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Gender Killer ende
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Sabeth Buchmann

 
   
 

Es reicht offenbar nicht, die Forschung und Anwendung von Gen- und Reproduktionsmedizin oder die Aufrüstung und Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien als ideologische, ökonomische und politische Herrschaftsformen zu charakterisieren. Öffentlichkeit ist mit solchen Aufklärungsabsichten nicht zu finden. Auch ließ sich mit Technologiekritik bis heute keine breitere feministische Öffentlichkeit herstellen. Das heißt jeoch nicht, daß das, was Öffentlichkeit nicht hat, nicht existiert: Flugblätter, Broschüren und Infodienste belegen die Aktivitäten von Frauengruppen und anderen Initiativen. Sie aber bleiben in aller Regel in den großen Gentechnologie-Reportage-Serien unberücksichtigt, die sich je nach Konjunktur der Spiegel, die ZEIT oder der Stern in den Tonlagen liberalistisch-populistischer Ethikdiskussion gelegentlich leisten.(1) Auch exponierte AutorInnen kommen selten auf die Idee, das Spektrum feministischer Gruppen zu berücksichtigen, die zum Thema Gen- und Reproduktionstechnologie arbeiten.(2) Und umgekehrt. Obgleich beide Seiten um ihre je spezifischen Vermittlungsprobleme wissen, die sie bei der Herstellung eines Zusammenhangs von Gen- und Reproduktionstechnologien, der Novellierung des §218, der Ideengeschichte eugenischer Praxis, der Abschiebung von AsylbewerberInnen und Sextourismus haben,(3) bewegen sie sich weiterhin auf unterschiedlichen Ebenen.

Es stellt sich daher die Frage, warum trotz der seit den frühen siebziger Jahren in ihrer Intensität zwar diskontinuierlich verlaufenden, nie aber abgebrochenen theoretischen und politischen Aktivitäten gegen die Durchsetzung sogenannter neuer Technologien in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen keine Antiatombewegungszeiten vergleichbare Öffentlichkeit zustandegekommen ist. Liegt es daran, daß AKWs aufgrund ihrer provozierenden, unästhetischen Monumentalität als ein unmittelbareres Zeichen von Gefährlichkeit wahrgenommen wurden eine Wahrnehmung, vor der sich der weiße Techno-Appeal der Genlabors nicht fürchten muß? Aber jetzt ist die Argumentation der LobbyistInnen ja auch eine andere: Statt behaupten zu müssen, gesundheitliche Schäden durch Atomtechnologie seien ausgeschlossen, stellt sich die Gen- und Reproduktionsmedizin als Gesundheitstechnologie vor. Schon der Vergleich von Atom- und Gentechnologie hinkt jedoch gefährlich, insofern er einer veränderten Argumentationsstrategie nur zu recht kommt. Wie in dem Vorwort der Publikation Tödliche Ethik angesprochen, können die HumangenetikerInnen auf eine weitverbreitete Argumentationslinie innerhalb der Ökologiebewegung setzen, die z.B. in ihren Widerstand gegen Atomkraftwerke die Angst vor Behinderung als ein zentrales (Hervorhebung S.B.) Motiv einbaut. (Bruns u.a. 1993, S. 13)(4)

Die neuen Technologien lassen sich nicht bruchlos in den methodischen Kanon klassischer feministischer Kritik einbinden. Ein Beispiel ist die vor allem unter US-amerikanischen Feministinnen verbreitete, aber auch in Deutschland vertretene Position, der Erfolg der Gen- und Reproduktionstechnologien sei zugleich ein emanzipatorischer Erfolg, der Frauen von der Reduktion auf ihren Körper und damit von Gebärfähigkeit und Mutterschaft entlaste (Texte zur Kunst 1994, S. 222). Wird damit nicht implizit die Behauptung aufgestellt, daß Frauen notwendigerweise als Opfer ihrer eigenen Fruchtbarkeit (Wajcman 1994, S. 101)(5) angesehen werden müssen?

