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Michael Hahn

Legalisierung und Kriminalisierung

Einwanderungspolitik in den USA

 

Die USA gelten traditionell als das Einwanderungsland der westlichen Welt. Zwar verfügt die US-Regierung auf dem Papier über ein ausgefeiltes gesetzliches Instrumentarium zur Einwanderungskontrolle. Aber immer wieder hat sich gezeigt, daß sich internationale Migration nicht beliebig steuern läßt - zuletzt 1986 bei einem großangelegten "Gesetz zur Immigrationsreform und -kontrolle". Dieses Gesetz legalisierte drei Millionen "Illegale" in den USA und sollte anschließend die unerlaubte Einwanderung unter Kontrolle bringen. Vergeblich.

Zur Zeit wandern jährlich etwa eine Million Menschen in die Vereinigten Staaten ein, davon schätzungsweise 200.000 ohne entsprechende Visas. Zusätzlich pendeln täglich viele tausend Menschen legal und illegal über die US-mexikanische Grenze oder arbeiten monateweise z.B. in der US-Landwirtschaft. Bis vor etwa 30 Jahren kamen die meisten EinwanderInnen aus Europa. Heute stammen dagegen fast 90 Prozent aller ImmigrantInnen aus Lateinamerika, der Karibik und Ost-Asien. Die meisten EinwanderInnen reisen im Zuge der Familienzusammenführung ein; ein wachsender Anteil der ImmigrantInnen-Visas kommt jedoch nach einem detaillierten Quotensystem qualifizierten Arbeitskräften zugute.

Die USA kennen kein "Ausländergesetz", sondern nur ein Einwanderungsgesetz. Der wichtigste Unterschied zur Situation von ImmigrantInnen in der BRD ist, daß in den USA nicht das völkische Abstammungsprinzip gilt, sondern das "ius solis": d.h., wer auf dem Territorium der USA geboren wird, ist automatisch US-StaatsbürgerIn, auch wenn die Eltern nur "illegal" im Land sind. Wer legal einwandert oder als Flüchtling anerkannt wird, bekommt als "Permanent Resident" zunächst eine Aufenthaltsberechtigung mit Arbeitserlaubnis ("Green Card") und kann nach fünf Jahren die Einbürgerung beantragen. Aber auch für "illegale" ImmigrantInnen gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich im Laufe der Zeit legalisieren zu lassen.

In letzter Zeit ist "illegale" Einwanderung auch in den USA zu einem "heißen" politischen Thema geworden. Entgegen der gängigen Vorstellung sind die meisten nicht-legalisierten (1) ImmigrantInnen nicht durch den Rio Grande gewatet, sondern dadurch ins Land gelangt, daß sie befristete Visas für TouristInnen, StudentInnen o.ä. überziehen. Beispielsweise beantragt jemand ein dreimonatiges Visum, um Verwandte in den USA zu besuchen, und taucht dann nach Ablauf dieser Frist unter. Diesen Weg der illegalen Einreise nehmen vor allem asiatische und karibische EinwanderInnen in Anspruch.

Neuankömmlinge kommen oft zunächst bei Verwandten oder Bekannten unter, die auch bei der Arbeits- und Wohnungssuche helfen können. Eine wichtige Rolle spielen dabei die ImmigrantInnen-Communities in den Großstädten, mit ihren prekären Arbeitsmöglichkeiten (z.B. im Lebensmittelhandel oder in Restaurants) und sozialen Netzwerken. Viele neu Eingewanderte sind auf Tagelöhner-Jobs angewiesen. In vielen US-Großstädten gibt es heute - von der Polizei geduldet - bestimmte Straßenecken, an denen sich jeden Morgen Dutzende bis Hunderte von Immigranten (überwiegend Männer) versammeln und darauf warten, daß jemand in einem Pick-Up-Truck vorbeikommt und z.B. eine Handvoll Leute für Malerarbeiten sucht. Viele neue EinwanderInnen arbeiten im Dienstleistungssektor, sowohl im kommerziellen Bereich (z.B. Gebäudereinigung in den Büro-Hochhäusern) als auch im persönlichen Bereich (Kinderhüten, Koch- und Putzhilfen, Gartenarbeiten, Hunde ausführen etc.).

Die meisten (legalen und "illegalen") EinwanderInnen arbeiten jedoch nicht im informellen, sondern im formellen Sektor - vor allem in arbeitsintensiven Branchen wie der Textil- oder Elektronikindustrie. Diese Branchen sind besonders heftiger internationaler Konkurrenz ausgesetzt und auf besonders hohe Flexibilität angewiesen. Viele ImmigrantInnen sind eher als Einheimische bereit (bzw. gezwungen), flexible Arbeitszeiten und geringe Arbeitsplatzsicherheit zu akzeptieren. Insofern sind EinwanderInnen (gerade auch nicht-legalisierte) längst zu einem unverzichtbaren Bestandteil des US-Arbeitsmarktes geworden.

