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Tue Jul 21 17:04:18 1998
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Der "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE) als
parlamentarischer Arm des Revanchismus
Nachdem sich im östlichen Mitteleuropa schon in der Schlußphase
des 2. Weltkrieges Teile der deutschen Zivilbevölkerung auf den
Weg nach Westen machten, weil sie - teils aus Überzeugung, teils
aus Angst vor Rache für die deutschen Greuel in Osteuropa - die
Existenz unter der Nazibarbarei der Befreiung durch die Rote
Armee vorzogen, wurde in den Jahren nach 1945 die verbliebene
deutsche Bevölkerung gemäß den Beschlüssen des Potsdamer
Abkommens (1) vor allem aus Polen und der Tschechoslowakei
weitgehend ausgesiedelt.
Im Laufe dieser Aktionen trafen bis 1949 in der späteren BRD etwa
7.6 Mio. 'Heimatvertriebene' ein, das entspricht gut 16% der
Gesamtbevölkerung. Regional stellte dieser Personenkreis noch
deutlich höhere Anteile: So wurden in Bayern 21%, in
Niedersachsen 27% und in Schleswig-Holstein immerhin 34% gezählt.
Dies führte wegen der Kriegszerstörungen und der hohen
Arbeitslosigkeit in den jeweiligen Regionen zu enormen sozialen
Spannungen, so daß die alliierten Siegermächte eine
Radikalisierung der Vertriebenen nach rechts oder gar nach links
befürchteten. Um dieser Gefahr zu begegnen, erließen die
Alliierten ein Koalitionsverbot für die Vertriebenen. Von diesem
Schritt erhoffte man sich (vergeblich, wie sich in der Folge
zeigen sollte) eine Integration der Unzufriedenheit in die von
den Alliierten lizensierten Parteineugründungen.
Potsdamer Abkommen, August 1945
Trotzdem wurde das Koalitionsverbot schon bald unterlaufen, und
mit dem Erlahmen des nie besonders intensiven
Entnazifizierungsschwungs sowie dem Beginn des Kalten Krieges
schossen auf lokaler und regionaler Ebene die ersten informellen
Zusammenschlüsse der Vertriebenen aus dem politischen Boden. Die
Ziele dieser Organisationen bewegten sich von Anfang an zwischen
den sich widersprechenden Polen der Sozialpolitik und des
Revanchismus: Es wurde sich einerseits für die materielle und
politische Eingliederung der Klientel an den neuen Wohnsitzen
engagiert, doch wurde andererseits stets die Rückkehr in die
Vertreibungsgebiete beschworen.
Die Initiative zur Gründung der
Vertriebenenverbände ging häufig von alten Nazi-Kadern aus, die
hier ein ideales Betätigungsfeld sahen. Dies war eine zutreffende
Einschätzung, weil bei den Vertriebenen ein breit getragener und
verbissener antikommunistischer Grundkonsens vorherrschte, der nicht
nach den Ursachen der Vertreibung - dem deutschen Vernichtungskrieg
gegen Osteuropa - fragte, sondern sich an dem 'bolschewistischen
Terror' festmachte, als dessen Opfer sie sich sahen. Diese
vorgebliche 'Erlebnisgemeinschaft' trug auch dazu bei, die
faschistische Volksgemeinschaftsideologie zu konservieren,
wodurch sich ein weiterer Anknüpfungspunkt für Nazi-Funktionäre
ergab.
Theodor Oberländer -
Ein deutscher Lebenslauf
- 1905
- geboren in Meinigen; Studium der Land- und Volkswirtschaft, Promotion
- 1923
- Teilnahme am Hitler-Putsch in München
- 1933
- Eintritt in die NSDAP; in der SA erreicht Oberländer den Rang eines Hauptsturmführers
- 1934-37
- Reichsführer des 'Bundes deutscher Osten', Vorsitzender des
VDA-Landesverbandes Ostpreußen
- bis 1940
- Professur in Danzig, Greifswald und Königsberg; Propagandist der NS-'Bevölkerungspolitik'
- 1940
- 'Ostexperte' und Offizier der
ukrainischen Wehrmachtseinheit 'Nachtigall', bei deren Einmarsch
in Lwow Ende Juni 1941 es zu Massenmorden mit bis zu 5000 Toten
kommt. Oberländer wird deshalb am 29.4.1960 in der DDR in
Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Das Urteil wird
1993 in der BRD aufgehoben.
