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Betreff : ak 378: Oklahoma: US-Nazis bomben gegen den Staat
Datum : Do 04.05.95, 16:32 (erhalten: 08.05.95)
ak - analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
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Oklahoma: US-Nazis bomben gegen den Staat
Mit den "Bürger-Milizen" formiert sich eine bewaffnete rechtsradikale Massenbewegung
Der Sachverhalt dürfte aus der Tagespresse bekannt sein: Am
Mittwoch, 19. April, explodiert morgens um 9.02 Ortszeit vor
einem Bürogebäude in Oklahoma City eine gewaltige Autobombe.
Ein Drittel des Gebäudes wird völlig zerstört. Eine Woche später sind über 100 Leichen geborgen, etwa 130 Personen werden
noch vermißt. Insgesamt hat der Anschlag wahrscheinlich über
200 Menschenleben gefordert. In dem Bürohaus waren mehrere USBundesbehörden untergebracht: Sozialämter, das Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms (die US-Waffenkontroll-Polizei), ein
Kindergarten. Die Sprengkraft der Bombe, die aus Kunstdünger
(Ammoniumnitrat) und Dieselöl bestand, entsprach etwa zwei Tonnen Dynamit.
Bereits zwei Stunden später nimmt ein Autobahnpolizist den
27jährigen Golfkriegs-Veteranen Timothy McVeigh fest, weil er
in Perry - eine Autostunde von Oklahoma City entfernt - ein
Auto ohne Nummernschilder fährt und unter seiner Jacke
verborgen eine Pistole hatte (offen hätte er sie tragen
dürfen). Später stellt sich heraus, daß McVeigh der Hauptverdächtige für den Bombenanschlag ist, und er wird an die Bundespolizei FBI übergeben. McVeigh verweigert gegenüber der Polizei
die Aussage und bezeichnet sich selbst als "Kriegsgefangenen".
Ein zweiter Hauptverdächtiger befindet sich bisher (28.4.)
noch auf freiem Fuß. Außerdem werden in Michigan zwei Brüder
(James und Terry Nichols), die mit McVeigh befreundet sind, als
mögliche Belastungszeugen für das Oklahoma-Attentat festgesetzt. Gegen die Brüder wird Anklage wegen der Herstellung von
Bomben in Michigan erhoben. Eine direkte Tatbeteiligung in
Oklahoma City wird den beiden bisher nicht vorgeworfen. Terry
Nichols macht belastende Aussagen gegen McVeigh. Inzwischen
geht das FBI von weiteren Beteiligten aus - von einer "Einzeltäter"-Aktion ist nicht mehr die Rede.
In den ersten Stunden nach dem Attentat spekulieren die Medien munter drauf los. Ohne irgendwelche konkreten Anhaltspunkte richtet sich der Verdacht geradezu reflexartig gegen "islamische Fundamentalisten". Als Folge dieser Spekulationen kommt
es in den USA zu zahlreichen Übergriffen auf Menschen arabischer Herkunft. Von CNN mag mensch keine andere Berichterstattung erwarten, aber auch die taz (21.4.95) ist sich nicht zu
blöde, unter der Überschrift "Auf der Suche nach drei Männern
mit Bart" in diese Richtung zu spekulieren: "Das FBI hatte in
den letzten Monaten verstärkte Aktivitäten islamischer Studenten in Oklahoma City, Kansas und Dallas registriert. Bei Versammlungen sollen auch Vertreter der palästinensischen ,Hamas`
und des ,Dschihad` gesprochen haben."
Auch wenn bisher keine Geständnisse, sondern nur Indizien
vorliegen, so scheint es inzwischen offensichtlich, daß die Täter aus einer anderen Ecke kommen. McVeigh und die beiden Nichols-Brüder haben enge Verbindungen zu den sogenannten Militias (Milizen), den oft schwer bewaffneten rechtsradikalen Bürgerwehren, die sich in den vergangenen Jahren in fast allen USBundesstaaten gebildet haben. McVeigh hat sich in mindestens
zwei Staaten (Michigan und Arizona) an Treffen dieser Milizen
beteiligt. Selbst wenn McVeigh persönlich unschuldig sein sollte, weist alles auf einen rechtsradikalen Hintergrund für den
Bombenanschlag.
