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Sat Jul 29 23:01:36 1995
 

Absender : Autonome_Antifa_M@p16.f16.n1.z69.sn.nadir.org (Autonome Antifa M)

Betreff : 8. Mai in Goettingen und Harz

Datum : Mi 17.05.95, 12:54 (erhalten: 22.05.95)


Einschaetzung der Kampagne zum 50. Jahrestag der Zerschlagung des

Nazi-Faschismus

Unter dem Motto "50. Jahrestag der Zerschlagung des Nazi-Faschismus" fuehrte

der Verein zur Foerderung antifaschistischer Kultur e. V. zusammen mit der

Autonomen Antifa (M), der Antifaschistischen Liste, der Antifa Quedlinburg

(Antifa "HQ"), der Antifa Oberharz und der Antifa Jugend Goslar vom 2. April

bis zum 8. Mai 1995 eine Veranstaltungskampagne durch.

Ziel der Kampange war es, im Gegensatz zur reaktionaeren und buergerlichen

Geschichtsaufarbeitung, in der Region Suedniedersachsen und dem Harz einen

progessiven antifaschistischen Akzent zu setzen. Der Schwerpunkt des

historischen Aspektes lag bei der Erinnerung an den weitgehend verdraengten

antifaschistischen Widerstand, der in der Region zum grossen Teil von

Kommunisten und Kommunistinnen ausging und heute groesstenteils verdraengt

wird. Genauso verdraengt wird das Schicksal tausendender sogenannter

Fremdarbeiter/Fremdarbeiterinnen und Kriegsgefangenen, die waehrend des II.

Weltkrieges zur Arbeit in deutschen Betrieben gezwungen waren.

Ein weiteres Augenmerk dieser Kampagne war auf den Einsatz von Jugendlichen aus

der Hitler-Jugend gerichtet, die am Ende des Krieges in den sinnlosen

Schlachten um die "Festung Harz" verheizt worden waren.

In Frage gestellt wurde darueber hinaus der Begriff der Befreiung, der

undifferenziert angewandt eine Ent-sorgung der NS-Vergangenheit und die

Leugnung der Kontinutitaet in System und Gesellschaft bedeutet.

Im Zentrum der Kampagne stand eine Ausstellung, die aus 40 reich bebilderten

Informationstafeln und vier Glasvitrinen mit Realien bestand; die von

zerschossenen Stahlhelmen bis zu Ausweisen reichten. Das besondere dieser

Ausstellung war ihr regionaler Zuschnitt. So wurden zwar die politischen und

gesellschaftlichen Entwicklungen in ihren reichsweiten Auswirkungen von 1918

bis in die Nachkriegszeit beschrieben, jedoch immer wieder in den regionalen

Bezug gesetzt. Hierbei waren vor allem die Realien wichtig, die unter diesen

Gesichtspunkten zusammengetragen worden waren.

Durch diese Komposition erhielt die Ausstellung eine unmittelbarere Wirkung. Es

ging um die Geschichte vor Ort, nicht nur abstrakt um die Geschichte

Deutschlands oder des II. Weltkrieges.

Zu dieser Ausstellung gab es eine Reihe von Veranstaltungen, die der gleichen

Konzeption folgten. Insgesamt wurden 15 Veranstaltungen (ohne

Eroeffnungsveranstaltungen und die antifaschistische Filmreihe des AStA) im

Zusammenhang mit der Ausstellung durchgefuehrt.

Die Vorgeschichte

Die organisatorischen und konzeptionellen Vorbereitungen fuer die

Veranstaltungsreihe reichten weit in das Jahr 1994 zurueck. Im Juni 1994 wurden

die ersten konkreten Schritte eingeleitet, so dass bis zum Februar 1995 die

Ausstellung zur 8. Mai-Kampagne im wesentlichen stand und die verschiedenen

Gruppen entsprechende Raeumlichkeiten anmieten konnten.

Im Bereich des Organisatorischen hatte der Verein zur Foerderung

antifaschistischer Kultur e. V. einen wesentlichen Beitrag zu leisten. In

Verhandlungen mit Vertretern der Stadtverwaltung in Goettingen wurde

beipielsweise versucht das alte Rathaus als Ort fuer die Ausstellung zu

bekommen.

Zunaechst schien alles gut in dieser Richtung zu verlaufen, da machten die

Ermittlungsbehoerden des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA) mobil.

Offensichtlich ging es der Generalstaatsanwaltschaft in Celle und dem LKA

darum, die antifaschistische Initative zum 8. Mai zu behindern.

