Inhalt | Vorwort. | Wurzen-Broschüre. |
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Diese Broschüre soll ihren Beitrag dazu leisten, im Muldentalkreis aus der
antifaschistischen Nichtanwesenheit in die Anwesenheit vortäuschende
Defensive - und im nächsten Fünf-Jahres-Plan sogar in die Offensive
zu kommen. Schreiben ist der Anfang vom Ende faschistischer Zentren, wie wir
sie kennen. Dabei darf es jedoch nicht bleiben.
Die Broschüre soll allen interessierten Menschen die Informationen zur
Verfügung stellen, die wir als antifaschistische Aktiv-BürgerInnen
gesammelt haben. Der Inhalt der Broschüre stützt sich vor allem auf
Veröffentlichungen in den bürgerlichen Medien, antifaschistische
Publikationen, Gespräche mit WurznerInnen, unsere Erfahrungen aus den
letzten Jahren und unsere Recherchen. Das Kriterium der Objektivität ist
damit übererfüllt und nach der Vollständigkeit zu fragen lohnt
eh nie, um das der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt zu lassen.
Die Flut der verarbeiteten Informationen brandet auch zeitlich mit dem letzten
Wort eines Wurzner Antifaschisten auf Seite 104 gegen die Staumauer unserer
nicht nur zeitlich begrenzten Wahrnehmungslust.
Totalitäre Systeme prägen die Sprache. Parallel zu der Entwicklung
Wurzens zum faschistischen Zentrum mußten wir eine Sprachverrohung
ohnegleichen beobachten, die ganz wenigen Begriffen überragende Bedeutung
innerhalb des Muldentaler öffentlichen Kommunikationsverhaltens
verschaffte (zum Beispiel die im Folgenden wegen ihrer unmittelbar
einleuchtenden Bedeutung nicht aufgeführten Lexeme Knuff,
Druff und der häufige Kurzdialog Druff! -
Hilfe Polizei - Bist wohl neu hier? - Ja. -
Knuff - ...). Dies erforderte eine knappe
Zusammenstellung der dort wie hier in der Broschüre zwangsläufig
mitverwendeten Begriffe in einem Wörterbuch »Normal hier«.
Zum täglichem Überleben unentbehrlich. Im Sanitaschenformat.
(Warnung:Das folgende mag lustig klingen, ist aber traurige Realität in
Wurzen. Alle Zitate sind echt; die es nicht ganz sind, mit denen braucht man es
nicht so genau nehmen. Die Bevölkerung wird von uns hier in bewährter
antifaschistischer Kühnheit sinn- wie erwartungsgemäß zitiert.
Oder:Sinn- und erwartungslos.)
»Bunte« (der, die; ~n, ~n) [Buñde] = steht in Wurzen
für Alternative, Linke, Punks, gemeint sind jedoch meistens die sieben
noch lebenden Punks. Linke und Alternative hat es nie in einer meßbaren
Größe gegeben, beide Wörter sind demzufolge in Wurzen
unbekannt. Der Begriff läßt sich entweder auf die Haarfarbe der
Punks zurückführen oder darauf, daß Stadtverwaltung, Faschos
und Polizei kollektiv rot sehen, wenn eine »Bunte« oder ein
»Bunter« in Wurzen bei rot oder grün über die
Straße läuft. Bei dem Wort »Bunte« assoziert die
Polizei: Die pöbeln uns immer an. Die Stadtverwaltung: Die
Gewalt geht von links aus. Die Bevölkerung: Die stören das
Stadtbild und entführen unsere Kinder. Die Faschos: Wenn wir
gewollt hätten, gäbe es die nicht mehr, aber so ein paar in der Stadt
sind schon lustig. Wahr dagegen ist, daß die
»Bunten« in Wurzen die einzigen Menschen sind, mit denen mensch
sich auch ohne Wörterbuch unterhalten kann.
»Anderen« (die, nur Plural) - Gegenspieler der
»Bunten« (siehe dort). Gibt es offiziell nicht. Aber bevor mensch
solche schlechten Worte wie »Rechte«, »Nazis«
u.ä. sagen muß, sagt mensch lieber: »Andere«. Mit denen
können in Wurzen übrigens alle, da alle ja alle Anderen sind.
