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Gender Killer ende
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Die Flintstones aufknacken
Zur Neuordnung der modernen Familie

Sue Ruddick

 
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Im Juli 1994, also einen ganzen Monat bevor der Film The Flintstones (Die Familie Feuerstein) in den Kinos Nordamerikas und Europas anlief, ließ sowohl das kanadische als auch das US-amerikanische Statistische Bundesamt verlautbaren, daß der Begriff der Familie, mit dem beide Behörden etwa vierzig Jahre lang gearbeitet hatten, nicht mehr angemessen sei, um die vielfältigen Formen bestehender Haushalte, die sich während des letzten Jahrzehnts entwickelt hatten, zu erfassen. Es schien, als müßten jetzt Fred Flintstone und seine moderne Steinzeitfamilie, wenn sie schon nicht ganz in die Steinzeit verbannt würden, so doch zumindest einem verwirrendem Aufgebot neuer Familienmodelle weichen.

Für Soziologen kam dieser Wandel keinesfalls überraschend. Seit den 50er Jahren hatten verschiedene Veränderungen in den Haushalten der westlichen kapitalistischen Staaten die Dominanz des Modells Kernfamilie mit einem Ernährer-(1) ins Schwanken gebracht. Wissenschaftler sahen sich mit neuen Familien- und Haushaltsmodellen konfrontiert, die weit davon entfernt, rein temporäre Abweichungen von der Norm darzustellen zu einem wachsenden Prozentsatz aller Haushalte wurden. Wenn überhaupt irgendetwas, dann ist das Aufkommen neuer Familienmodelle dafür verantwortlich, daß viele Wissenschaftler heute die Position vertreten, daß die Familie keine statische Kategorie, nicht die grundlegende soziale Einheit oder ein essentieller Baustein der Gesellschaft, sondern eine dynamische Strategie(2) sei, über die sich die Individuen selbst aktiv und reaktiv organisieren, je nach den variierenden Erfordernissen und Möglichkeiten am Arbeitsplatz und den wechselnden Bedingungen sozialstaatlicher Leistungen.

Die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen, die wachsende Zahl alleinerziehender Mütter und Väter, sinkende Geburtenraten, späteres Erstgebären und das Aufkommen neuer Arrangements bei der Kinderbetreuung gehören zu den demographisch auffälligsten Entwicklungen, die die inzwischen allgemein konstatierten Veränderungen in den Haushaltstrukturen begleitet und bestimmt haben. In Kanada, auf dessen Entwicklung ich mich im folgenden exemplarisch beziehen werde, hat sich die Anzahl der Haushalte mit alleinerziehendem Elternteil, denen zu über 90% Frauen vorstehen, zwischen 1951 und 1981 verzehnfacht. Die Gründe für Einelternschaft haben sich ebenfalls geändert. 1951 waren etwa zwei Drittel aller Einelternhaushalte durch den Tod des Ehepartners bedingt, während eine Generation später Verwitwung nur noch ein Drittel ausmachte und etwa 60% aus Trennung oder Scheidung hervorgegangen waren, den Rest bildeten Haushalte mit außerehelichen Kindern.(3) 1991 gingen beinahe 70% aller kanadischen Frauen aus Haushalten mit Kindern (auch aus denen mit Kleinkindern unter 6 Jahren) einer Erwerbsarbeit nach, und bei 65% der verheirateten Paare waren beide Ehepartner berufstätig. Die durchschnittliche Familienwochenarbeitszeit außerhalb des Hauses stieg von 76 Stunden 1973 auf 86 Stunden in Jahre 1986.(4)