Die US-Textilindustrie gilt dabei als Vorreiterin. Mit der Auslagerung der Produktion in Sweatshop-Subunternehmen, in denen viele ImmigrantInnen unter besonders empörenden Bedingungen schuften, wurden die Produktionskosten radikal gesenkt. Der bereits totgesagte Textil-"Standort" USA (und selbst das alte Textil-Zentrum New York City) kann inzwischen wieder erfolgreich mit Billiglohnländern in der "Dritten Welt" konkurrieren. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in manchen anderen Branchen beobachten. Das US-Kapital kann von Fall zu Fall auswählen: entweder Produktionsstätten auslagern oder "Dritte-Welt"-Bedingungen ins eigene Land holen.

Die Lebenssituation von "Illegalen"

Die Zahl der ImmigrantInnen ohne gültige Aufenthaltspapiere wird auf drei bis fünf Millionen Menschen geschätzt (ein bis zwei Prozent der US-Bevölkerung). Über die Hälfte davon lebt in Süd-Kalifornien und im Großraum New York City. Ein wesentlicher Unterschied zur Situation in der BRD besteht darin, daß in den USA nicht-legalisierte ImmigrantInnen ein erstaunliches Maß an rechtlichem Schutz genießen - zumindest bisher. So dürfen viele Behörden den Aufenthaltsstatus ihrer KlientInnen nicht überprüfen. Alle Kinder unterliegen der Schulpflicht; die Schulbehörden wissen dabei nichts über den Aufenthaltsstatus der Eltern. In etlichen Bundesstaaten können nicht-legalisierte ImmigrantInnen auch offizielle Führerscheinprüfungen ablegen.

Viele "Illegale" zahlen sogar Lohn- und Einkommenssteuern: Das Finanzamt vergibt an Beschäftigte, die über keine reguläre Sozialversicherungs-Nummer verfügen (was bei vielen Nicht-Legalisierten der Fall ist), eine vorläufige Steuer-Nummer ("Temporary Taxpayer Identification Number"). Die Steuerverwaltung darf keine Namen an die Einwanderungsbehörde INS weiterleiten.

Da es in den USA keine Einwohnermeldepflicht und keine Personalausweise gibt und die kommunale Polizei bei einer Personenkontrolle den Aufenthaltsstatus gar nicht überprüfen darf, ist es für Illegale in den USA - verglichen mit der BRD - relativ einfach, sich im Alltag durchzuschlagen. Auch ist es sehr viel leichter, sich die notwendigen Papiere für eine Arbeitsaufnahme zu besorgen: In vielen Städten blüht der Handel mit gefälschten Sozialversicherungsausweisen und anderen Dokumenten, die oft schon für 50 Dollar erhältlich sind.

Hier sind allerdings wesentliche Verschärfungen absehbar. Zur Zeit wird im US-Kongreß und in einzelnen Bundesstaaten über Gesetze diskutiert, die kommunale Behörden zwingen sollen, nicht-legalisierte EinwanderInnen an die INS zu melden. Erstmals wird ernsthaft erwogen, einen fälschungssicheren Ausweis einzuführen - was bisher in den USA aus Datenschutzgründen tabu war. Im November 1994 wurde per Volksabstimmung in Kalifornien ein Gesetz ("Proposition 187") beschlossen, das "Illegale" künftig vom Besuch öffentlicher Schulen und Kliniken ausschließen soll (dieses Gesetz ist noch nicht rechtskräftig).

1986 verabschiedete der US-Kongreß nach einer fünfzehnjährigen (!) parlamentarischen Diskussion das "Simpson-Rodino"-Gesetz oder "Immigration Reform and Control Act" (IRCA) - wobei der Schwerpunkt eindeutig auf dem Wort "Kontrolle" lag.

Legalisierung und Kriminalisierung:
das IRCA-Gesetz von 1986

Das IRCA-Gesetz bestand aus drei Teilen:

1."Amnesty": ein weitreichendes Legalisierungsprogramm für "illegale"ImmigrantInnen;

2."Employer Sanctions": Sanktionen gegen UnternehmerInnen, die wissent- lich "Illegale" beschäftigen;

3."Border Control": eine massive Aufrüstung an der US-mexikanischen Gren- ze durch eine personelle Verdopplung der Grenzpolizei sowie neue Waffen und Geräte (u.a. Infrarotkameras).

