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Tue Dec 17 21:59:29 1996
 

Das antirassistische Straßentheater

Trotz geringster Vorbereitung entstand aus dem Ärmel geschüttelt in Kürze ein Konzept für ein antirassistisches Straßentheater aus einer Kombination von Sketch, Gesang und Spielszene. Als selbständige Bezugsgruppe mit UnterstützerInnen auf der Tour sich fortbewegend, wurden in knapp bemessener Zeit während der Pausen und nach "Feierabend", d.h. Plenumsende, verschiedenene Bruchstücke zusammengesetzt, um eine Aufführung für die zu sensibilisierende Bevölkerung vor Ort bzw. just for fun für unsereins vorbereitet. In Bad Muskau auf der großen Wiese feilten wir an den letzten Feinheiten und legten die Reihenfolge fest:

Als Einführung dient ein dem polnischen Theater "Grüne Gans" entnommener Sketch, in dem ein sich im Urlaub befindlicher Bürokrat mit einem Ertrinkenden konfrontiert wird und diesen, statt ihm zu helfen, mit stereotypen Fragen zur Person löchert, bis er den Geist aufgibt - gefolgt von einem Kommentar des Sprechers bezüglich der im vergangenen Jahr auf der Flucht in Oder und Neiße Ertrunkenen. Mit dem kurz zuvor getexteten mit -chor- und Tanzeinlagen gespickten Song "Wir vom BGS" wurden die Verantwortlichen vor Ort auf den Punkt gebracht. Das Thema Flucht und Weltwirtschaftsordnung wurde mit der folgenden Theaterszene aufgegriffen, in der einer deutschen Familie die Einreise in ein afrikanisches Land verwehrt wird, weil die Aufnahmekapazität erschöpft und negative Erfahrungen mit Waffenhandel und illegalen Landkäufen das Faß zum Überlaufen bzw. das Boot vollgemacht hätten.

Der erste Auftritt fand an der Grenzabfertigung für Passanten in Bad Muskau statt. Wir plazierten uns an der Paßkontrolle, so daß die aus Polen Kommenden direkt mit uns konfrontiert wurden. Die mit Zigaretten, Blaubeeren und Pfifferlingen Beladenen sahen größtenteils demonstrativ durch uns hindurch oder wie Wesen von einem anderen Stern. Sie hatten es wohl ziemlich eilig, von diesem Ort weg zu kommen, waren bei direkter Ansprache, was sie denn so aus Polen mitgebracht hätten, peinlich berührt. Durch Transparente war der Ort schon als Kundgebung/Happening auszumachen, doch schien dies mehrheitlich Befremdung auszulösen, als irgendeinen Denkanstoß in Richtung unseres Anliegens. Unsere eigene Reaktion über so viel Ignoranz war ähnlich fassungslos, da klafften Welten auseinander.

Bei der Kundgebung in Forst blieben schon mehr Leute stehen, auch angezogen durch Fußbodenzeitung, mehr Transparente und den zentralen Ort, jedoch hauptsächlich Szenepublikum, dem die Aufführung soweit zu gefallen schien. Ähnliches wäre über Frankfurt zu berichten, wo wir mit einer improvisierten musikalischen Einlage begannen, um die Aufmerksamkeit mehr auf das Geschehen zu konzentrieren.

Die teilweise durchaus Zuhörwilligen auf einem zentralen Platz vor einem Café Sitzenden wurden in der Sicht etwas von den direkt vor ihnen sitzenden TeilnehmerInnen der Fahrradtour eingeschränkt.

Es stellt sich die Frage, was mit der mitgeteilten Botschaft bei den "Leuten auf der Staße" passiert, so sie denn wahrnehmen, inwieweit es zum einen Ohr rein und zum anderen rausgeht und auch die Erreichbarkeit der Leute, die nicht Handlanger und SympatisantInnen des BGS sind, die vielleicht über irgendwelche Phänomene, seien es Flüchtlingskinder, Widersprüche in dem nicht selten tödlichen Ablauf an der Grenze erkennen und über andere Theatermittel- und formen mehr erreicht werden könnte.

Das wäre den erneuten Versuch wert, abhängig von der weiteren Entwicklung vor Ort, unserem Willen, uns darauf einzulassen und mehr Gespür für Zeiten, Orte und Bewußtseinslimits zu entwickeln.