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Fri Nov  5 15:29:46 1999
 

Wie war das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zum Naziterror?

Interview mit Fred Löwenberg

Fred Löwenberg ist Vorsitzender des BVVdN (Berliner Vereinigung ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener)
Fred erlebte die Reichspogromnacht als junger Mann und Lehrling. Als "Zeitzeuge" möchte er nicht bezeichnet werden, denn davon gibt es immer noch einige Millionen in Deutschland. Er spricht als Naziopfer und Antifaschist.

Wie war das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zum Naziterror ?

In Vorbereitung ihrer Welteroberungsziele haben die Nazis von Anfang an darauf gesetzt und auch setzen müssen, den sogenannten inneren Feind erst einmal auszuschalten, zu vernichten, zu isolieren, unschädlich zu machen, wie man damals sagte, um sich dann der Welt zuzuwenden, die man sich unterjochen wollte. Man hatte ein Großdeutschland geschaffen, wollte ein Großgermanien schaffen und brauchte an der "inneren Front" Ruhe. Darum wurden zuerst die politischen Gegner ausgeschaltet, die Kommunisten und Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, Pazifisten, Christen. Alle die nicht für Hitler waren wurden barbarisch verfolgt mit braunen Häusern, KZ`s, Zuchthäusern, mit Todesurteilen, also dem brutalen Terror in seiner ganzen Breite. Andere wurden aus Deutschland verjagt, gezwungen wegzugehen. Der Zweite Weltkrieg begann also politisch und moralisch schon am 30. Januar 1933, als man den Nazis die Macht übertragen hat. Und die erste Gruppe von Verfolgten die ausgerottet wurden, waren eben neben den Euthanasieopfern, jüdische Mitbürger und Romas und Sinti. Für das Ziel der Welteroberung brauchte man diese als Feindbild. Ein großer Teil des deutschen Volkes war auch manipulierbar mit den Schlagworten 'Schmach von Versailles', die deutsche Geltung muss verstärkt werden. Das kam bei einem großen Teil der Deutschen gut an, dazu eine große soziale Demagogie. Ein großer Teil der Deutschen war geneigt diese Pläne mitzumachen. Der Widerstand war insgesamt tapfer und mutig, aber zu schwach, nicht genug organisiert, gespalten. So konnten die Nazis ohne Widerstand 1939 Polen überfallen, wie vorher schon die Tschechoslowakei. Es ist die Tragik des deutschen Volkes, dass wir uns nicht selbst befreit haben vom Faschismus, wir mussten von den Allierten befreit werden, das ist ja kein Ruhmesblatt in der deutschen Geschichte. Der Widerstand selber, war ehrenwert und gehört zu den besseren Seiten unserer Geschichte. Es gab immer zwei Deutschlands, aber dass das eine 12 Jahre lang regiert hat, dass haben nicht nur Juden und Sinti und Romas, sondern alle Völker Europas, auch das deutsche Volk, in diesem von Hitler verursachten Zweiten Weltkrieg, bitter bezahlt.

Wie siehst du die aktuelle Entwicklung des Neofaschismus und rechter Tendenzen in Deutschland ?

Es ist nicht leicht zu verstehen, in meinem Alter und mit meinen Erfahrungen, dass sich manches, was ich als junger Mensch in Deutschland erlebt habe, sich jetzt in ähnlicher Form vollzieht. Natürlich darf man die heutigen Verhältnisse nicht mit dem deutschen Faschismus vergleichen, aber man muß sehen, dass bestimmte Erscheinungen des Rechtsextremismus zunehmen. Nicht so sehr in Wahltendenzen, obwohl man das auch differenzieren muss. Was sich aber flächendeckend über Deutschland verteilt, das sind vor allem antisemitische, rassistische Exzesse, Ausländerfeindlichkeit, Friedhofsschändungen. Das sind Symptome eines sich wieder entwickelnden Neofaschismus, der mir zu denken gibt. Es sind vor allem auch junge Menschen involviert, dass macht mir ein bisschen Angst, weil auch Schüler schon in der rechtsextremen Szene anzutreffen sind. Wenn man da nichts von der Gesellschaft aus unternimmt, als Demokraten und Antifaschisten, dann kann das flächendeckende Auswirkungen haben, noch mehr als bisher. Das jüngste Ereignis ist für mich die Schändung der 103 Gräber auf dem größten jüdischen Friedhof auf diesem Kontinent in Berlin Weißensee. Das waren doch keine Einzeltäter oder Kinder, das war eine organisierte, systematisch vorangetriebene Schändung. Grabsteine aus der Verankerung herauszureissen, zu zertrümmern, dazu gehört Zeit und Kraft. Das ist schon ein Menetekel für mich, ein Symptom dafür, wie weit wir in diesem Deutschland schon wieder sind.
Und auch in anderen Ländern Europas, denken wir an die Erfolge dieses rechtsextremen Haiders in Österreich. Das verdeutlicht, dass der Faschismus eben noch nicht ausgerottet ist, im Gegenteil. Wir sind schon längst über die Zeit hinaus wo man sagen könnte: Wehret den Anfängen. Wir stehen mittendrin in der Entwicklung. Ich spreche noch nicht von einer Polarisierung der Kräfte, aber es müssen sich auf der linken Seite die Kräfte formieren, denn auf der rechten Seite ist die Vernetzung schon voll im Gange.

