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Tue Jul 21 17:04:18 1998
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Wiedergänger Deutschland ?
Um einschätzen zu können, wie sich
der BRD-Imperialismus gegenüber Osteuropa verhalten wird, kommen
wir um eine Analyse der Interessen des deutschen Kapitals und der
damit zusammenhängenden Handlungsmöglichkeiten des Staats nicht
herum. Zwei Kurzschlüsse sind dabei ziemlich beliebt. So heißt es
mitunter, daß die Welt künftig von einem Geflecht teils
konkurrierender, teils kooperierender transnationaler Konzerne
beherrscht werden würde, die für ihre global organisierte
Ausbeutung der staatlichen Hülle immer weniger bedürfen. Dies
führt konsequenterweise zu der Auffassung, daß es inzwischen
unsinnig geworden sei, Kapitalinteressen noch nationalstaatlich
zu definieren. Die Gegenposition zu diesem Ansatz, der den
Nationalstaat als tendenziell überflüssig ansieht, beschreibt den
deutschen Staat als zwanghaften Wiederholungstäter. Es wird eine
unheilige Allianz aus politischer Elite und Kapital beschworen,
die sich auf ihre antiwestlichen Traditionen besinnen und sich
als Ordnungsmacht für die Länder Ost- und Südosteuropas in Szene
setzen würde, um diese Region als Basis für einen erneuten 'Griff
nach der Weltmacht' (F. Fischer) zu nutzen (1).
Beide Argumentationslinien beziehen sich auf die
Erscheinungsebene des aktuellen Metropolenkapitalismus, nehmen
jedoch nur einen Teil für das Ganze und blenden so die reale
Widersprüchlichkeit des Prozesses aus. Deshalb können sie die
Entwicklungen nicht vollständig erfassen. Es liegt auf der Hand,
daß die politische Praxis, die aus derart verkürzten Analysen
abgeleitet wird, mitunter mehr als haarscharf an den
Erfordernissen vorbeigeht.
Da aber niemand ausschließen kann, daß sich die ökonomische Krise des
Imperialismus in autoritären innenpolitischen Strategien bzw. einem
aggressiven Expansionismus entlädt, sollten wir uns den Luxus
theoretischer Hemdsärmeligkeit nicht länger leisten, wenn wir nicht die
Chance verspielen wollen, Gegenmacht zu den Interessen der Herrschenden zu
entwickeln.
Politökonomisches Vakuum Osteuropa
Die bescheidene ökonomische Situation in den Ländern Ost- und
Südosteuropas ist bekannt. Selbst in Ungarn, Polen und der
Tschechischen Republik (CR), die den wirtschaftlichen
Zusammenbruch nach 1989 - in der zynischen Sprache der Fachleute
wird dieser mit dem Begriff der 'Übergangsökonomie' umschrieben -
noch am besten verkraftet haben, ist die Industrieproduktion in
der Periode 1989-93 um etwa 40% zurückgegangen (2).
Während hier seither wieder schwache Zuwächse registriert werden, haben
Bulgarien, Rumänien und die Nachfolgestaaten der UdSSR die
Talsohle noch nicht durchschritten: Das Bruttosozialprodukt hat
sich dort seit 1989 teilweise mehr als halbiert (3).
Ein wesentlicher Grund für diesen Kollaps lag in der ökonomischen
Ineffektivität der Staaten des ehemaligen RGW (1949 gegründeter
'Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe' des realsozialistischen
Lagers). Die Produktivität war niedriger als in den westlichen
Industriestaaten, was dazu führte, daß veraltete Anlagen nicht in
ausreichendem Maße durch modernere ersetzt werden konnten. Die
mit dieser Strukturschwäche verbundenen Probleme verschärften
sich, als die RGW-Staaten zunehmend in den Weltmarkt integriert
wurden und hier auf die überlegene Konkurrenz der
kapitalistischen Metropolen trafen. Die Fähigkeit des RGW, die
Wirtschaftskreisläufe der teilnehmenden Staaten zu koordinieren
und zu entwickeln, wurde durch diese Tendenzen immer mehr
untergraben.