Im Zusammenhang mit der groessten Anti-Antifa-Razzia in der Geschichte der

Bundesrepublik, am 5. und 6. Juli 1994 durch die Generalstaatsanwaltschaft

Celle und des LKA _ die sich hauptsaechlich gegen die Autonome Antifa (M)

richtete _ geriet unter anderem auch der Verein zur Foerderung

antifaschistischer Kultur e. V. in das Raederwerk der erfundenen Konstruktionen

der Generalstaatsanwaltsschaft.

Nachdem ueber Raumanfragen und einzelne Zeitungsartikel bekannt geworden war,

dass der Verein massgeblich an der Vorbereitung zu der 8. Mai Kampagne

beteiligt war, schlugen die Generalstaatsanwaltschft Celle und das LKA

unmittelbar vor Beginn der Veranstaltungsreihe zu.

Ab dem 14. Maerz erschienen in der HNA (Hessisch-Niedersaechsische Allgemeine),

dem Goettinger Tageblatt und der Frankfurter Rundschau mehrere Artikel hinter

denen der Journalist Matthias Brunnert steckte und die von entprechenden

Kreisen lanciert waren. Inhalt der Artikel war eine Denunziation des Vereines

der als "Tarnverein" der Autonomen Antifa (M) dargestellt und dem kriminelle

Machenschaften unterstellt wurden. Wenig spaeter tauchten zudem Beamte des LKA

im Goettinger Rathaus auf, um Unterlagen ueber Finanzantraege die der Verein an

die Stadt gestellt hatte zu beschlagnahmen.

Von vornherein war klar, dass es sich hierbei um eine politisch gezielte Aktion

handelte. Einige Behauptungen, deren Nichtigkeit sich bald herausstellen wird,

wurden zum Anlass fuer eine Hetzkampagne in den Medien mit einer entsprechenden

Beschlagnahmeaktion von Finanzantraegen des Vereines an dei Stadt genommen.

Zwar ging das Konzept der Generalstaatsanwaltschaft in Celle und des LKA nicht

ganz auf, dennoch hatten die Staatsorgane mit ihrer Aktion zu erreichen

vermocht, dass der Verein das Rathaus nicht als Ausstellungraum zur Verfuegung

gestellt bekam.

Antifasolidaritaetstag

Den Beginn der Kampagne bildete der "Antifasolidaritaetstag" im Jungen Theater

in Goettingen. Um 12.00 Uhr wurde die Ausstellung eroeffnet, um 13.00 Uhr gab

es einen entsprechenden Vortrag, anschliessend einen Film zum Kriegsende 1945

in Niedersachsen. Ungefaehr 40 Personen fanden sich zur

Eroeffnungsveranstaltung ein, die Ausstellung selbst sahen sich ungefaehr

doppelt so viele an. Damit war die Resonanz zufriedenstellend. Das Konzert am

Abend mit 200 bis 300 Besuchern und Besucherinnen war ebenfalls

zufriedenstellend besucht.

Eine Woche spaeter wurde die Ausstellung auf dem Marktplatz vor dem alten

Rathaus unter fuenf Pavillons aufgebaut. Von 10.00 Uhr bis 15.00 Uhr sahen

mehrere hundert Menschen die Ausstellungsstuecke. Zudem wurde alle 1 bis 2

Stunden eine Fuehrung durch die Ausstellung veranstaltet.

Leider wurde vor dieser erfolgreichsten Aktion innerhalb der Kampagne versaeumt

der Presse nochmal Bescheid zu geben, so dass sich bis auf einen Zufallsartikel

im "Extra Tip" leider nichts von dem Erfolg in den Medien umsetzte.

Die Ausstellung wurde danach vom 10. bis 13. April von der Anitaschistischen

Liste im Zentralen Hoersaalgebaeude in der Universitaet gezeigt. Der

Ausstellungsort war zwar nicht der allerbeste, dennoch sahen auf diese Weise

nochmal mehrere hundert Menschen die Ausstellung.

Die Veranstaltungen in Goettingen waren im Schnitt von 20 bis 30 Personen

besucht. Die geringe Besuchzahl hing sicher mit einem Ueberangebot von

Veranstaltungen zum Thema "8. Mai" zusammen. Lediglich die letzte Veranstaltung

von der Antifaschistischen Liste am 7. Mai war mit ueber 40 Personen gut

besucht.

Den Abschluss der Veranstaltungsreihe bildete die Teilnahme an einem Projekttag

der IGS in Goettingen am 8. Mai 1995.

