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Absender : fpan@rummelplatz.uni-mannheim.de (Markus Kolbeck)

Betreff : Am 9. Mai soll 'heiliger Krieg' beginnen

Datum : Mi 03.05.95, 21:06


Aus eindeutig rechtsextremer Richtung kommt das sog. "Deutsche Manifest",

in dem versucht wird, 50 Jahre nach Kriegsende das Verbrechensregime der

Nazis reinzuwaschen und in dem antisemitische und auslaenderfeindliche

Handlungen angedroht werden. Die kritische Einstellung des Autors (R. Funke)

des folgenden Artikels zu den Ermittlungsbehoerden mag ueberzeichnet wirken,

sollte aber nicht vom eigentlichen Schwerpunkt ablenken, naemlich dem Interesse rechtsextremer Stroemungen, die Geschehnisse zur Zeit des Dritten

Reiches umzuluegen, um dem Nationalsozialismus das verbrecherische Gewicht

zu nehmen.

_Am 9. Mai soll 'heiliger Krieg' beginnen_

_Neonazi-"Manifest" wird in Berlin verbreitet /

Staatsschutz schweigt und ermittelt_

Es war einmal eine "Gesellschaft fuer Deutsches Volkstum", die keiner

kannte im Lande, weshalb sie ein "Deutsches Manifest" ersann, auf dass

es anders werde. Man schickte es zuhauf an Leute, die es gar nicht haben

wollten. Und als diese es dennoch gelesen hatten, dachten sie daran, dass

kranke Geister auferstanden sind. Verrueckte aus laengst vergangenen Zeiten. Doch hier taeuschten sie sich.

Denn auch im Irrsinn liegt zuweilen Methode, die des "Manifestes" zuerst

darin, dem geaechteten Nazireich das Antlitz von Unschuld und Reinheit

zu erstellen, eine wohlabgewogene Heils-Lehre, die alles Uebel dieser

Welt seit Menschengedenken in den Juden sieht, in deren Sinnen nach Hass

und Rache, einer Krankheit, die sie mit der Muttermilch einsaugen, wie

in der 81seitigen Broschuere geschrieben steht. Ueblerweise gibt sie als

Sitz der Gesellschaft die Berliner Oranienburger Strasse 31 an, Adresse

der Neuen Synagoge.

Der pseudowissenschaftliche Rundumschlag trifft alle, die von nichtarischer Rasse und Natur sind: Slawenvoelker wissen nun, dass sie "brutal,

gewissenlos, grausam, heimtueckisch" sind, die Russen, dass sie - voellig

von "Hebraeern durchsetzt" - mit dem als "Atheisten getarnten" Juden Lenin

an der Spitze seit 1917 ueber 150 Kriege ausgeloest und gefuehrt haben.

Die Juden selbst erfahren, dass sie es waren, die den zweiten Weltkrieg

vom Zaune brachen, die Gewerkschaften, dass sie auf der Einfalt des Arbeiters basieren, und das polnische Volk, dass es "im Grunde unfaehig ist,

einen Staat zu bilden" und "seine Misere in der eigenen Veranlagung begruendet" ist.

In der "Reichskristallnacht", so liest es sich in dem als "Manifest" gescholtenen Papier, haben "einige untergeordnete Gliederungen der SA" zugeschlagen, was den Fuehrer durchaus erzuernte und ihn veranlasste, diesen

"Mob und Poebel" vor Gericht zu stellen. Zyklon B in Auschwitz und anderen

Konzentrationslagern diente einzig der Desinfektion und mithin dem Schutz

vor Epidemien...

Wem soviel Talent beim Erfinden und Erzaehlen von abartigen politischen

Maerchen widerfaehrt, der darf damit rechnen, dass die dafuer befugten

und beauftragten Behoerden des Berliner Gemeinwesens ihr Auge auf ihn

werfen. Doch wohin und worauf sollen sie es richten?

Beim Landesamt fuer Verfassungsschutz (LfV) weiss man immerhin, dass

wegen des braunen Papiers in hauptstaedischen Briefkaesten inzwischen

mehrere Anzeigen vorliegen. Aber wer es geschrieben und in Nuernberg

der Post zugesteckt hat, vermag allein der Himmel zu sagen, nicht das

LfV. Vielleicht verberge sich hinter besagter Gesellschaft auch nur ein

einzelner Herr, moeglicherweise handele es sich aber auch um eine Phantasiebezeichnung, spekulieren wolle man nicht, liess uns das LfV wissen.

Auf jeden Fall halte man das "Manifest" fuer "ein neonazistisches Pamphlet der uebelsten Sorte".

Zu den entsetzten Empfaengern gehoerte auch die Deutsche Kuenstler Agentur zu Berlin. Postwendend sandte sie letzten Donnerstag das Kuvert an

den Innensenat. Dort landete es auf dem Schreibtisch eines nicht zustaendigen Mitarbeiters, so dass es sich nun auf dem Wege in die Fuehrungsetagen befindet. Solange es dort nicht eingetroffen ist, koennte man sich

auch nicht aeussern, beschrieb eine Sprecherin auf ND-Anfrage den Vorgang.

Blieb der uns als eifrig bekannte Staatsschutz. Doch auch hier war lediglich zu vernehmen, was man immer hoert, wenn die Polizei ahnungslos ist:

"Es wird ermittelt, zum gegenwaertigen Zeitpunkt koennen wir uns aber noch

nicht aeussern."

Da bleibt dem Staatsschutz wenig Zeit. Denn fuer den 9. Mai 1995 Null Uhr

kuendigte obige Gesellschaft den "heiligen Volkskrieg zur Befreiung Deutschlands" an. Benzin und Streichhoelzer seien mitzubringen. Insofern moege

dem Staatsschutz ausnahmsweise einmal eine erfolgreiche Verrichtung in der

richtigen Richtung beschieden sein.

Rainer Funke

(ND vom 22.03.1995)

-Markus