Ein Flugblatt zu einer Veranstaltung des Frauenrates der Uni Mainz vom Februar 1988 steht m.E. stellvertretend für die Position hiesiger feministischer Gruppen, die der reproduktionstechnologischen Emanzipationsversion ausgesprochen skeptisch gegenüberstehen: So seien es vor allem US-amerikanische Feministinnen aus dem Umfeld der NOW (große nationale liberal-feministische Frauenorganisation der USA), die die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien wie künstliche Befruchtung, In-Vitro-Fertilisation, Embryotransfer, Leihmutterschaft, pränatale Diagnostik und Geschlechtswahl als hervorragende Möglichkeiten zur Erweiterung der Selbstbestimmung von Frauen beurteilten. Entsprechend würde Leihmutterschaft auch nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern im Rahmen des Selbstbestimmungsrechtes akzeptiert. Es würden lediglich die Bedingungen diskutiert, die Frauen innerhalb des Leihmuttergeschäftes Kontrolle zusicherten.

Die Autorin Judy Wajcman belegt mit ihrem 1994 auf Deutsch vorgelegten Buch Technik und Geschlecht, daß die Emanzipationsversprechungen der neuen Technologien weder in ihren Prämissen noch in ihren Aussichten zutreffen. Wajcman gibt zu bedenken, daß der Zugang zu den Vorteilen solch kostspieliger Techniken wie der In-vitro-Befruchtung stark an die Zahlungsfähigkeit gebunden ist. Es habe darüber hinaus allen Anschein, daß die Gen- und Reproduktionstechnologien vielmehr dazu genutzt würden, die Mutterfunktion von Frauen zu verfestigen und ihre Rolle zu internalisieren, insofern Nichtmuttersein als eine Krankheit bzw. als ein sozialer Nachteil angesehen werde, die/der nun nicht mehr länger hingenommen werden müsse. Darüber hinaus werde der Wert des eigenen- Kindes verstärkt, das genetisch mit einem selbst verwandt sei. Insofern stelle sich die Gen- und Reproduktionsmedizin als ein Weg zur biologischen Mutterschaft durch technische Intervention dar. Daß dieser Weg jetzt auch als unfruchtbar geltenden Frauen geöffnet wird, stimmt Wajcman skeptisch, da Unfruchtbarkeit bislang nur einen niedrigen Stellenwert in der medizinischen Hierarchie eingenommen habe (vgl. Wajcman 1994, S. 77106).

Judy Wajcman geht in ihrem Buch über einen techniksoziologischen Ansatz leider kaum hinaus, so daß die verschiedenen Subjekt- und Identitätskonzepte, wie sie im Zuge postmoderner und sozialkonstruktivistischer Theorien entwickelt wurden, so gut wie nicht berücksichtigt werden. Ohne diese aber läßt sich der ideologische Kontext, in dem sich die feministische Diskussion um die Bedeutung der neuen Biotechnologien extrem polarisiert, nicht verstehen. Von welcher Art emanzipatorischen Potentials gehen in diesem Zusammenhang einerseits technikpessimistische, anderseits technikoptimistische und zum dritten technikambivalente Argumente aus? Sind es überhaupt taxierbare Stimmungswerte, die Einfluß auf die Öffentlichkeit nehmen eine Öffentlichkeit, die sich ja ihrerseits durch die Angebote der Biotechnologien ganz persönlich und daher eben nicht als Öffentlichkeit angesprochen fühlt?

Das verpersönlichte Verhältnis zwischen Gen- und Reproduktionstechnologien- zu ihren in Aussicht genommenen BenutzerInnen liegt sicherlich darin begründet, daß es sich hier nicht um eine Massentechnologie handelt, sondern um eine individuelle, den je eigenen Genen angepaßte Diagnose- und Therapieweise. Diese Vorstellung von genetisch programmierten Identitäten hält einerseits an biologistischen Modellen fest, suggeriert andererseits die Möglichkeit, Identitäten biotechnologisch umprogrammieren zu können. Daß dabei Geschlechterungleichheiten weniger abgebaut als ausgebaut werden, wurde bereits angesprochen.