Bürger-Milizen gegen "Big Government"
Solche paramilitärischen Bürgerwehren gibt es in den USA schon
seit vielen Jahren. Großen Zulauf haben sie seit dem vergangenen Sommer bekommen, als zum ersten Mal 19 verschiedene Typen
von automatischen Schußwaffen gesetzlich verboten wurden. Die
Bürgermilizen sind meist auf Landkreis- (County-) oder Bundesstaatsebene organisiert. Sie nennen sich "Michigan Militia",
"Militia of Montana", "Arizona Patriots", "Texas Light Infantery", "Constitutional Defense Militia" (New Hampshire) oder "Citizens for the Reinstatement of Constitutional Government"
(North Carolina). Ihre Stärke bewegt sich von wenigen Dutzend
bis mehreren tausend Aktiven; landesweit wird ihre Mitgliederzahl inzwischen auf einige Zehntausend geschätzt (nach eigenen
Angaben sogar 200-300.000). In fast allen US-Bundesstaaten gibt
es inzwischen derartige Milizen. Der Schwerpunkt liegt im Mittleren Westen und in den Rocky-Mountains-Staaten.
Der Begriff "Bürgerwehr" ist eher verharmlosend - die Militias sind oft schwer bewaffnet, Maschinengewehre gehören
selbstverständlich dazu. Paramilitärische Übungen und interne
Strukturen sind oft konspirativ. Terroristisch im Stil von
Oklahoma City ist vermutlich nur eine Minderheit, die aber vom
Nährboden der Miliz-Bewegung zehrt. Über ausformulierte politische Programme verfügen die Milizen nicht. In der Öffentlichkeit betonen sie vor allem ihre Opposition gegen "gun control",
also gegen alle Versuche, den (in der US-Verfassung verankerten) Privatbesitz an Schußwaffen zu regulieren (siehe unten).
Dazu kommt meist eine gehörige Portion Verschwörungstheorie:
Angeblich bereitet Washington eine totale Diktatur vor, in Verbindung mit den Vereinten Nationen. Die "New World Order" und
"Big Government" sind die Feindbilder, die US-Bundesregierung
ist der konkrete Gegner. Vorbedingung für eine Diktatur sei
freilich die Entwaffnung der US-Bürger - angeblich der Hintergedanke bei allen "gun control"-Gesetzesvorhaben.
So behauptet Mark Koernke, ein Miliz-Führer aus Michigan,
daß die Bundesregierung geheime Polizei-Einheiten aufstelle,
bestehend aus Einheiten der Nationalgarde und Street-Gangs (!)
aus Los Angeles. Die computerlesbaren Streifencodes auf der
Rückseite von Verkehrsschildern enthalten angeblich geheime Anweisungen für UN-Besatzungstruppen, etc., etc. Koernke sendet
jeden Abend ein einstündiges Radioprogramm auf Kurzwelle (Motto: "Death to the New World Order"). Wegen seiner "zu radikalen" Ansichten wurde er vor einiger Zeit aus der (großen) "Michigan Militia" (mit angeblich 12.000 Mitgliedern) ausgeschlossen und führt jetzt seine eigene kleinere Miliz. (Washington
Post, 25.4.95)
Laut Aussage von Bob Johanson, einem Anführer der "Florida
State Militia", war Koernke vor anderthalb Jahren in Florida
bei einem bundesweiten Milizen-Treffen. Einer von Koernkes
Bodyguards soll damals McVeigh gewesen sein, der Hauptverdächtige von Oklahoma. Koernke selbst bestreitet, McVeigh zu kennen. (Int. Herald Tribune, 26.4.95)
Historische Vorläufer
Rechtsgerichtete paramilitärische Verbände haben eine lange Geschichte in den USA. Dazu gehörte schon der rassistische Geheimbund Ku-Klux-Klan (ab 1866, Blütezeit in den 20er Jahren
dieses Jahrhunderts) mit seinem organisierten Terror vor allem
gegen Schwarze in den Südstaaten. In den 60er Jahren gab es die
"Minutemen" (Gründer: Robert DePugh), einen landesweiten Verbund aus antikommunistischen paramilitärischen Gruppen. Die
"Minutemen" waren überzeugt davon, daß sich die US- Bundesregierung bereits in der Hand von Kommunisten und Verrätern befand. Spektakuläre Erfolge hatten die "Minutemen" keine. (Ridgeway, S. 60-63)
Mitte der siebziger Jahre entstand eine neue rechtsradikale, aber nur wenig organisierte Bewegung, die sich "Christian
Patriots" nennt (nicht zu verwechseln mit der gleichzeitig entstehenden organisierten Christlichen Rechten der Fernsehprediger). Die christlichen Patrioten sind gegen die Bundesregierung, Einkommenssteuern, die US-Bundesbank und die "Rassen"-Integration - alles unter Berufung auf die Bibel und die US-Verfassung. Diese lose Strömung besteht aus einer Vielzahl von
kleinen Gruppen und Einzelpersonen (mehrere Millionen).
