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Cellesche Zeitung 24.03.95

Urteil gegen WJ-Führer W. Nahrath

24.03.95-23:58:20

Geldstrafe für ehemaligen Bundesführer der seit November verbotenen

Wiking-Jugend

Mildes Urteil im Hetendorf-Prozeß

"Erinnert eindeutig an Hitlerjugend"

CELLE. - Seit November des vergangenen Jahres ist die

Wiking-Jugend bundesweit verboten. Aber noch beschäftigt sie die Gerichte.

Vor dem Amtsgericht Celle hatte sichgestern der ehemalige Bundesführer

der Wiking-Jugend, der Jurist Wolfram Nahrath, wegen des letztjährigen

Pfingstaufmarsches seiner Organisation in Hetendorf zu verantworten.

Das Urteil fiel relativ milde aus: Nahrath hat 870 Mark Geldstrafe zu zahlen.

Im Kernbereich des rund einstündigen Prozesses vor rund

20 Zuhörern ging es um die Frage, ob es sich bei der Tracht,

die die Wiking-Jugend bei ihren Aufmarsch Pfingsten 1994 in

Hetendorf getragen hat, um eine Uniform oder eine uniformähnliche

Bekleidung handelt.

Der Richter am Amtsgericht Stammen hatte da "überhaupt keine Zweifel".

Anhand einer ausführlichen Fotodokumentation der Polizei Celle verschaffte

er sich einen Eindruck über die bei dem Aufmarsch getragene Kleidung.

Nach Auffassung des Gerichts handele es bei den Trachten, die zu diesen

Anlässen von der Wiking-Jugend getragen werden, um Uniformen.

In Anspielung auf einen Kasseler Verwaltungsgerichtsbeschluß aus dem

Jahre 1985, in dem ähnliche Aufmärsche nicht beanstandet wurden, meinte

Stammen in seiner Urteilsbegründung: "Das Verhalten des Landes Hessen

ist in der Tat merkwürdig. Wenn das Land Hessen das gestattet,

muß das nicht heißen, daß das Land Niedersachsen das gestattet.

"Die Gesetzesforderung sei so eindeutig, daß man in diesem Falle

keine Zweifel haben könne.

"Das Gesamtbild erinnert so eindeutig an das Gesamtbild der

Hitlerjugend, wie das eindeutiger nicht sein kann", sagte Stammen.

Oberstaatsanwältin Lühning hatte in ihrem Plädoyer als Strafe 3O Tagessätze

zu je 29 Mark gefordert, ein relativ mildes Strafmaß am "unteren Rand

des möglichen", wie sie hinzufügte. "Daß die Wiking-Jugend nicht irgendeine

Pfadfindergruppe ist, sondern auch eine bestimmte politische Gesinnung hat,

ist bekannt. Es ist unbegreiflich, daß man die Aufzüge in den Jahren zuvor

hingenommen hat", sagte die Oberstaatsanwältin in ihrem Plädoyer.

Wolfram Nahrath, der sich selbst verteidigte, fand in seinem Plädoyer

nichts dabei, "wenn wir gewohnt gemeinschaftlich mit klingendem Spiel

und Fähnchen und Wimpeln marschieren". Bei dem Aufmarsch sei es nur darum

gegangen, "mit der ganzen Mannschaft zu den Hügelgräbern zu kommen",

wo die Wiking-Jugend Totenehrungen durchführte. "Es geht nicht um Militanz

und nicht um die Bekundung eines gemeinsamen politischen Willens."

Die Tracht der sechs- bis 25jährigen Kinder und Jugendlichen sei eine

"gemeinschaftliche Farbentracht" und keine Uniform, meinte Nahrath. ab


Cellesche Zeitung 24.03.95

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