Die Pressearbeit verlief während der Tour aufgrund der schlechten Vorbereitung und der hektischen Arbeitsathmosphäre sowie der eingeschränkten Möglichkeiten (Computer, Fax) zum Teil ziemlich chaotisch und unseriös.
Trotzdem fanden wir die Presseresonanz ziemlich enttäuschend. Obwohl wir im Vorhinein keinen allzu großen Illusionen anhingen, so hatten wir doch gehofft, daß zum einen Berichte über die häufigen Verletzungen von Flüchtlinge durch BGS-Hunde das Interesse der JournalistInnen wecken würde. Und zum anderen gingen wir davon aus, daß eine so massive Observation einer erklärtermaßen und in ihrer praktischen Umsetzung friedlichen Tour wenigstens den linksliberalen Medien auffallen würde.
Außer den linken Tagszeitungen (junge Welt und Neues Deutschland), die wenigstens zum Abschluß der Tour kurz berichteten, würdigten die überregionalen Zeitungen uns mit keiner Zeile. Die regionalen Zeitungen und Rundfunksender berichteten während der Tour teilweise und knapp über die "Etappenziele" und anläßlich der Demo ausführlicher. Jedoch gingen sie dabei kaum auf die von uns vermittelten Inhalte ein, sondern versuchten entweder beide Seiten, uns und den BGS, "gleichberechtigt" zu Wort kommen zu lassen oder ergingen sich in staatstreuer Polizeiberichterstattung. Gerade weil es auf der Tour zu keinen den Sensationsjournalismus bedienenden Ereignissen kam, mußte eine völlig harmlose "illegale" Schlauchbootüberquerung der Oder am vorletzten Tag in der regionalen Presse übertrieben dargestellt werden, um damit im Nachhinein den überzogenen Polizeieinsatz zu legitimieren. Da wird dann der Polizeikommentar "Das war aber nicht mit uns abgesprochen" unkommentiert abgedruckt.
Nur in einigen Szeneblättern, u.a. radikal und graswurzelrevolution, wurde ausführlicher und wahrheitsgetreuer von der Tour berichtet.
Beinahe wurden zwei niederländische Journalisten Opfer der massiven Polizeiüberwachung. Und das kam so: Die liberale niederländische Tageszeitung "Volkskrant" (zu vergleichen mit der Frankfurter Rundschau) schickte für eine Woche zwei ihrer Journalisten nach Guben, die dort jeden Tag einen Bericht verfassen sollen. Als sie von der Radtour hören, sind sie daran interessiert und kommen in Guben zu dem Konzert. Aber anstelle mit uns zu reden, machen sie Großporträt-Aufnahmen von der Bühne aus. Das kommt einigen derart Fotografierten sehr suspekt vor. Sollte das ein besonders dreister Versuch der Zivibullen sein, alle TourteilnehmerInnen lückenlos zu erfassen? Verabredet wird, dem Typen die Kamera abzunehmen. Als die beiden sich als niederländische Journalisten ausweisen, ist die Verwirrung perfekt. Tagelange rund-um-die-Uhr Überwachung haben ihre Spuren hinterlassen. Paranoia macht sich breit: Die Bullen haben sich also 'ne gute Legende verschafft - sogar mit orginalen Visitenkarten. Die beiden haben Angst um ihre teure Apparatur und ihre Negative. Es droht zu eskalieren... Aber im letzten Moment erinnern wir uns an den "gewaltfreien Charakter" der Tour und das Problem löst sich. In Anbetracht der bewegenden Vorgeschichte des nun folgenden Artikels, ist er ziemlich harmlos ausgefallen. (siehe farbiger Kasten)
Volkskrant vom Freitag, den 21.7.1995
Fahrraddemo entlang der deutsch-polnischen GrenzeDie Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland existiert nicht mehr, aber "es gibt eine neue Grenze, an der Menschen sterben". Mit dieser Botschaft ziehen ungefähr 40 Jugendliche entlang der deutsch-polnischen Grenze, von Zittau nach Frankfurt/Oder. Mittwoch und Donnerstag waren sie in Guben. Die Jugendlichen aus der näheren Umgebung und aus Berlin veranstalten diese Woche eine "Antirassistische Fahrrad- und Aktionstour". Sie radeln am deutschen Ufer der Neiße Richtung Norden.Unterwegs übernachten sie in größeren Ortschaften und versuchen die Bevölkerung über die rechtsextreme Gefahr und über die schlechte Behandlung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland zu informieren. Das "Konzert gegen Grenzen" am Mittwoch abend im Jugendzentrum no budget zog ungefähr 100 Zuschauer an. Die Organisatoren waren damit zurieden, obwohl einige Bands abgesagt hatten. Das Konzert beschränkte sich deshalb auf das Auftreten der polnischen Reggae-Band Yol. Stefan, einer der Berliner Jugendlichen, die die Initiative für die Tour ergriffen haben, regt sich vorallem über die weitgehenden Befugnisse der Polizei, insbesondere im Grenzgebiet, auf. Häuser werden ohne Durchsuchungsbefehl durchsucht - so sagt er - und sie übernimmt Aufgaben, die sie nicht verrichten dürfte. "Die Polizei bekommt immer mehr Beamte, aber die werden vorallem bei Anti-Rassismusdemonstrationen eingesetzt. Die observieren uns." Die radelnden Aktivisten sind davon überzeugt, daß sie während der ganzen Tour von Beamten verfolgt werden. Einige fürchten sich vor jeder Fotokamera, weil die Fotos oder die Negative bei der Polizei oder anderen Diensten landen könnten. Auf der anderen Seite suchen die Jugendlichen mit ihrer Tour gerade die Öffentlichkeit. Laut Stefan werden die Asylsuchenden im Grenzgebiet äußerst schlecht behandelt - wenn sie überhaupt reingelassen werden. "Es kommt vor, daß die Menschen einen Tag lang nicht zu Essen oder zu Trinken bekommen. Das betrifft Menschen, die schon tagelang unterwegs sind, um hierher zu kommen." Er warnt vor den Rechtsradikalen, auch in Guben, wenngleich er eingesteht, daß es vor einigen Jahren viel schlimmer war. Der Koordinator Micha des Jugendzentrums glaubt nicht, daß es noch eine rechtsradikale Szene in Guben gibt. "Einige nennen sich links, einige bezeichnen sich als rechts, aber echte Radikale gibt es nicht." Gestern abend sie die Fahrradfaher in Eisenhüttenstadt angekommen. Heute fahren sie nach Frankfurt/Oder, wo eine Demonstration mit der Thematik "Grenze" durchgeführt wird.
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