Bild: Der Bau von EU-Grenzen - in Ungarn - 'für Dich'
Ähnlich verhielt sich die Tschechische Republik, die sich bis zum November
1994 weigerte, das erweiterte Abkommen mit der BRD zu unterzeichnen, da sie
erst Rücknahmeverträge mit der Slowakei, Ungarn, Ukraine, Polen und
Rumänien aushandeln wollte. Bis dahin regelte ein Verwaltungsabkommen mit
Bayern und Sachsen die Abschiebung von AusländerInnen bis zu 2 Tagen nach
der Festnahme. Jetzt wurde dieser Zeitraum auf ein Jahr nach
Grenzübertritt und 6 Monate nach dem Aufgriff ausgedehnt. Die tschechische
Regierung führte die Visumpflicht wieder ein und installierte eine mobile
elektronische Überwachungsanlage an der Grenze. Von einen Tag auf den
anderen standen JugoslawInnen und RussInnen, die in der BRD und Österreich
arbeiteten, vor geschlossenen Grenzen und wußten nicht, wie ihnen
geschehen war. Ungarn kontrolliert auf Druck der Schengenländer sehr
streng die eigenen Grenzen zu Rumänien und Serbien. Als Prämie bei
der Kopfjagd nach Illegalen gibt es Sonderurlaub.
Die für 1993 befürchtete "russische Flut", die wegen der geplanten
Erleichterung der russischen Ausreisebestimmungen immer als Druckmittel zur
Verschärfung der Visumbestimmungen herhalten mußte, blieb bis heute
aus. Die Bestimmungen wurden seitdem aber nicht gelockert.
So vereinbarte Polen neben dem Abkommen mit der BRD weitere mit
Österreich, der tschechischen Republik, der Slowakei, der Ukraine,
Rumänien und Bulgarien. 1992 erhöhte Polen die Zahl der
GrenzbeamtInnen von 5000 auf 8000, die 30.000 Menschen von der illegalen
Einreise abhielten. OsteuropäerInnen erhalten nur noch ein Visum für
Polen, wenn sie eine persönliche Einladung und Geld vorweisen können.
Die 120 Millionen DM aus der BRD verwendet Polen zur technischen und
polizeilichen Grenzsicherung, für Weiterschiebungen, zum Aufbau eines
zentralen Erfassungssystems für AusländerInnendaten und für die
Ausbildung von Grenz- und AsylbeamtInnen. Weiterhin ist vertraglich bestimmt,
daß 50% der Sachleistungen in Deutschland eingekauft werden müssen.
Zwar verfügt Polen über ein in der Verfassung verankertes Asylrecht,
jedoch nicht über Verfahrensgesetze, die jenes Recht umsetzen
könnten.
Verteilung der 120 Mio DM der BRD für das Rücknahmeabkommen mit Polen (gerundet) polnischer Grenzschutz: 44 Mio davon für Abschiebeunterkünfte: 4 Mio Kommunikationsmittel: 14 Mio Fahrzeuge: 16 Mio Nachtsichtgeräte: 4 Mio polnische Polizei: 23 Mio Kommunikationsmittel: 8 Mio Fahrzeuge: 7 Mio Nachtsichtgeräte 1 Mio Büro für Migration und Flüchtlingswesen: 0,7 Mio Abschiebeunterkünfte 0,1 Mio Computertechnik 0,5 Mio deutsche Sprachkurse für polnische Grenzschützer:0,1 Miodavon 70% aus deutscher Produktion aus: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Manfred Such (B90/Grüne) |
Folge der ca. 60 Rücknahmeverträge, die wie ein Netz ganz Europa
überziehen, waren Massendeporationen von in der BRD lebenden Roma nach
Rumänien in geschlossenen Wagons, die Vertreibung der Roma aus der
Tschechischen Republik in die Slowakei und vermehrte Kettenabschiebungen. D.h.