Einige Staaten des RGW, so vor allem Polen und
Ungarn, versuchten in den 70er Jahren, ihre Weltmarktintegration
zu forcieren. Es wurden Milliardenkredite westlicher Banken
aufgenommen, um konkurrenzfähige Industrien aus dem Boden zu
stampfen. Die verantwortlichen PolitbürokratInnen spekulierten
darauf, daß es mit den Erlösen aus den verkauften Produkten ein
Kinderspiel wäre, die Kredite wieder zu tilgen. Diese Seifenblase
platzte jedoch; die Investitionen wurden buchstäblich in den Sand
gesetzt. Der wahre Charakter dieser 'Modernisierung auf Pump'
zeigte sich in der weltweiten Rezession zu Beginn der 80er Jahre:
Es wurden lediglich Überkapazitäten in Dinosauriertechnologien
geschaffen, deren Output auf dem Weltmarkt nicht absetzbar war.
Spätestens mit der Hochzinspolitik der USA wurde die Sackgasse,
in der sich die Planungsökonomien befanden, offensichtlich. Zur
Rückzahlung der unnützen Kredite gezwungen, verloren die Eliten
der Schuldnerstaaten ihre sozialpolitischen und ökonomischen
Steuerungsmöglichkeiten, so daß die Verrottung der produktiven
Basis und die Unzufriedenheit der Bevölkerung 1989 die bekannten
Folgen nach sich zog.
Nach der Abdankung der alten Machthaber - die häufig auf
sozialdemokratisch getrimmt oder in einen Managerzwirn gestopft
wieder auf der politischen Bühne erschienen - konnten die
imperialistischen Zentren via IWF ungehindert nach Osteuropa
hineinregieren.
Aktiver Widerstand
Es wurde eine totale Ausrichtung auf den Weltmarkt,
eine Politik der Währungsstabilität und eine radikale
Privatisierung diktiert. Zugleich wurde ein drastischer
Subventionsabbau angeordnet. Die sozialen Auswirkungen waren
verheerend. Breite Bevölkerungsschichten erlitten einen starken
Kaufkraftverlust und verarmten. Die Inflation explodierte, weil
die neuen bürgerlichen Regierungen weiterhin hohe Ausgaben
hatten, obwohl das Wirtschaftsvolumen massiv schrumpfte. Darüber
hinaus zerfiel die wirtschaftliche Kooperation der RGW-Staaten
mit dessen Auflösung, so daß die Abhängigkeit von den
kapitalistischen Metropolen umfassend wurde.
Deutschland als Nadelöhr zur EU
Die einzige Chance, die die Regierungen dieser Staaten sahen, um
aus der Misere herauszukommen, bestand darin, westliches Kapital
anzuziehen und so schnell wie möglich der EU beizutreten. Dort
wurde diesem Wunsch jedoch mehr oder weniger reserviert begegnet;
sprich, ohne eine gewisse soziale Stabilität und ein Mindestmaß
an ökonomischer Verwertbarkeit der angebotenen Wirtschaftsräume
war das Anliegen der osteuropäischen Regierungen chancenlos.
Überlagert war diese Kosten-Nutzen-Analyse von der strategischen
Absicht vor allem der BRD-Eliten, nach Osten ein Vorfeld zu
schaffen, um ohne große Verpflichtungen machtpolitisch in die
ehemalige UdSSR hineinwirken zu können. Schließlich soll dem
russischen Bären das Fell abgezogen werden, ohne daß der
postmodernen Bourgeoisie danach ein blutig-faulender Kostgänger
Lifestyle und Profite ruiniert.
Im Ergebnis dieser Erwägungen
wurden 1992 zwischen Polen, Ungarn, der damaligen CSFR und der EU
Assoziationsverträge abgeschlossen, die perspektivisch auf eine
Eingliederung hinzielten. Über das Tempo dieser Integration
herrscht jedoch in der EU nach wie vor Uneinigkeit.
Dafür gibt es handfeste wirtschaftliche Gründe. Die Hauptprodukte der
osteuropäischen Staaten - nämlich landwirtschaftliche
Erzeugnisse, Textilien, Kohle und Stahl - werden schon heute
innerhalb der EU im Übermaß produziert. Die zwangsläufige
Eingliederung dieser überschüssigen und unrentabel hergestellten
Produkte in den europäischen Markt würde deshalb die ökonomischen
Verwerfungen in der EU noch verstärken: Entweder wird die
osteuropäische Produktion ungeschützt der Konkurrenz des
Binnenmarkts ausgesetzt, was in diesen Staaten zu einer erneuten
tiefen Krise analog zu derjenigen in der früheren DDR führen
dürfte - oder die Industrien dieser Staaten werden künstlich
geschützt, was die entsprechenden Fonds der EU belasten würde und
dadurch der Wettbewerbsfähigkeit des 'Standorts Europa' auf dem
Weltmarkt abträglich wäre.
