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Sun Jul 30 18:24:46 1995
 

den 03.04.95

Wir, die internationale Initiative LIBERTAD begruessen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der heutigen Manifestation zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Selbstbefreiung der Haeftlinge von Buchenwald. Insbesondere moechten wir alle ehemaligen Haeftlinge, die Ueberlebenden von Buchenwald und die Kaempferinnen und Kaempfer des antifaschistischen Widerstands gruessen und ihnen unsere Hochachtung zum Ausdruck bringen.

Der antifaschistische Widerstand in den okkupierten Laendern, in Deutschland und dort vor allem innerhalb der Konzentrations- und Vernichtungslager des NS-Faschimus hat seine historische Bedeutung bis zum heutigen Tag nicht verloren. Dieser Widerstand und seine politische Haltung, die im Schwur von Buchenwald, solange zu kaempfen bis der Faschismus mit seinen Wurzeln besiegt ist, zum Ausdruck kommt, hat fuer viele von uns einen lebenspraegenden Sinn. Dies vor allem dadurch, dass die Kaempferinnen und Kaempfer des antifaschistischen Widerstands fuer viele junge Menschen zur politischen Orientierung wurden.
Das Wissen um die Existenz und Praxis des antifaschistischen Kampfes war substantiell, vor allem fuer den Prozess der Aneignung der Geschichte und die darin zu treffende Entscheidung, die bereits wieder restaurierten gesellschaftlichen Verhaeltnisse als gegeben hinzunehmen oder Widerstand dagegen zu leisten. Der NS-Faschismus war die beispiellose Realitaet von Verfolgung und Vernichtung. Das Wissen ueber Organisationen wie die Rote Kapelle, ueber Sabotageaktionen in Ruestungsbetrieben, ueber den Kampf um die Verteidigung jedes Menschenlebens in den Lagern, ueber Partisanengruppen ist fuer uns eine unerschoepfliche Quelle, aus der wir bis heute lernen. So vor allem auf die Tatsache, dass Widerstand gegen faschistische und imperialistische Politik unter extremsten Bedingungen immer moeglich ist, dass der Bruch mit den herrschenden Verhaeltnissen auch eine Frage der eigenen Identitaet ist. Die kompromisslose Haltung gegenueber dem NS, die Staerke der Identitaet der Widerstandskaempferinnen und -kaempfer lebt weiter im Widerstand gegen Unterdrueckung und Ausbeutung.

Die BRD hat sich in gesellschaftlichen und politischen Bereichen in die Kontinuitaet des Nazistaates gestellt. Am deutlichsten in der Verfolgung, Kriminalisierung und Bekaempfung des kommunistischen, anti-imperialistischen und antifaschistischen Widerstands. Die Justiz hat sich in den Jahren nach der BRD-Gruendung ein ausreichendes Instrumentarium geschaffen um mit allen Mitteln das zu erreichen, was politische Vorgabe war und ist: den politischen Widerstand gegen ihre imperialistische Politik zu zerschlagen. Wenige Jahre nach der Befreiung der Haeftlinge aus den NS-Konzentrationslagern sassen in der BRD wieder Tausende politisch Verfolgte in den Knaesten. Zunaechst wurden Kommunistinnen und Kommunisten eingesperrt, mit ihnen andere Gegnerinnen und Gegner der Aufruestungs- und Atomwaffenpolitik, die die BRD waehrend des sog. Kalten Krieges bereits betrieben hat.
In den 70er Jahren verfolgte die BRD Bewegungen, Organisationen und bewaffnet kaempfende Gruppen. Mit Sondergesetzen, Sondergerichten und dem beispiellosen Ausbau des Polizei- und Staatsschutzapparates bis hin zum Bau des Hochsicherheitsknastes Stammheim, der im Ausland unter deutschem Namen ebenso bekannt ist wie das Wort "Berufsverbot", versuchte der BRD-Staat sich des Widerstands zu entledigen.
Politische Gefangene gab und gibt es in der BRD seit den 50er Jahren bis zum heutigen Tag.
In den Knaesten sind heute - zum Teil seit 20 Jahren inhaftiert - Gefangene aus der Rote Armee Fraktion. In den vergangenen Jahren konnte erreicht werden, dass einige der politischen Gefangenen freigelassen wurden. Die Genossinnen und Genossen, die jetzt noch im Knast sind, wurden zu mehrfach lebenslaenglich verurteilt, werden weiterhin nach jahrelanger Isolation in Geiselhaft gehalten. Immer wieder und zum Teil fuer mehrere Jahre werden junge Antifaschistinnen und Antifaschisten eingesperrt. Heute sind in den Knaesten der BRD mehr als 200 kurdische politische Gefangene und einzelne aus Befreiungsbewegungen anderer Laender.
Deutschland hat heute in fast jeder Stadt Abschiebeknaeste, Lager fuer Fluechtlinge, Zwangsaufenthaltszonen an den Flughaefen - Tausende Menschen aus dem Trikont und Osteuropa sind dort eingesperrt.