Mit zeitweise mehreren zehntausend Aktiven war der "Posse
Comitatus" (Latein für "Macht des Landkreises") die wichtigste
paramilitärische Organisation aus diesem Spektrum, der in vielem der heutigen Miliz-Bewegung ähnelt. Oberste Autorität für
den "Posse" war der Landkreis-Sheriff, die höheren Instanzen
(Einzelstaat und Bundesregierung) waren illegitim und von der
US-Verfassung angeblich nicht vorgesehen. Die stärkste Basis
hatte der "Posse" in den Farm-Staaten des Mittleren Westens, in
denen Anfang der 80er Jahre zehntausende von Familienbetrieben
pleite gingen. Die Erklärung des "Posse": Schuld am Farm-Sterben sind die jüdischen Banker und die von ihnen kontrollierte
Bundesregierung. Diese Propaganda fiel einige Jahre auf fruchtbaren Boden. Heute spielt der "Posse" keine Rolle mehr.
Aus dem Christian-Patriot-Spektrum rekrutierten sich Anfang
der 80er Jahre die Mitglieder der Nazi-Organisation "Aryan Nations", die im Nordwesten der USA eine "weiße Republik" errichten wollte (Führungspersonen: der inzwischen verstorbene Robert
Miles, der heute todkranke Richard Butler, sowie Louis Beam - siehe unten). Der "bewaffnete Arm" dieser "Arischen Nationen"
nannte sich "The Order". Dessen Vorbild war der Roman "Turner
Diaries" von William Pierce, der im Science-Fiction Stil einen
großen Rassenkrieg in den USA schildert. Ihr Feind: ZOG, das
"Zionist Occupational Government", also die "zionistische Besatzungsregierung" in Washington. Nach einer langen Serie von
Mordanschlägen, Banküberfällen und Schußwechseln mit dem FBI
wurde "The Order" 1985 von der Polizei zerschlagen.
August 1992: Randy Weaver
Die Geburtsstunde der derzeitigen Milizen-Bewegung datiert wohl
auf August 1992, der Geburtsort liegt in Ruby Ridge im RockyMountains-Bundesstaat Idaho. Damals belagerte das FBI elf Tage
lang die Berghütte von Randy Weaver, einem Anhänger der ebenfalls in Idaho beheimateten "Aryan Nations". Er sollte wegen
des Verkaufs illegaler Schußwaffen festgenommen werden. Während
der Belagerung kam es mehrfach zu Schußwechseln, bei denen Weavers Frau und sein Sohn sowie ein Polizist getötet wurden. Nach
elf Tagen ergab sich Weaver und wurde später wegen des Waffendelikts zu einer geringen Strafe verurteilt, aber vom Vorwurf
des Polizistenmordes freigesprochen.
Während der Belagerung pilgerten hunderte von Sympathisanten von den verschiedensten rechtsradikalen Strömungen nach
Idaho, um das Vorgehen der Polizeikräfte zu beobachten. (1) Mit
dabei war der hochdekorierte Vietnamkriegs-Veteran und CounterInsurgency-Experte James "Bo" Gritz, der sich den Behörden als
Vermittler anbot und Weaver zum Aufgeben überredete. Gritz war
schon lange in der rechtsradikalen Szene aktiv. U.a. war er
1988 Vizepräsidentschafts-Kandidat der antisemitischen "Populist Party" - hinter dem langjährigen Ku-Klux-Klan-Führer und
US-Nazi David Duke aus Louisiana. (Vgl. Konkret 3/92). Mit seiner Vermittlungstätigkeit in Idaho katapultierte er sich in die
Massenmedien und wurde zu einer Lieblingsfigur der radikalen
Rechten und Waffennarren.