Hinter dem Streit um das
Integrationstempo verbergen sich aber auch massive Konflikte
zwischen den imperialistischen Rivalen. Dabei ist vor allem
Frankreich bestrebt, die informelle Hegemonialmacht Deutschland
unter Kontrolle zu halten, um nicht vom 'partner in leadership'
zum Juniorpartner abzusteigen. Erreicht werden soll dies
einerseits durch die Schaffung machtpolitischer Gegengewichte.
Geplant ist z.B. die Installierung eines 'Mister X' (Frauen
scheinen per se ausgeschlossen zu sein) genannten EU-
Außenministeramts, wobei diese Institution so beschaffen sein
soll, daß ihre Beeinflussung im Sinne der Herrschenden
Frankreichs möglich ist.
Zusätzlich wird von diesen aber auch
die Integration der osteuropäischen Staaten in die EU verzögert.
Die Motivation für diesen Schachzug ist einleuchtend: Wenn für
die beitrittswilligen Staaten ein Weg in die EU führt, dann
verläuft dieser über Berlin. Das politische Gewicht der BRD in
Europa wächst jedoch in dem Maße, wie sich die osteuropäischen
Staaten von deutschem Wohlwollen abhängig machen müssen.
Dies erklärt das große Interesse der BRD an der Abschaffung des
Einstimmigkeitsprinzips bei EU-Entscheidungen, weil sie davon
ausgeht, als Protektoratsmacht der beitretenden osteuropäischen
Staaten künftig deren Gewicht bei Abstimmungs- und
Entscheidungsprozessen mit in die Waagschale werfen zu können.
Deutsch-Europa nach dem 1. Weltkrieg (Entwurf)
Als machtpolitisches Druckmittel, um Polen
und die CR dabei auf Linie zu halten, verfügt Deutschland über
seine bewährte 5. Kolonne: die 'deutschstämmigen' Minderheiten.
Immerhin ist die BRD seit Beginn der 90er Jahre wieder dazu
übergegangen, diese Menschen zum Bleiben in den Herkunftsländern
zu bewegen. Dort und nur dort sind sie für den deutschen
Imperialismus nützlich, indem sie als potentiell
destabilisierende Manövriermasse zur Verfügung stehen. Die auf
diese Weise vergrößerte Machtbasis soll der BRD dann dazu
verhelfen, die bisher noch informelle Hegemonie über die
Europäische Union in eine strukturelle umzuwandeln.
Marktwirtschaft in den Zeiten der Marktverstopfung
Wie verhält sich nun der BRD-Imperialismus den osteuropäischen
Staaten gegenüber, die sich notgedrungen und wider besseren
historischen Wissens an Deutschland anlehnen? Wer behauptet, das
deutsche Kapital würde nach Osteuropa drängen, um die dortigen
Ökonomien aufzukaufen, beweist damit nur, daß sie bzw. er sich
bestenfalls mäßig mit der Materie beschäftigt hat.
Insgesamt betrug zwischen 1990 und 1994 die Summe der BRD-
Direktinvestitionen in Osteuropa 7.1 Mrd. DM (4),
das entspricht etwa 20% des dorthin aus dem Ausland geflossenen Kapitals. Dies
sind nur 2% des gesamten BRD-Auslandsvermögens, das sich auf ca.
340 Mrd. DM beläuft (5).
Diese Zurückhaltung kann nicht
überraschen, wenn man sich die aktuellen Bedingungen
kapitalistischer Produktion vergegenwärtigt. Hier ist durch die
Einführung modernster Technologien in den Verwertungsprozeß die
Produktivität derart gestiegen, daß die ausgestoßenen Gütermassen
kaum noch absetzbar sind. Klarer wird dies daran, daß steigende
Produktivität ein geringeres Zeitquantum bedeutet, das für die
Fertigung einer Ware aufgebracht werden muß. Da Fabriken aber
abends nicht früher schließen, kann die Gleichung nur aufgehen,
wenn die Menge der produzierten Waren wächst und/oder die Anzahl
der Beschäftigten sinkt. Die Statistiken der Bundesanstalt für
Arbeit belegen allmonatlich diesen simplen ökonomischen
Zusammenhang.
