Online seit:
|
Tue Jul 21 17:04:18 1998
|
|
Historischer Rückblick
auf die "Tage der Heimat"
in Berlin 1988-96
Jedes Jahr im September wird Berlin mit einem "besonderen"
Ereignis belästigt: Der Bund der Vertriebenen veranstaltet seinen
"Tag der Heimat" (TdH). Dieser TdH in Berlin ist der Auftakt zu
ca. 200 ähnlichen Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet.
Noch 1988 durften sich die Vertriebenen im Internationalen Congress
Centrum (ICC) treffen. Seitdem finden die Treffen regelmäßig in
der Sporthalle Charlottenburg in der Sömmeringstraße statt. Nach
Auskunft des zuständigen Bezirksstadtrats für Jugend und Sport
Axel Rabbach (CDU) bei der Bezirksverordnetenversammlungs (BVV)-
Bürgerfragestunde am 24.8.1995 wird die Halle dem BdV kostenlos
zur Verfügung gestellt. Rabbach erklärte, daß "der Verband der
Vertriebenen in der Verwaltungsvorschrift, die der Senat vor
15/20 Jahren erlassen hat, explizit als eine Vereinigung genannt
wird, denen also Veranstaltungssäle [...] kostenlos zu geben
sind. [...] Das hat der Senat so festgelegt, und ich kann ihnen
sagen, ich finde es auch richtig."
Den typischen Verlauf eines TdH kann mensch sich wie folgt vorstellen.
Beim TdH treten neben BdV-Funktionären auch "prominente" Politiker als
Redner auf, wobei anzumerken ist, daß die meisten Redner Mitglieder der
CDU/CSU sind.
Ein weiterer Hauptprogrammpunkt ist die Verleihung einer
sogenannten "Plakette für Verdienste um den deutschen Osten
und das Selbstbestimmungsrecht" (PfVuddOudS) an Politiker, die
den Zielen des BdV nahestehen. Schirmherr der Veranstaltung war
in den letzten Jahren Eberhard Diepgen
(CDU-Vorsitzender Berlin, regierender Bürgermeister, Mitglied im Verwaltungsrat
des VDA (Verband für das Deutschtum im Ausland), Burschenschafter der
Verbindung "Saravia-Berlin").
Die Halle wird mit Fahnen vollgehängt, die die "Heimat"
symbolisieren sollen. Verschiedene Organisationen bieten an
Ständen alles an, was ein Vertriebenenherz begehrt, z.B.: alte
Karten von Deutschland in den Grenzen von 1937. Damit sich der
ganze Aufwand auch lohnt, werden haufenweise alte Menschen mit
Reisebussen angekarrt, um den klatschenden Hintergrund abzugeben.
Währenddessen verteilen die verschiedensten rechten Gruppierungen
wie z.B. REP, NPD bzw. vor ihrem Verbot die FAP vor und in der Halle
ihre faschistische Propaganda. Nach einem kurzen "Kulturprogramm" mit
Musik und unsäglichen Volkstanzgruppen kommt dann eine Begrüßungsrede eines
BdV-Funktionärs mit Forderungen, angepaßt an die aktuelle
politische Wetterlage, an die eingeladenen Politiker.
Im folgenden wollen wir uns einige TdH etwas genauer anschauen. Die
Blöcke sind untergliedert in Datum, Veranstaltungsort, Motto,
Aufzählung einiger Redner, Zitate und Besonderheiten. Leider
gaben die Quellen für 1990 und 1991 etwas weniger her, so daß
u.a. das Motto fehlt.
11.9.1988, ICC, 39.TdH
"Recht und freie Selbstbestimmung für alle Deutschen"
- Redner:
- F.J. Strauß (CSU)
- Peter Rebsch (CDU-Parlamentspräsident)
- Eberhard Diepgen
Rebsch sprach nicht etwa von Asylbewerbern, sondern von
Aussiedlern : "Das Recht auf Heimat ist Menschenrecht, gehört zu
den unveräußerlichen Grundrechten jedes einzelnen Menschen auf
dieser Welt, und dieses Recht haben auch die Aussiedler unserer
Tage". "Ich selbst werde deshalb immer wieder in kurzen Abständen
die Berliner Aufnahmelager besuchen, um mich davon zu überzeugen,
daß zum einen alles Menschenmögliche für die Aussiedler getan
wird ..."
