Wir, die internationale Initiative LIBERTAD begruessen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der heutigen Manifestation zum Gedenken an den 50. Jahrestag der Selbstbefreiung der Haeftlinge von Buchenwald. Insbesondere moechten wir alle ehemaligen Haeftlinge, die Ueberlebenden von Buchenwald und die Kaempferinnen und Kaempfer des antifaschistischen Widerstands gruessen und ihnen unsere Hochachtung zum Ausdruck bringen.
Der antifaschistische Widerstand in den okkupierten Laendern, in Deutschland
und dort vor allem innerhalb der Konzentrations- und Vernichtungslager des
NS-Faschimus hat seine historische Bedeutung bis zum heutigen Tag nicht
verloren. Dieser Widerstand und seine politische Haltung, die im Schwur von
Buchenwald, solange zu kaempfen bis der Faschismus mit seinen Wurzeln besiegt
ist, zum Ausdruck kommt, hat fuer viele von uns einen lebenspraegenden Sinn.
Dies vor allem dadurch, dass die Kaempferinnen und Kaempfer des
antifaschistischen Widerstands fuer viele junge Menschen zur politischen
Orientierung wurden.
Das Wissen um die Existenz und Praxis des antifaschistischen Kampfes war
substantiell, vor allem fuer den Prozess der Aneignung der Geschichte und die
darin zu treffende Entscheidung, die bereits wieder restaurierten
gesellschaftlichen Verhaeltnisse als gegeben hinzunehmen oder Widerstand
dagegen zu leisten. Der NS-Faschismus war die beispiellose Realitaet von
Verfolgung und Vernichtung. Das Wissen ueber Organisationen wie die Rote
Kapelle, ueber Sabotageaktionen in Ruestungsbetrieben, ueber den Kampf um die
Verteidigung jedes Menschenlebens in den Lagern, ueber Partisanengruppen ist
fuer uns eine unerschoepfliche Quelle, aus der wir bis heute lernen. So vor
allem auf die Tatsache, dass Widerstand gegen faschistische und
imperialistische Politik unter extremsten Bedingungen immer moeglich ist, dass
der Bruch mit den herrschenden Verhaeltnissen auch eine Frage der eigenen
Identitaet ist. Die kompromisslose Haltung gegenueber dem NS, die Staerke der
Identitaet der Widerstandskaempferinnen und -kaempfer lebt weiter im Widerstand
gegen Unterdrueckung und Ausbeutung.
Die BRD hat sich in gesellschaftlichen und politischen Bereichen in die
Kontinuitaet des Nazistaates gestellt. Am deutlichsten in der Verfolgung,
Kriminalisierung und Bekaempfung des kommunistischen, anti-imperialistischen
und antifaschistischen Widerstands. Die Justiz hat sich in den Jahren nach der
BRD-Gruendung ein ausreichendes Instrumentarium geschaffen um mit allen Mitteln
das zu erreichen, was politische Vorgabe war und ist: den politischen
Widerstand gegen ihre imperialistische Politik zu zerschlagen.
Wenige Jahre nach der Befreiung der Haeftlinge aus den NS-Konzentrationslagern
sassen in der BRD wieder Tausende politisch Verfolgte in den Knaesten.
Zunaechst wurden Kommunistinnen und Kommunisten eingesperrt, mit ihnen andere
Gegnerinnen und Gegner der Aufruestungs- und Atomwaffenpolitik, die die BRD
waehrend des sog. Kalten Krieges bereits betrieben hat.
In den 70er Jahren verfolgte die BRD Bewegungen, Organisationen und bewaffnet
kaempfende Gruppen. Mit Sondergesetzen, Sondergerichten und dem beispiellosen
Ausbau des Polizei- und Staatsschutzapparates bis hin zum Bau des
Hochsicherheitsknastes Stammheim, der im Ausland unter deutschem Namen ebenso
bekannt ist wie das Wort "Berufsverbot", versuchte der BRD-Staat sich des
Widerstands zu entledigen.
Politische Gefangene gab und gibt es in der BRD seit den 50er Jahren bis zum
heutigen Tag.
In den Knaesten sind heute - zum Teil seit 20 Jahren inhaftiert - Gefangene aus
der Rote Armee Fraktion. In den vergangenen Jahren konnte erreicht werden, dass
einige der politischen Gefangenen freigelassen wurden. Die Genossinnen und
Genossen, die jetzt noch im Knast sind, wurden zu mehrfach lebenslaenglich
verurteilt, werden weiterhin nach jahrelanger Isolation in Geiselhaft gehalten.
Immer wieder und zum Teil fuer mehrere Jahre werden junge Antifaschistinnen und
Antifaschisten eingesperrt. Heute sind in den Knaesten der BRD mehr als 200
kurdische politische Gefangene und einzelne aus Befreiungsbewegungen anderer
Laender.
Deutschland hat heute in fast jeder Stadt Abschiebeknaeste, Lager fuer
Fluechtlinge, Zwangsaufenthaltszonen an den Flughaefen - Tausende Menschen aus
dem Trikont und Osteuropa sind dort eingesperrt.
