Zur Analyse der historischen Wurzeln der "Grauen Wölfe" ist es notwendig, die türkische Geschichte bis zur Bewegung der "Jungtürken" in der Zeit der Jahrhundertwende und des Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches zurückzuverfolgen. Diese "Jungtürkische" Bewegung, in der Mustafa Kemal, der spätere Gründer der Türkischen Republik, schon über entscheidenden Einfluß verfügte, war bereits in ihren Anfängen vom großtürkischen Chauvinismus geprägt, mit dem Bestreben, die Reste des "Vielvölkerknastes" des auseinanderbrechenden Osmanischen Reiches zusammenzuhalten. Der Unabhängigkeitskampf der nichttürkischen Völker wurde als Verrat am "gemeinsamen osmanischen Vaterland" betrachtet. Das Ziel der "jungtürkischen" Führer war die Zangsassimilation aller im Reichsgebiet lebenden Völker, d.h. die Türkisierung der Albaner, Armenier, Araber, Bulgaren und Kurden. Nachdem die "Jungtürken" im Jahre 1908 die Macht übernommen hatten, wurde bereits im Jahre 1909 die Organisationsfreiheit für Minderheiten beseitigt und türkisch zur offiziellen Sprache in allen Schulen und Verwaltungen erklärt.
Diese rassistische Politik der Zwangsassimilation begünstigte die Verbreitung des Turanismus, "die Einheit aller Turkvölker von Innerasien bis zum Balkan". Ziya Gölap, einer der "jungtürkischen" Turanisten rief damals aus: "Vorn die Flagge, in der Hand das Bajonett, im Herzen Gott. Wir wollen Herrscher über die Welt sein."
1908 gründeten die Turanisten die heute noch existierenden nationalistischen Vereinigungen "Türk Ocagis", welche mit allen Mitteln das "Reich Turan" ("die Wiege des Volkes und das Ursprungsland der Rasse") ereichen sollten. Die "Türk Ocagis" hatten dabei folgende Aufgabe: "Arbeiten an der nationalen Erziehung des türkischen Volkes, dem wichtigen Bestandteil des Islamismus, an der Hebung seines intellektuellen, sozialen und ökonomischen Niveaus, an der Vollendung der türkischen Sprache und Rasse."
Die Einheit der Reste des Osmanischen Reiches und damit die Grundlage der Türkischen Republik bauen auf der Vernichtung ganzer Völker auf. Die "Jungtürken" nutzten den Ausbruch des 1.Weltkrieges, an der Seite Deutschlands stehend, dazu, den bereits vor dem Krieg ausgearbeiteten Plan zur Ausrottung der "fremdländischen" Armenischen Bevölkerung in die Tat umzusetzen. Von etwa 2 Millionen im Osmanischen Reich lebenden Armeniern blieben nicht mehr als 100.000 am Leben. Nachdem es in Kurdistan zu zahlreichen Aufständen gekommen war, begannen die "Jungtürken" mit der planmäßigen Vernichtung des kurdischen Volkes. Dieser fielen in den Jahren 1914 bis 1918 mehr als 700.000 Kurdinnen und Kurden zum Opfer.
Die Niederlage des Osmanischen Reiches an der Seite Deutschlands im 1.Weltkrieg besieglete sein endgültiges Ende und durchkreuzte die Pläne zur vollständigen Vernichtung des kurdischen Volkes.
Jetzt organisierte Mustafa Kemal das sogenannte türkische Bündnis, um die verbliebenen Reste des Osmanischen Reiches mit den Besatzungsmächten England und Frankreich aufzuteilen.
Der Turanismus war kein geeignetes Mittel, die Völker der Region für den Kampf gegen die Kolonialmächte zu mobilisieren. Mustafa Kemal sprach nicht mehr von der "türkischen Nation" sondern vom "islamischen Staat". Nur hiermit gelang es ihm, die kurdischen Scheichs für den letztendlich erfolgreichen Aufstand gegen die Kolonialmächte zu gewinnen.
Nach der Gründung der türkischen Republik im Jahre 1923 wurde der Nationalismus wieder zur herrschenden türkischen Staatsauffassung. Ziel war die Errichtung eines nationalistischen völkischen Staates mit dem Herrschaftsinstrument des Türkismus, der die Existenz aller anderen Völker negierte. 1923 wruden 300.000 Angehörige des Pontus-Volkes, einer griechischen Minderheit, massakriert. Im Jahr 1924 wurden alle kurdischen Schulen, Vereinigungen und Publikationen verboten. Von dort an existierten offiziell keine Kurdinnen und Kurden mehr.