Bad Lauterberg

Zur Veranstaltung in Bad Lauterberg, die am 13. April stattfand, waren etwas

mehr als 20 Personen gekommen. Das war aufgrund des sehr unguenstig gelegten

Termins _ es war Gruendonnerstag und mitten in den Osterferien _ trotz allem

noch befriedigend. Zumal in Bad Lauterberg tatsaechlich ausschliesslich

"normale" Bevoelkerung gekommen war. Ein so breites Publikum erreichten wir

sonst bei keiner Veranstaltung innerhalb dieser Kampagne.

Bad Lauterberg stellte auch in einem anderen Punkt eine Ausnahme dar. Ein Jahr

zuvor hatte der Verein zusammen mit anderen Organisationen eine Veranstaltung

und Demonstration zur Machtuebertragung auf die Faschisten und vor allem zur

Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand in der Harzstadt durchgefuehrt.

Diese Aktion hatte grosses Aufsehen erregt. Mit der erheblich kleineren

Folgeaktion zum 50. Jahrestag der Zerschlagung vom Nazi-Faschismus sollte auch

getestet werden, ob etwas von den Aktivitaeten des Vorjahres haengen geblieben

war.

Was die lokalen Zeitungen anging, kann dies behauptet werden. Die im

Kreisgebiet am meisten gelesene Zeitung der "Harzkurier", brachte auf seiner

ueberregionalen Umlaufseite eine grosse Vorankuendigung, das "Bad Lauterberger

Tageblatt" brachte gar eine Sonderseite mit dem ungekuerzten Text des

Referenten. So war die Veranstaltung keineswegs als Fremdkoerper stigmatisiert

oder ganz verschwiegen worden. Ausser bei dieser Veranstaltung hat die 8.

Mai-Kampagne ein solch positives Echo in den Zeitungen nur vom "Goettinger

Tageblatt" erfahren.

Die regionale Medienarbeit

Da mit den meisten Lokalzeitungen keine Erfahrungen vorlagen und eine

reakionaere Einstellung zu vermuten war, fand eine spezielle Medienarbeit

statt. Zur jeder Region wurde ein zwei Seiten langer Text verfasst, der die

historischen Ablaeufe zum Kriegsende beschrieb.

In diesen Texten war die Geschichte in antifaschistischem Sinne aufgearbeitet

und hob sich von den sonstigen Texten zum Thema ab. Die Kurzzusammenfassungen

waren so geschrieben, dass sie auf profunden Kentnissen der entsprechenden

Region aufbauten und auf keinen Fall als einfach mal schnell hingeschreiben

gelten konnten.

Nur in einem Fall, beim "Bad Lauterberger Tageblatt" wurde einmal ein

kompletter Text von einer Zeitung veroeffentlicht.

Eine solche Veroeffentlichung war nicht das eigentliche Ziel. Im Hintergrund

stand vielmehr die Ueberlegung, eine Referenz vorzulegen, mit der klar wurde,

dass hier nicht irgendwer auftaucht, sondern dass es um ernsthafte historische

Arbeit geht. Im grossen und ganzen hat das funktioniert. Unsere Aktionen wurden

von der Presse nicht totgeschwiegen, sondern durchaus verfolgt und

dokumentiert, wenn auch nicht immer nur im positiven Sinne.

Quedlinburg

In Quedlinburg wurde die Ausstellung am 19. April aufgebaut und war dort bis

zum 26. April zu sehen. Die Stadt war hier Mitveranstalter.

Waren am Abend des 19. April nach den offiziellen Ansprachen im Rathaus noch an

die 40 Menschen in die Ausstellung gekommen und hoerten sich eine

Spontaneroeffnungsrede an, waren bei der eigentlichen Eroeffnungsveranstaltung

am 21. April nur wenig mehr als 20 Personen anwesend.

Das lag wohl unter anderem an der negativen Berichterstattung in der Presse. In

der "Mitteldeutschen Zeitung" wurde die Ausstellung quasi als eine Art

SED-Geschichtsbeschreibung diffamiert.

Positiver Nebeneffekt dieses Zeitungsberichtes war es, dass ab diesem Zeitpunkt

auch die Veranstalter bzw. Macher der Ausstellung in den Artikeln genannt

wurden. Vorher hatte nur die Stadt als Veranstalterin Erwaehnung gefunden.

Alle Presseberichte konnten jedoch nicht verhindern, dass sogar einige

Schulklassen die Ausstellung besuchten und sich auch sonst eine ganze Anzahl

Besucher und Besucherinnen einfanden.

