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[grenze]
kein Quatsch ist illegal
Abschrift aus konkret 9/99
Deutsche sind, zumal in Polen und Tschechien, nicht gerade für historische
Sensibilität bekannt. Man ist vor allem in den Grenzregionen viel gewohnt.
Jede Woche karren Busse hunderte Berufsvertriebene durch die Landstriche, die
vormals unter anderem von Deutschen bewohnt wurden. Auch Antirassisten finden
Grenzen scheiße. Alle sollen da wohnen können, wo sie wollen. Nach
dem Sieg des Antinationalismus im Kosovo-Krieg haben ihre Parolen einen neuen
Klang: Statt "Freies Fluten" heißt es jetzt "Keine Grenze ist für
immer", so jedenfalls das Motto eines "Grenzcamps" der Kampagne "Kein Mensch
ist illegal", das im August am deutsch-polnisch-tschechischen Grenzdreieck in
der Nähe von Zittau stattfand. Gerade erst wurde unter maßgeblicher
deutscher Beteiligung Jugoslawien zerschlagen; alte Grenzen sind gefallen, neue
sind gezogen worden. Insofern hatten die Veranstalter dieses
Alternativurlaubsfürs gute Gewissen objektiv recht. Und mit der Wahl des
ortes für ihr Zeltlager erwiesen sie sich sogar als Avantgarde deutscher
Begehrlichkeiten der Eindruck, daß es sich hier nicht um Linke,
sondern um die Jugend der Vertriebenenverbände handelt, wurde jedenfalls
nicht vermieden. Auch die deutschen Aborigines in dieser Gegend konnten sich
freuen: Obwohl sie den Bundesgrenzschutz bei der Jagd auf Flüchtlinge
tatkräftig unterstützen und ein paar Erziehungsmaßnahmen
deswegen nicht schaden könnten, galten die Attacken der Antirassisten
nicht ihnen, sondern "der Grenze", dem vermeintlichen Symbol des "staatlichen
Rassismus". Das Veranstaltungsprogramm - viel Ringelpiez mit Anfassen,
Badeausflüge und Schwoof auf dem Zittauer Marktplatz - läßt
erahnen, wieviel Energie und Kreativität die Organisatoren darauf
verschwendeten, die arischen Eingeborenen von ihrer Zutraulichkeit zu
überzeugen. Daß ihr naßforsches "Keine Grenze ist für
immer" von den osteuropäischen Nachbarn als Provokation aufgefaßt
werden mußte, war ihnen dagegen offensichtlich gleichgültig - das
sind ja nur Slawen. Doch es geht nicht nur um Gedankenlosigkeit: Das Motto
verweist vielmehr darauf, daß deutscher Antirassismus bisweilen auch zur
Ideologie derer werden kann, die von den deutsche Verbrechen - etwa der
gewaltsamen Beseitigung der tschechischen und polnischen Grenze - nichts mehr
hören wollen. Deshalb ist es reichlich absurd, wenn "Jungle
World"-Kommentator Burkhard Schröder moniert, daß die kreuzfidelen
Grenzcamper "nicht dieselbe Sprache wie die Stinknormalen" sprechen. Vielmehr
geht es auf diesem Zeltplatz zu wie im August auf jedem anderen in Europa: Man
spricht deutsch.
Tjark Kunstreich
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