- 1942
- Offizier im Bataillon 'Bergmann', das im Kaukasus
eingesetzt wird und dort die
Zivilbevölkerung terrorisiert
- 1943
- Professur in Prag, Schulung
des NS-Führungsnachwuchses; gegen Ende des Krieges wird
Oberländer in den Stab der mit den Nazis kollaborierenden und
extrem antikommunistischen "Russischen Befreiungsbewegung" des
Generals Wlassow berufen
- 1948
- FDP-Mitglied
- 1950
- Übertritt zum BHE
- 1953
- BHE-MdB und Bundesvertriebenenminister
(erzwungener Rücktritt 1960)
- 1954
- Vorsitzender des BHE
- 1955
- Austritt aus dem BHE
- 1956
- Eintritt in die CDU
- 1958
- Bundespräsident Heuss überreicht Oberländer das Großkreuz
des Bundesverdienstordens
- 1957-61
- CDU-MdB, dito 1963-65
- 1981
- Mitunterzeichner des neonazistischen 'Heidelberger
Manifests'; Oberländer war/ist außerdem Mitglied der
rechtsextremen 'Gesellschaft für freie Publizistik' und hat
Kontakte zur 'Antikommunistischen Weltliga'
- 1993
- Ehrenerklärung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für
Oberländer
- 1994
- Anläßlich des 'Tages der Heimat' in Berlin wird Oberländer von
VDA-Verwaltungsratsmitglied Eberhard Diepgen
für 'Verdienste um den Deutschen Osten' geehrt
- 1996
- Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen Oberländer
wegen der 1942 nahe dem kaukasischen Kislowodsk durch ihn vollzogenen
Erschießung einer gefangenen russischen Lehrerin
Ein wesentlicher Grund für das verbreitet reaktionäre
Bewußtsein der Vertriebenen geht jedoch über die konkreten
Erlebnisse während der NS-Zeit hinaus und ist in der
rückständigen sozialökonomischen Situation in den Ostgebieten des
Deutschen Reiches zu sehen. Diese waren relativ schwach
industrialisiert und weitgehend agrarisch-kleinbürgerlich
strukturiert, was häufig zur Folge hatte, daß sich dort der
krisenhafte Einbruch des Kapitalismus in kollektivem
Konservativismus niederschlug. Belegt wird dies u.a. durch die
Resultate der Reichstagswahlen in 'Ostelbien' vor 1933, wo
reaktionäre Parteien, aber auch die NSDAP eine Vielzahl ihrer
Hochburgen hatten. Doch wieder zurück in die Nachkriegszeit.
Obwohl das Koalitionsverbot seit 1948 zunehmend aufgeweicht
wurde, gelang es keinem Parteigründungsversuch der Vertriebenen,
eine Lizenz der Alliierten zu erhalten, so daß die Bundestagswahl
1949 ohne die Teilnahme einer derartigen Revanchistenorganisation
stattfand. Erst nach der offiziellen Gründung der BRD entstanden
eine Reihe teils konkurrierender, teils kooperierender
Vertriebenenparteien. Während dabei der offen nazistische Ansatz
die BRD frontal ablehnte und am Fortbestand des Deutschen Reichs
festhielt (2), betonte eine zweite Fraktion des
Vertriebenenspektrums den sozialpolitischen Schwerpunkt und
verlegte sich darauf, die Integration ihrer Klientel in die BRD
anzustreben.
Extremismus...
Sammelbecken für Altnazis
Auf der Basis dieser zweiten Position erfolgte dann, initiiert
u.a. von
Waldemar Kraft,
Dr. Alfred Gille und
Hans-Adolf Asbach
(3), am 8.1.1950 in Kiel die Gründung des BHE
(4). Schon im Juli
des selben Jahres feierte der BHE bei der Landtagswahl in
Schleswig-Holstein einen spektakulären Erfolg: Erreicht wurden
23,4% der Stimmen, was dem BHE den
Ministerpräsidentenstellvertretersessel sowie zwei Ministerposten
einbrachte.
Dieser Wahlsieg sorgte für den bundesweiten
Durchbruch des BHE, so daß 1951 die Partei unter dem Vorsitz von
Kraft in der gesamten BRD konstituiert werden konnte. Hier
profilierte sie sich schnell als 'pressure group' für die
materiellen Interessen der Vertriebenen, die sie erfolgreich in
den Auseinandersetzungen um den sogenannten Lastenausgleich
(5) vertrat.