Clausthal-Zellerfeld

In Clausthal-Zellerfeld war die Ausstellung vom 27. April bis zum 5. Mai zu

sehen. Der Besuch der Ausstellung war gut, auch einige Schulklassen fanden sich

ein. Bei den Veranstaltungen sah es aehnlich aus. Im Schnitt waren 40 Personen

anwesend. Lediglich die Veranstaltung zur Ausstellung und den konkreten

Ereignissen im Harzgebiet zum Ende des II. Weltkrieges war von nur etwas mehr

als 20 Leuten besucht.

Goslar

Zur Veranstaltung in Goslar waren ueber 30 Personen gekommen. Auch die

Demonstration mit 250 Teilnehmern und Teilnehmerinnen entsprach den

Erwartungen.

An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass es immerhin gelang ueber eine

Woche durch Zeitungsartikel in der "Goslarschen Zeitung" mit der Ausstellung in

Clausthal-Zellerfeld und den Veranstaltungen im oeffentlichen Bewusstsein zu

sein. Auch wenn die Berichterstattung insgesamt als sehr bescheiden bezeichnet

werden muss.

Mit der Demoroute hatte es im Vorfeld erhebliche Schwierigkeiten gegeben. Sie

wurde jedoch mit einigem diplomatischen Geschick schliesslich fast genauso

durchgesetzt wie wir es urspuenglich wollten.

Die Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit mit den Gruppen aus der Region hat gut funktioniert. Fuer

fast alle war es das erste Mal, dass sie eine solch grosse Aktion mit

durchgefuehrt haben. Guten Gewissens kann gesagt werden, dass auf diesem

Fundament der Zusammenarbeit in Zukunft weiter aufgebaut werden kann.

Insgesamt haben wir mit dieser Kampange eine der groessten nicht staatliche

bzw. offizielle Aktionen in der BRD durchgefuehrt. Das betrifft die Dauer der

Kampagne, ihre territoriale Ausbreitung und ihre inhaltliche Konzeption und

Qualitaet.

Es gelang sich mit dieser Kampagne gegenueber den offiziellen 8. Mai

Aktivitaeten zu behaupten. In den Faellen, wo die Medienarbeit funktionierte,

war das deutlich am Presseecho abzulesen. Ueberregional spielte die Kampagne

keine grosse Rolle, doch das war auch nicht das Ziel.

Insgesamt haben wir uns mit unserem Vorhaben, andere Inhaltiche Akzente zum 50.

Jahrestag der Zerschlagung des NS-Faschsimus zu setzen, durchgesetzt. Die

Kampagne hat aber auch erneut klar werden lassen, dass es ein harter und langer

Weg ist, sich ein eigenes politisches Profil zu geben. Besonders in der

Regionalarbeit kann ein solcher Prozess nur ueber Jahre ablaufen und wird auch

nur in solchen Zeitraeumen deutlich erkennbare Resultate zeigen. In diesem

Sinne gibt es also noch viel zu tun.

Die Texte die ueber die Kaempfe um die Festung Harz, den antifaschistischen

Widerstand und die Zwangsarbeit in den NS-Betrieben entstanden sind, zeigen,

dass auch die regionale Geschichte fuer eine progessive politische Arbeit

aufgearbeitet und genutzt werden kann. Die Texte sind in dieser Dokumantation

im wesentlichen wiedergegeben. Kuerzungen wurden an den Stellen vorgenommen,

die Wiederholungen bedeutet haetten.

Die wesentlichen Texte:

Der verdraengte Widerstand _ Zur Geschichte des antifaschistischen Widerstandes

im Harz

(aus: "revue regional" Januar 1995, nochmals abgedruckt in der Sonderausgabe

der "Harzer Lanbotin" zum 50. Jahrestag der Zerschlagung des NS-Faschismus)

Zur Geschichte des KZ-Komplexes Mittelbau-Dora

(aus: Sonderausgabe der "Harzer Landbotin" zum 50. Jahrestag der Zerschlagung

des NS-Faschismus)

Die sinnlose Schlacht um Bad Lauterberg vom 12. bis 14. April 1945

(siehe Sonderseite des Bad Lauterberger Tageblatt)

Das Kriegsende in Goettingen April 1945

(gekuerzt)

Die Kaempfe im Ostharz

(gekuerzt)

Die Kaempfe um den Nord- und Westharz im April 1945

(gekuerzt)

Bigraphische Daten von Walter Kraemer und Karl Peix befinden sich im Text "der

verdraengte Widerstand"

Autonome Antifa (M)

Mai 1995

Die Vollstaendige Dokumentation der Kampagne kann zum Preis von 5 DM plus Porto

unter der Adresse:

Autonome Antifa (M)

c/o Buchladen Rote Strasse

Rote Strasse 10

37073 Goettingen

bestellt werden.