Weltweit ist Realitaet, dass die politischen Veraenderungen der vergangenen Jahre nicht genutzt werden konnten, die Freiheit aller politischen Gefangenen zu erkaempfen. Im Gegenteil: waehrend die Regierungen und Staatsapparate, die fuer Folter und Mord verantwortlich sind, immer enger zusammenarbeiten sind revolutionaere und Widerstandsbewegungen weit von einer Einheit entfernt. Die gefangenen Revolutionaerinnen und Revolutionaere trifft diese Entwicklung hart. Sind sie doch auf besondere Weise auf internationale Solidaritaet angewiesen.
Auf dem Gegenkongress zum Weltwirtschaftsgipfel im Sommer 1992 in Muenchen/BRD trafen sich eine Reihe von Vertreterinnen und Vertretern von Befreiungsbewegungen und Basisorganisationen aus verschiedenen Laendern. Einige von ihnen - Moviemento Liberation Nacional/Puerto Rico, National Demokratic Front/ Philippinen, FMLN/El Salvador, MLN-Tupamaros/Uruguay, Genossinnen und Genossen aus der BRD - verstaendigten sich darauf, einen internationalen Kampftag fuer die Befreiung der politischen Gefangenen zu etablieren und auf diesem Weg das Ziel der Befreiung aller Genossinnen und Genossen zu erreichen.
Die Geschichte aller Kaempfe lehrt uns, dass die Freiheit der Gefangenen nur
erreicht werden kann, wenn sie erkaempft wird. Die Gefaengnistore auf dieser
Welt haben sich immer nur dann geoeffnet, wenn die dafuer gefuehrten Kaempfe
erfolgreich waren.
Eine Zielsetzung von LIBERTAD ist es auch, gegen das Vergessen anzukaempfen.
Die Geschichte von Buchenwald und die Kaempfe der Ueberlebenden zeigen uns die
politisch weitreichende Bedeutung dieser Frage. Die vor allem von den
BRD-Regierungen und rechten Historikern betriebene Relativierung der Geschichte
des NS diente und dient nicht nur der Straffreiheit der Taeter sondern praegt
die Gesellschaft weit darueber hinaus. Diese Politik bereitet den Boden - zum
Beispiel - fuer die Akzeptanz der Tatsache, dass heute Tausende Menschen
interniert, eingesperrt und abgeschoben werden koennen. Die Relativierung der
Verbrechen des Faschismus bringt auch die Abstumpfung gegenueber der
menschenverachtenden Politik der Herrschenden heute hervor.
In einigen Laendern, insbesondere in Lateinamerika und in Suedafrika, kamen in den letzte Jahren vielfach Gefangene im Zuge des Wechsels von der Diktatur zur sogenannten Demokratie frei. Nirgendwo kamen sie alle und vorbehaltlos frei. Die Freiheit der Gefangenen wurde eingetauscht gegen die Straffreiheit der Militaers, Folterer und Moerder. Die Folter ist weiter in diesen Gesellschaften gegenwaertig und die Gefangenen, die Opfer der Folter werden so zu Ausgestossenen. Jede Bewegung, die fuer die Freiheit der Gefangenen eintritt, muss auch deutlich machen: keine Straffreiheit fuer Folterer. Nichts wird vergessen, nichts wird vergeben!
Wir moechten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der heutigen Manifestation
insbesondere auf die Situation von Mumia Abu-Jamal aufmerksam machen. Mumia
Abu-Jamal ist ein schwarzer politischer Gefangener in USA - er ist von der
rassistischen US-Justiz zum Tode verurteilt worden. Mumia Abu-Jamal war lange
Jahre Aktivist der Black Panther Party, er war und ist ein bekannter
Journalist, der sich kompromisslos gegen Rassismus, gegen systematische und
strukturelle Unterdrueckung von Schwarzen engagierte. Er unterstuetze die
Bewegungen der Schwarzen, die kulturellen, politischen und militanten
Widerstand gegen Rassismus und Unterdrueckung organisierten.
Mumia Abu-Jamal soll zum Schweigen gebracht werden. Er soll hingerichtet
werden.
Die Verteidigung versuchte in den letzten Jahren immer wieder, das Verfahren
neu fuehren zu koennen. Der neu gewaehlte Gouverneur von Pennsylvania fuehrte
seinen letztjaehrigen Wahlkampf u.a. mit der Parole, alle zum Tode verurteilten
schnell hinzurichten. Mumias Leben ist in hoechster Gefahr.
Wir moechten Sie bitten, mit uns und mit vielen Menschen aus allen Teilen der
Welt dafuer einzutreten, die Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal zu verhindern.
Gerade von diesem Platz hier, von Buchenwald aus laut und deutlich zu sagen:
Nein zur Todesstrafe, Nein zur Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal durch die
rassistische US-Justiz waere ein bedeutender Beitrag fuer das Ziele, Mumias
Leben zu retten.
Initiative fuer einen internationalen Kampftag
Freiheit fuer alle politischen Gefangenen weltweit!
Libertad![@69:1/16.6][@69:1/13.56]
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