19. April 1993: Waco, Texas
Eine weitaus blutigere Konfrontation ereignete sich Anfang 1993
in der Nähe der Stadt Waco in Texas. Dort hatte die Psycho-Sekte "Branch Davidians" in ihrer Farm ein regelrechtes Waffenlager aufgebaut, um sich damit auf den biblisch vorhergesagten
Endkampf gegen das Böse und den Weltuntergang vorzubereiten.
(Die von David Koresh geführte Sekte hatte wohl keine rechtsradikale Verbindungen.) Beim Versuch, die Farm auf illegale Waffen hin zu untersuchen, kam es am 28.2.1993 zu einem Schußwechsel: vier Polizisten des Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms (BATF) und wahrscheinlich sechs Davidianer wurden erschossen.
FBI, BATF und andere Polizeikräfte belagerten daraufhin
sieben Wochen lang die Farm. Wieder demonstrierten Rechtsradikale außerhalb des Belagerungsrings gegen die Polizei. Als die
Beamten am 19. April versuchten, die Farm zu stürmen, setzten
die Davidianer sie in Brand: 86 Menschen fanden in den Flammen
den Tod. Auf den Tag genau zwei Jahre später explodiert die
Bombe in Oklahoma City. McVeigh soll sich in den Monaten zuvor
immer wieder über "Waco" empört haben.
Beide Ereignisse, Ruby Ridge und Waco, dienen seither quer
durch das Spektrum der radikalen Rechten als Fanal gegen die
Bundesregierung, die Toten gelten als Märtyrer. Die antisemitische Wochenzeitung "Spotlight" (geschätzte Auflage: 100.000)
veröffentlicht immer wieder neue "Enthüllungen" über die beiden
Ereignisse. Tenor: Da sieht man, wie "Big Government" gegen unschuldige, gesetzestreue Bürger vorgeht, nur weil sie von ihrem
Verfassungsrecht auf Waffenbesitz Gebrauch machen. Mit seinen
immer wieder neuen Verschwörungstheorien dürfte "Spotlight"
auch bei den Milizen viel gelesen werden.
Milizen und Nazis
Viele Milizionäre verstehen sich wohl selbst nicht als Nazis.
Dennoch gibt es unübersehbare Verbindungen zwischen der MilizBewegung und organisierten Nazis in den USA. (2)
Laut dem britischen Antifa-Magazin Searchlight (März 1995)
fand im Oktober 1992 - kurz nach der Weaver-Belagerung in Idaho
- ein Treffen von etwa 150 rechtsradikalen Kadern statt. Eingeladen hatte Pete Peters, ein "Pfarrer" der nazistischen "Christian Identity"-Bewegung. (3) Hauptredner des Treffens waren
u.a. John Trochman, der Führer der "Militia of Montana" (und
ein früheres Mitglied der "Aryan Nations"), der offene Nazi
Louis Beam und - ein dramatischer politischer Durchbruch für
die radikale Rechte - Larry Pratt, Sprecher der "Gun Owners of
America", einer reaktionären Waffenbesitzer-Organisation mit
über 100.000 Mitgliedern (nicht zu verwechseln mit der etwas
gemäßigteren millionenstarken "National Rifle Association", aus
deren Reihen aber ebenfalls viele Milizionäre stammen). (4)
Alle drei Redner haben seither eine wesentliche Rolle beim Aufbau der Militias gespielt.
Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt der oben erwähnte Bo
Gritz. Im ganzen Land bietet der frühere "Green-Berets"-Soldat
paramilitärische Übungen an, unter dem Titel SPIKE ("Specially
Prepared Individuals for Key Events"): Überlebenstraining, Nahkampf, Schießübungen, etc. Die Übungs-Teilnehmer will Gritz in
einer nationalen Organisation zusammenfassen. (Turning the
Tide, August 94) Gritz bezeichnete das Attentat von Oklahoma
City als "Rembrandt - eine meisterhafte Kombination von Wissenschaft und Kunst". (Int. Herald Tribune, 26.4.95)
Bei Kamiah, einem kleinen Ort in - wen überrascht's? - Idaho, hat Gritz im vergangenen Jahr 360 Hektar Land erworben und
will dort 500 AnhängerInnen ansiedeln. Der Name der künftigen
Siedlung: "Almost Heaven". (Süddeutsche Zeitung, 1.4.1995) Auf
Polizeischutz wird dieser Beinahe-Himmel von Schwerbewaffneten
vermutlich verzichten.