Man könnte das Aufkommen neuer Haushaltsstrukturen für einen Sieg der Frauen halten und es als Beweis für die Risse im patriarchalen Familienmodell nehmen, die durch die neuen Abmischungen und Spielarten offenkundig geworden sind. In diesem Sinne wurde oft betont, daß diese Veränderungen für Frauen in vielerlei Hinsicht einen Zugewinn bedeuteten: vor dem Hintergrund ihrer steigenden Erwerbsarbeitsquoten, einer wachsenden Anzahl von gebilligten Formen der Haushaltsführung und erweiterter Möglichkeiten der Kinderbetreuung hätten sie einerseits für mehr Wahlmöglichkeiten gekämpft, andererseits seien ihnen diese auch zahlreicher als der Generation ihrer Mütter angeboten worden. Aber mit der Zeit hat sich der durch den verbesserten Zugang zur Erwerbsarbeit und die liberalisierten Familienmodelle erreichte Zugewinn verbraucht. Mehr und mehr zeigt sich, daß dieser Wandel den Frauen kaum reale Wahlmöglichkeiten, geschweige denn neue Emanzipationsstrategien eröffnet hat, er ist vielmehr durch eine Reihe von Feminisierungen gekennzeichnet. Die Infragestellung der Geschlechterrollen, die verstärkte Einbindung von Frauen in die Erwerbstätigkeit und die Umorganisierung der Rollen im Haushalt schlug von einer progressiven Forderung in eine defensive Strategie um. In den späten 80er Jahren wären schätzungsweise 40% der kanadischen Familien unter die Armutsgrenze gefallen, wenn nicht beide Elternteile gearbeitet hätten. Ein weiterer Pyrrhussieg, der mit dem Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit verbunden war, ist die Zunahme eines vor allem von Eltern aus der Arbeiterklasse praktizierten Arrangements von zeitlich aufeinander abgestimmter Lohnarbeit. Hier koordinieren Mann und Frau ihre Arbeitszeiten meist durch eine Aufteilung in Tag- und Nachtschichten, damit rund um die Uhr eine/r zuhause bei den Kindern sein kann.(5)

Im Gegensatz zu der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, als Frauen in großer Zahl aus der Erwerbsarbeit verdrängt wurden, hat die verstärkte Abhängigkeit der kanadischen Ökonomie von bezahlter Frauenarbeit einen eher normalisierenden denn pathologisierenden Blick auf die neuen Familienmodelle gefördert. Rein rhetorisch wird diesen neuen Arrangements mittlerweile liberal begegnet, doch in ökonomischer Hinsicht geht es Unter- und Mittelschichtsfamilien in den 90er Jahren weitaus schlechter als ihren Vorgängern in den 50ern: gegenwärtig lebt in Kanada eines von fünf Kindern unter der Armutsgrenze. In urbaneren Gegenden, wo der Wandel von der Produktion zur Dienstleistungsökonomie schon weiter fortgeschritten ist, betrifft die Kinderarmut fast jedes dritte Kind.(6) Die ökonomische Restrukturierung hat sowohl die Feminisierung als auch die Verjugendlichung von Armut vorangetrieben. Während es sozial akzeptabler geworden ist, alleinerziehend zu sein, sind die Armutsraten unter Familien mit nur einem Elternteil (die sich ihrerseits vor allem um Frauen gruppieren) hoch: über die Hälfte der Familien alleinerziehender Mütter leben deutlich unter der Armutsgrenze. Die forcierte Feminisierung der Haushaltstrukturen bedeutet für Frauen, wie Donna Haraway feststellt, vor allem auch, extrem verwundbar gemacht zu werden; spaltbar, neu zusammenfaßbar und als Arbeitskräfte-Reservearmee ausbeutbar zu sein, weniger als Arbeitskraft denn als Dienende betrachtet zu werden; innerhalb und außerhalb des bezahlten Jobs einer Zeiteinteilung unterworfen zu sein, die der Begrenzung des Arbeitstages Hohn spricht; ein Leben zu führen, das immer auf der Kippe zum Obszönen steht, deplaziert und auf Sex reduzierbar (Haraway 1991, S. 166).