Nun läßt sich aber nicht sagen, daß die unterschiedlichen Spielarten von Technomythen in irgendwelchen Laboren gleich mit irgendwelchen Krebsmäusen und Klonen mitfabriziert oder von LobbyistInnen geradewegs in die Öffentlichkeit hineinmanipuliert werden. Sie haben bereits da ihre Chance, wo TechnologiekritikerInnen unterm Strich zu dem Ergebnis kommen, die Existenz von Gen- und Reproduktionstechnologien sei nur mehr ein weiterer Beweis einer akuten Verschlimmerung bestehender, vereinnahmender Strukturen (Ernst 1994, S. 17).(6) Zentral ist hierbei beispielsweise die Befürchtung einer Reihe von Gentechnologiegegnerinnen, mit den angeblichen Erfolgen der Gen- und Reproduktionstechnologien sei es um den in all seiner ausgebeuteten Nicht-Authentizität zu verteidigenden weiblichen Körper geschehen. Aber gerade der vermeintliche Entscheidungszwang zwischen Naturbewahrung und Naturbeherrschung ist der beste Beweis dafür, daß auf ihren Körper zurückgeworfene Frauen sich auf diesen Körper beziehen müssen. Alle noch so abgehalfterten Weiblichkeitsklischees haben insofern Realgehalt, als sie sich im Laufe der Geschichte gesellschaftlicher Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse an den Körpern der Frauen abgespielt haben. Daß sich also Frauen im Kontext der Diskussionen um Gen- und Reproduktionstechnologien auf ihren Körper beziehen, ist keine theoretische Schwäche, sondern eine historische Konsequenz. Jedoch hat Judy Wajcman meiner Meinung nach zurecht darauf hingewiesen, daß die Konzentration auf die Sexualpolitik, in die die neuen Reproduktionstechnologien eingebettet sind, implizit oder explizit das Modell der Nutzung und des Mißbrauchs von Technologie übernimmt und sich des Umfanges, in dem die Technologien politische Eigenschaften haben, nicht genügend bewußt ist (Wajcman 1994, S. 87). In diesem Sinne wäre Technologie als eine von der gelebten sozialen Realität nicht abstrahierbare Denk- und Produktionsform zu analysieren, die auch als Angriff auf spezifische Lebens- und Arbeitsweisen wahrgenommen werden kann.

Daß sich Gen- und Reproduktionstechnologien in den Mutterschaftskomplex hineinkonstruieren lassen, entspricht der symptomatischen Ablenkung von sozialen Benachteiligungen der Frauen, die heute Kinder haben, und der Frauen, die heute keine Kinder haben. Von nachteiligen sozialen Unterschieden, die zwischen den Geschlechtern aufgrund kultureller Interpretionen körperlicher Merkmale gemacht werden, wird nicht erwartet, daß sie sozial, sondern daß sie mit Hilfe synthetischer Biologie überwunden werden. Technologie und Soziales werden nicht nur getrennt voneinander gedacht, Technologie bekommt nun vielmehr die Funktion zugesprochen, die bislang das Soziale innehatte: Sie verkörpert das gesellschaftspolitische, ökologische und medizinische Veränderungspotential. Jetzt von feministischer Seite ein Befreiungspotential synthetischer Biologie anzunehmen, hieße ja, den Kampf gegen die auf (alten) biologistischen Zuschreibungen beruhende Unterdrückung von Frauen in dem Moment aufzugeben, in dem er sich in seine technologische (synthetische) Form zu transformieren sucht.

