Schon die Anfänge der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Tiergartens sind mit den Namen jüdischer MitbürgerInnen verbunden. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts befand sich z.B. die Kattunbleiche des friderizianischen "Schutzjuden" Wulff auf dem Gelände des heutigen Siegmundshofs.
1933 lebten in Tiergarten 12.286 Juden und Jüdinnen, mehr als in den meisten anderen Berliner Bezirken. Zum gößten Teil handelte es sich um Jahrzehnte lang eingesessenen bürgerlich Mittelstand, der im vornehmen Hansaviertel wohnte.
Bekannte jüdische Persönlichkeiten aus Kultur und Politik lebten in Tiergarten, so Rosa Luxenburg, Ferdinand Lassalle und Walther Rathenau; Käthe Kollwitz, Lovis Corinth und Walter Benjamin.
Hier gab es über 16 jüdische Einrichtungen: Schulen, Bethäuser und ein Wohnheim, außerdem die größte Berliner Synagoge in der Levetzowstraße mit über 2.000 Plätzen. Diese Präsenz im öffentlichem Leben schützte die jüdischen BürgerInnen nicht vor dem Antisemitismus ihrer Nachbarn. Nach Ende der Nazidiktatur lebten in Tiergarten nur noch 185 jüdische Menschen, ihre Kultur erlosch: Die Synagoge wurde 1956 abgerissen.
"Scherben lagen über Scherben"
Am 9. November wütete der Mob in Tiergarten wie im übrigen Deutschland. Augenzeugen berichten von Plünderungen und Zerstörungen, die sogar die HJ bewogen, ab dem 10. November zerstörte Juweliergeschäfte, z.B. in der Jagowstraße, zu bewachen, weil der plündernden Normalbevölkerung nicht anders Einhalt zu gebieten war. In dieser Nacht wurde auch die Synagoge in der Levetzowstraße geschändet und beschädigt.
Deportationen
1941 begann das letzte Kapitel der Judenverfolgung. Nachdem die jüdische Gemeinde gezwungen worden war, ein Sammellager für 1.000 Juden und Jüdinnen in der Synagoge Levetzowstraße einzurichten, begannen am 18. Oktober 1941 die Deportationen.
Insgesamt verließen bis zum März 1945 63 "Osttransporte" mit ca. 35.000 und 117 "Alterstransporte" mit 15.000 jüdischen Menschen Berlin in Richtung der Vernichtungslager und Ghettos. Die Vertreibung spielte sich am hellichten Tage vor aller Augen ab. Wurden die Opfer anfangs noch auf LKWs zum Deportationsbahnhof Putlitzstraße, dem größten Berlins, verfrachtet, mußten sie ab 1943 diesen Weg zu Fuß zurücklegen. Schwer mit Koffern und Bündeln beladen, wurden sie von SS durch Jagowstraße, Alt-Moabit, Lübeckerstraße, Havelberger Straße und Quitzowstraße getrieben, wo auf einem Nebengleis des Güterbahnhofs Moabit die Deportationszüge warteten.
Keinem Tiergartener kann entgangen sein, was sich abspielte. Joel König, Mitarbeiter der jüdischen Gemeinde, erinnert sich: "Die Levetzow-Synagoge lag an einer stark belebten Straßenkreuzung, gerade neben dem Postamt NW 87. Bei aller geschäftigen Eile konnte den Berlinern nicht entgehen, daß sich die Berliner Juden, jung und alt, in das Gotteshaus schleppten, beladen mit Rucksäcken und Handgepäck. Als ich mich später aus meinem Versteck herauswagte, sah ich mit eigenen Augen, daß sie es sahen."
Die grausamen Szenen bei der Verladung, wenn die Bewacher ihren Opfern die letzte Habe raubten und sie mit Stiefeltritten und Faustschlägen in die Waggons trieben, waren von den umliegenden Häusern und der Putlitzbrücke genau zu verfolgen.
Anfangs wurden die Deportationswaggons sogar an Regelzüge angehängt und verkehrten fahrplanmässig: "Moabit 17:20 - Auschwitz 10:48".
In einem dieser Züge befand sich auch die 44jährige Tiergartener Jüdin Käthe Schlesinger aus der Lessingstraße 13, die am 9. Dezember 1943 mit ihren 9 Kindern, 8-18 Jahre alt, in die Gaskammern von Auschwitz geschickt wurden.
Die Deportationen waren eine Normalität und lösten keinen Protest aus.