Strauß rief zur "uneingeschränkten Solidarität" mit
den Aussiedlern aus Osteuropa auf, und mahnte, daß die
Spätaussiedler Deutsche seien, die unter Deutschen leben wollten.
Sie seien keine Asylbewerber aus fremden Ländern, sondern
"Mitbürger ohne Wenn und Aber". Zur Belohnung für diese
eindeutigen Worte bekam Strauß vom BdV die "PfVuddOudS"
verliehen.
Diepgen bekräftigte das Recht auf Selbstbestimmung
für alle Deutschen und fügte hinzu, daß "kein noch so großer
Fortschritt der aktuellen innerdeutschen Beziehungen" eine
"Aufgabe dieser Forderungen rechtfertigen" könne. In diesem
Zusammenhang meinte er, die DDR daran zu erinnern zu müssen, daß
niemand einer menschlichen, einer gerechten Gesellschaft
davonlaufe.
10.9.1989, Sporthalle Charlottenburg, 40.TdH
"40 Jahre Bundesrepublik Deutschland - das ganze Deutschland ist
unser Vaterland"
- Redner:
- Walter Momper (SPD, regierender Bürgermeister)
- Karl Carstens (CDU, Ex-Bundespräsident)
- Eberhard Diepgen
Bundeskanzler Helmut Kohl ließ ein Grußwort verlesen.
Momper sagte unter anderem: "Lassen Sie uns nicht mehr an den Grenzen
rühren. [...] Denn wer, wie wir unter Hitlers Führung, einen
Eroberungs- und Ausrottungskrieg beginnt, der darf nicht
hinterher, wenn der Krieg verloren ist, ankommen und sagen: Gebt
mir meinen Einsatz wieder! Der Einsatz war das Deutsche Reich.
Dieses ist verspielt worden. Ostpreußen, Pommern, Schlesien,
waren deutsche Gebiete. Sie sind es nicht mehr." und fuhr fort:
"Da sollen doch, bitteschön, führende Vertriebenenfunktionäre
nicht ankommen und Forderungen aufstellen, die den Bedürfnissen
der meisten Menschen gar nicht mehr entsprechen, aber immensen
politischen Schaden anrichten." Momper erntete dafür Buhrufe
("Verrat an Deutschland") und Pfiffe.
Diepgen hatte im Gegensatz
zu Momper keine Probleme, an bestehenden Grenzen zu rühren, und
forderte ein "Europa ohne Grenzen". Dies wurde mit kräftigem
Beifall belohnt.
Carstens appellierte an seine Zuhörer, die
"Einheit der Nation" auch in Zukunft zu bewahren und "so oft wie
möglich in die DDR und die deutschen Ostgebiete" zu fahren und
bekam die "PfVuddOudS" verliehen.
9.9.1990, Sporthalle Charlottenburg, 41.TdH
- Redner:
- Alfred Dregger (CDU/CSU-Fraktionschef)
- Walter Momper (SPD, regierender Bürgermeister)
Dregger mahnte, es dürfe nicht der "falsche Eindruck" erweckt
werden, daß die Deutschen durch die Grenzregelung mit Polen "die
Vertreibung anerkennen" würden. "Dies würde die Beziehungen
zwischen Deutschen und Polen auf unabsehbare Zeit, wahrscheinlich
für immer, vergiften". Dregger sprach mit Bezug auf den Tod von
2,3 Millionen Deutschen noch nach 1945 von einem der "größten
Verbrechen der Menschheitsgeschichte". In der Geschichte Europas
hätte es dafür "kein Beispiel" gegeben. Er lobte den CSFR-
Präsidenten Vaclav Havel für sein Wort von der "zutiefst
unmoralischen Tat" der Vertreibung der Sudetendeutschen. Da von
polnischer Seite keine ähnlichen Äußerungen kamen, forderte
Dregger die polnische Regierung in Warschau auf, "den offenen,
ehrlichen Dialog" mit den deutschen Heimatvertriebenen zu suchen,
und "in ihnen nicht Gegner, sondern Leidensgefährten zu sehen,
die in manchem das Schicksal des polnischen Volkes zu teilen
hatten".