Was hälst du für notwendig um dieser Entwicklung entgegenzutreten?

Das wichtigste ist, dass die demokratischen Parteien und die Gewerkschaften sich in die Pflicht nehmen und antifaschistische Gruppen unterstützen. Wir brauchen eine Politik, die, über Parteigrenzen hinweg, zusammen mit den Gewerkschaften, Widerstand leistet, sich konsequent als die wahren Interessensvertreter der Bevölkerung artikulieren, und den Neonazis so die soziale Basis wegnimmt für ihre Demagogie. Ich gehe davon aus wenn sich die demokratischen Kräfte nur in der einen Frage: Neofaschismus und Rassismus nicht mehr zuzulassen, einig sind, ist schon die Hälfte erreicht.

Was hälst du von den aktuellen Debatten um Gedenken und Entschädigungen?

Es steht jedenfalls fest, dass heute die Sensibilität für die Geschichte des dritten Reiches, für die Verbrechen des Faschismus größer geworden ist, dass es den Herrschenden nicht gelungen ist, die Verbrechen des Faschismus aus dem Gedächtnis der Völker zu streichen. Es ist nicht gelungen eine Politik des Verdrängens, des Vergessens, des Verfälschens durchzusetzen. Gerade das Gedenken wird immer wichtiger, das sind wichtige Meilensteine für die heutige Demokratie und den Ausbau demokratischer Prozesse.
Man kann zwar zum Holocaust-Mahnmal unterschiedlicher Meinung sein. Mir persönlich wäre lieb gewesen, ein gemeinsames Denkmal, vielleicht für alle Opfer des Naziregimes. Jetzt wo es gebaut wird, ist es die Pflicht dieses Denkmal in Schutz zu nehmen gegen alle theoretischen und möglicherweise einmal kommenden praktischen Anschläge. Es gibt ja schon Drohungen genug, also wir müssen uns mit den Opfern auch in dieser Hinsicht solidarisieren. Dasselbe ist die Frage der Entschädigung für die Zwangsarbeiter. Das ist für mich eine Herzensfrage. Es gibt für die deutschen Widerstandskämpfer, zwar differenziert, manche sind ausgegrenzt, bescheidene materielle Anerkennung. Aber immerhin. Während es für so viele nach Deutschland verschleppte Arbeitssklaven weder ideelle noch materielle Anerkennung gibt! Dieses Geschachere jetzt von den Großunternehmen, der deutschen Großindustrie usw. um solche minimalsten Zuwendungen, das ist keine Wiedergutmachung, das spricht für die ganze Erbärmlichkeit derer die den Hitler-Faschismus groß gemacht haben, die am Hitlerfaschismus verdient haben. Wenn sie ein Gewissen und Achtung hätten vor anderen Menschen! Aber sie stellen sich nur selbst als Opfer dar! Das ist heute eine ganz zentrale Frage eines humanistisch geprägten Antifaschismus: die Menschlichkeit zu verteidigen gegenüber den wenigen Überlebenden des braunen Terrors und der Okkupation der europäischen Länder in Ost und West. Es ist eine Ehrenpflicht, auch gerade für uns deutsche Antifaschisten und Naziverfolgte, uns mit den ausländischen Opfern zu verbinden und ihre Rechte zu unseren Pflichten zu machen. Aber was geboten wird zur Zeit an Entschädigungen von Seiten der Besitzenden ist einfach ein Trauerspiel und gereicht nicht zur Ehre dieses Volkes.

Wir danken Fred für dieses Interview. Ihr könnt ihn am 8. November selber treffen und ausfragen (siehe Termine).
BVVdN; Franz - Mehring - Platz 1; Tel.: 2978 4178/7