Diese Produktivitätshetze wird von dem Zwang, auf
dem Weltmarkt preiswerter als die konkurrierenden Konzerne
herstellen zu müssen, vorangetrieben. Gleichzeitig bleibt aber
wegen des Anwachsens der im Verwertungssinne 'überflüssigen
Bevölkerung' (Marx) die Massenkaufkraft in den Metropolen hinter
dem Warenangebot zurück. Die Folge: Strukturelle Absatzkrisen, da
selbst das Fassungsvermögen des Weltmarkts nicht mehr mit der
Produktivitätsexplosion Schritt halten kann.
Daraus folgt, daß das Kapital sich hüten wird, in großem Stil neue
Produktionskapazitäten zu errichten. Osteuropa ist als
Produktionsstandort für deutsche Unternehmen nur von Interesse,
um bei arbeitsintensiver Fertigung den Lohnkostenvorteil
auszunutzen, wobei dies im Gesamtmaßstab aber eher zweitrangig
ist. Wichtigere Aspekte sind in diesem Zusammenhang, in Osteuropa
auf mittlere Sicht die lokalen Märkte erschlossen zu haben und
einige Bestandteile der Hochwertproduktion für westliche Märkte
dorthin zu verlagern.
Letzteres kommt jedoch häufig einem
'Kathedralenbau in der Wüste' gleich. So investieren VW in der CR
und Opel bzw. Audi in Ungarn insgesamt 1.6 Mrd. DM in den Aufbau
moderner, nach dem Prinzip der 'lean production' organisierter
Automobilfabriken. Hier machen die Löhne aber nur noch 2 bis 3%
der Kosten aus. Damit die Konzerne trotz der hohen
Investitionssumme noch auf ihren Profit kommen, erwarten sie
entsprechend großzügige Vorleistungen - und so erkaufen sich die
genannten Staaten ihre Adelung zum Standort notgedrungen z.B. mit
mehrjährigen Steuerbefreiungen und Zollabschlägen. Die
Struktureffekte für die Region, in der die Produktionsstätten
errichtet werden, sind dabei gleich Null: Die Fabriken sind
logistisch völlig an die Mutterkonzerne angebunden; sie beziehen
von dort ihre Zulieferungen und liefern ihre Produkte dorthin
zurück (6).
Ein weiterer Vorteil der ökonomischen Verhältnisse
Osteuropas ist das große Potential billiger Arbeitskräfte, das
z.B. durch die hiesige Bauindustrie zum Zwecke des Lohndumpings
eingesetzt wird. Dies ist für das deutsche Kapital doppelt
zweckmäßig, weil die skrupellose Ausbeutung illegalisierter
ArbeiterInnen nicht nur den Profit erhöht, sondern auch
angesichts weitverbreiteter rassistischer Ressentiments in der
Bevölkerung die Spaltung der Lohnabhängigen noch verstärkt.
Am wichtigsten ist Osteuropa für die wirtschaftlichen Interessen des
BRD-Imperialismus jedoch in seiner Funktion als Absatzmarkt
(siehe Tabelle).
Jahr | Gesamt | Europäische Union |
Asien ohne Nahost | Nordamerika | Osteuropa |
Afrika, Lateinamerika |
1994 | 695.5 | 403.6 (58.0%) | 61.3 (8.8%) | 57.5 (8.3%) | 51.6 (7.4%) | 31.6 (4.5%) |
1995 | 730.3 | 421.8 (57.8%) | 65.9 (9.0%) | 60.1 (8.2%) | 57.7 (7.9%) | 31.1 (4.3%) |
1996 | 763.9 | 439.9 (57.7%) | 71.7 (9.4%) | 62.4 (8.2%) | 69.9 (9.2%) | 32.2 (4.2%) |
BRD-Exporte in Mrd. DM sowie prozentualer Anteil einzelner
Regionen am Gesamtexport, Angaben für 1995 und 1996 geschätzt
(7)
Die Nähe zu den deutschen Produktionsstätten und die zunächst
noch informelle politische Anbindung der osteuropäischen Staaten
schaffen optimale Voraussetzungen, um die Märkte dieser Regionen
zu besetzen. Außerdem gibt es dort natürlich auch GewinnerInnen
der Krise; es wird geschätzt, daß ein Drittel der Bevölkerung
einer konsumfähigen Mittelschicht angehören und ca. 5% auch nach
hiesigen Maßstäben als wohlhabend bezeichnet werden können
(8).
