Absender : Autonome_Antifa_M@p16.f16.n1.z69.sn.nadir.org (Autonome Antifa M)
Betreff : 8. Mai in Goettingen und Harz
Datum : Mi 17.05.95, 12:54 (erhalten: 22.05.95)
Nazi-Faschismus
Unter dem Motto "50. Jahrestag der Zerschlagung des Nazi-Faschismus" fuehrte
der Verein zur Foerderung antifaschistischer Kultur e. V. zusammen mit der
Autonomen Antifa (M), der Antifaschistischen Liste, der Antifa Quedlinburg
(Antifa "HQ"), der Antifa Oberharz und der Antifa Jugend Goslar vom 2. April
bis zum 8. Mai 1995 eine Veranstaltungskampagne durch.
Ziel der Kampange war es, im Gegensatz zur reaktionaeren und buergerlichen
Geschichtsaufarbeitung, in der Region Suedniedersachsen und dem Harz einen
progessiven antifaschistischen Akzent zu setzen. Der Schwerpunkt des
historischen Aspektes lag bei der Erinnerung an den weitgehend verdraengten
antifaschistischen Widerstand, der in der Region zum grossen Teil von
Kommunisten und Kommunistinnen ausging und heute groesstenteils verdraengt
wird. Genauso verdraengt wird das Schicksal tausendender sogenannter
Fremdarbeiter/Fremdarbeiterinnen und Kriegsgefangenen, die waehrend des II.
Weltkrieges zur Arbeit in deutschen Betrieben gezwungen waren.
Ein weiteres Augenmerk dieser Kampagne war auf den Einsatz von Jugendlichen aus
der Hitler-Jugend gerichtet, die am Ende des Krieges in den sinnlosen
Schlachten um die "Festung Harz" verheizt worden waren.
In Frage gestellt wurde darueber hinaus der Begriff der Befreiung, der
undifferenziert angewandt eine Ent-sorgung der NS-Vergangenheit und die
Leugnung der Kontinutitaet in System und Gesellschaft bedeutet.
Im Zentrum der Kampagne stand eine Ausstellung, die aus 40 reich bebilderten
Informationstafeln und vier Glasvitrinen mit Realien bestand; die von
zerschossenen Stahlhelmen bis zu Ausweisen reichten. Das besondere dieser
Ausstellung war ihr regionaler Zuschnitt. So wurden zwar die politischen und
gesellschaftlichen Entwicklungen in ihren reichsweiten Auswirkungen von 1918
bis in die Nachkriegszeit beschrieben, jedoch immer wieder in den regionalen
Bezug gesetzt. Hierbei waren vor allem die Realien wichtig, die unter diesen
Gesichtspunkten zusammengetragen worden waren.
Durch diese Komposition erhielt die Ausstellung eine unmittelbarere Wirkung. Es
ging um die Geschichte vor Ort, nicht nur abstrakt um die Geschichte
Deutschlands oder des II. Weltkrieges.
Zu dieser Ausstellung gab es eine Reihe von Veranstaltungen, die der gleichen
Konzeption folgten. Insgesamt wurden 15 Veranstaltungen (ohne
Eroeffnungsveranstaltungen und die antifaschistische Filmreihe des AStA) im
Zusammenhang mit der Ausstellung durchgefuehrt.
Die Vorgeschichte
Die organisatorischen und konzeptionellen Vorbereitungen fuer die
Veranstaltungsreihe reichten weit in das Jahr 1994 zurueck. Im Juni 1994 wurden
die ersten konkreten Schritte eingeleitet, so dass bis zum Februar 1995 die
Ausstellung zur 8. Mai-Kampagne im wesentlichen stand und die verschiedenen
Gruppen entsprechende Raeumlichkeiten anmieten konnten.
Im Bereich des Organisatorischen hatte der Verein zur Foerderung
antifaschistischer Kultur e. V. einen wesentlichen Beitrag zu leisten. In
Verhandlungen mit Vertretern der Stadtverwaltung in Goettingen wurde
beipielsweise versucht das alte Rathaus als Ort fuer die Ausstellung zu
bekommen.
Zunaechst schien alles gut in dieser Richtung zu verlaufen, da machten die
Ermittlungsbehoerden des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA) mobil.
Offensichtlich ging es der Generalstaatsanwaltschaft in Celle und dem LKA
darum, die antifaschistische Initative zum 8. Mai zu behindern.