Polizei: Die pöbeln uns nicht an., und einer möchte aus
der zweiten Kette heraus zufügen, die zum Schutze von normalerweise
zwischen 50-200 »Anderen« um normalerweise 1-2 normalerweise
blutgierige und unberechenbare »Bunte« gezogen wird:Und bei
denen ist alles so ordenlich und sauber. Die Stadtverwaltung: Falls
es die geben sollte, brauchen die vielleicht einen Jugendclub, die armen
Arbeitslosen, hocken schon seit Monaten im dem alten Jugendclub.
»Normale« (der, die, das) - In Wurzen ist alles normal. Und alle
sind normal. Zwar gibt es im herkömmlichen Sinne in Wurzen kaum
Jugendliche, die mensch als normal bezeichnen könnte. Die
»Normalen« sind eigentlich die »Anderen« (siehe
dort). Aber das Wort klingt wenig stadtbildverschönernd. Die
Polizei: Dem äußeren Erscheinungsbild nach sind sie zwar dem
Lager der »Anderen« zuzuordnen, ohne daß wir das aber
wirklich tun können. Die Stadtverwaltung: Bei jedem Fest gibt
es eine Schlägerei, das ist doch völlig normal. Die
Bevölkerung: ...mit Vanille-Soße. Die
»Normalen«: Wir sind ganz normale Kinder und Jugendliche,
die keine Drogen nehmen.
»Außerirdischen« (die) [Uø] -
gemeingefährliche Troika, bestehend aus dem ZDF aus Mainz, den Autonomen
von der Reeperbahn und der PDS in Sachsen-Anhalt. Die Probleme zwischen den
»Bunten«, den offiziell nicht existenten »Anderen«
und der Polizei bestehen nicht. Sondern sind eine Erfindung der Troika. Sollten
die Probleme doch bestehen, liegt das nicht an uns, sondern die Probleme werden
von außen in der Stadt hereingetragen. Außerdem sind Probleme doch
»normal« (siehe dort). Polizei: Wir haben auswärtige
Kennzeichen gesichtet. Stadtverwaltung: Wie kommt das ZDF aus Mainz
nach Wurzen? Die Bevölkerung: 40 Jahre... Die
»Anderen«: Wenn wir nicht gerade besoffen sind, kriegen die
was drauf. bzw. Klasse, am Wochenende kommen wieder 800 Autonome,
200 Schmierfinken und 6000 dreckige Kommunisten, die wir zusammen mit der
Polizei zusammenlegen können, um schon wieder einen
»anderen« (siehe dort) Jugendclub zu bekommen!.
»SozialarbeiterInnen« - liebevoll für schlecht bezahlte
ABM-Kräfte, die in den Jugendclubs der »Anderen« die
Drecksarbeit erledigen. Die »SozialarbeiterInnen« sind eigentlich
gar keine. Aber stolz. Auf ihre Berufsbezeichnung, und darauf, daß ihre
Kids heute keine Flüchtlingsheim angegriffen haben. Als Belohnung kaufen
die »SozialarbeiterInnen« ihren Kids die neue Störkraft-CD.
Selbst den »Normalen« oder den »Bunten« würde
mensch solche »SozialarbeiterInnen« nicht zumuten wollen.
»Akzeptierende Sozialarbeit« heißt in Wurzen:Akzeptieren
der Taten durch Wegsehen. Anschließend anerkennende Belohnung der Taten
mit einem neuen »anderen« Jugendclub und den altbewährten
»SozialarbeiterInnen«. Bevölkerung, Polizei und
Stadtverwaltung im Chor: Dann sind wir ja alle
»SozialarbeiterInnen«. Siehe im Gegensatz
dazu: »Außerirdische«, die hinsehen.
»Faschos« - Bezeichnung durch das antifaschistische
Redaktionskollektiv, mit der in Wurzen niemand was anfangen kann. Gemeint sind
die »Anderen«. Wir verwenden den Begriff so pauschal, sind uns
dabei der Differenzierung (nach dem Alter, der Gewaltbereitschaft, dem
Eingebundensein in Strukturen, der politischen Überzeugung) sehr wohl
bewußt. Zum einen können wir bestimmte Sachverhalte nicht immer
genau einer Gruppe von »Faschos« zuordnen. Zum anderen ergibt
sich aus dem Kontext oft, wer gemeint ist. Zur Ausdifferenzierung der Szene
steht einiges im Strukturen-Text sowie im Interview. Da uns bei den Faschos in
Wurzen keine Frauen bekannt sind, unterlassen wir es, alle damit
zusammenhängenden Begriffe auch in der weiblichen Form zu schreiben.