Flüchtlingen werden von einem Land ins nächste abgeschoben, was dann
im Herkunftsland endet, obwohl in dem ersten Glied der Kette, z.B. der BRD, die
Abschiebung direkt ins Herkunftsland aufgrund der herrschenden Gesetzeslage,
z.B. einem Abschiebeschutz, nicht möglich gewesen wäre. Aber je
weiter die Flüchtlinge gen Osten abgeschoben werden, desto schlechter sind
die Bedingungen für ein Asylverfahren. Es häufen sich auch Fälle
von mehrfachen Hin- und Herschiebungen, da sich zwei Länder nicht einigen
können, wer für das Asylverfahren der betroffen Person zuständig
ist.
Deutsche Entwicklungshilfe in den Mauerrandgebieten
Das vielgelobte, im Rücknahmevertrag BRD-Rumänien vereinbarte
"Reintegrationsprogramm", welches angeblich den Abgeschobenen die Eingliederung
erleichtern soll, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Kapitalismusexport,
der den unfreiwilligen HeimkehrerInnen mehr schadet als hilft.
Im Rahmen des Reintegrationsprogramms wurden in den "Hauptabwanderungsgebieten
Rumäniens drei Aus- und Fortbildungzentren errichtet" und zwar vorallem in
den deutschen Siedlungsgebieten. Ziel der drei Zentren ist "die Vermittlung
einer bedarfsorientierten und wettbewerbsstarken Qualifikation in Rumänien
sowie die Förderung der Gründung selbständiger Existenzen. [...]
Deshalb nehmen auch Rumänen, die aufgrund dieses
[Rückführungs-]Abkommens in ihre Heimat zurückkehren, nicht an
dem Reintegrationsprogramm teil." Die Romas, die der BGS in Charterflugzeugen
nach Rumänien transportiert, werden sich freuen, daß neben den
rassistischen Pogromen nun dank der BRD auch die wirtschaftliche
Diskriminierung zunimmt. Denn im "wettbewerbsstarken" Kapitalismus dürfte
kaum ein Platz für die autarke Lebensweise der Romas sein, zumal sie von
der Ausbildung ausgeschlossen sind. Zum Glück sind es, der Geiz der
deutschen Seite hat gesiegt, nur drei Zentren, die sicher nicht so viel Schaden
anrichten können...
Das Reintegrationsprogramm mit Bulgarien sieht ebenfalls Umschulungskurse
vor.
Bild: Polnische Grenzschützer 1991 - im Tausch für das Rückführungsabkommen
ersetzte die BRD inzwischen die DDR-PKW's und russische Geländewagen
Rückführungen in unbekannte Länder
Da der für die Rückführung notwendige Nachweis der
Staatsangehörigkeit nicht immer gelingt, beschloß die
Innenministerkonferenz eine Arbeitsgruppe zu bilden, die prüfen soll "ob
und inwieweit es möglich ist, in den Fällen ungeklärter
Staatsangehörigkeit durch Abschluß von
Rückführungsabkommen eine Rückführung auch ohne den
Nachweis oder die Glaubhaftmachung der Staatsangehörigkeit des
betreffenden Staates in einen der Gesamtregion zuzurechnenden Vertragsstaat zu
ermöglichen." Einige Versuche in diese Richtung gab es schon.
So wurde ein Flüchtling aus Liberia, der wegen dem Bürgerkrieg nicht dorthin abgeschoben werden konnte, wahllos vier verschiedenen Botschaften verschiedener afrikanischer Länder zwangsvorgeführt, um zu fragen, ob die Länder bereit wären, ihn aufzunehmen. Zaire erklärte sich bereit, um den deutschen Behörden einen Gefallen zu tun. Letztendlich wurde der Flüchtling mit einem Notpaß nach Gambia abgeschoben. Der Niedersächsische Flüchtlingsrat kritisierte BGS und Ausländerbehörden, die nach dem Prinzip "Hauptsache zurück nach Afrika" verfahren.
Am 7.11.1995 entschied das Bundesverwaltungsgericht, daß
Flüchtlingen, die über einen "sicheren Drittstaat" eingereist sind,
selbst dann kein Asylverfahren zusteht, wenn das Transitland nicht bekannt
ist.
Migration ist O.K.