(1) Die Form der Einzelverdienerfamilie impliziert eine spezifische Arbeitsteilung, bei der der Vater außer Hauses arbeitet und die Mutter sich um Haus und Kinder kümmert.

 

(2) B. Bawin-Legros/M. Sommer: Famille/Familles: Difficiles et mouvantes typologies In: Revue Internationale d'Action Communautaire/International Review of Community Development, 18/58, Herbst 1987

 

(3) Emily Nett: Canadian Families Past and Present. Toronto and Vancouver: Butterworths, 1988

 

(4) Forum Directors Group Keynote Paper. In: The National Forum on Family Security (Hg.), Family Security in Insecure Times. Ottawa: Canadien Council on Social Development, 1993, S. 15. Diese Entwicklung war von einem bemerkenswerten Anstieg der Produktivität begleitet: zwischen 1970 und 1990 wuchs Kanadas Bruttosozialprodukt um mehr als die Hälfte, wobei sich die geleistete Arbeitszeit jedoch nur in wesentlich geringerem Maße erhöhte. Dies führte zu dem, was neuerdings als Aufschwung ohne Arbeitsplätze bezeichnet wird, und sich einerseits durch eine prosperierende Wirtschaft und andererseits durch ein dauerhaft hohes Niveau der Arbeitslosenrate auszeichnet.

 

(5) Geraldine Pratt und Susan Hanson 1991: On theoretical subtelty, gender, class and space. A reply to Huxley and Winchester, Environment and Planning D: Society and Space 9(1) 241246

 

(6) Social Planning Council of Metro in Toronto: New Perspectives on Child and Family Support, SPC NEWS October 1993, S. 8

Von den Flintstones zu den Simpsons: die Feminisierung der Autorität in der Familie

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Man kann die Veränderungen des normativen Konzepts der Familie während der letzten vierzig Jahre auch an ihrer Darstellung in den populären Medien nachzeichnen. In den 50er und 60er Jahren diente die mediale Präsentation der Kernfamilie als eine Art Bedienungsanleitung für Millionen von Eltern und Kindern, die an die zahlreichen wöchentlich verabreichten Interpretationen der fordistischen Familie glaubten. Vorschulkindern stellten die Zeichentrickfilme samstags morgens die Kernfamilie als etwas eigentlich zeitloses, die gesamte Menschheitsgeschichte umfassendes dar, vor allem wenn man den kombinierten Effekt der Serien The Flintstones und The Jetstones bedenkt. Auf der einen Seite die in den westlichen Staaten wohlbekannte Geschichte der modernen Steinzeitfamilie, die den traditionellen Mustern von Hausfrau-mit-Kind-zuhause und Vater-geht-arbeiten gehorcht und mit einer Reihe fordistischer, in das prähistorische Zeitalter einmontierter Details angereichert wurde; andererseits The Jetstones, eine ins Raumzeitalter verlegte Version der Flintstones. Für ältere, also Schulkinder, konzipierte man TV-Shows mit echten Schauspielern, um das aufzufangen, was in den späten 50er und den frühen 60er Jahren als das Problem der abwesenden Väter bekannt wurde. Diese Shows dienten dazu, die sich auflösende Autorität der Väter im wirklichen Leben auszugleichen, die als Brötchenverdiener sehr viel weniger Zeit mit den Kindern verbrachten als die Hausfrauen-Mütter. Hier konnten die Kinder zwischen 16 und 18 Uhr sehen, wie lächelnde, paternalistische Mittelklasse-Fernseh-Papis in Situationskomödien wie Father Knows Best, Leave it to Beaver und Ozzie und Harriet routiniert die Familiensorgen behoben. In den 90ern haben diese alten TV-Shows für viele Leute einen nostalgischen Beiklang, da sie an eine angeblich einfachere und weniger sorgenvolle Zeit erinnern. Die Umwandlung der Flintstones in einen abendfüllenden Spielfilm ist ein Beispiel dafür; sie spekuliert auf diese Nostalgie.