Sömmering-Stilleben
Den kürzlich an Dregger verliehenen Konrad-Adenauer-
Freiheits-Preis (10.000 DM) stiftete Dregger gönnerhaft dem
Eichendorff-Kreis im oberschlesischen Lubowitz.
Momper verteidigte die in den "Zwei-plus-vier"-Dokumenten festgelegte
deutsche Ostgrenze und stimmte Bundeskanzler Kohl mit seiner
Feststellung zu, die Deutschen hätten nur die Wahl zwischen der
Bestätigung der bestehenden Grenzen "oder dem Verspielen der
Chance zur Einheit".
8.9.1991, Sporthalle Charlottenburg, 42.TdH
- Redner:
- E. Diepgen (regierender Bürgermeister)
Bundeskanzler Kohl und Bundesinnenminister
Schäuble würdigten in
Grußworten die Rolle des BdV bei der Vereinigung Deutschlands und
dem Vertrag mit Polen. Diepgen rief dazu auf, die
Lebensbedingungen der Deutschen in Ost- und Südosteuropa zu
verbessern.
BdV-Präsident Herbert Czaja, der zusammen mit Dewitz und
Wittmann am 21.6.1990 bei der Abstimmung über die endgültige
Anerkennung der polnischen Westgrenze im Bundestag Nein-Stimmen
abgegeben hatte, forderte Verbesserungen im deutsch-polnischen
Vertrag.
Im Verfassungsschutz-Bericht Berlin 1991 kann
nachgelesen werden, was noch geschah: "Flugblattaktion der
'Nationalistischen Front' (NF) aus Anlaß einer Veranstaltung
verschiedener Vertriebenenverbände."
6.9.1992, Sporthalle Charlottenburg, 43.TdH
"Für Recht und geschichtliche Wahrheit"
- Redner:
- Wolfgang Schäuble (CDU, Bundesinnenminister)
- Eberhard Diepgen
Der BdV forderte Schäuble und Diepgen zu "angemessener
Selbstbehauptung in deutschen Fragen" auf.
REPs verteilten am
Eingang Flugblätter, auf denen Deutschland bis Kaliningrad
reichte. NPDler entrollten ein Transparent mit Deutschland in den
Grenzen von 1937.
Schäuble forderte von Polen und der
Tschechoslowakei "Freizügigkeit und Niederlassungsrecht für ihre
deutschen Nachbarn". Nur dann könnten diese Länder Mitglied in
der EU werden.
5.9.1993, Sporthalle Charlottenburg, 44.TdH
"Europäische Friedensordnung mit Volksgruppenrechten"
Gerhard Dewitz und Manfred Kanther
- Redner:
- Manfred Kanther (CDU, Bundesinnenminister, Mitglied der Corps Guestphalia et Suevoborussia Marburg)
- Eberhard Diepgen
Ein Grußwort von Helmut Kohl wurde verlesen, in dem es unter
anderem hieß: "Der deutsche Osten gehört zum unverlierbaren
historischen und kulturellen Erbe unseres Volkes".
Der Hauptredner war Kanther. Der Anfang seiner Rede ging in
Zwischenrufen unter. Ca. 100 offen auftretende Nazis zeigten
Transparente mit den Aufschriften: "Verzicht ist Verrat", "Bonn
Krematorium für gesamtdeutsche Fragen", "Vorwärts zur deutschen
Revolution" und "Deutschland ist größer als die BRD. NPD" (aus
VS-Bericht Berlin 1993, S. 233) Ein NPDler warf mit Flugblättern
um sich. Nach einiger Zeit erteilten Ordner den Neonazis
Saalverbot.
Kanther sagte, daß die 800jährige Geschichte der
ehemaligen Ostgebiete "Teil unseres geistigen Erbes" wäre. "Als
Bundesinnenminister obliegt mir die Förderung dieser
Kulturarbeit." Kanther versprach, das Tor für Aussiedler
offenzuhalten. Die Deutschen sollten aber lieber "in ihren
heutigen Siedlungsgebieten" verbleiben. Hierfür stünden 200
Millionen DM im Haushalt 1993/94 zur Verfügung.
