Berlin: Jungle in Not!
Am Mittwoch erschien die Jungle World mit einer schockierenden Nachricht
auf der letzten Seite: Die linke Wochenzeitung ist wirtschaftlich so
angeschlagen, dass sie darüber nachdenkt, den bundesweiten Kioskverkauf
einzustellen und am Jahresende den gesamten Betrieb. Mit einer finalen
Rettungskampagne kämpft die Zeitung jetzt um 500 neue Abos, um das
Weitererscheinen zu sichern. Wem etwas an der Existenz dieser linken,
unabhängigen und undogmatischen Wochenzeitung liegt, der/die sollte sich
jetzt engagieren, denn bald könnte es zu spät sein. Engagieren?
Ja, am besten ist es natürlich, ein Abo abzuschließen, denn nur Abos
sichern das Überleben der Jungle World, da sie über keinerlei andere
Einkünfte verfügt. Andere von einem Abo zu überzeugen, ist genauso
sinnvoll. Aber es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, die Jungle
World zu unterstützen:
- Geld spenden, damit die Kosten gedeckt werden können (Bankverbindung:
http://www.jungle-world.com/impressum.html)
- Veranstaltungen mit der Jungle zusammen in Eurer Stadt organisieren,
zu der Ihr beispielsweise Jungle-AutorInnen als ReferentInnen einladet
- Selber Soli-Plakate, -Flyer, -Aufkleber machen
- Unterstützer-Banden bilden
- Bei Demos u. Veranstaltungen in Eurer Stadt Werbematerial oder
Gratis-Jungles verteilen
- Über Eure privaten, beruflichen oder politischen Mailverteiler diesen
Artikel verschicken
- Auf Eurer Homepage einen Link zur Jungle legen oder die neuen Banner
runterladen: www.jungle-world.com
- Soli-Konzerte und -Partys organisieren
- Freiwilliges Online-Abo
u.v.m.
Eins ist klar, wenn die Jungle World pleite macht, bedeutet das das Ende
für ein einmaliges ungebundenes, linksradikales Medienprodukt. Die
Jungle World ist die einzige regelmäßig erscheinende Zeitung aus der
undogmatischen Linken, die sich als journalistisches Projekt versteht
und nicht als Sprachrohr irgendeiner Gruppe oder Strömung.
Jetzt oder nie! Es geht um alles!
Hintergrund:
Redaktion und Verlag der Jungle World sind ein Kollektiv, das sich in
klassisch linker Manier seit nunmehr sieben Jahren radikal selber
ausbeutet. Mit den allergeringsten Mitteln und ohne größere
Anschubfinanzierung haben die Jungles es geschafft, eine Zeitung am
Markt zu etablieren, die aufgrund ihrer Unabhängigkeit und ihres
kritischen Ansatzes nicht nur in Deutschland ihres gleichen sucht. Nicht
die gleiche politische Position ist das Kriterium für die Zusammenarbeit
der Jungle-Leute, sondern ihr Anspruch, journalistisch zu arbeiten,
Missstände aufzudecken, Informationen zu verbreiten, Entwicklungen zu
analysieren und zu kritisieren.
Aus dem Anspruch heraus, Informationen, Analysen und Kommentare
möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, erscheint die gesamte
Ausgabe von Anfang an kostenlos im Internet. Und zwar nicht nur das
ausgesprochen gute und umfangreiche Archiv, sondern auch die aktuelle
Nummer. Trotz der wirtschaftlichen Krise bleibt die Jungle World
(zumindest bis dato) bei diesem Konzept.
Entstanden ist die Jungle World im Juni 1997 aus der Tageszeitung junge
Welt heraus. Damals versuchte der der DKP zugehörige Geschäftsführer der
jW, Dietmar Koschmieder, das Blatt von den so genannten Linksradikalen
zu säubern. Im Alleingang beschloss er, die Chefredaktion abzusetzen.
Die politische Linie sollte in Richtung DDR-Ostalgie und
Parteikommunismus korrigiert werden. Die Redaktion jedoch verweigerte
sich diesen autoritär durchgepeitschten Plänen und trat schließlich fast
vollständig in den Streik. Bis auf zwei Kollegen besetzte das gesamte
Redaktionskollektiv zwei Wochen lang die Redaktionsräume. Schließlich
wurde allen Streikenden von Koschmieder gekündigt. Die junge Welt machte
mit einem ganz neuen Stab an Koschmieder genehmen GenossenInnen weiter,
die ehemalige Redaktion der jungen Welt gründete die Wochenzeitung
Jungle World. Die ersten Ausgaben der Jungle World wurden in der
ehemaligen Ton-Steine-Scherben-WG am T-Ufer produziert, was angesichts
des damals aufflammenden Pioniergeistes quasi symbolischen Charakter besaß.
Seit dem hat sich viel verändert. Nicht nur rund um das Projekt Jungle
World. Auch sonst in der Gesellschaft und speziell in der Linken. Als
die Jungle World entstand, sehnte sich die Linke nach einem
pluralistischen Zeitungsprojekt, in dem kontroverse Debatten angestoßen,
zugespitzt und ausdiskutiert wurden. Inzwischen hat sich die Linke
derart polarisiert und zerstritten, dass immer weniger Bedürfnis zu
bestehen scheint, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen.