Auch technologiepessimistische Interventionen neigen dazu, diesen Kampf aufzugeben, wenngleich ihr Tenor ein grundsätzlich anderer ist. Ein Beispiel ist der Text Schwangerschaftsabbruch als Verfassungsbruch. Verstaatlichung des menschlichen Genoms der Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter, die im deutschsprachigen Raum eine exponierte Position in der aktuellen Technologiedebatte einnimmt. Ihre an das Geschichtsmodell von Michel Foucault angelehnte diskurstheoretische Untersuchung des §218 ist der Versuch, seine Novellierung im Kontext von Gen- und Reproduktionstechnologien zu diskutieren. Treusch-Dieter analysiert das Bundesverfassungsgerichts-Urteil von 1993 als eine Fortsetzung der modernen Lebenskontrolle durch den Bund von fortschrittlichem- Rechtsstaat und fortschrittlichem- medizinisch-industriellen Komplex und geht dabei von der These aus, daß Genom-Würde nunmehr die gentechnologische Transformation der Menschenwürde darstelle. Insofern der Ort der Lebensentstehung im weiblichen Körper nicht mehr an die sexuelle Fortpflanzung gebunden sei, sei auch die schicksalhafte Notwendigkeit, die mit der Mutterrolle identisch war und ihre Symbolisierungen bestimmte, in jeder Hinsicht relativ geworden. Damit habe auch die sogenannte patriarchalische Gesellschaftsstruktur abgedankt (Treusch-Dieter 1994, S. 111-119).

Schwebt Treusch-Dieter eine Art unfreiwillige Emanzipation aus patriarchalen Gesellschaftsstrukturen vor, insofern diese nun durch die Gen- und Reproduktionstechnologien auf die Abhängigkeit von Geschlechterdifferenzen nicht mehr bauen können und sei es um den Preis, den Kamikaze kostet? Ein Text der Roten Zora/ Revolutionären Zellen weist darauf hin, daß es dem Kapital bei seinem Vorstoß zur Enteignung der Gebärfähigkeit sicher nicht um die Einverleibung weiblichen Reproduktionsvermögens in eine eingeschlechtliche Welt patriarchaler Herrschaft gehe. Vielmehr solle der Einsatz von Reproduktionstechnologien gegenüber Frauen das Instrumentarium erweitern, mit dem der soziale Angriff gegen wertlose-, unnütze- Teile der Gesellschaft schon in den Mutterleib vorverlagert werde und es dem Staat erlaube, seine sozialen Investionen in die Klasse radikal zu senken.(7)

Treusch-Dieter stützt mit ihrer These, die Bio- und Gentechnologien stellten mit ihrem Angriff auf sexuelle Fortpflanzung den vorerst finalen Schritt in der Geschichte der Lebenskontrolle dar, die Auffassung, es habe sich nun eine völlig verselbständigte Beherrschungsinstanz über die Körper herausgebildet, die diese vor allem in ihrer weiblichen Version überflüssig mache. Das öffnet einer deterministischen Verschlimmerungsthese Tür und Tor, die sich der Prämissen biologistischer Diskurse über Körper und Leben quasi negativ vergewissert. Beklagt wird nämlich, daß die ausschließlich auf das Gen- gerichtete Disziplinierung der Körper eine asexuelle sei.

Damit rekurriert Treusch-Dieter (unfreiwillig) auf einen weiblichen Wert, der der asexuellen, also von sexueller Fortpflanzung unabhängigen Disziplinierung entgegengestellt werden kann. Der Motor für gesellschaftliche Veränderungen, wie sie sich in der Novellierung des §218 niederschlagen, wird in der Technologie selber gesucht. Als Beleg für diese Motorfunktion führt Treusch-Dieter die Koinzidenzen zwischen historischen Emanzipationsschüben und den Interessen der modernen Lebensmacht- an, die wohl niemand leugnen würde, die sich jedoch in ihrer technizistischen Version geradezu defätistisch ausnehmen. So weist Gerburg Treusch-Dieter darauf hin, daß die 1972 gestarteten Experimente mit Embryonentransfers in England zu einem Zeitpunkt anfingen, als Frauen in England für Abtreibung auf die Straßen gingen (Texte zu Kunst 1994, S. 223). Soll das heißen, der emanzipatorische Kampf um Selbstbestimmung sei das Epiphänomen technologischen Fortschritts? Wer also kein Epiphänomen sein will, bleibt demnächst zu Hause. Dagegen haben andere darauf hingewiesen, daß die Biotechnologien deshalb so erfolgreich sind, weil sie auf das Selbst- der Selbstverwirklichung- exakt passen (Geene 1994, S. 7).(8) Damit wird zwar nicht abgestritten, daß sich Bio- und Reproduktionstechnologien in Begriffe wie Selbstbestimmung einklinken können, genausowenig wird aber der Umkehrschluß gezogen, sie würden deshalb von ihnen auch gleich mitgesteuert.