Auf dieser Grundlage erlebte der Turanismus in den 30er Jahren als Panturanismus, mit der Untertützung Nazi-Deutschlands eine Renaissance. Hitlerdeutschland versuchte stets die Türkei an sich zu binden und nutzte dazu die panturanistische Bewegung. Als Gegenleistung unternahmen die Panturanisten den gescheiterten Versuch, die Türkei an der Seite des deutschen Faschismus aktiv in den 2. Weltkrieg zu ziehen.
In den folgenden Jahren zog es die geschwächte Bewegung vor, hinter den Kulissen für ihre Politik zu arbeiten. In den 60er Jahren konzentrierte sich die faschistische Bewegung unter der Führung von Alpaslan Türkes (dem noch heute amtierenden Vorsitzenden der MHP/Nationalistische Bewegungspartei) darauf, die Jugend für die panturanistische Ideologie zu gewinnen. Es wurden die ersten Kommandolager gegründet, in denen Jugendliche eine militärische Ausbildung erhielten und einer gezielten Gehirnwäsche unterzogen wurden. Nachdem die Kommandos aufgebaut waren, wurde im Jahre 1969 die MHP (Millietci Hareket Partisi = Nationalistische Bewegungspartei) gegründet. Zum Symbol der Partei wird eine Fahne mit drei auf dem Rücken gekehrten Halbmonden, diese sind der Fahne der Okkupationstruppen der osmanischen Besatzungsarmee entnommen.
In den Kommandolagern wruden bis zu 100.000 Kommandoangehörige ausgebildet. Diese Kommandos erhielten dann den Namen "Bozkurtcula" ("Graue Wölfe"), in Erinnerung an das Tier, das entsprechend der panturanistischen Legende die letzten türksichen Stämme aus den Altai- Gebirgen in Zentralasien geführt und damit gerettet hatte.
Ab 1968 begannen die türkischen Faschisten mit ihren Gewaltaktionen gegen die erstarkende türkische Linke. Bis 1980 begingen die "Grauen Wölfe" mehr als 5000 Morde in der Türkei und Kurdistan. 1975 wurde die MHP zum Bündnispartner der konservativen Gerechtigkeitspartei (AP) unter dem damaligen Ministerpräsidenten und jetzigen Staatspräsidenten Demirel und damit Regierungspartei. Alpaslan Türkes wurde stellvertretender Ministerpräsident und hatte damit volle staatliche Rückendeckung für den organisierten Terror gegen die Opposition.
Nach dem Militärputsch 1980 wurde die MHP verboten, was sie aber nicht daran hinderte unter anderem Namen ihre Politik fortzusetzen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren schon weite Teile des Militärapperates und der staatlichen Verwaltung von MHP-Anhängern durchsetzt. Zur Hauptagitationsebene wurden Moscheen und islamische Vereine auserkoren. Ihre Funktion die demokratische Opposition zu terrorisieren war an die Militärjunta übergegangen. Ende der 80er Jahre wurde das Verbot der MHP offiziell wieder aufgehoben.
Die Ideologie der MHP und ihrer Kommandoorganisation, den Grauen Wölfen, basiert im wesentlichen auf drei Grundpfeilern:
1. Nationalismus Ausgangspunkt ist ein vom Panturanismus geprägter Nationalismus. Dieser beinhaltet einen ausgeprägten Rassismus gegenüber allen nichttürkischen Menschen, insbesondere gegen die Minderheiten im "eigenen" Land.
2. Antidemokratische Grundhaltung Vordergründig wird von der MHP eine antikommunistische Propaganda betrieben, die sich prinzipiell gegen alle demokratischen Kräfte, wie z.B. Gewerkschaften und andere Verbände der Arbeiterbewegung richtet.