Im Zusammenhang mit der groessten Anti-Antifa-Razzia in der Geschichte der
Bundesrepublik, am 5. und 6. Juli 1994 durch die Generalstaatsanwaltschaft
Celle und des LKA _ die sich hauptsaechlich gegen die Autonome Antifa (M)
richtete _ geriet unter anderem auch der Verein zur Foerderung
antifaschistischer Kultur e. V. in das Raederwerk der erfundenen Konstruktionen
der Generalstaatsanwaltsschaft.
Nachdem ueber Raumanfragen und einzelne Zeitungsartikel bekannt geworden war,
dass der Verein massgeblich an der Vorbereitung zu der 8. Mai Kampagne
beteiligt war, schlugen die Generalstaatsanwaltschft Celle und das LKA
unmittelbar vor Beginn der Veranstaltungsreihe zu.
Ab dem 14. Maerz erschienen in der HNA (Hessisch-Niedersaechsische Allgemeine),
dem Goettinger Tageblatt und der Frankfurter Rundschau mehrere Artikel hinter
denen der Journalist Matthias Brunnert steckte und die von entprechenden
Kreisen lanciert waren. Inhalt der Artikel war eine Denunziation des Vereines
der als "Tarnverein" der Autonomen Antifa (M) dargestellt und dem kriminelle
Machenschaften unterstellt wurden. Wenig spaeter tauchten zudem Beamte des LKA
im Goettinger Rathaus auf, um Unterlagen ueber Finanzantraege die der Verein an
die Stadt gestellt hatte zu beschlagnahmen.
Von vornherein war klar, dass es sich hierbei um eine politisch gezielte Aktion
handelte. Einige Behauptungen, deren Nichtigkeit sich bald herausstellen wird,
wurden zum Anlass fuer eine Hetzkampagne in den Medien mit einer entsprechenden
Beschlagnahmeaktion von Finanzantraegen des Vereines an dei Stadt genommen.
Zwar ging das Konzept der Generalstaatsanwaltschaft in Celle und des LKA nicht
ganz auf, dennoch hatten die Staatsorgane mit ihrer Aktion zu erreichen
vermocht, dass der Verein das Rathaus nicht als Ausstellungraum zur Verfuegung
gestellt bekam.
Antifasolidaritaetstag
Den Beginn der Kampagne bildete der "Antifasolidaritaetstag" im Jungen Theater
in Goettingen. Um 12.00 Uhr wurde die Ausstellung eroeffnet, um 13.00 Uhr gab
es einen entsprechenden Vortrag, anschliessend einen Film zum Kriegsende 1945
in Niedersachsen. Ungefaehr 40 Personen fanden sich zur
Eroeffnungsveranstaltung ein, die Ausstellung selbst sahen sich ungefaehr
doppelt so viele an. Damit war die Resonanz zufriedenstellend. Das Konzert am
Abend mit 200 bis 300 Besuchern und Besucherinnen war ebenfalls
zufriedenstellend besucht.
Eine Woche spaeter wurde die Ausstellung auf dem Marktplatz vor dem alten
Rathaus unter fuenf Pavillons aufgebaut. Von 10.00 Uhr bis 15.00 Uhr sahen
mehrere hundert Menschen die Ausstellungsstuecke. Zudem wurde alle 1 bis 2
Stunden eine Fuehrung durch die Ausstellung veranstaltet.
Leider wurde vor dieser erfolgreichsten Aktion innerhalb der Kampagne versaeumt
der Presse nochmal Bescheid zu geben, so dass sich bis auf einen Zufallsartikel
im "Extra Tip" leider nichts von dem Erfolg in den Medien umsetzte.
Die Ausstellung wurde danach vom 10. bis 13. April von der Anitaschistischen
Liste im Zentralen Hoersaalgebaeude in der Universitaet gezeigt. Der
Ausstellungsort war zwar nicht der allerbeste, dennoch sahen auf diese Weise
nochmal mehrere hundert Menschen die Ausstellung.
Die Veranstaltungen in Goettingen waren im Schnitt von 20 bis 30 Personen
besucht. Die geringe Besuchzahl hing sicher mit einem Ueberangebot von
Veranstaltungen zum Thema "8. Mai" zusammen. Lediglich die letzte Veranstaltung
von der Antifaschistischen Liste am 7. Mai war mit ueber 40 Personen gut
besucht.
Den Abschluss der Veranstaltungsreihe bildete die Teilnahme an einem Projekttag
der IGS in Goettingen am 8. Mai 1995.