Wichtiger scheint den meisten zu sein, ihre eigene Meinung möglichst
kraftvoll zu multiplizieren. Die Jungle World hat nie versucht, sich zum
Sprachrohr irgendeiner Bewegung zu machen. Im Gegenteil. Ihr Anliegen
war vielmehr immer die Kritik, die Kontroverse. Damit macht man sich
weniger Freunde und landet irgendwo zwischen den Stühlen. Politisch hat
die Jungle World sicher auch den einen oder anderen Haken geschlagen,
insgesamt hat sie es aber geschafft, nie irgendwo an einer Gruppe oder
Strömung anzudocken. Das ist zwar aus journalistischen Geschichtspunkten
prima, aus marktwirtschaftlichen jedoch ganz und gar nicht.
Zwei politische Ereignisse, die die Welt und natürlich auch die Linke
insgesamt dramatisch durchgerüttelt haben, und die sich auch auf die
Abo-Entwicklung der Jungle World ausgewirkt haben, waren der 11.
September 2001 und der Irak-Krieg 2003. Die Jungle World hat sich dem
antiamerikanischen Mainstream, der von der NPD über die Repräsentanten
des Alten Europas bis zur jungen Welt reicht, verweigert und nach
eigenen Herangehensweisen gesucht. Da wurde teilweise auch übers Ziel
hinausgeschossen, speziell auf der - für solche kontroversen Debatten
eingerichteten - Disko-Seite. Dennoch war die Jungle World, während die
Linke auseinander driftete, das einzige größere Medienprojekt, in der
diese Entwicklung auch offen diskutiert wurde - und das zum Teil sehr
kontrovers und oft auch selbstkritisch. Außerdem war es die einzige
relevante Zeitung, die vor dem Irak-Krieg die verschiedenen Interessen
und Bedürfnisse der irakischen Bevölkerung ganz nach vorne gerückt hat,
und die sich überhaupt auf die Suche nach linken Oppositionellen und
emanzipatorischen Ansätzen als Bezugsgröße gemacht hat, und die es sich
trotz antimilitaristischem Grundverständnis nicht hat nehmen lassen, die
Grausamkeit und Brutalität des ba?athistisch-faschistischen
Saddam-Regimes in aller Deutlichkeit zu kritisieren. Dass ihr dies den
Vorwurf des Belizismus eingebracht hat, liegt wohl weniger an einzelnen
Aussagen, die sich vielleicht aus einzelnen Texten herauslesen lassen,
als vielmehr daran, dass dies als Affront gegen die Formierung einer
neuen Friedensbewegung und als Störung neuer linker Kuschelbündnisse
verstanden wurde. Zuletzt hat die Jungle World jedoch klargemacht, dass
sie nicht eine Linie vorgeben will, sondern das kritische Denken
befördern. Statt sich auf eine Wahrheit und ein allumfassendes Weltbild
zu einigen, stellt die Jungle World Fragen, eröffnet und transportiert
Debatten, und geht dabei von aufgeklärten Lesern und Leserinnen aus, die
selber denken können.
Diese hier skizzierte politische Entwicklung ist sicher ein Teil des
Problems, in dem die Jungle World derzeit steckt, doch das größere heißt
Sozialabbau & Co. Denn die soziale Krise, die Angst vor Armut und das
Gerede vom Sparen verunsichern die Menschen mehr und mehr - und in der
Tat ist ja immer weniger Geld im eigenen Beutel und jede und jeder ist
gezwungen, sich zu überlegen, wo noch etwas gespart werden kann. Die
meisten Abo-Kündigungen sind inzwischen finanziell begründet. Dabei
kostet eine Jungle World weniger als ein frisch gezapftes Bier. Aber
klar, solche Vergleiche taugen nichts, wenn man einfach mal pleite ist.
Ein Ende der Jungle World wäre nicht nur ein herber Verlust für die
Presselandschaft und für eine aufgeklärte, undogmatische, antiautoritäre
Linke, es wäre auch ein Sieg für jene, die sich in ihren linken
Schützengräben und Elfenbeintürmen eingerichtet haben. Selten war der
Widerstand gegen Sozialabbau so wichtig wie heute. Der Kampf gegen
Rassismus, Antisemitismus, gegen Nazis, für selbstorganisierte
Freiräume, für ein Leben jenseits kapitalistischer Verwertungslogik,
gegen Überwachung, Militär und gegen das neue nationale Projekt Europa -
und auch das Engagement gegen antisemitisch oder vermeintlich
antiimperialistisch motivierte Feinde der Existenz eines jüdischen
Schutzstaates Israel - brauchen eine starke Linke mit einem
historisch-politischen Verantwortungsbewusstsein einer- und einem
emanzipatorischen Zukunftsbild andererseits. Das klingt jetzt vielleicht
nach einem linken Gemüsemarkt, wo es bunt drunter und drüber geht. Es
ist tatsächlich nur der grobe Rahmen, in dem sich u.a. die Jungle World
bewegt, und in dem sie gebraucht wird. Nicht als Organ einer solchen
Linken und nicht als ihr Ergebnis, sondern als Reibungspunkt.
Helft der Jungle World zu überleben!
Abo jetzt - oder nie!
Jungle-Solikreis Berlin
Kontakt und Koordination
für Soli-Aktivitäten und ?Kreise:
soli@jungle-world.com
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