Heinrich Lummer (CDU, MdB) und
Peter Kittelmann (CDU, MdEP) beobachteten das
Treiben aus der ersten Reihe.
"Gesehen wurde an diesem Tag auch der FAPler
Detlef Rose
(Berlin-Charlottenburg)" (aus der Broschüre 'Kampf der FAP!' S.57)
4.9.1994, Sporthalle Charlottenburg, 45.TdH
"Recht auf Heimat"
- Redner:
- Friedrich Bohl (CDU, Kanzleramtsminister, VDA-Mitglied)
- Eberhard Diepgen
Am Vortag wurde die Plakette
für 'Verdienste um den deutschen Osten' von Diepgen an
Theodor Oberländer verliehen.
Gerhard Dewitz, Vorsitzender des Berliner
Landesverbandes des BdV, meinte, die 12 Millionen Deutschen in
Osteuropa hätten ein "historisches Recht auf diese Lebensräume".
Mit Lebensräumen meinte er Schlesien, Pommern, West- und
Ostpreußen und das Sudetenland. Durch die Tatsache, daß die
osteuropäischen Nachbarländer Mitglied der EU werden wollen,
erklärte Diepgen, biete sich jetzt "die Chance durchzusetzen, was
zu den Menschenrechten gehört". Bohl zählte die finanziellen
Zuwendungen der Bundesregierung an die Vertriebenen auf. Seit
1990 seien 700 Millionen Mark in die "deutschen Siedlungsgebiete"
geflossen. Im Jahr 1994 seien 4 Milliarden Mark für die
Integration von Aussiedlern aufgewendet worden. Ein dieser Tage
in Omsk eröffnetes Kirchen-Kulturzentrum sei mit 2,5 Millionen
unterstützt worden. Vor der Halle gab es eine Gegenkundgebung mit
ca. 50 TeilnehmerInnen, bestehend aus B90/Grüne und einigen
Antifagruppen. Auf schwarzem Stoff waren die Namen von 40
Todesopfern rechtsextremer und rassistischer Übergriffe von 1990
bis 1992 zu lesen. Auf einem Transparent stand die Forderung
"Königsberg bleibt Kaliningrad - Revanchistische Politik ist
Kriegspolitik".
"Auch im September 1994 tauchten einige FAPler -
darunter Lars Burmeister - auf dem alljährlichen
Revanchistentreffen 'Tag der Heimat' in Berlin-Charlottenburg
auf. Vor dem Eingang wurden Flugblätter verteilt, die auf eine
Verbotsankündigung von Kanther Bezug nehmen und in denen
natürlich der 'Verrat an den deutschen Ostgebieten' beklagt wird.
Nach kurzer Zeit wurden die FAPler jedoch durch anwesende Antifas
zu einer vorzeitigen Abfahrt überredet..." (aus 'Kampf der FAP!'
S.57)
REPs verteilten ebenfalls ihre Propaganda.
Vor der Halle waren u.a. zu sehen:
- Ursula Schaffer
- (Ehrenvorsitzende der faschistischen 'Berliner Kulturgemeinschaft Preußen')
Ursula Schaffer
- Tino Stange
- (damals FAP, anschließend 'Kameradschaft Treptow')
- Detlef Cholewa (heute Nolde)
- (damals FAP Treptow, jetzt 'Kameradschaft Treptow', Autor in der faschistischen "Berlin-Brandenburger Zeitung" der
"Nationalen e.V." und Aktivist in der Anti-Antifa)
Detlev Nolde und Tino Stange
- Frank Seifert
- (REP Tiergarten, Vorsitzender der REP-Jugend)
- Michael Aulich
- (REP Schöneberg, später Tiergarten,
WJ, Mitbegründer der 'Kameradschaft Beusselkiez')
- Sascha Kari
- (REP Neukölln)
2.9.1995, Festakt im Berliner Abgeordnetenhaus (ehem. Preußischer
Landtag)
Der 80jährige BdV-Ehrenpräsident Herbert Czaja bekam die
"PfVuddOudS" verliehen. Sein Nachfolger
Fritz Wittmann (CSU)
würdigte die Verdienste Czajas, die er als langjähriger
Verbandspräsident und als Bundestagsabgeordneter erworben hätte.
