Pirna: Redebeitrag für die Antifa-Demo am 27.11.2004 in Pirna
Als die NPD bei der sächsischen Landtagswahl am 19. September diesen Jahres 9,2% der WählerInnenstimmen erhielt, drang endgültig an die Oberfläche, was sich die zurückliegenden Jahre munter entwickelt hatte. Die Versuche, die NPD nun erneut als Protestpartei zu verharmlosen gehen am Problem natürlich vorbei. Im Zuge des gescheiterten NPD-Verbotsverfahrens und der öffentlichen Debatten während des Landtagswahlkampfs war schließlich der gesamten deutschen Öffentlichkeit der nationalsozialistische Charakter der Partei dargelegt worden. Die Wahl hat schlagartig klar gemacht, dass sich in Sachsen 9,2% der WählerInnen offen zum Nationalsozialismus bekennen. Die Dunkelziffer der SympathisantInnen dürfte um einiges höher liegen.
Der Wahlsieg steht im Zusammenhang mit Konsolidierung der Naziszene im Osten. Nach dem skandalösen Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens hat die Partei einen erheblichen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen. Gleichzeitig gelangten in den zurückliegenden Monaten die freien Kameradschaften zu neuer Stärke und gingen erneut militant in die Offensive. Vor drei Monaten wurden eine Antifa-Demonstration in Chemnitz attackiert und vor einem Monat das Büro des alternativen Netzwerks für Demokratische Kultur in Wurzen mit zwei Rohrbomben angegriffen. Körperliche Übergriffe durch Nazis häufen sich in jüngster Zeit ebenso.
Doch es sind nicht allein die offen wahrnehmbaren und sich selbst als solche bezeichnende Nazis, die das primäre Problem darstellen. Die verschiedenen Versuche, eine dauerhafte liberale Öffentlichkeit bzw. Zivilgesellschaft in der ostdeutschen Provinz zu etablieren, sind beinahe vollständig gescheitert. Vor Jahren wurde bereits die Einschätzung getroffen, dass die Nazis aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Es hat sich daran heute nur insofern etwas geändert, als dass die Nazis die gesellschaftliche Mitte stolz besetzen. Die früher von ihnen vollzogenen Abgrenzungen werden nun immer mehr fallengelassen. Gleichzeitig wird diese Entwicklung von der Bevölkerung akzeptiert. Völkische, nazistische und nationalsozialistische Ideen werden in bestimmten Gebieten immer mehr mehrheitsfähig.
Die deutsche Öffentlichkeit kann mit dieser Entwicklung hingegen nicht umgehen. Auf den Triumph der NPD folgte keine inhaltliche Auseinandersetzung sondern die altbekannte Strategie, zu warten, bis sich das Problem von selbst erledige. Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt wiederum machte explizit was gemeinhin schon längst im Gange war. Er kündigte an, dass die CDU nun noch weiter nach rechts rücken müsse, um die angeblich verirrten WählerInnen für die CDU zurück zu gewinnen. Damit steht Milbradt in der bundesdeutschen Diskussion jedoch nicht allein da. Die Mobilisierung rassistischer Ressentiments kann man ebenso in den Debatten um den EU-Beitritt der Türkei, um die multikulturelle Gesellschaft und die deutsche Leitkultur sowie diejenige um einen neuen Nationalstolz.
Die derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse sind jedoch kaum als neue Qualität zu bezeichnen. Bereits Mitte der neunziger Jahre wurden diese von der Antifa als rechter Konsens beschrieben. Dieser Begriff sollte die ideologische Gemeinsamkeit der normalen Bevölkerung und der von ihr unterschiedenen Nazis bezeichnen. Die Analyse des rechten Konsens hatte entscheidende Konsequenzen für die Antifapolitik. Der Kampf gegen die Nazis war gleichzeitig Symbol für den Kampf gegen die ideologischen Hintergründe der Nazis und dem Rest der Gesellschaft.
Ende der neunziger Jahre zeigten sich jedoch entscheidende Schwächen der Antifa, die mit dem Ausbruch des so genannten Antifa-Sommers zu einem vorläufigen Ende der Antifa-Bewegung führten. Dem Vordringen von Nazis in der ostdeutschen Provinz konnte praktisch nichts entgegen gesetzt werden. Eine Zivilgesellschaft war nur selten vorhanden und die örtlichen AntifaschistInnen zogen es nach einiger Zeit vor, in die großen Städte zu ziehen. Von diesen Städten aus war jedoch eine effektive antifaschistische Arbeit in der Provinz noch viel weniger zu leisten. Hinzu kam ein generelles Unbehagen an der Beschränktheit antifaschistischer Politik und der Verfall linker Organisationszusammenhänge. Nach über zehn Jahren klassischer Antifapolitik musste Ende der neunziger Jahre ein Bruch vollzogen werden.
Auch wenn die heutige Entwicklung das linke Engagement in der ostdeutschen Provinz als unabdingbare Notwendigkeit erscheinen lässt, kann es dennoch kein Zurück in die neunziger Jahre geben. Schließlich sind die äußeren und inneren Bedingungen für eine radikale Linke nicht besser, sondern eher schlechter geworden. Es hat sich zunächst nichts daran geändert, dass sich in den meisten kleineren Städten und Gemeinden über längere Zeit kein antifaschistischer und noch nicht einmal ein zivilgesellschaftlicher Gegenpol entwickeln lässt. Und es hat sich auch nichts daran geändert, dass nicht allein die offenen Nazis das Problem sind, sondern vor allem die gesellschaftliche Mitte. Will man gegen Nazi-Strukturen in der ostdeutschen Provinz vorgehen, muss man also nicht nur den Laden angreifen, der Nazi-Devotionalien verkauft, sondern sich auch gegen die Bäcker, Fleischer, Fahrschulen, etc. wenden.
Dies heißt nicht, dass wir antifaschistisches Engagement, das sich gegen offene Nazi-Strukturen wendet ablehnen, belächeln oder ähnliches. Wir finden es richtig und wichtig, dass sich besonders junge Menschen gegen Nazis und deren gesellschaftlichen Background wenden und organisieren. Dies ist die unmittelbare Voraussetzung dafür, dass Diskussionen über die Ziele, Strategien und Wirksamkeit antifaschistischer bzw. linker Politik überhaupt geführt werden können. Dabei darf es aber nicht stehen bleiben. Vielmehr wollen wir ausdrücklich davor warnen, die klassische Antifapolitik der neunziger Jahre wieder aufzunehmen, ohne die Gründe ihres Scheiterns zu reflektieren.
BGR Leipzig, 21. November 2004
http://www.nadir.org/bgr
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