Zusätzlich zu den Rücknahmeabkommen schloß die BRD
Verträge zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und des
Rauschgifthandels mit fast allen osteuropäischen Ländern an. So
gingen 1993 25 Mio DM und 1994 36 Mio DM an Ausstattungs- und Ausbildungshilfe
an die Polizei fast aller osteuropäischer Länder.
Allein zur Drogenbekämpfung erhielt zwischen 1992 und 1994 Polen 4 Mio DM, die Tschechische Republik 2,5 Mio DM, die Slowakische Republik 1,5 Mio DM, Ungarn 4,5 Mio DM, Bulgarien 2 Mio DM. Allgemeine Polizeihilfe erhielten neben den obengeannten Ländern Lettland, Estland und Litauen.[8]
Diese Polizeihilfe richtet sich nicht nur indirekt (mehr Polizei - weniger
Chancen für Illegalisierte), sondern auch direkt gegen Flüchtlinge.
So fällt z.B. im deutsch-ungarischen "Abkommen über die
Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität" vom
22. März 1991 die "unerlaubte Einschleusung von Personen" und
"Menschenhandel" unter die Definition der Organisierten Kriminalität,
gegen die das Abkommen "insbesondere" vorgehen will.[9]
Illegalisierung
Die Abschottung Europa ändert natürlich gar nichts an den
Fluchtgründen. Im Gegenteil, das sich verschärfende
Wohlstandsgefälle zwischen Europa und dem Trikont/Osteuropa zwingt immer
mehr Menschen zur Flucht. Ebenso wie eine Politik, die nach Ende des Kalten
Krieges die kleinen, heißen Kriege nicht mehr zu scheuen scheint.
Gleichfalls wird die wirtschaftliche, politische und militärische
Zusammenarbeit mit den Machthabern der jeweiligen Ländern politische
Fluchtgründe weiterhin bestehen lassen.
Die Abschottung Europas und die Verschärfung der Asylgesetze führt nur dazu, daß immer weniger Menschen überhaupt nach Europa gelangen. Die meisten flüchten in die Nachbarländer und können in den riesigen Lagern ihren Hungertod durch Rote-Kreuz-Hilfslieferung hinauszögern. Oder schaffen es eben gar nicht zu flüchten und sterben an Ort und Stelle. Die wenigen, die genügend Glück und Geld für eine Flucht nach Europa haben, versuchen es zunehmend auf illegale Weise, die Grenze zu passieren. Da sie wissen, daß auf legalem Wege keine Chance haben und gleich wieder abgeschoben werden. Für viele endet die abenteurliche Flucht jedoch mit dem Tod. Wieviele Flüchtlinge in den Meeren und Grenzflüssen ertrunken sind, unterwegs verhungert, in Hohlräumen von Flugzeugen erfroren und in Frachtautos erstickt, als blinde Passagiere von den Schiffen einfach ins Meer geworfen, anderweitig ermordert oder an den Grenzen von PolizistInnen/Militärs erschossen wurden, wird niemand jemals sagen können.
Spanische Behörden schätzen, daß in den ersten 10 Monaten von 1992 ca. 400 Menschen auf der Flucht nach Spanien ertrunken sind und für 1991 geben marokkanische Behörden eine Zahl von 1000 Ertrunkenen an.
Zwischen Juli und Oktober 1992 soll es 13 Tote in der Oder gegeben haben und zwischen Januar und Oktober 1994 sind laut offiziellen Zahlen 14 Menschen an der Oder/Neiße-Grenze ertrunken (siehe Abschnitt Tode in der Oder/Neiße). Als im Juli 1995 18 erstickte Tamilen in einem LKW in Ungarn gefunden wurden, war Kanthers einziger Kommentar zu diesem "besonders schrecklichem Fall" von Menschenschmuggel, daß durch eine "ganz entschiedene Asylpolitik klargemacht werden (muß), daß es keine Chance gibt, mit Hilfe von Verbrechern auf illegalem Wege einen langfristigen Aufenthalt in der Bundesrepublik zu gewinnen."[10]
Auszug aus der Liste, die die an den europäischen Grenzen zu Tode gekommenen Flüchtlinge enthält ( von UNITED zusammengestellt)