9:30 Kranzniederlegung am Mahnmal Theodor-Heuss-Platz
Mit über 30 Kränzen von u.a. Bundespräsident, Bundeskanzler,
Bürgermeister Berlin, Präsidentin des Abgeordnetenhauses,
Republikaner, Bezirksbürgermeisterin Charlottenburg,
Ministerpräsidenten Bayern, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern,
Regierung Baden-Württemberg, diversen Landsmannschaften,
Volksbund deutsche Kriegsgräber bis zu exotischen Gruppen wie dem
"Weltdachverband der Donauschwaben" war ein breites Spektrum
vertreten. Anwesend bei der Kranzniederlegung war u.a. auch
Sozialsenatorin
Ingrid Stahmer (SPD).
Charlottenburgs Bezirksbürgermeisterin
Monika Wissel (SPD) bei der BVV-
Bürgerfragestunde am 24.8.1995: "Der Bund der Vertriebenen
bekommt, wie in den Jahren zuvor, während der Kranzniederlegung
auf dem Theodor-Heuss-Platz ein Rednerpult und eine Mikroanlage
unentgeltlich zur Verfügung gestellt."
18:30 Katholischer Gottesdienst Ludwigkirchplatz, Pater
Lothar Groppe SJ
Zur Person Lothar Groppe aus Bad Pyrmont:
- Kuratoriumsmitglied im "Förderverein Konservative Kultur und Bildung e.V."
- Autor in Criticon, Aula, Der Schlesier, Erneuerung und Abwehr (Zeitung
der Evangelischen Notgemeinschaft in Deutschland (ENiD))
- Mitglied der "Juristenvereinigung Lebensrecht"
- Militärpfarrer a.D.
- Dozent an der Hamburger "Führungsakademie der Bundeswehr"
- Referent auf der Herbststudientagung der "Evangelischen
Notgemeinschaft in Deutschland e.V." am 7.10.1995
Die Besucher des Gottesdienstes, unter ihnen auch Polizei in
Uniform und Zivil, mußten einige üble Bemerkungen des Geistlichen
ertragen. Groppe verkündete, man könne "zu Recht von einem
Rumpfdeutschland" sprechen, und die Polen könnten "von uns
Deutschen Tugenden wie Disziplin, Ordnung und Arbeitsamkeit
lernen". Einige BesucherInnen verließen die Kirche frühzeitig.
3.9.1995, 11:00 Evangelischer Gottesdienst Kirche "Zum
Heilsbronnen", Superintendent Horst Gunter
3.9.1995, Sporthalle Charlottenburg, 46.TdH
"50 Jahre Flucht, Deportation, Vertreibung - Unrecht bleibt
Unrecht"
- Redner:
- Klaus Töpfer (CDU, Bundesbauminister, Landsmannschaft
Schlesien)
- Eberhard Diepgen
Kundgebung gegen den Berliner 'Tag der Heimat'
1995 Dieses Mal gab es eine Gegenkundgebung, welche von einem
breiten Bündnis antifaschistischer Gruppen vorbereitet wurde. Der
Verfassungsschutz, der leider genauestens über die
Vorbereitungstreffen unterrichtet war, erwirkte über ihm offenbar
bekannte Hoffnung der VorbereiterInnen, mit der Kundgebung den
TdH akustisch stören zu können, daß sie nicht auf dem Platz vor
der Halle stattfinden durfte. Auch die Lautsprecher durften nicht
auf die großräumig abgesperrte und von Bullen-Hundertschaften
bewachte Halle gerichtet werden. In Redebeiträgen wurde über die
revanchistische Politik des BdV informiert, auf Transparenten
stand u.a. "Lieber raus auf die Straße als heim ins Reich".
Am Rande der Protestkundgebung wurde u.a.