Weltweit ist Realitaet, dass die politischen Veraenderungen der vergangenen Jahre nicht genutzt werden konnten, die Freiheit aller politischen Gefangenen zu erkaempfen. Im Gegenteil: waehrend die Regierungen und Staatsapparate, die fuer Folter und Mord verantwortlich sind, immer enger zusammenarbeiten sind revolutionaere und Widerstandsbewegungen weit von einer Einheit entfernt. Die gefangenen Revolutionaerinnen und Revolutionaere trifft diese Entwicklung hart. Sind sie doch auf besondere Weise auf internationale Solidaritaet angewiesen.

Auf dem Gegenkongress zum Weltwirtschaftsgipfel im Sommer 1992 in Muenchen/BRD trafen sich eine Reihe von Vertreterinnen und Vertretern von Befreiungsbewegungen und Basisorganisationen aus verschiedenen Laendern. Einige von ihnen - Moviemento Liberation Nacional/Puerto Rico, National Demokratic Front/ Philippinen, FMLN/El Salvador, MLN-Tupamaros/Uruguay, Genossinnen und Genossen aus der BRD - verstaendigten sich darauf, einen internationalen Kampftag fuer die Befreiung der politischen Gefangenen zu etablieren und auf diesem Weg das Ziel der Befreiung aller Genossinnen und Genossen zu erreichen.

Die Geschichte aller Kaempfe lehrt uns, dass die Freiheit der Gefangenen nur erreicht werden kann, wenn sie erkaempft wird. Die Gefaengnistore auf dieser Welt haben sich immer nur dann geoeffnet, wenn die dafuer gefuehrten Kaempfe erfolgreich waren.
Eine Zielsetzung von LIBERTAD ist es auch, gegen das Vergessen anzukaempfen. Die Geschichte von Buchenwald und die Kaempfe der Ueberlebenden zeigen uns die politisch weitreichende Bedeutung dieser Frage. Die vor allem von den BRD-Regierungen und rechten Historikern betriebene Relativierung der Geschichte des NS diente und dient nicht nur der Straffreiheit der Taeter sondern praegt die Gesellschaft weit darueber hinaus. Diese Politik bereitet den Boden - zum Beispiel - fuer die Akzeptanz der Tatsache, dass heute Tausende Menschen interniert, eingesperrt und abgeschoben werden koennen. Die Relativierung der Verbrechen des Faschismus bringt auch die Abstumpfung gegenueber der menschenverachtenden Politik der Herrschenden heute hervor.

In einigen Laendern, insbesondere in Lateinamerika und in Suedafrika, kamen in den letzte Jahren vielfach Gefangene im Zuge des Wechsels von der Diktatur zur sogenannten Demokratie frei. Nirgendwo kamen sie alle und vorbehaltlos frei. Die Freiheit der Gefangenen wurde eingetauscht gegen die Straffreiheit der Militaers, Folterer und Moerder. Die Folter ist weiter in diesen Gesellschaften gegenwaertig und die Gefangenen, die Opfer der Folter werden so zu Ausgestossenen. Jede Bewegung, die fuer die Freiheit der Gefangenen eintritt, muss auch deutlich machen: keine Straffreiheit fuer Folterer. Nichts wird vergessen, nichts wird vergeben!

Wir moechten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der heutigen Manifestation insbesondere auf die Situation von Mumia Abu-Jamal aufmerksam machen. Mumia Abu-Jamal ist ein schwarzer politischer Gefangener in USA - er ist von der rassistischen US-Justiz zum Tode verurteilt worden. Mumia Abu-Jamal war lange Jahre Aktivist der Black Panther Party, er war und ist ein bekannter Journalist, der sich kompromisslos gegen Rassismus, gegen systematische und strukturelle Unterdrueckung von Schwarzen engagierte. Er unterstuetze die Bewegungen der Schwarzen, die kulturellen, politischen und militanten Widerstand gegen Rassismus und Unterdrueckung organisierten. Mumia Abu-Jamal soll zum Schweigen gebracht werden. Er soll hingerichtet werden.
Die Verteidigung versuchte in den letzten Jahren immer wieder, das Verfahren neu fuehren zu koennen. Der neu gewaehlte Gouverneur von Pennsylvania fuehrte seinen letztjaehrigen Wahlkampf u.a. mit der Parole, alle zum Tode verurteilten schnell hinzurichten. Mumias Leben ist in hoechster Gefahr.
Wir moechten Sie bitten, mit uns und mit vielen Menschen aus allen Teilen der Welt dafuer einzutreten, die Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal zu verhindern. Gerade von diesem Platz hier, von Buchenwald aus laut und deutlich zu sagen: Nein zur Todesstrafe, Nein zur Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal durch die rassistische US-Justiz waere ein bedeutender Beitrag fuer das Ziele, Mumias Leben zu retten.

Initiative fuer einen internationalen Kampftag
Freiheit fuer alle politischen Gefangenen weltweit!
Libertad![@69:1/16.6][@69:1/13.56] LIBERTAD@LINK-F.rhein-main.de