Doch wurden mittlerweile neue Fernsehfamilien in die kanadischen und amerikanischen Wohnzimmer gesendet, die häufig angemessener, wenngleich mit einer Überdosis an freudestrahlendem Optimismus, die sich ändernden Lebensverhältnisse des Fernsehpublikums thematisierten. Father Knows Best, der Favorit unter den 50er-Jahre-Darstellungen des netten und paternalistischen Vaters und Hauptes der traditionellen Einzelverdiener-Familie, ist Situations-Komödien wie Grace under Fire gewichen, einer Serie über eine alleinerziehende Mutter dreier Kinder, die um ihren Lebensunterhalt kämpft, nachdem sie sich von einem sie mißhandelnden Ehemann getrennt hat, oder Roseanne, eine andere Komödie über eine Arbeiterfamilie, in der beide Elternteile arbeiten und die Ehefrau, weit davon entfernt, sich der Besserwisserei ihres Ehemannes unterzuordnen, die familiären Angelegenheiten bestimmt. Auch auf anderen Fernsehkanälen kann man eine steigende Zahl von Nicht-Kernfamilien finden: Kinder mit zwei Vätern (einem biologischen und einem später angeheirateten), die alle in einem gemeinsamen Haushalt leben oder eine Situationskomödie über eine alleinstehende Karriere-Mutter mit Haushälter. Andere Porträts der zeitgenössischen Kernfamilie zeichnen diese als inhärent dysfunktional und dennoch irgendwie funktionierend. Die bei Kindern wie bei Erwachsenen unglaublich beliebte Zeichentrickserie The Simpsons beispielsweise ist nur wenig bemüht, eine idyllische Vorstellung von der Kernfamilie wieder zu stärken. Hier findet man den weißen Arbeiterklasse-Vater mittleren Alters, den Bier saufenden, Fernseh glotzenden Homer Simpson, der bei der Arbeit entweder schläft oder damit beschäftigt ist, sich das Maul mit Donuts vollzustopfen, wobei er seine Verantwortung als Sicherheitsüberwacher im örtlichen Atomkraftwerk völlig vernachlässigt. Homer ist vom väterlich wohlwollenden Papa mit Aktenkoffer, wie er immer in Anzug und Krawatte in Father Knows Best gezeigt wird, meilenweit entfernt. Er wird ständig von seinem jungen, kriminellen Sohn Bart verhöhnt. Tatsächlich könnten die Simpsons mit Daughter Knows Best untertitelt werden, denn es ist Homers begabte, Saxophon spielende, klassenbeste, sensible und verständnisvolle, junge vorpubertäre Tochter, der die Rolle des moralischen Gewissens und der Hauptstütze dieser Familie zufällt. Mit Donna Haraway kann man diese zeitgenössischen Familienporträts als weitere Feminisierung interpretierten, allerdings als eine, die versucht, eine wachsende Anzahl von jungen und alten Frauen wieder aufzurichten und zu versöhnen, indem sie ihre Rolle glorifizieren und ihre Klugheit anpreisen.

Auch in der Massenliteratur läßt sich die Liberalisierung der Haltungen gegenüber neuen Formen der Haushaltsführung und der Kindererziehung an einer Vielzahl von how to do-Büchern ablesen, die über neue institutionalisierte Modelle wie Kindertagesstätten und Schülerläden oder über private Betreuungsarrangements aufklären. Bücher über die Themen Haushalten und Hausarbeit kann man bis zur Jahrhundertwende zurückverfolgen. Bis weit in die 50er Jahre hinein war hier die offene Propagierung und Unterstützung des Kernfamilienmodells und der Hausfrauenehe obligatorisch. In den 60ern begannen sie einer anderen Reihe von Lebenshilfebüchern Platz zu machen, die sich damit beschäftigten, wie der Aufwand bei der Hausarbeit gering gehalten werden kann (etwa Peg Brackens' I Hate to HouseKeep der Favorit meiner Mutter). In den 90er Jahren schließlich kommen auch Bücher auf den Markt, die die Errungenschaften neuer Familienmodelle anpreisen, wie etwa die partnerschaftlich bewerkstelligte Kinderbetreuung (Mom's House Dad's House). Orientiert an der neuen Mittelklasse mit einem deutlich anderen Drumherum in Sachen Wohnverhältnisse und Arbeitsplatzgestaltung als bei ihren Vorläufern, dienen diese how to do-Büchern gleichzeitig dazu, anzuleiten und Strategien und Anschauungen zu normalisieren, die vorher als dysfunktional oder abweichend betrachtet wurden.


