Seit Ende des zweiten Weltkrieges kämpfen die Opfer des Nationalsozialismus um eine angemessene Entschädigung. Zu Zehntausenden wurden sie in Konzentrationslager verschleppt und mußten dort unter mörderischen Bedingungen Zwangsarbeit leisten.
Der Lageralltag war geprägt von Schlägen, Demütigungen, Überanstrengung, Kälte, Hunger und Tod. Täglich starben Häftlinge an Entkräftung oder wurden in den Gaskammern ermordet, wenn ihre Arbeitskraft ausgebeutet war und sie den deutschen Unternehmen keinen Nutzen mehr brachten.
Profit durch Vernichtung durch Arbeit war der Teil des NS - System, an dem sich deutsche Konzerne wie IG - Farben, Siemens, AEG, Krupp, Mercedes - Benz und viele andere gerne beteiligten, denn ihr Teil war der Profit.
Das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal bezeichnete 1946 das NS - Zwangsarbeitsprogramm als das "größte Sklavenunternehmen der Geschichte". Viele der heutigen deutschen Konzerne begründen ihr Vermögen und ihre Existenz auf dieses Sklavenunternehmen, z.B. die IG - Farben Nachfolgefirmen Bayer, BASF und Hoechst.
Für die Opfer dieses Vernichtungssystems begann nach 1945 der Kampf um eine wenigstens finanzielle Entschädigung für die erlittenen Qualen, wenn auch die psychischen und physischen Folgen der KZ - Haft sie bis heute begleiten.
Unter alliierter Besatzung wurde zunächst auf eine rasche und unbürokratische Entschädigung aller Opfergruppen gedrängt. Eine solche sollte es jedoch nie geben. Die bundesdeutschen Behörden nutzten von Anfang an die desperate Lage der überlebenden Juden und Jüdinnen in Deutschland und derer, die ins Ausland geflüchtet oder ausgewandert waren aus. Anträge auf Entschädigung, auf durch Flucht und Raub per Arisierung verlorenes Eigentum oder auch nur Rentenansprüche wurden abgelehnt. Durch den Krieg und die Verschleierungsstrategie der Nazis war die Aktenlage schlecht und den Überlebenden war es nicht möglich, lückenlose Bescheinigungen und sonstige Belege über ihr Schicksal und das ihrer ermordeten Angehörigen zu besorgen. Die Beweislast für die Naziverbrechen lag ausgerechnet bei deren Opfern. Diese Entwicklung wurde spätestens mit der Einführung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) im Juni 1956 zementiert. Links von der SPD stehenden Personen wurden nun Entschädigungen mit der Begründung verweigert, sie seien Feinde der "freiheitlich - demokratischen Grundordnung". Vom BEG ausgeschlossen waren auch alle Opfer, die nicht bis zum 31.Dezember 1952 in die BRD zugezogen waren oder aber innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 gelebt hatten, außerdem Zwangsarbeiter, Sinti und Roma, Zwangssterilisierte, "Gemeinschaftsfremde" und Homosexuelle. Anträge konnten nur bis zum 1.April 1958 eingereicht werden, später eingereichte Forderungen wurden abgewiesen. Bei Anerkennung sollten für jeden Monat nachgewiesenen "Freiheitsschaden" 150 Mark ausgezahlt werden.
Das war alles!
Die Debatte um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hat in diesem Jahr eine Brisanz erreicht wie nie zuvor.
Von der rot/grünen Bundesregierung hatten sich viele Überlebende eine veränderte Politik in der Entschädigungsfrage erhofft. Doch Gerhard Schröder fand sich noch vor seiner Vereidigung zum Bundeskanzler zu Hintergrundgesprächen mit deutschen Unternehmensvorständen bereit und sicherte diesen den Schutz der deutschen Wirtschaft durch die Bundesregierung zu. Eine einheitliche Haltung von Staat und Wirtschaft sollte abgestimmt werden, und diese besteht inzwischen hauptsächlich aus dem gemeinsamen Anliegen, drohende Sammelklagen ehemaliger NS - Geschädigter, vor allem aus den USA, abzuwehren. Bei soviel Rückendeckung trauen sich die Unternehmen nun auch, mit Vertretern der NS - Verfolgten - Verbände und deren Anwälten über die Einrichtung eines Entschädigungsfonds zu verhandeln.