Louis Beam: "Führerloser Widerstand"
Louis Beam gilt inzwischen als der tonangebende Mann der "Aryan
Nations". (Searchlight 4/95) Er hat eine lange rechtsradikale
Geschichte: vom Ku-Klux-Klan Ende der 70er Jahre (zusammen mit
David Duke) bis hin zum "Order" Mitte der 80er Jahre. Anders
als z.B. Gritz propagiert Beam in der rechtsradikalen Szene
heute die Strategie des "führerlosen Widerstands". Statt einer
zentralistischen Organisation mit Führerprinzip bevorzugt er
ein loses Netzwerk halb-autonomer Untergrundzellen. "Auf den
ersten Blick sieht diese Art von Organisation gar nicht wie
eine Organisation aus", zitiert Searchlight aus einem Strategiepapier von Beam. Dieses Organisationsprinzip wird inzwischen
auch von anderen prominenten Rechtsradikalen favorisiert, u.a.
von Tom Metzger von der "White Aryan Resistance" (WAR) in Kalifornien. Anstatt sich nur in separaten Organisationen abzukapseln, begeben sich - als Teil dieser Strategie - rechtsradikale
Kader in ihr Umfeld. Insofern sind die Milizen, die selbst
nicht ausdrücklich nazistisch sind, ein perfektes Aktionsfeld
für die Nazis der "Aryan Nations" und ähnlicher Gruppen.
Das politische Umfeld: Rechtspopulismus
Die politischen Inhalte der Miliz-Bewegung sind eingebettet in
den gegenwärtigen rechtspopulistischen Trend in der US- Gesellschaft. Gegen "Big Government", gegen (zu hohe) Einkommenssteuern, gegen die Zentralregierung und für erweiterte Befugnisse
der Einzelstaaten, gegen "gun control", gegen Einschnitte in
das "Recht auf Privateigentum" zugunsten des Umweltschutzes - mit diesem Programm gewannen die Republikaner im vergangenen
November die Kongreß- und Gouverneurswahlen. (s. AK 372) Die
meisten siegreichen Abgeordneten hatten "gegen Washington"
Wahlkampf geführt.
Auch die unterschwelligen Ressentiments, die die Milizen
antreiben (obwohl sie dort nur selten öffentlich propagiert
werden), werden von den Rechtspopulisten bei den Republikanern
(zum Teil auch auf dem rechten Flügel der Demokraten) bedient:
Gegen Schwarze und ImmigrantInnen, gegen Feminismus, etc. (5)
Am krassesten ist der Anti-Washington-Populismus in den ländlichen Regionen im Mittleren Westen und Nordwesten der USA ausgeprägt. Dort verweigern zehntausende die Bundessteuern, benutzen
keine Führerscheine (Personalausweise gibt es in den USA sowieso keine), etc. Die meisten davon sind relativ harmlose Spinner, die von den Behörden in Ruhe gelassen werden wollen - und
in den äußerst dünn besiedelten Landstrichen auch oft
unbehelligt bleiben. Allerdings bieten sie ein ideales Potential für Rekrutierungsversuche von Rechtsradikalen - Beispiel
Randy Weaver.
"States' Rights"
Diese Parole "Rechte der Einzelstaaten" (gegenüber Washington)
ist schon seit 140 Jahren das Code-Wort für die rassistische
Rechte in den USA. Damals wollten die Südstaaten die Sklaverei
gegen die von den Nordstaaten dominierte Zentralregierung behaupten, indem sie sie - unter Berufung auf die US-Verfassung - zur Angelegenheit der Einzelstaaten erklärten. Auch in den
1950er und 60er Jahren beriefen sich die GegnerInnen der antirassistischen Bürgerrechtsbewegung auf "states' rights". Der
Vorwurf: Mit bundesweiten Antidiskriminierungs-Gesetzen verletze Washington die "Souveränität" der Einzelstaaten. Heute feiert die Parole bei den Milizen Auferstehung.