 

Verändertes Familienkonzept

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Im Zusammenhang mit den neuen Haushaltstrukturen haben sich auch die wissenschaftlichen Konzepte über Familie verändert. Sowohl in der europäischen wie auch in der nordamerikanischen Literatur galt bis Mitte der 60er Jahre Durkheims Konzeption von der ehelichen Familie, nach der diese zuallererst über das Eheverhältnis definiert wurde, als allgemein akzeptierte Norm.(7) Die Dominanz dieses Konzepts zeigt sich vor allem darin, wie und in welchen Ausmaß alle möglichen Formen des Zusammenlebens an diesem Modell gemessen, als Abweichung registriert oder ihm einverleibt werden. Nach den Maßstäben der kanadischen Volkszählung wurde seit 1941 die Ehe- oder Blutsverwandtschaft der Kernfamilie betont und definiert, daß die Familie aus Ehemann und Gattin mit oder ohne unverheirateten Kindern, oder einem Elternteil mit einem oder mehreren unverheirateten Kinder, die im selben Haushalt leben bestehe. Gleichzeitig gelten Adoptiv- und Stiefkinder als leibliche Kinder, ebenso Pflegekinder unter 21 Jahren. Sobald sich ein Kind jedoch verheiratet, hört er oder sie nach diesen Maßstäben auf, Teil der elterlichen Familie zu sein, selbst wenn er oder sie weiterhin im selben Haushalt lebt.(8) Wie Emily Nett in ihrer Untersuchung Canadian Families, Past and Present dargelegt hat, unterstellt die kanadische Gesellschaft, daß Adoptiv- und Stiefkinder so seien wie Blutsverwandte und in manchen Provinzen werden nach dem Gesetz unverheiratete, aber zusammenlebende Paare behandelt, als ob sie durch Heirat verbunden seien.(9) Der Schritt, nicht-traditionelle Familienmodelle als gewohnheitsrechtliche Vereinbarungen mit der traditionellen Kernfamilie zu analogisieren, hatte einen doppelten und gleichzeitig widersprüchlichen Effekt. Mit den wertenden Wendungen wie, als ob und gelten als wurden diese Familien als Ersatz-Normalfamilien identifiziert, ohne jemals ernsthaft die traditionelle Einzelverdienerfamilie als definitionsmächtige Norm zu entthronen. Einerseits normalisierten diese Neudefinitionen die abweichenden Arrangements, indem sie sie zu Äquivalenten der sozial akzeptierten und rechtlich sanktionierten Formen machten. Andererseits konservierten diese Neudefinitionen auf einer subtilen Ebene den Status nicht-traditioneller Familien als weniger erstrebenswerte Formen der Familienbildung, indem sie die Kernfamilie noch stärker als Standard, an dem alles andere zu messen sei, verankerten.

Die Anerkennung alternativer Familienstrukturen bewahrt somit nicht nur die Norm der Kernfamilie, sondern ist gleichzeitig auch die Grundlage, auf der sämtliche anderen Modelle faktisch als Problem bzw. als dysfunktional pathologisiert werden können.