Die (knappe) Mehrheit im US-Kongreß kam durch einen Kuhhandel zustande: Liberale und Bürgerrechtler wollten die Legalisierung erreichen; rechte Abgeordnete, die damalige Reagan-Administration und viele Gewerkschaften wollten die "Employer Sanctions" durchsetzen. Die meisten linken Flüchtlings- und ImmigrantInnen-Organisationen waren gegen diesen "Kompromiß".

Die IRCA-"Amnestie" galt für zwei Gruppen. Erstens für Menschen, die seit mindestens fünf Jahren (Stichtag 1.1.1982) ohne Aufenthaltspapiere in den USA lebten, also de facto längst dauerhaft eingewandert waren. Den fünfjährigen Aufenthalt konnte mensch mit Telefonrechnungen, Mietquittungen, Lohnstreifen, Schulzeugnissen der Kinder u.ä. Dokumenten nachweisen. Zweitens für SaisonarbeiterInnen, die zwischen Mai 1985 und Mai 1986 mindestens 90 Tage illegal in der US-Landwirtschaft gearbeitet hatten (ein Zugeständnis an die mächtige Agrarlobby, die um ihren Zugriff auf billige Arbeitskräfte besorgt war). Entgegen vieler Befürchtungen ging die Einwanderungsbehörde INS bei der Prüfung der vorgelegten Dokumente recht großzügig vor. Insgesamt haben sich unter IRCA etwa drei Millionen Menschen legalisieren lassen (deutlich mehr als zunächst erwartet) und können nach einer fünfjährigen Wartezeit nun auch eingebürgert werden. Weitere drei Millionen "Illegale" blieben von der "Amnestie" unberührt, sei es, weil sie aus Mißtrauen gegen die Behörden erst gar keine Anträge stellten, sei es, weil sie erst nach 1982 eingereist waren (dies gilt z.B. für die meisten zentralamerikanischen ImmigrantInnen) oder weil sie außerstande waren, einen fünfjährigen Aufenthalt nachzuweisen.

Auch viele Konservative waren mit der Stichtagslegalisierung einverstanden. Damit verbanden sie die Hoffnung, daß das plötzliche massenhaft vorhandene Angebot von frisch legalisierten Arbeitskräften den Billiglohn-Arbeitsmarkt sättigen und dadurch viele "illegale" ImmigrantInnen verdrängen würde, also sozusagen eine Bekämpfung der "Pull-Faktoren". Diese Entwicklung ist jedoch nicht eingetreten.

Nach Inkrafttreten des IRCA-Gesetzes ging die Zahl der illegalen Grenzübertritte an der US-mexikanischen Grenze zunächst zurück, hat aber inzwischen wieder das Niveau von 1986 erreicht und übertroffen. Heute sind es oft die Angehörigen und Bekannten der Legalisierten, die ohne gültige Papiere ein- und ausreisen. Inzwischen ist außerdem eine "zweite Legalisierungswelle" angelaufen, in der sich die Angehörigen der 1986-1988 "Amnestierten" über Familien-Zusammenführung legalisieren lassen. So zieht jede Legalisierungs-Maßnahme neue Formen von zusätzlicher legaler und "illegaler" Migration nach sich - ein Phänomen, das sich ja auch in der BRD anhand von Werksvertrags- und Saisonmigration aus Osteuropa beobachten läßt.

 

"Employer Sanctions"

Nachdem nun ein Teil der "Illegalen" legalisiert worden war, wurden gegenüber dem Rest um so schärfere Repressionsmaßnahmen eingeleitet. Der Schwerpunkt des IRCA-Gesetzes lag auf der Einführung von Sanktionen gegen UnternehmerInnen, die wissentlich EinwanderInnen ohne Aufenthaltspapiere beschäftigen, wobei die angedrohten Strafen bis zu 10.000 Dollar pro illegalem Beschäftigungsverhältnis und zu Haft bei wiederholten Verstößen reichen (festgenommenen "Illegalen" droht die Abschiebung).

Verglichen mit dem Überwachungsstaat BRD gestaltet sich in den USA die Umsetzung dieser Sanktionen allerdings bisher recht schwierig. Es genügt, wenn Jobsuchende eines von 17 (!) bestimmten Dokumenten (Führerschein, Sozialversicherungsausweis, ...) vorlegen, deren Echtheit kaum ein Arbeit"geber" ernsthaft beurteilen kann. Auch sind Arbeitsplatz-Razzien der US-Einwanderungspolizei INS relativ selten. Im Großraum New York City (12 Millionen EinwohnerInnen) mit seinen unzähligen Sweatshops sind gerade mal 15 INS-Beamte für Arbeitsplatzüberprüfungen zuständig.