Der enorme Aufschwung des BHE hatte zur Folge, daß
Teile des rechtsextremen Spektrums der Partei beitraten, weil
sich hier eine Massenbasis auftat; außerdem kam es bald zu
Reibereien mit den Landsmannschaften der Vertriebenen, die sich
trotz häufiger personeller Überschneidungen dem
Hegemonialanspruch des BHE über die Vertriebenenbewegung nicht
unterwerfen wollten.
Den Höhepunkt der Entwicklung erreichte der
BHE bei der Bundestagswahl 1953, als er 7% der Stimmen erhielt
und mit 27 Mandaten in das Parlament einzog. Trotzdem wurde
dieses Ergebnis mit Enttäuschung verbucht, hatten doch lediglich
1/3 der Vertriebenen für den BHE votiert und so die Zahl der
Sitze unter die erwarteten 'mindestens 40' gedrückt.
...der Mitte
Die BHE-Fraktion trat daraufhin der Regierungskoalition bei, was der Partei
zwar bald harsche Kritik von seiten der landsmannschaftlichen Hardliner
wegen des Westintegrationskurses Adenauers, aber auch zwei
Ministerposten für Kraft (Besondere Aufgaben) und Prof.Dr.
Theodor Oberländer (Bundesvertriebenenminister - siehe auch
Kasten!) eintrug.
Adenauer bezog den BHE in seine Regierung ein,
um sich so eine breitere Parlamentsmehrheit zu verschaffen, ging
es doch Anfang der 50er Jahre besonders auf dem Gebiet der
Wiederaufrüstung um verfassungsändernde Maßnahmen, zu denen eine
2/3-Mehrheit im Bundestag benötigt wurde.
Erstickung à la Adenauer
Mit dieser Einbindung der BHE-Spitze in den bürgerlichen
Machtblock setzte jedoch auch der Niedergang der
Vertriebenenpartei ein. So brachte die pragmatische Orientierung
auf die Adenauersche Westbindungspolitik innerorganisatorisch die
'Eisenfresserfraktion' auf, die einen 'Verzicht auf die
Ostgebiete' witterte. Wesentlicher war indessen, daß das
einsetzende westdeutsche 'Wirtschaftswunder' für eine zunehmende
ökonomische Integration der Vertriebenen in die BRD-Gesellschaft
sorgte. Mit dieser Entwicklung ging dem BHE jedoch das bis dahin
prägende Politikfeld verloren.
Nachdem 1954 Kraft durch eine
Palastrevolte entmachtet und stattdessen Oberländer zum
Parteivorsitzenden gekürt wurde, trat 1955 eine Parlamentarier-
Gruppe um eben diese beiden Funktionäre (K.-O.-Gruppe)
spektakulär aus dem BHE aus. Hintergrund dessen waren schwere
taktische - in den grundsätzlichen revanchistischen Zielen
herrschte durchaus Einigkeit! - Differenzen innerhalb der Partei
anläßlich der Frage einer 'Europäisierung' der Saar. Diese
äußerten sich darin, daß die K.-O.-Gruppe den Kurs Adenauers
unterstützte, weil sie hierin die Voraussetzung von
Wiederbewaffnung, Souveränität und Großmachtpolitik sah, während
ihre Opponenten um
Frank Seiboth und
Linus Kather (6)
diese Linie wütend mit dem Argument bekämpften, daß mit dieser 'Preisgabe
deutschen Bodens' Fakten für die Gebiete im Osten geschaffen
werden würden. Im Ergebnis dieses Machtkampfes setzte sich die
ultranationalistische Seiboth-Kather-Fraktion durch, und der BHE
ging im Bundestag in die Opposition.
Angesichts des
Bedeutungsverlusts des Sozialen für die Politik der Partei
versuchte die BHE-Führung in der zweiten Hälfte der 50er Jahre,
den BHE an der 'nationalen Frage' neu zu profilieren, und die
noch nie besonders versöhnlichen Reden der Vertriebenenpolitiker
wurden noch schriller. Der Versuch, die Klientel mit knallhartem
Revanchismus bei der Stange zu halten, scheiterte jedoch (7),
weil die Bundesregierung zumindest verbal nie den Anspruch auf
die Ostgebiete aufgegeben hatte, so daß den Angriffen auf die
'Verzichtspolitik' Adenauers und dessen 'Ausverkauf der Heimat'
die Überzeugungskraft fehlte.
Deutscher Opferkult
Darüberhinaus existierte ein
offensichtlicher Riß zwischen der aggressiv vorgetragenen Kritik
an der Regierung und der gleichzeitigen pragmatischen
Zusammenarbeit mit der CDU auf parlamentarischer Ebene.