Die in den letzten Jahren auch seitens der offiziellen Politik zunehmende Anerkennung nicht-traditioneller Haushaltsarrangements drückt sich vor allem darin aus, daß die Pflege und Betreuung von Kindern gegenüber der in erster Linie die Eigentumsrechte regelnden ehelichen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau stärker in den Vordergrund getreten ist. Dies zeigt sich am deutlichsten in der gewandelten Haltung gegenüber den verschiedenen Betreuungsvereinbarungen zwischen geschiedenen oder getrennt lebenden Eltern. In vielen Provinzen Kanadas sind die staatlichen Institutionen eher dazu bereit, solche Betreuungsabsprachen, die den Zugang von Kindern zu beiden biologischen Eltern verbessern, anzuerkennen, als das Sorgerecht Müttern in vaterlosen Familien zu übertragen. Diese Veränderungen der Definition von Familie weg von Eigentumsfragen und hin zum Versorgungsverhältnis hat eine Reihe von Auseinandersetzungen über die Frage einer gesetzlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare als Familien losgetreten. Dabei ging es sowohl um die Frage des angemessenen Geschlechts von Kinderbetreuenden als auch um die gesetzlichen Bestimmungen, die den Zugang zu Versicherungen und andere Formen der Unterstützung gleichgeschlechtlicher Ehe-PartnerInnen regeln. In dieser Angelegenheit kämpfen derzeit Frauen in lesbischen Haushalten (von denen etwa ein Drittel Kinder haben) um die Anerkennung ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerinnen als Versorgungsleistende und Sorgeberechtigte und für formale und gesetzliche Vereinbarungen, die den Zugang zum Kind regeln.
Insgesamt jedoch ist dieser Prozeß der Neudefinition von Familie sehr widersprüchlich. Einerseits zeichnet er sich durch einen liberaleren Blick auf Familie aus, der sich auch in politischen Maßnahmen, wie beispielsweise in der Anerkennung neuer Betreuungsarrangements niederschlägt. Andererseits ist er von einer Rückkehr zu Familienwerten begleitet. Bei dieser erneuten Betonung der Familienwerte geht es vor allem darum, sozial- und finanzpolitische Maßnahmen zu legitimieren, die die wohlfahrtsstaatlichen Versorgungsleistungen einschränken und von den Familien (und das heißt den Frauen) die Übernahme eines Großteils der Pflegeleistungen (für Kinder, Alte und Kranke) fordern.

In den Vereinigten Staaten hat diese Rückkehr zu Familienwerten eine besonders extreme Form angenommen, bei der versucht wird, grundlegende Menschenrechtsfragen mit Familienstrukturen zu verknüpfen. In Kalifornien beispielsweise versuchten die Gesetzgeber Mitte der 80er Jahre auf Bundesstaatsebene Eltern strafrechtlich für die Bandenaktivitäten ihrer Kinder verantwortlich zu machen: kriminelle Verstöße von Kindern sollten auch zur Verurteilung ihrer Eltern führen können. Glücklicherweise wurde die Verfassungsmäßigkeit dieses Schrittes bezweifelt und der Entwurf von der Legislative zurückgewiesen. Ein anderer Indikator für diese Entwicklung ist die Einführung des Gesetzes gegen Straßenterrorismus (Street Terrorism Enforcement and Prevention Acts) im Bundesstaat Kalifornien im Jahre 1989. Ein Beispiel für die produktive Anwendung dieses Gesetzes (für das zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels noch keine gerichtliche Überprüfung stattgefunden hat) ist die Klageerhebung gegen eine Mutter, der bis zu ein Jahr Haft und eine Geldstrafe von 2500 Dollar drohen, weil sie in die Mitgliedschaft ihres Sohnes bei einer Jugendgang eingewilligt habe.

Was die Verknüpfung von Menschenrechten und Familienstrukturen betrifft, ist ebenso an die Kriminalisierung von obdachlosen Eltern zu erinnern, die in Kalifornien bis in die späten 80er hinein forciert wurde: man bezichtigte Obdachlose der kriminellen Vernachlässigung ihrer Kinder, sie wurden inhaftiert und ihre Kinder wurden ihnen weggenommen und in staatliche Obhut verbracht.