Als Verhandlungsführer und Bundesbeauftragter für die sogenannte "Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" fungiert seit Mitte Juli der FDP - Ehrenvorsitzende und ehemalige Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff. Ein Mann, dessen politische Vergangenheit nichts Gutes hoffen läßt. Nach den Recherchen des Wuppertaler Historikers Stephan Stracke war Lambsdorff 1952/53 in seiner damaligen Funktion als Bezirksvorsitzender der FDP in Nordrhein - Westfalen an einer Reihe von Aktivitäten zur Hilfe für ehemalige Kriegsverbrecher und an Propaganda für deren Generalamnestie beteiligt. Er unterschied sich damit nicht von seinen Parteikollegen, denn die FDP war in den Nachkriegsjahren von NS - Tätern unterwandert. Ein für die Opferverbände vertrauenswürdiger Verhandlungspartner ist er damit nicht.
In die Verhandlungen am 6. und 7. Oktober in Washington ging die Stiftungsinitiative mit dem Angebot von 6 Milliarden Mark. Gerhard Schröder bezeichnete dies als "würdiges Angebot". Die Anwälte der Opfer fordern einen zweistelligen Betrag deutlich über 10 Milliarden Mark.
Völlig unklar ist bisher noch, wer aus dieser Summe entschädigt werden soll, ob z.B. auch ehemalige ZwangsarbeiterInnen aus landwirtschaftlichen Betrieben mit einbezogen werden sollen oder ob auch durch anderes NS - Unrecht entstandene Schäden, z.B. durch Arisierung, gleich mitbeglichen werden sollen. Letzteres wäre der deutschen Seite am liebsten, wäre doch so gleich ein "Gesamt - Schlussstrich" unter die Angelegenheit gezogen, Rechtssicherheit gegen weitere Klagen vorausgesetzt natürlich. Die vorgesehene Summe wäre dann jedoch lächerlich gering und mit der Zahlung von Almosen würden die Opfer ein weiteres Mal gedemütigt.
Doch weder Boykott - Drohungen aus verschiedenen US-Bundesstaaten konnten die Konzerne zum Aufstocken der Summe bewegen, noch eine Anzeigenkampagne, die in der New York Times erschien mit Slogans wie: "Mercedes-Benz - Design. Performance. Slave Labour.", oder "Bayer´s Biggest Headache - Human Experiments And Slave Labour". Sie wollen nicht zahlen und sie werden nicht zahlen, wenn sie nicht durch massiven Druck dazu gezwungen werden. Die Verhandlungen wurden ohne Ergebnis vertagt, sie scheiterten an der Haltung der deutschen Konzerne und der deutschen Regierung.
Die nächste Verhandlungsrunde wird in Deutschland stattfinden, voraussichtlich am 16. und 17. November in Bonn. Eine kritische Medienberichterstattung, wie es sie in Washington gab, ist hier nicht zu erwarten. Auch die öffentliche Diskussion, so ist zu befürchten, wird hier anders verlaufen.
Schon in den bisherigen Beiträgen war immer wieder von "überzogenen Forderungen" die Rede, von "Haifischen im Anwaltsgewand" und davon, dass "die wohl nie genug kriegen". Die antisemitischen Untertöne sind nicht zu überhören, berechtigte Forderungen nach Entschädigung werden als von außen an Deutschland herangetragen und von "internationalen Medien" forciert empfunden. Die deutsche Gesellschaft ist weder willens noch fähig zu einer Solidarisierung mit den Überlebenden, stattdessen stilisiert sie sich einmal mehr selbst zum Opfer. "Deutsche wollt ihr ewig zahlen", brachten rechtsradikale Gruppen am 2.Oktober in Berlin auf einem Transparent die Stimmung auf den Punkt.
"Deutschland muß zahlen", fordern wir!
Jedes der Unternehmen, das sich heute an der "Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen" beteiligt, hätte es verdient, wie von den Alliierten geplant, zerschlagen zu werden.
Nicht erwähnt wurden hier zudem die zahllosen kleinen Firmen, Betriebe und Einrichtungen oder die einzelnen Landwirte, die von der Versklavung und Ausbeutung der Menschen profitiert haben.
Zwangsarbeit war in Nazi - Deutschland die Regel.
Die wichtigste Aufgabe einer Nachkriegs - Linken wäre es gewesen, diese deutschen Zustände zu thematisieren, öffentlich zu machen und anzugreifen. Der Protest blieb jedoch weitgehend den Überlebenden des Holocaust überlassen, Unterstützung und Solidarisierung durch die Linke erfuhren sie kaum.
Die entscheidende Frage der nächsten Jahre wird sein, ob es uns gelingt, gemeinsam mit den Überlebenden deren Forderungen Nachdruck zu verleihen und der weiteren Instrumentalisierung von Auschwitz für deutsche Grossmachtambitionen entgegenzutreten.