Bad Lauterberg
Zur Veranstaltung in Bad Lauterberg, die am 13. April stattfand, waren etwas
mehr als 20 Personen gekommen. Das war aufgrund des sehr unguenstig gelegten
Termins _ es war Gruendonnerstag und mitten in den Osterferien _ trotz allem
noch befriedigend. Zumal in Bad Lauterberg tatsaechlich ausschliesslich
"normale" Bevoelkerung gekommen war. Ein so breites Publikum erreichten wir
sonst bei keiner Veranstaltung innerhalb dieser Kampagne.
Bad Lauterberg stellte auch in einem anderen Punkt eine Ausnahme dar. Ein Jahr
zuvor hatte der Verein zusammen mit anderen Organisationen eine Veranstaltung
und Demonstration zur Machtuebertragung auf die Faschisten und vor allem zur
Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand in der Harzstadt durchgefuehrt.
Diese Aktion hatte grosses Aufsehen erregt. Mit der erheblich kleineren
Folgeaktion zum 50. Jahrestag der Zerschlagung vom Nazi-Faschismus sollte auch
getestet werden, ob etwas von den Aktivitaeten des Vorjahres haengen geblieben
war.
Was die lokalen Zeitungen anging, kann dies behauptet werden. Die im
Kreisgebiet am meisten gelesene Zeitung der "Harzkurier", brachte auf seiner
ueberregionalen Umlaufseite eine grosse Vorankuendigung, das "Bad Lauterberger
Tageblatt" brachte gar eine Sonderseite mit dem ungekuerzten Text des
Referenten. So war die Veranstaltung keineswegs als Fremdkoerper stigmatisiert
oder ganz verschwiegen worden. Ausser bei dieser Veranstaltung hat die 8.
Mai-Kampagne ein solch positives Echo in den Zeitungen nur vom "Goettinger
Tageblatt" erfahren.
Die regionale Medienarbeit
Da mit den meisten Lokalzeitungen keine Erfahrungen vorlagen und eine
reakionaere Einstellung zu vermuten war, fand eine spezielle Medienarbeit
statt. Zur jeder Region wurde ein zwei Seiten langer Text verfasst, der die
historischen Ablaeufe zum Kriegsende beschrieb.
In diesen Texten war die Geschichte in antifaschistischem Sinne aufgearbeitet
und hob sich von den sonstigen Texten zum Thema ab. Die Kurzzusammenfassungen
waren so geschrieben, dass sie auf profunden Kentnissen der entsprechenden
Region aufbauten und auf keinen Fall als einfach mal schnell hingeschreiben
gelten konnten.
Nur in einem Fall, beim "Bad Lauterberger Tageblatt" wurde einmal ein
kompletter Text von einer Zeitung veroeffentlicht.
Eine solche Veroeffentlichung war nicht das eigentliche Ziel. Im Hintergrund
stand vielmehr die Ueberlegung, eine Referenz vorzulegen, mit der klar wurde,
dass hier nicht irgendwer auftaucht, sondern dass es um ernsthafte historische
Arbeit geht. Im grossen und ganzen hat das funktioniert. Unsere Aktionen wurden
von der Presse nicht totgeschwiegen, sondern durchaus verfolgt und
dokumentiert, wenn auch nicht immer nur im positiven Sinne.
Quedlinburg
In Quedlinburg wurde die Ausstellung am 19. April aufgebaut und war dort bis
zum 26. April zu sehen. Die Stadt war hier Mitveranstalter.
Waren am Abend des 19. April nach den offiziellen Ansprachen im Rathaus noch an
die 40 Menschen in die Ausstellung gekommen und hoerten sich eine
Spontaneroeffnungsrede an, waren bei der eigentlichen Eroeffnungsveranstaltung
am 21. April nur wenig mehr als 20 Personen anwesend.
Das lag wohl unter anderem an der negativen Berichterstattung in der Presse. In
der "Mitteldeutschen Zeitung" wurde die Ausstellung quasi als eine Art
SED-Geschichtsbeschreibung diffamiert.
Positiver Nebeneffekt dieses Zeitungsberichtes war es, dass ab diesem Zeitpunkt
auch die Veranstalter bzw. Macher der Ausstellung in den Artikeln genannt
wurden. Vorher hatte nur die Stadt als Veranstalterin Erwaehnung gefunden.
Alle Presseberichte konnten jedoch nicht verhindern, dass sogar einige
Schulklassen die Ausstellung besuchten und sich auch sonst eine ganze Anzahl
Besucher und Besucherinnen einfanden.
Clausthal-Zellerfeld
In Clausthal-Zellerfeld war die Ausstellung vom 27. April bis zum 5. Mai zu
sehen. Der Besuch der Ausstellung war gut, auch einige Schulklassen fanden sich
ein. Bei den Veranstaltungen sah es aehnlich aus. Im Schnitt waren 40 Personen
anwesend. Lediglich die Veranstaltung zur Ausstellung und den konkreten
Ereignissen im Harzgebiet zum Ende des II. Weltkrieges war von nur etwas mehr
als 20 Leuten besucht.