Die wichtigsten sozialen Reformen dieses Jahrhunderts (u.a.
die Einführung des Sozialstaats in den 30er Jahren und die Antidiskriminierungs-Gesetze der 60er und 70er Jahre) wurden von
"oben" (der Bundesebene) nach "unten" (Einzelstaaten) durchgesetzt.
Heute sind - vor allem in den dünn besiedelten westlichen
Bundesstaaten - Umweltschutz-Vorschriften und Nutzungsrechte
auf staatlichem Boden (u.a. in den National Parks und National
Forests) Reizthemen, bei denen lokale und bundesstaatliche Interessen aufeinander stoßen. Immer wieder werden Beamte der Nationalen Forstbehörde von örtlichen Farmern bedroht - auch mit
Waffen -, wenn sie die Einhaltung von Naturschutz-Vorschriften
überprüfen wollen. Die Beamten haben Anweisung erhalten, nicht
mehr allein unterwegs zu sein. Auf Büros der Forstbehörde wurden bereits mehrere kleinere Bombenanschläge verübt - vermutlich nicht von linken Öko-Bewegten. Hintergrund für die AntiUmweltschutz-Aktionen sind häufig Konzern-Interessen, die auf
lokale und einzelstaatliche Émter leichter Druck ausüben können
als auf Bundesbehörden. In den vergangenen Monaten haben bereits mehrere kommunale und einzelstaatliche Parlamente die
"states' rights"-Parole aufgegriffen und - rechtlich unwirksam
- ihre "Souveränität" erklärt.
Die politischen Folgen von Oklahoma City
Wenige Tage nach dem Bombenanschlag hat Präsident Clinton drastische zusätzliche "Anti-Terror"-Gesetze vorgeschlagen; die
republikanischen Fraktionsführer im Kongreß (Newt Gingrich und
Bob Dole) haben bereits ihre Zustimmung signalisiert. U.a. will
Clinton 1.000 zusätzliche Beamte für die "Terrorismusbekämpfung" einstellen und bei Bedarf auch das US-Militär im Inneren
einsetzen. Außerdem sollen die Ermittlungsbehörden leichter auf
Kreditkartenrechnungen zugreifen und Telefongespräche abhören
dürfen. Die Maßnahmen sollen in den kommenden fünf Jahren zwei
Milliarden Mark kosten.
Bürgerrechts-Gruppen haben bereits scharf protestiert.
Selbst die großbürgerliche Washington Post hat bereits vor voreiligen neuen Gesetzen gewarnt - unter Berufung auf die "Mißbräuche der Cointelpro-Éra". (6) Zu befürchten ist, daß der
Kongreß demnächst trotzdem die Befugnisse der Polizei in Sachen
politischer Repression erweitern wird. Die Erfahrung zeigt, daß
dies tendenziell immer zu Lasten der linken Opposition geht.
Clinton kann sich so als zupackende Führungsperson profilieren.
Für die Republikaner ist die Situation dagegen etwas komplizierter. Neben der Christlichen Rechten ist die reaktionäre
"Gun Lobby" (geführt von der finanzstarken NRA) die wichtigste
Wählerbasis der Partei. Die Waffennarren von der NRA haben
selbst Clintons äußerst zaghafte "gun control"-Maßnahmen erbittert bekämpft und entscheidend zum Wahlerfolg der Republikaner im vergangenen November beigetragen. (7)
Nach dem Bombenanschlag von Oklahoma City und der Medienaufmerksamkeit für die Milizen steht die NRA nun aber in einem
schlechten Licht - zu recht. Die Republikaner hatten ursprünglich geplant, in den kommenden Wochen im Kongreß einen Gesetzentwurf einzubringen, der das 1994 verabschiedete Verbot von
halbautomatischen Schußwaffen rückgängig machen sollte. Der Gesetzentwurf wurde wenige Tage nach Oklahoma City zurückgezogen
und liegt jetzt auf unbestimmte Zeit auf Eis. Auch in ihrer Polemik gegen "Big Government" und den Sozialstaat werden die Republikaner künftig etwas vorsichtiger agieren müssen, um nicht
allzu offensichtlich in die politische Nähe der Milizen und
Bombenleger zu geraten. Daß sich damit am Rechtsruck in der USamerikanischen Politik substantiell etwas ändern wird, ist dagegen eher unwahrscheinlich. Die grundlegenden Prämissen teilen
die Republikaner mit Clinton: Abbau des Sozialstaats, Umverteilung von unten nach oben, das Schüren von Ressentiments gegen
soziale und ethnische Minderheiten. Auch ohne die gehässige Polemik der vergangenen Monate werden diese Prämissen auf absehbare Zeit den politischen Kurs bestimmen.