3. Islam Im Laufe der fast 30jährigen Geschichte der MHP wurde die Frage der Religiösität in verschiedenen Phasen unterschiedlich akzentuiert. Der Islam war in der Anfangszeit der Parteientwicklung von den führenden Personen eher abgelehnt worden. Vielmehr gab es eine Rückbesinnung auf die vorislamische Zeit mit ihrer schamanistischen Religion. Die Bedeutung des Islams ist also für die MHP weniger eine religiöse Frage, sondern leitet sich von ihrem Nationalismus ab. Es geht folglich darum, inwieweit der Islam zur Konstituierung des "Türkentums" gehört. Hier kam es schnell zu einer Umorientierung, da dieser Punkt stets umstritten war und das schlechte Abschneiden der MHP bei den Wahlen, den Erfolgen der islamisch- fundamentalistischen "Nationalen Wohlfahrtspartei" gegenüberstand. Zwar stand der Nationalismus weiterhin im Vordergrund, jedoch gewann schließlich Anfang der 70er Jahre der Islam in der Parteipropaganda immer mehr an Bedeutung.
Alpaslan Türkes, der heutige "Führer" der faschistischen MHP, spielte bereits in den 40er Jahren eine entscheidende Rolle in der panturanistischen Bewegung. 1944 wurde er verhaftet, weil er als Kopf der faschistischen Bewegung versucht hatte, die Türkei an der Seite des deutschen Faschismus aktiv in den 2. Weltkrieg zu ziehen. In dem gegen ihn laufenden Verfahren äußerte er sich wie folgt: "Ich betrachte es als Ehre, wegen Turanismus und Rassismus verurteilt zu werden. Die Verwaltung des Staates durch Menschen türkischer Rasse ist lebensnotwendig. Die in der Türkei lebenden Nichttürken mit türkischer Staatsangehörigkeit sind Tscherkessen, Bosniaken, Lazen, Araber, Kurden, sie sollte man in die Länder schicken, wo sie hingehören."
Damit unterschied sich Türkes nicht von der vorherrschenden Staatsauffassung. 1930 erklärte der damalige Justizminister Mehemet Esat: "Es gibt in der Türkei mehr Freiheit als irgendwo in der Welt. Dieses ist ein Land der Türken. Wer nicht rein von türkischer Herkunft ist, hat nur ein einziges Recht in diesem Lande: Das Recht Diener zu werden, das Recht Sklave zu sein."
Bis 1958 war Türkes in der türkischen Militärmission in Washington tätig gewesen und knüpfte hier enge Kontakte zum CIA und zum Pentagon. Im gleichen Jahr besuchte er die Schule für Atom- und Nukleartechnik in der BRD.
Er gehörte im Jahr 1960 zu den 32 Offizieren, die die damalige Menderes Regierung stürzten. Nach dem Putsch wurde er zum persönlichen Sekretär des neuen Machthabers, General Gürsel, ernannt. Dort versuchte er weiter hinter den Kulissen seine panturistischen Ideen durchzusetzen. Türkes wurde aber bald, zusammen mit 14 anderen, politisch kaltgestellt und in die türkische Botschaft nach Neu-Delhi entsandt.
Nach seiner Rückkehr in die Türkei im Jahre 1964 konzentrierte er sich auf den Aufbau der MHP / "Graue Wölfe". Im zuge des Verbotes der MHP im Jahre 1980 wurde im jegliche politische betätigung untersagt. Trotzdem konnte er seine Rolle als faschistischr Hetzer weiterhin wahrnehmen.
All das konnte ihn nicht daran hindern, eine Vielzahl von offiziellen Besuchen in der BRD anzutreten, zuletzt am 26. November 1994 in Sindelfingen.
Die türkischen Faschisten begannen bereits Ende der 60er Jahre damit, sich in der Bundesrepublik zu organisieren. Die Organisierung erfolgte auf der Basis von Vereinen, die als "Türkische Gemeinschaften", "Idealistenvereine" oder einfach als "Kulturvereine" bezeichnet wurden. Eine MHP-Auslandsvertretung existierte offiziell seit 1973, inoffiziell aber bereits Ende der 60er Jahre. Diese hatte, mit ihrer Zentrale in Ludwigshafen, in der BRD in 40 Städten Zweigstellen.