Entsprechend entwickelt sich dort eine relevante Nachfrage für
deutsche Produkte. Die Dynamik dieses Zusammenwirkens von
aggressiver Marktdurchdringung und Nachfrageschub zeigt sich
daran, daß in Osteuropa die weltweit höchsten Wachstumsraten
(1995: 11.8%, 1996: 21.2%) für den BRD-Export registriert werden:
1996 wird die Überflügelung der Ausfuhr nach Nordamerika
erwartet; der osteuropäische Markt würde dann beinahe ebenso
viele Waren aus der BRD schlukken wie Asien - das seinerseits
immer als Wachstumsregion schlechthin apostrophiert wird. Eine
regionale Aufschlüsselung der BRD-Ausfuhren nach Osteuropa zeigt,
daß 21% der Exporte nach Rußland, 20% nach Polen, 19% in die CR
und 12% nach Ungarn gehen (9). Diese Spitzenposition Rußlands
wird aber durch die hohe Bevölkerungszahl relativiert, so daß
auch hierdurch die Bedeutung der anderen Staaten nochmals
unterstrichen wird.
Gleichzeitig geht aus der Tabelle aber auch
eindeutig hervor, daß die ökonomische Verflechtung mit den EU-
Staaten, die sich im Zuge des Maastricht-Prozesses noch weiter
vertiefen wird, die eigentliche profitable Basis für den BRD-
Imperialismus darstellt - eine Erkenntnis, die bei der
Einschätzung von dessen Entwicklung nicht unterschlagen werden
darf.
Imperialismus in den Zeiten der Transnationalisierung
Wir haben gesehen, daß im ökonomischen Bereich die Funktionalität
der osteuropäischen Staaten für das deutsche Kapital
hauptsächlich darin besteht, ein noch nicht durchdrungener
Absatzmarkt zu sein. Zugleich bestehen aufgrund der politischen
Einflußnahme der BRD auf diese Staaten große Vorteile gegenüber
der imperialistischen Konkurrenz.
Die staatliche Politik hilft
dabei den deutschen Konzernen, auf den osteuropäischen Märkten
Profite zu realisieren, die auf dem heimischen Markt ungleich
schwerer zu erzielen wären. Immerhin werden 38% der BRD-Exporte
im Bereich Maschinen- und Fahrzeugbau und 37% im
Konsumgütersektor abgewickelt (10). Die Profitchancen beider
Industriezweige sind in den kapitalistischen Metropolen von zwei
Seiten her eingeengt: Die Märkte sind relativ gesättigt, und die
Massenkaufkraft verfällt tendenziell wegen der geschilderten
Rationalisierungs- und Produktivitätsspirale. Durch die
Osteuropa-Politik der BRD wird somit also die Verwertungskrise
der Konzerne kurzfristig gedämpft.
Das Wesen und die
Krisendynamik der neuen imperialistischen Entwicklungsstufe ist
damit jedoch nicht erfaßt. Wenn auch an dieser Stelle keine
umfassende Imperialismusanalyse erfolgen kann, so ist doch eine
Skizze der Grundlagen und der spezifisch deutschen Ausformung
dieses Kapitalismustyps immerhin schon möglich.
Als
'klassischer' Zug des Imperialismus kann gelten, daß sich
Monopole des bürgerlichen Staates bedient haben, der bestrebt
war, durch mehr oder weniger aggressive Außenpolitik Expansion
und Absatz dieser Konzerne zu befördern. Zugleich war es den
jeweiligen Staaten aber noch möglich, durch innenpolitische
Steuerung auf sozialem und ökonomischen Bereich auf die
Verwertungsbedingungen der noch relativ eng an den Nationalstaat
gekoppelten Kapitalgruppen zurückzuwirken.