Michael Hahn
Anmerkungen:
1) Schematisch lassen sich vier Strömungen der radikalen Rechten in den USA unterscheiden: a) Der Ku-Klux- Klan (mit unzähligen, oft untereinander konkurrierenden Untergruppen), als
"traditionsreichste" Strömung; b) bekennende Nazis, mit positivem Bezug auf den deutschen Nationalsozialismus; c) die "Christian Patriots" (siehe oben); d) rechtsradikale Skinheads. In
der Realität lassen sich diese vier Strömungen oft nicht strikt
voneinander unterscheiden. Statt dessen ist eine immer enger
werdende Kooperation zu beobachten.
2) Über internationale Verbindungen der Milizen liegen mir
keine konkreten Hinweise vor. Der Stern (27.4.95) meldet, daß
sich Norman Olson, der Führer der "Michigan Militia" (eine der
stärksten Verbände), vor zwei Jahren mit dem deutschen Neonazi
Ewald Althans getroffen haben soll.
3) Die "christliche Identität" bietet seit Jahren eine ideologische (und wohl auch logistische) Klammer für verschiedene
rechtsradikale Strömungen. Zu dieser Lehre gehört, daß die Weißen in Nordamerika und Nordwest-Europa das eigentliche "auserwählte Volk" der Bibel seien, Schwarze und andere Nicht-Weiße
eine "prä-adamische" (also vor-menschliche) Gattung seien, und
JüdInnen von Satan abstammen. Wichtig: "Christian Identity" hat
nichts mit der Christlichen Rechten der Fernsehprediger zu tun,
die derzeit die Mainstream-Politik in den USA aufmischen.
4) Nach Angaben der Antifa-Organisation "People Against Racist
Terror" spielt Pratt außerdem eine maßgebliche Rolle auf dem
rechten Rand der Aktivitäten der gegenwärtigen Anti-Einwanderungs-Bewegung. (Turning the Tide, Dez. 94)
5) Nach Angaben des antifaschistischen Recherche-Büros "Political Research Associates" sind in mindestens zwei Fällen (in
Massachussetts und Wisconsin) prominente Milizionäre auch mit
führenden Abtreibungsgegnern öffentlich aufgetreten.
6) Mit Cointelpro (Counter-intelligence program) praktizierte
das FBI in den 60er und 70er Jahren eine blutige Repression gegen linke Oppositionelle, u.a. die Black Panther Party, das
American Indian Movement und die Anti- Vietnamkriegs-Bewegung.
7) Offenbar haben manche republikanische Abgeordnete auch direkte Kontakte zu den Milizen. Die Washington Post (25.4.95)
berichtet von einem Gerücht, das ab Ende Februar in den Internet-Bulletins der Milizen kursierte (die Milizen machen ausgiebig von elektronischen Medien Gebrauch: Computer-Mailboxen,
Kurzwellensender, etc.). Dieses Gerücht sagte für den 25. März
landesweit massive FBI-Razzien gegen die Militias voraus. Daraufhin wandten sich drei stramm rechte Republikaner (der Abgeordnete Steve Stockman und die Senatoren Larry Craig und Lauch
Faircloth) an das Innenministerium und protestierten gegen die
drohenden Razzien. Die waren jedoch nie geplant.
Quellen:
Washington Post International Herald Tribune Searchlight Magazine (37B New Cavendish St, London W1M 8JR)
Daniel Junas: Angry White Guys with Guns: The Rise of the Militias. In: Covert Action Quarterly, Spring 1995, S. 20-25 (1500
Massachussets Avenue, Room 732, Washington, DC 20005)
Turning the Tide (Zeitschrift der Antifa-Organisation People
Against Racist Terror: PART, P.O.Box 1990, Burbank CA 91507.)
James Ridgeway: Blood in the Face. New York (Thunder's Mouth
Press) 1990.
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