Peter Schünemann
gesichtet. Schünemann (REP Neukölln) war Direktkandidat der REPs
zur Bundestagswahl 1994. Im Jahr 1995 versuchte er sich als
"Sicherheitsbeauftragter" der Berliner REPs. Als er seinen Namen
über den Lautsprecher hörte, zog es ihn wieder in Richtung
Sporthalle.
Zum Ende der Gegenkundgebung gab es eine Kurzdemo
der ca. 300 TeilnehmerInnen zum U-Bahnhof Richard-Wagner-Platz.
Hierbei griff die Polizei die friedliche Demo an und zerrte
einige Leute brutal vom Lautsprecherwagen. Es kam zu ca. 10
Festnahmen, später auch zu einigen Verfahren.
In der Halle wurden
Heinrich Lummer (CDU) und E. Diepgen mit brausendem
Beifall empfangen. Es gab ein Grußwort von
Manfred Kanther (CDU),
in dem er dem BdV die Unterstützung der Bundesregierung auch für
die Zukunft zusicherte. Für die Entwicklung zu einem friedlichem
Europa sei die Mitwirkung des BdV "unverzichtbare
Vorraussetzung".
Fritz Wittmann forderte, daß bei den
Verhandlungen zum EU-Beitritt der ehemaligen Ostblockstaaten über
die Wiedergutmachung für die 15 Millionen vertriebenen Deutschen
geredet werden muß.
Der eigentlich eingeladene Hauptredner
Bernhard Vogel (CDU) hatte wegen angeblichen "Terminprobleme"
abgesagt. An seiner Stelle kam Töpfer "im Namen der
Bundesregierung", wie Gerhard Dewitz stolz verkündete. Töpfer
outete sich als vertriebener Schlesier und meinte, daß die
Erinnerung an Unrecht und Leid der Vertreibung unbedingt an die
Jüngeren weitergegeben werden müßte. Töpfer weiter: "Heimat geht
dort verloren, wo Unfreiheit und Friedlosigkeit herrscht".
Es gab auch wieder Störungen von Neonazis, z.B. Zwischenrufe wie
"Auge um Auge, Zahn um Zahn" und Transparente wie "Heimatliebe,
unsere Kraft". Kein Wunder, schließlich mobilisierten die "Junge
Freiheit" und das "Nationale Info-Telefon" (NIT) ihre Kreise zum TdH.
7.9.1996, 9:30 Kranzniederlegung am Mahnmal Theodor-Heuss-Platz
15:00 Katholischer Gottesdienst, Rosenkranz-Basilika, Berlin-Steglitz,
Pater Lothar Groppe SJ
Groppe führte in seiner Predigt aus, wenn das Potsdamer Abkommen
das notwendige Ergebnis des zweiten Weltkrieges wäre, müßten auch
anderen Ländern Gebiete weggenommen werden, weil sie mehr Kriege
geführt hätten als Deutschland. Er vertrat die Meinung, daß die
Polen nach 1945 nichts von dem verloren hätten, was sie vor 1939
gehabt hätten. Groppe hielt es auch für wichtig darauf
hinzuweisen, daß "Mitteldeutschland" nicht "Ostdeutschland" sei,
wie es die Presse immer bezeichnet, und fragte: "Ist deutsches
Recht noch deutsches Recht, angesichts der hohen Zahl der hier
lebenden Ausländer?". Er brachte ein Zitat vom polnischen Papst
Johannes Paul, in dem es heißt: die Deutschen hätten ein Recht,
in ihre alte Heimat zurückzukehren. Desweiteren erklärte er das
Potsdamer Abkommen für ungültig und drohte, daß es ohne
Entschädigung der Vertriebenen keinen dauerhaften Frieden geben
kann.
