommen.

Die Absicht, den Nazi-Aufmarsch zu verhindern, ist auch keinem der
DemonstrantInnen nachgewiesen worden, sondern wurde immer unterstellt ohne
einen Nachweis zu erbringen.

Fakt ist, dass die Polizei den Bahnhof hat sperren lassen und somit die Züge
der Nazis nicht pünktlich in Oberbarmen angekommen sind. Allerdings ist
schon die Entscheidung der Polizei zur Sperrung des Bahnhofs anzuzweifeln.
Es gab mehrere Möglichkeiten, die Züge auf einem anderen Gleis ankommen zu
lassen und die Nazis an den DemonstrantInnen vorbei an ihren Auftaktort zu
bringen. Dass die Angeklagten nun die Strategie der Polizei mit 300,-? und
mehr bezahlen sollen, ist unverschämt.

Ein BGS-Zeuge treibt es auf die Spitze, wenn er bei allen Prozessen aussagt,
er habe den Bahnhof sperren lassen, weil DemonstrantInnen auf die Gleise
"gesprungen" wären. Wie video-dokumentarisch festgehalten, ist niemand
gesprungen, sondern DemonstrantInnen sind während der unprofessionellen
Räumungsaktion von BGS-Beamten auf die Gleise gestoßen worden.

Es bleibt spannend, wie die Prozesse vor dem Landgericht nun behandelt
werden, denn es zeichnet sich schon ab, dass dieser Paragraph 21 zu einem
neuen juristischen Knüppel gegen antifaschistischen Protest werden soll. So
gab es sowohl in Bochum, als auch in Hagen schon Beispiele, wo die Polizei
genau diesen, aus der Weimarer Republik stammenden Paragraphen, anwenden
wollten.

Kurzes Fazit

Ein kurzes Fazit ist aus all diesen Geschehnissen zu ziehen. Es ist
enttäuschend, dass sich Teile des Bündnisses "Wuppertal stellt sich quer"
kurzfristig von der besprochenen Strategie verabschiedet haben und ihre
Zivilcourage und deutliche Präsenz, die sie in ihren kämpferischen Aufrufen
gefordert haben zu reinen Lippenbekenntnissen abdegradiert haben. Eine
annehmbare und produktive Bündnispolitik ist das wahrlich nicht. Eher wird
damit der NPD für ihre "Ausblutungs-Taktik" Tür und Tor geöffnet. Bis Nazis
in Wuppertal zum Alltag werden und ihre braunen Parolen nicht nur rufen,
sondern auch an Synagogen sprühen. Dies auf der einen Seite, doch auch das
Ohren-Augen-Münder-Verschließen gegen die Repressionen, die den
AntifaschistInnen durch diese Prozesse wiederfährt, ist unmöglich.

Pfingsten 2003 haben die Nazis eine bislang letzte Demonstration in
Wuppertal angemeldet und durchgeführt. Dort gab es kaum noch Menschen, die
ihre Verpflichtung in irgendeiner Form von Zivilcourage oder Präsenz gesehen
haben. Das ist auch kein Wunder, müssen sie in dieser Stadt doch davon
ausgehen, keinerlei Unterstützung in ihrem antifaschistischen Handeln zu
bekommen.

Kein Vergeben! Kein Vergessen! Faschismus ist keine Meinung, sondern ein
Verbrechen!!!

Ein erster Prozess vor dem Landgericht wird mit zwei Prozesstagen
stattfinden. Die Angeklagten sind über Interessierte, UnterstützerInnen und
Presse sehr erfreut. Also kommt!

16., 18. und 28.06.2004 jeweils um 9:15 im Landgericht Wuppertal (Eiland 1)

 

12.06.2004
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