Bereits 1970 ergab sich eine enge Kooperation zwischen der faschistischen türkischen MHP und der faschistischen deutschen NPD. Dieses belegt ein reger Briefwechsel zwischen beiden "Parteiführern" Alpaslan Türkes und Adolf von Thadden. Während Türkes von der "unbedingten Aktionseinheit der MHP mit der NPD" sprach, regte von Thadden einen intensiven Jugendaustausch zwischen beiden Parteien an. Von Thadden ließ es sich nicht nehmen, eine persönliche Einladung für Türkes auszusprechen, um so "über die Probleme unserer Länder zu sprechen und nach Wegen gegenseitiger Unterstützung zu suchen". Im Jahre 1977 bedankte sich Türkes wortreich für die großzügige finanzielle Unterstützung der NPD für den Wahlkampf der MHP. Der "Nationalistische Schülerbund" gründete 1980 eine sog. Aufbauorganisation zur Erfassung in der BRD lebender türkischer Jungfaschisten. Die Waffenbrüderschaft der deutschen und türkischen Faschisten war wieder hergestellt.
Die Entwicklung der türkischen faschistischen Bewegung in der BRD ist untrennbar mit der Situation in der Türkei und Kurdistan verbunden.
Nachdem die MHP, daß Ende 1976 vom türkischen Verfassungsgericht gemäß des Parteiengesetzes ausgesprochene Verbot von Auslandsorganisationen bereits im Vorgriff mit dr Auflösung ihrer BRD-Organisationen am 28.07.1976 und einer Umstrukturierung in sog. "unabhängige" Idealistenvereine unbeschadet überstanden hatte, wurde der Terror gegen die türkische und kurdische Opposition systematisch ausgeweitet.
Die MHP-Idealistenvereine verübten zahlreiche Morde und Anschläge gegen türkische und kurdische Linke. Das bekannteste Beispiel für diesen Terror ist der Mord an dem Lehrer und Gewerkschaftler Celattin Kesim in West- Berlin am 5. Januar 1980.
Zur besseren Koordination schlossen sich im Juni 1978 die verschiedenen Vereinigungen zur "Föderation der demokratisch-idealistischen türkischen Vereine in Europa/Türk-Föderation" zusammen. Die in Frankfurt a.M. ansässige deutsche Untergrundorganisation ist die zentrale Schaltstelle der MHP in der BRD. Zur 17. Jahreshauptversammlung der Türk-Föderatio kamen am 26. November 1994 mehr als 10.000 Anhänger der MHP in Sindelfingen, unter der Teilnahme des türkischen Botschafters zusammen.
Die faschistische MHP ist als ein Auftraggeber und Steuerungsinstrument der staatlichen Todesschwadrone maßgeblicher Bestandteil des Spezialkrieges gegen das kurdische Volk. Ein nicht unerheblicher Teil der in Kurdistan eingesetzten Spezialeinheiten sympathisiert offen mit der MHOP. Ihre agressive, nationalistische Propaganda ist entscheidender Faktor zur türkischen Mobilisierung für den Krieg in Kurdistan. Der Krieg ist auf die Bühne der internationalen Politik gerückt: Ankara und seine treuesten Verbündeten, allen voran die Bundesrepublik geraten zunehmend unter politischen Druck. Sie müssen erklären, warum sie alle Verhandlungsangebote der kurdischen Seite für eine politische Lösung ablehnen und weiter auf eine militärische Karte setzen. Folglich ist es eine logische Konsequenz, daß die MHP in einer Situation in der das Regime in Ankara in Bedrängnis geraten ist, ihre Aktivitäten in der BRD verstärkt. Die türkische Regierung hat mehrfach angekündigt, Regimegegner auch im Ausland verfolgen zu wollen. Wer würde sich besser dazu eignen, den Angriff gegen die kurdische Bewegung im Ausland zu führen, als die MHP, die Spezialistin für Mord und Terror. In verschiedenen europäischen Staaten, u.a. in Großbritannien, kam es in der zurückliegenden Zeit schon zu Mordanschlägen auf Menschen, die den Nationalen Befreiungskampf des kurdischen Volkes unterstützen.
Mit dem Mord an Seyfettin Kalan hat die Terrorwelle der "Grauen Wölfe" nun auch die BRD erreicht.
Während die Bundesregierung kurdische Vereine und Organisationen verfolgt und kriminalisiert, können sich die faschstischen "Grauen Wölfe" ungehindert organisieren und ihren Terror verbreiten.
[aus der Pressemappe des Demonstrations-Vorbereitungskomitees zum Trauermarsch für Seyffetin Kalan, September 1995]