In der kanadischen Debatte konzentrierten sich die politischen Veränderungen stärker auf Fragen von Ansprüchen und Rechten im öffentlichen wie im privaten Bereich. Die konservative Rückkehr zu Familienwerten hat hier eine sanftere Form als in den USA angenommen. Sie ist eingebettet in das Gerede von Community und der Notwendigkeit der Rückkehr zur kommunitären Formen der Fürsorge, die in den letzten Jahren in der Verantwortung des Staates lagen. In Kanada ist dies in den Debatten um die Altenpflege am offensichtlichsten, die darauf zielt, die kostenaufwendige Unterbringung in Pflegeheimen dadurch zu vermeiden, daß die Vorzüge der Pflege zu Hause angepriesen werden. Neben dieser Rückverlagerung reproduktiver Tätigkeiten in die Familie wird aber auch weiterhin die außerhäusliche Erwerbsarbeit von Frauen forciert. Bis vor kurzem erhielten alleinstehende Mütter in der Form von Wohlfahrtszahlungen einen knappen Staatszuschuß für den Unterhalt ihrer Kinder. Hier übernahm der Staat gerade weil solche Familien als zerrüttet gelten die Rolle des väterlichen Familienernährers, gewappnet mit einem Arsenal von Beschränkungen und Kontrollmaßnahmen, die gewährleisten sollten, daß die Mütter, die diese Unterstützung erhielten, auch wirklich alleinerziehend waren. Heute jedoch, da die Zahlen alleinerziehender Eltern ebenso stetig steigen wie die verheirateter berufstätiger Frauen mit Kindern und Formen außerhäuslicher Kinderbetreuung akzeptiert sind, wird auch der Zweck dieser Form der Unterstützung überdacht. In vielen kanadischen Provinzen ist man dazu übergegangen, alleinerziehenden Müttern kleinere, nicht zweckgebundene Geldbeträge auszuhändigen. Angestrebt wird hier, daß die Frauen wieder arbeiten gehen und ihre Sprößlinge in subventionierte Kindertagesstätten geben.

Oberflächlich betrachtet scheinen viele dieser Veränderungen positiv zu sein, und sei es nur, weil sie die altbekannten Normen vom normalen Familienleben in Frage stellen. Aber die Auflösung der alten Familienform vollzieht sich unter ökonomischen und finanzpolitischen Bedingungen, die diese Errungenschaft in ihr Gegenteil zu verkehren drohen. In ökonomischer Hinsicht waren die Siege Pyrrhussiege. Das heißt selbstverständlich nicht, man solle zur steinzeitlichen Einzelernährer-Familie zurückkehren, wie es von vielen Neuen Rechten gefordert wird, die den Untergang der Familie beklagen, oder von einigen Altlinken, die in der steigenden Erwerbsarbeit von Frauen die Grundlage für die Zerschlagung der Gewerkschaften und das Ende des goldenen Zeitalters des Fordismus sehen. Vielmehr sollte, wie Haraway schreibt, mit der naheliegenden Aufgabe begonnen werden, sich diese neuen Verbindugen und Kombinationen anzueignen, um eine neue Arbeitsorganisation zu schaffen, die die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung beseitigt und jeglichen Formen der Feminisierung entgegentritt.

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Dagmar Ganßloser

(7) Vgl z.B. Bawin-Legros und M.Sommer, a.a.O., S. 4748

(8) S. Wargon: Using Census Data for Research on the Family in Canada. In: Journal of Comparative Familiy Studies 3,1 (Frühling 1972): S. 150

(9) vgl. Emily Nett: Canadien Families, Past and Present, a.a.O.

     
Edition ID-Archiv Eichhorn/ Grimm (Hg.) Gender Killer Texte zu Feminismus und Politik
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