Konsequenterweise verfehlte der BHE 1957 mit nur noch 4.6% den
Wiedereinzug in den Bundestag. Das Siechtum der Partei verstärkte
sich, was sich in Mitgliederschwund und abnehmendem Einfluß auf
die Staatspolitik zeigte. Als Flucht nach vorne versuchte die
BHE-Führung um Seiboth, vor der Bundestagswahl 1961 mit einer
gleichfalls gescheiterten rechtskonservativen Organisation, der
vor allem in Niedersachsen verankerten Deutschen Partei, zu
fusionieren, um so die 5%-Hürde nehmen zu können.
Der Versuch endete in einem Debakel: Nur 2.8% der WählerInnen entschieden
sich für die neue 'Gesamtdeutsche Partei', die, kaum gebildet,
als Folge der Niederlage wieder rapide zerfiel. Der wesentliche
Teil der Mitglieder wurde von der CDU absorbiert, und ein
weiterer, kleinerer Teil ging im faschistischen Sumpf unter, aus
dem dann in der zweiten Hälfte der 60er Jahre die NPD
hervorquellen sollte.
Anmerkungen:
- (1)
- Während der Konferenz von Potsdam (Juli-August 1945) der
alliierten Siegermächte wurden u.a. konkrete Vereinbarungen über
die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus dem östlichen
Mitteleuropa getroffen.
- (2)
- Die bekannteste neonazistische Partei jener Zeit war die
1952 verbotene 'Sozialistische Reichspartei' SRP.
- (3)
- Waldemar Kraft, 1940-45 Geschäftsführer
der 'Reichsgesellschaft für Landbewirtschaftung', 1943 NSDAP-
Mitglied, Ehren-Hauptsturmführer der Allgemeinen SS.
Dr. Alfred Gille, 1933 SA-, 1937 NSDAP-Mitglied.
Hans-Adolf Asbach, 1933
NSDAP-, 1934-35 SA-Mitglied, 1934-39 Abteilungsleiter der
Deutschen Arbeitsfront. Asbach wurde 1957 in Schleswig-Holstein
zum Rücktritt von seinem Ministeramt gezwungen, weil er u.a.
viele ehemalige Nazis bzw. SS-Mitglieder in sein Amt geholt
hatte.
- (4)
- Der vollständige Name dieser Organisation lautete
seit dem 14.11.52 'Gesamtdeutscher Block / Block der
Heimatvertriebenen und Entrechteten', kurz: GB / BHE.
- (5)
- Im 'Lastenausgleich' ging es um eine Entschädigung nicht etwa der
Opfer des deutschen Faschismus, sondern derjeniger deutscher
Bevölkerungsgruppen, die infolge der Krieges Eigentums- bzw.
Vermögensverluste hatten.
- (6)
- Frank Seiboth, Mitglied der Sudetendeutschen Partei,
1939 Gauleiter für Schulung und Leiter
des NS-Schulungslagers im Sudetengebiet. Dr. Linus Kather
entwickelte erst in der Nachkriegszeit im Zuge seiner
hochrangigen Positionen in Vertriebenenverbänden und Parlament
(1949-54 MdB CDU, 1954-57 MdB BHE) deutlich rechtsextremistische
Neigungen. 1969 kandidierte er anläßlich der Bundestagswahl für
die NPD. Außerdem beteiligte er sich 1970 an der
neofaschistischen 'Aktion Widerstand'.
- (7)
- Nachdem der BHE 1954 seine höchste Mitgliederzahl von etwa 165.000
erreicht hatte, ging diese Zahl bis 1960 kontinuierlich auf ca. 91.000 zurück.
Literatur:
Benz, W. (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten.
Ursachen, Ereignisse, Folgen. Fischer Taschenbuch Verlag,
Frankfurt/Main, 1995.
DER SPIEGEL: Drittes Reich im Kleinen, 2.12.1959.
v. Goldendach, W., Minow, H.-R.: "Deutschtum erwache!" Aus dem
Innenleben des staatlichen Pangermanismus. Dietz Verlag Berlin,
1994.
Kinder, H., Hilgemann, W.: dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Band 2.
Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart. Deutscher
Taschenbuch Verlag, München, 1977.
Stöss, R. (Hrsg.): Parteienhandbuch Band 3 (EAP - KSP). Die
Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980. Westdeutscher
Verlag, Opladen, 1986.