Goslar
Zur Veranstaltung in Goslar waren ueber 30 Personen gekommen. Auch die
Demonstration mit 250 Teilnehmern und Teilnehmerinnen entsprach den
Erwartungen.
An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass es immerhin gelang ueber eine
Woche durch Zeitungsartikel in der "Goslarschen Zeitung" mit der Ausstellung in
Clausthal-Zellerfeld und den Veranstaltungen im oeffentlichen Bewusstsein zu
sein. Auch wenn die Berichterstattung insgesamt als sehr bescheiden bezeichnet
werden muss.
Mit der Demoroute hatte es im Vorfeld erhebliche Schwierigkeiten gegeben. Sie
wurde jedoch mit einigem diplomatischen Geschick schliesslich fast genauso
durchgesetzt wie wir es urspuenglich wollten.
Die Zusammenarbeit
Die Zusammenarbeit mit den Gruppen aus der Region hat gut funktioniert. Fuer
fast alle war es das erste Mal, dass sie eine solch grosse Aktion mit
durchgefuehrt haben. Guten Gewissens kann gesagt werden, dass auf diesem
Fundament der Zusammenarbeit in Zukunft weiter aufgebaut werden kann.
Insgesamt haben wir mit dieser Kampange eine der groessten nicht staatliche
bzw. offizielle Aktionen in der BRD durchgefuehrt. Das betrifft die Dauer der
Kampagne, ihre territoriale Ausbreitung und ihre inhaltliche Konzeption und
Qualitaet.
Es gelang sich mit dieser Kampagne gegenueber den offiziellen 8. Mai
Aktivitaeten zu behaupten. In den Faellen, wo die Medienarbeit funktionierte,
war das deutlich am Presseecho abzulesen. Ueberregional spielte die Kampagne
keine grosse Rolle, doch das war auch nicht das Ziel.
Insgesamt haben wir uns mit unserem Vorhaben, andere Inhaltiche Akzente zum 50.
Jahrestag der Zerschlagung des NS-Faschsimus zu setzen, durchgesetzt. Die
Kampagne hat aber auch erneut klar werden lassen, dass es ein harter und langer
Weg ist, sich ein eigenes politisches Profil zu geben. Besonders in der
Regionalarbeit kann ein solcher Prozess nur ueber Jahre ablaufen und wird auch
nur in solchen Zeitraeumen deutlich erkennbare Resultate zeigen. In diesem
Sinne gibt es also noch viel zu tun.
Die Texte die ueber die Kaempfe um die Festung Harz, den antifaschistischen
Widerstand und die Zwangsarbeit in den NS-Betrieben entstanden sind, zeigen,
dass auch die regionale Geschichte fuer eine progessive politische Arbeit
aufgearbeitet und genutzt werden kann. Die Texte sind in dieser Dokumantation
im wesentlichen wiedergegeben. Kuerzungen wurden an den Stellen vorgenommen,
die Wiederholungen bedeutet haetten.
Die wesentlichen Texte:
Der verdraengte Widerstand _ Zur Geschichte des antifaschistischen Widerstandes
im Harz
(aus: "revue regional" Januar 1995, nochmals abgedruckt in der Sonderausgabe
der "Harzer Lanbotin" zum 50. Jahrestag der Zerschlagung des NS-Faschismus)
Zur Geschichte des KZ-Komplexes Mittelbau-Dora
(aus: Sonderausgabe der "Harzer Landbotin" zum 50. Jahrestag der Zerschlagung
des NS-Faschismus)
Die sinnlose Schlacht um Bad Lauterberg vom 12. bis 14. April 1945
(siehe Sonderseite des Bad Lauterberger Tageblatt)
Das Kriegsende in Goettingen April 1945
(gekuerzt)
Die Kaempfe im Ostharz
(gekuerzt)
Die Kaempfe um den Nord- und Westharz im April 1945
(gekuerzt)
Bigraphische Daten von Walter Kraemer und Karl Peix befinden sich im Text "der
verdraengte Widerstand"
Autonome Antifa (M)
Mai 1995
Die Vollstaendige Dokumentation der Kampagne kann zum Preis von 5 DM plus Porto
unter der Adresse:
Autonome Antifa (M)
c/o Buchladen Rote Strasse
Rote Strasse 10
37073 Goettingen
bestellt werden.