Die kapitalistische
Dynamik hat jene Symbiose von Nationalstaat und Konzernen
zerbrochen. Diese sind im Zuge der Produktivkraftentwicklung
gezwungen, die Mehrwertproduktion global zu organisieren, um
angesichts der zugespitzten Konkurrenz überleben zu können. Mit
diesem Hinauswuchern über die enge nationalstaatliche Basis
reduzieren sich jedoch dramatisch die staatlichen
Einflußmöglichkeiten auf die transnationalen Konzerne.
Diese sind die ökonomisch dominierende Kapitalfraktion, da sie wegen
ihrer Finanzkraft die fortgeschrittensten Technologien in die
Produktion integrieren und so einen wachsenden
Produktivitätsvorsprung vor den übrigen Kapitalien erzielen. Die
Nationalstaaten und Regionen konkurrieren darum, sich als
Produktionsstätte und Investitionsort für diese Konzerne
attraktiv zu erhalten, weil deren Rückzug einen wirtschaftlichen
und sozialen Niedergang mit sich brächte. Entsprechend spielen
die Konzerne die Standorte gegeneinander aus, um auf diese Weise
die individuellen Produktionskosten zu reduzieren. Dies geht
natürlich mit einer allgemeinen Absenkung des Lebensniveaus
weiter Bevölkerungsschichten einher - was nebenbei bemerkt ebenso
folgerichtig die Quelle der immensen Bereicherung einiger weniger ist.
Dieser transnationale Konzernterrorismus ist jedoch kein
Akt amoralischer ManagerInnen, sondern folgt lediglich
elementarer Kapitallogik. Die notwendige Technisierung der
Produktion ist so kostenintensiv, daß daraus eine nur noch sehr
niedrige Profitrate resultiert. Es gilt jedoch bei Strafe des
Untergangs, mehr Profit als die Konkurrenz auf den Konten zu
verbuchen, also, den Fall der Profitrate aufzuhalten.
Genau hier darf die Neue Deutsche Arbeitsfront aus Staat und Gewerkschaften
noch tätig sein, wenn sie schon sonst nichts mehr zu vermelden
hat: Hand in Hand wird die Mehrwertrate (11)
angehoben, womit wir
schon bei aktuellen Freuden des Alltags wie der informellen
Ausdehnung der Arbeitstages, dem Reallohnabbau und der
sogenannten 'Senkung der Lohnnebenkosten' wären...
Diese brutale Ausrichtung der sozioökonomischen Bedingungen auf die
Kapitalinteressen bedient nicht nur die Bedürfnisse der
transnationalen Konzerne, sondern prinzipiell diejenigen aller in
der BRD ansässigen Unternehmen. Die durch den deutschen Staat
umgesetzte Bündelung von notfalls auch repressiv durchgesetztem
Sozialabbau nach innen und ökonomischem bzw. politischem Druck
nach außen erhöht dabei auch für die Kapitalgruppen, die nicht
transnational agieren können bzw. in veralteten Technologien
fixiert sind, die Wettbewerbschancen gegen 'nichtdeutsches'
Kapital.
In diesem Kontext zeigt sich die spezifisch deutsche
Variante des 'neuen' Imperialismus in der Europa-Politik der BRD.
Deren Politik gegenüber Osteuropa ist nicht eigenständig, sondern
vielmehr in eine umfassendere gesamteuropäische Strategie
eingebettet. Hauptziel ist, während des europäischen
Integrationsprozesses die Führungsposition innerhalb der EU
auszubauen und abzusichern. Offenbar wird dies gegenwärtig u.a.
an den Versuchen der Kohl-Administration, Rest-Europa die
ökonomischen Rahmenbedingungen für die vorgesehene Währungsunion
zu diktieren. Dabei steht ungeachtet des Gerangels um eine
Aufweichung der Konvergenzkriterien (12) und um den Zeitplan der
Währungsunion (13) eines grundsätzlich fest: Die EU soll auf die
Wirtschaftspolitik der BRD, d.h. auf die Interessen des deutschen
Kapitals, ausgerichtet werden, womit die EU ungeachtet des realen
Währungsnamens de facto zu einer Deutschmarkzone verkäme.