»Zentrum« - Bedeutungstragender Bestandteil mehrerer
Redewendungen:1.) Wurzen, das wohl wichtigste ~ der Neonazis in Deutschland
(Verfassungsschutz) 2.) Das Ende faschistischer ~en, wie wir sie kennen
(Antifaschistisches Redaktionskollektiv). 3) Das Zentrum im Zentrum (beide
über das ehemals besetzte Faschohaus).
»MTL« - Autokennzeichen und Abk. für Muldentalkreis. Bis
1994 waren Grimma und Wurzen zwei eigene Kreise. Im Zuge der Kreisreform
entstand der Muldentalkreis. In den folgenden Texten ist zum Teil auch vom
Muldentalkreis die Rede, als es ihn noch gar nicht gab.
Alle mit ... gekennzeichneten Zitate sind belegbare Zitate.
Manchmal fehlt jedoch die Quellenangabe. Mit »...«
gekennzeichnete Begriffe sind in dem Sinne keine Zitate sondern Redewendungen,
ironische Bemerkungen, Eigennamen bzw. Wurzner Dialekt. In den Fußnoten
werden folgende Abkürzungen verwendet:
Bei der Erstellung der Broschüre wurden wir vom Bündnis gegen Rechts
(BGR) sowie von AntifaschistInnen aus Wurzen, Leipzig und von anderswo
unterstützt. Wir möchten uns hier nochmals bei ihnen bedanken und
gleichzeitig darauf hinweisen, daß das BGR für November 1996 eine
antifaschistische Demonstration in Wurzen plant. In Vorbereitung dazu wird es
eine Informationstour durch verschiedene Städten geben.
An der Broschüre haben viele Menschen geschrieben. Deshalb bleiben
Dopplungen nicht aus. Die Endredaktion hat versucht, stilistische Unterschiede
zu glätten und verschieden verwendete Begriffe anzugleichen. Irgendwann
aber stieß auch sie, selbst doch der Antifa zugerechnet, an ihre
Grenzen...
Dabei mußten wir allerdings mit Tabellen arbeiten. Euer Browser
sollte also damit umgehen können. Getestet haben wir unsere Seiten mit dem
Navigator 3.0 von Netscape und dem Internet-Explorer 3.0 von Microsoft.
Mit diesen beiden solltet Ihr zufriedenstellende Ergebnisse erhalten.
Zum Download steht das Archiv wurzen.zip (???k)
bereit, das alle benötigten Dateien enthält.Gebrauchsanweisung, Begriffserklärungen.
Die Bevölkerung: Unsere Kinder. Wie schön, wenn dem Kleinen der
Schoko-Pudding schmeckt... Die »Anderen«: Wir sind
ganz normale Kinder und Jugendliche, die keine Drogen nehmen.
Im übrigen scheint sich der Gebrauch dieses Kosenamens unter reisenden
Antifaschisten bisweilen zu bewähren, wie eine kleine durch die MTZ
verbreitete Anekdote vom letzten Sommer beweist:Dort mußte ein als
solcher Erkannter rennen, nachdem er hörte, wie sich so ein paar
entgegenkommende »Bunte« diese Warenbezeichnung zuzischelten.
Wir bezeichnen Wurzen und den Muldentalkreis als ein Zentrum faschistischer
Aktivitäten und Organisierung. Es handelt sich dabei nicht um ein Zentrum
im herkömmlichen Sinne. Zwar spielen einzelne Objekte (das besetzte Haus
in der Käthe-Kollwitz-Straße, in dem sich bis zu 300 Faschos trafen,
und die städtischen Jugendclubs, die in die alleinige Hoheit der Faschos
übergegangen sind) sowie einige Personen und Kameradschaften eine
besondere Rolle, jedoch beschränkt es sich nicht darauf. Wenn wir von
Wurzen als Zentrum sprechen, geht es nicht um ein leicht auszumachendes, zu
isolierendes oder angreifbares Etwas (wie ein Schulungszentrum, ein
Wehrsportlager, ein wichtiger Faschotreffpunkt). Die Bedeutung des hier
verwendeten Begriffs »Zentrum« unterscheidet sich also von der
des Zentrums, dessen Ende wir alle kennen, im wesentlichen durch die
flächenhafte Ausdehnung sowie deren inneren Verfaßtheit - noch kein
Landkreis wie andere in Deutschland. Im Muldentalkreis dominieren überall
die Faschos:auf der Straße, in den Jugendclubs, in den Discos und an den
Schulen. Die Schließung eines der Objekte würde nichts
Entscheidendes an der Gesamtsituation ändern. Die bestehenden Strukturen
weisen eine Offenheit auf, die es für alle ermöglicht, mitzumachen.