"Employer Sanctions" waren u.a. vom Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO gefordert worden, der verhindern wollte, daß "billige" ImmigrantInnen "amerikanischen ArbeiterInnen" Arbeitsplätze streitig machen. Nur wenige progressive Einzelgewerkschaften lehnten diese Argumentation ab. Die Unternehmerverbände waren aus naheliegenden Gründen gegen die "Employer Sanctions"; das Kapitalistenblatt "Wall Street Journal" fordert sogar "Offene Grenzen".

Sozialwissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, daß infolge des IRCA-Gesetzes die Löhne von (legalen und "illegalen") EinwanderInnen weiter gesunken sind. Dies liegt daran, daß erstens mehrere Millionen frisch Legalisierte in neue Jobs drängten und zweitens die verbliebenen "Illegalen" jetzt zu noch schlechteren Bedingungen arbeiten müssen. Auf das Lohnniveau von Einheimischen hatte das IRCA dagegen keinen negativen Einfluß. "Neue" ImmigrantInnen konkurrieren eben in erster Linie mit "alten" ImmigrantInnen, aber kaum mit Einheimischen.

Das IRCA-Gesetz von 1986 und die seitherige Militarisierung der US-mexikanischen Grenze haben - entgegen der öffentlich bekundeten Absichten - bisher nicht zu einer Verringerung von "illegaler" Einwanderung geführt. Es fragt sich jedoch, ob eine solche Verringerung überhaupt das Ziel der staatlichen Politik ist. "Illegale" EinwanderInnen sind billige und flexible Arbeitskräfte. "They work hard and scared" heißt es in den USA: "die arbeiten hart und voller Angst" - gerade das macht sie aus Sicht des Kapitals auch gegenüber einheimischen Arbeitskräften attraktiv (dennoch gibt es auch in diesem Bereich vielfältige Kämpfe und sozialen Widerstand). Die Politik der Einwanderungs-"Kontrolle" soll nicht dazu dienen, das Land hermetisch abzuriegeln und Menschen (genauer: Arbeitskräfte) außen vor zu halten. Zweck ist vielmehr, durch Entrechtung und AusGRENZung im Innern ein billiges und flexibles Arbeitskräftereservoir zu erhalten.

Die Stichtags-"Amnestie" von 1986 hat so einerseits mehrere Millionen Menschen noch weiter ins Abseits gedrängt. Andererseits hat sich unter den US-amerikanischen Rahmenbedingungen der offizielle Stichtag als relativ "durchlässig" erwiesen: angefangen von der Möglichkeit, einen fünfjährigen Aufenthalt auch mit nicht ganz wasserdichten Unterlagen belegen zu können, über die relativ großzügigen Möglichkeiten des legalen Familiennachzugs (bzw. der nachträglichen Legalisierung "illegaler" Verwandter), bis hin zum "ius solis", das zumindest den in den USA geborenen Kindern von "Illegalen" ein Bleiberecht einräumt. Ob sich diese günstigen Rahmenbedingungen auch auf eine etwaige Stichtagsregelung in der BRD übertragen ließen, muß wohl bezweifelt werden.


 

 

Anmerkung

 

(1) Ich bevorzuge den Begriff "nicht-legalisiert" statt des üblichen "illegal", das allzuoft als Kampfbegriff verwendet wird, um ImmigrantInnen den Ruch des Kriminellen anzuhängen. Das Wort "nicht-legalisiert" entspricht auch eher dem Selbstverständnis vieler "illegaler" EinwanderInnen in den USA, die sich selbst als "undocumented" bezeichnen, also als Menschen ohne (Aufenthalts-)Dokumente.

 

Literatur

 

van Capelleveen, Remco: Give me your tired, your poor, and your huddled masses? "Dritte- Welt"-Migration in die USA. In: Prokla 74 (März 1989), S. 55-82

Hahn, Michael: Einwanderungsland USA. Artikelserie in: AK (Analyse und Kritik) Nr. 366-368 (Mai-Juli 1994)

Miller, Mark (Hg.): Strategies for Immigration Control. Annals of the American Academy of Political and Social Science Nr. 534 (Juli 1994)

NACLA-Report: Coming North. Latino and Caribbean Immigration (Schwerpunktheft). Juli 1992

Sassen, Saskia: Why Migration? Thesen gegen herkömmliche Erklärungsmuster. In: Arbeitsgruppe 501 (Hg.): Heute hier - morgen fort. Migration, Rassismus und die (Un)Ordnung des Weltmarkts, Freiburg (iz3w) 1993