" Eine kontinentaleuropäische Grossraumwirtschaft unter deutscher
Führung muss in ihrem letzten Friedensziel sämtliche Völker des
Festlandes von Gibraltar bis zum Ural und vom Nordkap bis zur
Insel Zypern umfassen, mit ihren natürlichen kolonisatorischen
Ausstrahlungen in den sibirischen Raum und über das Mittelmeer
nach Afrika hinein. [...] Wenn wir den europäischen Kontinent
wirtschaftlich führen wollen, [...], so dürfen wir aus
verständlichen Gründen diese nicht als eine deutsche
Grossraumwirtschaft öffentlich deklarieren. Wir müssen
grundsätzlich immer nur von Europa sprechen, denn die deutsche
Führung ergibt sich ganz von selbst aus dem [...] Schwergewicht
Deutschlands und seiner geografischen Lage. Ebenso wird mit Hilfe
unseres deutschen Wirtschaftssystems, [...], sich die Mark bei
einer geschickten handelspolitischen Führung ganz von selbst als
Standard-Währung durchsetzen, wie sich das Pfund, der Dollar und
der Yen in ihren Wirtschaftsbereichen als Standardwährung
durchgesetzt haben."
Denkschrift von Werner Daitz betr. die Errichtung eines
Reichskommissariats für Großraumwirtschaft, 31. Mai 1940. In:
Reinhard Opitz (Hrg). Europastrategien des deutschen Kapitals
1900-1945. Pahl-Rugenstein Nachfolger, Bonn, 1994, S. 668 ff.
In wessen Interesse liegt dieses aggressive Vorgehen des
deutschen Staates? Sicherlich zählen auch die transnationalen
Konzerne, denen diese Entwicklung eine stabile Basis für die
globale Expansion böte, mit zu den NutznießerInnen. Unmittelbar
abhängig sind diese Unternehmen von dem beschriebenen deutschen
Großmachtverhalten jedoch nicht mehr. Prinzipiell anders sieht es
mit den weniger produktiven bzw. kleineren Kapitalien aus, die
ein hohes Interesse daran haben müssen, unterstützt von
imperialistischer Machtpolitik konkurrenzfähig zu bleiben.
Es liegt nicht zuletzt auch im Eigeninteresse des deutschen Staates,
konkurrenzfähige Mehrwertproduktion auf seinem Territorium zu
konzentrieren, weil er nur so seine Steuerungsfähigkeit nach
innen - relativ zu den übrigen europäischen Staaten gesehen -
sowie sein machtpolitisches Gewicht nach außen erhalten kann.
An diesem Punkt fügt sich die osteuropäische Komponente in den BRD-
Imperialismus ein. Durch die Eingliederung vor allem Polens,
Ungarns und der CR in die politische und ökonomische Machtsphäre
der BRD verbessern sich die Verwertungsbedingungen vieler
hiesiger Unternehmen. Damit wiederum wird das Gewicht der BRD auf
europäischer Ebene vergrößert - eine Voraussetzung, um in der
allgemeinen Standortraserei nicht unter die Räder zu kommen.
Wir können also festhalten: Die imperialistische Durchdringung
Osteuropas ist nicht ahistorischer Selbstzweck, sondern im
Gegenteil lediglich Mittel zum Zweck der Errichtung einer
gesamteuropäischen Hegemonie. Dieses Hegemoniebestreben ist dabei
nichts anderes als ein politisches Nachhinken der BRD hinter dem
transnationalen Kapital.
Die dargestellte Schrumpfung der
staatlichen Einflußmöglichkeiten ist zugleich mit einem
Funktionswandel staatlicher Politik verbunden. Narr/Schubert
schreiben hierzu: "[...] der Nationalstaat [erhält] dadurch eine
zusätzliche Bedeutung, daß er den Anschein erweckt, als könne er
im weltweiten Wettbewerb, [...], die Chance seiner BürgerInnen
erhöhen, daß ihnen der Wohlstand erhalten bleibe." Sie fahren
fort: "Insofern stellt die Aushöhlung der nationalen Souveränität
gleichzeitig eine neue Chance für die Nationalstaaten dar,
nämlich die eigene Bevölkerung im Rahmen der weltweiten
Konkurrenz mehr als zuvor zusammenzurotten und entsprechend zu
mobilisieren." (14)
Dies dürfte eine treffende Beschreibung einer
wesentlichen staatlichen Aufgabe im Rahmen des 'neuen'
Imperialismus sein. Immer größere Bevölkerungsgruppen sind
ökonomisch nicht mehr integrierbar, und so muß das wachsende
Aggressionspotential in einen nach außen gerichteten
Wohlstandschauvinismus kanalisiert werden.