Sie funktionieren einerseits so gut, daß innerhalb kürzerster Zeit
Faschos aus verschiedenen Dörfern und Städten herangeholt werden
können, andererseits besteht innerhalb der Struktur eine
Unabhängigkeit der Gruppen und Einzelpersonen untereinander, die
dafür sorgt, daß der Ausstieg (Verhaftung, Eintritt ins
bürgerliche Leben) einzelner nicht zu merken wäre.
Rekrutierungsprobleme haben die Faschos nicht, da sie die Sozialisation der
Jugend kontrollieren. Probleme hat nur, wer normal und nicht rechts sein will,
von den »Bunten« ganz zu schweigen.
Aus diesem Grund greifen hier weder die staatliche Repression noch
sozialarbeiterische Programme. Aber auch klassische Antifakonzepte geraten im
Muldentalkreis an ihre Grenzen. Die stattgefundenen Aktionen haben die
Fascho-Szene kaum verunsichert, eher zusammengeschweißt. Selbst das
Gerücht, daß 800 Autonome das Fascho-Haus angreifen würden,
führt nur dazu, daß alle umliegenden Dörfer mobilisiert werden
und genügend Faschos zum Schutz anreisen.
Bezeichnend für die Wurzner Fascho-Szene ist neben der Verankerung in der
Bevölkerung, ihrer Breite und relativen Unorganisiertheit sowie der
Tolerierung durch Stadtverwaltung und Polizei, ihre Entstehung. Es ist davon
auszugehen, daß der jetzige Zustand (eine Art »befreite
Zone« der Faschos, wie sie in Strategiepapieren bereits entworfen und
z.B. 1992 in der extrem neonazistischen und antisemitischen »Vorderste
Front - Zeitschrift für politische Theorie und Strategie«
veröffentlicht wurden) weder planmäßig entstanden ist noch eine
treibende einzige Kraft hinter der Entwicklung steht.
Aufgrund der Kontakte zu Wurzen beschränkte sich das antifaschistische
Interesse der letzten Jahre vor allem auf diese Stadt im Muldentalkreis. Im
Laufe der Beschäftigung mit Wurzen jedoch wurde klar, daß die
Situation im gesamten Muldentalkreis sich nicht wesentlich von der in Wurzen
unterscheidet. Wurzen stellt jedoch für viele Faschos aus der Umgebung
einen Anziehungspunkt dar und ist somit als »Zentrum im Zentrum«
zu werten. Durch die Besetzung eines Hauses haben sich die Faschos ein
»Zentrum im Zentrum des Zentrums« geschaffen, welches
überregionale Bedeutung hatte. Während »andere«
Jugendliche jeden Tag dort abhingen, sich besaufen und Wehrsportlager in
miniature spielen konnten, nutzten »andere« das Haus als
NPD-Parteizentrale, Treffpunkt für »Veranstaltungen« mit
bis zu 300 TeilnehmerInnen und als Ausgangsbasis für Aktionen.
Wir halten die so weit fortgeschrittene Entwicklung im Muldentalkreis für
exemplarisch für andere Regionen. Der Vorbildcharakter für die
Faschos ist unverkennbar. Wurzen ist eine Kleinstadt wieviele in diesem Land
und gerade das ist das erschreckende.Index, Fußnoten.
LVZ = Leipziger Volkszeitung, MTZ = Muldentalzeitung, SächsZ = Sächsische Zeitung,
SZ = Süddeutsche Zeitung, FR = Frankfurter Rundschau, MoPo = MorgenpostCopyright, Danksagungen.
Kritik, Selbstkritik.
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