8.9.1996, 11:00 Evangelischer Gottesdienst, Kirche "Zum
Heilsbronnen", Superintendent Horst Gunter
8.9.1996, Sporthalle Charlottenburg, 47.TdH
"Heimat ist Auftrag - Gerechtigkeit unser Ziel"
- Redner:
- Roman Herzog (CDU, Bundespräsident)
- Gerhard Dewitz (Berliner Landesvorsitzender des BdV)
- Fritz Wittmann (Präsident des BdV)
- Paul Latussek (Thüringischer Landesvor sitzender des BdV)
- Eberhard Diepgen
Paul Latussek
Vor der Halle verteilten REP-Aktivisten aus Charlottenburg ein
Flugblatt in dem sie die "lieben Heimatvertriebenen" dazu
aufriefen, bei der nächsten Wahl eine Partei zu wählen, "die sich
für deutsche Interessen einsetzt". Auch ein Zitat von
Kurt Schumacher (SPD) aus dem Jahre 1951 fand darauf Platz: "Keine
deutsche Regierung und keine deutsche Partei können bestehen, die
die Oder-Neiße-Grenze anerkennen. Wir lehnen Nationalverrat ab."
Dewitz erklärte in seiner Eröffnungsrede: "Unsere ostdeutsche
Heimat werden wir immer lieben und niemals aufgeben".
Latussek beklagte in einer vorwurfsvollen Rede in Richtung Bonner
Politiker, daß Deutschland sich in den letzten Jahrzehnten mehr
in Kniefällen und Schuldbezeugungen ergangen hätte, als sich zu
den deutschen Opfern zu bekennen. Die Oder-Neiße-Grenze als
deutsche Ostgrenze bezeichnete Latussek als Unrecht.
Wittmann forderte, daß die ungelösten Vermögensfragen "verstärkt
angesprochen werden" müßten. Das an den Deutschen begangene
Unrecht müsse gemildert werden.
Roman Herzog (rechts)
In der ersten Rede eines
Bundespräsidenten zum TdH seit Jahrzehnten sagte Herzog: "Das
wiedervereinigte Deutschland erhebt keine Gebietsansprüche. Die
Verschiebung von Grenzen ist auch gar nicht das Thema unserer
Zeit. Wir haben die Chance, bestehende Grenzen niedriger und
durchlässiger zu machen als Generationen vor uns. Darauf müssen
wir unsere Kraft konzentrieren. [...] So schmerzhaft die
Erkenntnis für Menschen ist, die in Hinterpommern, in Ostpreußen
oder Oberschlesien als Deutsche in Deutschland geboren worden
sind: Richtig ist - und das werden wir nicht mehr ändern können -
diese Gebiete sind heute völkerrechtlich unbestritten polnisches
beziehungsweise russisches Staatsgebiet." Diese Äusserungen
bewegten einen der Zuhörer zu dem Zwischenruf
"Vaterlandsverräter!". Herzog erwiderte "Das hat mir gerade noch
gefehlt. Das habe ich nicht nötig, mir das von Ihnen sagen zu
lassen. Schämen sie sich." Zu den Reden der BdV-Funktionäre
meinte Herzog, es seien "so viele falsche Behauptungen
aufgestellt worden, daß man gar nicht weiß, wo man mit dem
Widerlegen anfangen soll". Aber das von den BdV-Funktionären
beklagte Unrecht an den Deutschen wollte er nicht wiederlegen, im
Gegenteil: "Deutsche waren allerdings nicht nur Täter, sondern
auch Opfer. Deutsche haben vertrieben und deportiert, aber sind
auch selbst Opfer von Vertreibung und Deportation geworden".
Diepgen forderte Prag auf, mehr über das Leid zu sprechen, das
den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg angetan wurde.
Auch 1996 wurden Nazis, diesmal von der 'Kameradschaft Beusselkiez',
im Umfeld des TdH beobachtet.
Dieser Rückblick über die 9 letzten "Tage der Heimat" zeigt
deutlich, welche Kontinuität die Revanchistenverbände an den Tag
legen und wie stark sie von führenden Politikern aus CDU/CSU
unterstützt werden. Viele Leute waren der Meinung, daß das
Problem mit den Revanchisten sich durch das Wegsterben quasi von
allein löst. Dem wiederspricht die durch das
Bundesvertriebenengesetz gestützte Auffassung des BdV, daß die
Eigenschaft des "Vertriebenseins" auch auf die Nachkommen vererbt
wird. Und deshalb werden diese TdHs immer wieder stattfinden. Es
sei denn, wir erkennen die Gefahr, die von den
Revanchistenverbänden immer noch und schon wieder ausgeht und
handeln dementsprechend.
Nie wieder Deutschland!