Der Grundtenor dieser deutsch-nationalen Formierung wird
wieder einmal völkisch sein;
und die entsprechende, von A wie Augstein bis Z wie Zwickel
liebevoll variierte Parole von der 'Schicksalsgemeinschaft der
Deutschen' (Schäuble) ist schon ausgegeben.
Für die Herrschenden
ist dieser nationale Aufbruch in vielfacher Hinsicht funktional.
Nach innen wird hartes Durchgreifen gegen oppositionelle
'Volksfeinde' legitimiert, und nach außen kann gegenüber
MigrantInnen die Festung Europa noch effektiver abgeschottet
werden. Außerdem würde der völkische Wahn die Resonanz auf die
Mobilisierung der sogenannten 'deutschen Minderheiten' in
Osteuropa erhöhen, um auf diese Weise die jeweiligen Staaten
wirkungsvoll zu destabilisieren und unter die deutsche Knute zu
zwingen.
Der neue Imperialismustyp macht deutlich, daß die kapitalistische
Produktionsweise endgültig in ihr destruktives Stadium
eingetreten ist. War staatliche Aggression bisher am Kampf der
Monopole um den 'Platz an der Sonne' orientiert, so ist diese
Aggressivität im postfordistischen Imperialismus nur noch ein
Vehikel der im Würgegriff der transnationalen Konzerne
befindlichen Machtblöcke, um den Sturz in das entkapitalisierte
Nichts abzuwenden.
Angesichts der drohenden Barbarei kann eine
realistische Perspektive nur jenseits der weltweiten Zerschlagung
dieses Systems liegen - alles andere ist Quark !
Anmerkungen:
- (1)
- Fischer, F.: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik
des kaiserlichen Deutschland 1914/18 (Nachdruck der Sonderausgabe
1967). Droste Verlag, Düsseldorf, 1994.
- (2)
- Hofbauer, H.:
Peripherer Kapitalismus in Osteuropa. In: ak 366, 11.5.94.
- (3)
- Höhme, H.-J.: Konjunktur-Analyse: Verstärktes Wachstum der
Weltwirtschaft - gespaltener Aufschwung in Deutschland. In: Z 21, März 1995.
- (4)
- Fälschle, Chr.: Aufbruchstimmung nach Osten. In:
Capital 11/95.
- (5)
- Eggerdinger, St.: Weit hinter der Flagge zurück.
In: revanchismus und krieg, Beilage der jungen Welt, 7.2.96.
- (6)
- Engel, R.: Flucht nach Osten. In: managermagazin, Oktober 1995.
- (7)
- Eigene Datenaufbereitung aus: Fälschle, a.a.O.
- (8)
- Engel, a.a.O.
- (9)
- Fälschle, a.a.O.
- (10)
- Fälschle, a.a.O.
- (11)
- Die Mehrwertrate m' = (m/v) x 100 bezeichnet das Verhältnis
zwischen der Mehrarbeitszeit m, in welcher der geschaffene Wert
ohne Gegenleistung durch das Kapital angeeignet wird, und der
notwendigen Arbeitszeit v, die zur Produktion des Werts des
Arbeitslohns erforderlich ist. Die Mehrwertrate ist nichts
anderes als der Grad der Ausbeutung der Lohnarbeit.
- (12)
- Die sogenannten Konvergenzkriterien beschreiben die Bedingungen, die
ein nationaler Wirtschaftsraum erfüllen muß, um an der
europäischen Währungsunion teilnehmen zu können. Dazu gehören die
Staatsschuld, die jährliche Neuverschuldung, das Zinsniveau und
die Inflationsrate.
- (13)
- Hickel, R.: Wenn kein Beschluß erfolgt ist, startet die dritte
Stufe. In: FR, 15.12.95.
- (14)
- Narr, W.-D. / Schubert, A.: Weltökonomie - Die Misere der Politik.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M., 1994, S. 156 ff.