Die Theorie von der technologischen Determinierung sozialer Geschlechter läßt sich in ihrer Argumentation von essentialistischen Geschlechtermodellen offenbar nicht trennscharf unterscheiden. Sowohl biologistische als auch technizistische Geschlechtermodelle versuchen sich auf der Grundlage metaphysischer Eigenschaften zu legitimieren. Eine technikdeterministische Sichtweise paßt sich der biologistischen insofern an, als sie eine (öffentlichkeitsfähige) Gegenstrategie jenseits verinnerlichter Zwänge nicht konzeptualisieren kann.

Donna Haraway, eine US-amerikanische feministische Kulturtheoretikerin, hat sich dennoch für den gegenstrategischen Weg entschieden und damit für eine optimistische Version von Technologiekritik. Nach Haraway sind Subjekt, Identität und Natur immer schon technologisch vermittelte Kategorien, für deren spezifische Eigentlichkeiten zu plädieren sehr leicht auch sexistisch und rassistisch ausgelegt werden könne (A.N.Y.P. 1994, S. 35): Sie [Haraway] ist davon überzeugt, daß wir dieses Unmöglichmachen des Denkens einer reinen Natur-, einer reinen Wissenschaft-, eines reinen Menschen- usw. durch die Technowissenschaft für einen antirassistischen Feminismus brauchen, oder zumindest nutzen können. (Ernst 1994, S. 16) Es ist aber nicht die aufgeklärte Wissenschaftskritikerin, die nun von einer Metaposition aus das Denken in unreinen Kategorien fordert; für Haraway sind diese ein Ausdruck des Bruchs der Identitifikation von Subjekt und Reproduktion, wie er mit den Möglichkeiten der neuen Technologien zutagetritt, durch diese aber nicht hervorgebracht wird. Rassismus, Sexismus und Klasse werden als Modalitäten beschrieben, diesen Bruch im Konzept der Natur zu kaschieren etwas, was angesichts der neuen Technologien nicht mehr möglich sei, gerade weil sie ihre Naturidentität behaupten müssen (Haraway 1991, S. 149183).

Mit Haraway kommt nun ein Konzept in die Debatte, das die neuen Technologien weniger in einen kohärenten Sinn technikdeterministisch zu konstruieren sucht; vielmehr wendet sie die sie stützenden Lebensformen, wie sie sich in Geschlechter-, Rassen- und Klassenverhältnissen zu naturalisieren suchen, gegen ihre eigenen ins Wanken geratenen Prämissen. Und genau hier setzt Haraways politisches Projekt an, in das sie die Zukunftsperspektiven der High Tech-Industrie genauso miteinbezieht wie die Jetzt-Perspektive alltäglicher Lebensformen. Daß mit dem biotechnologisch evozierten Bruch der Identifikation von Subjekt und (Selbst-)Reproduktion die Veränderung der alltäglichen Lebensformen denkbar sei, zeige, daß die sie stützenden gesellschaftlichen Prämissen auch nicht als zwingend vorausgesetzt werden können.

Daraus ergibt sich die Frage, warum sich diese Lebensformen trotz ihrer brüchigen Prämissen auf der Ebene arbeitsteiliger Verhältnisse in der High Tech-Industrie fortsetzen, obwohl doch gerade diese sich dank der Biotechnologien angeblich selber zu verwerfen suchen. Donna Haraway beschreibt u.a. anhand der Alltagsbedingungen der Frauen in Silicon Valley und der Situation von Arbeiterinnen in chipproduzierenden Billiglohnländern, in welchem Maße die High Tech-Industrie die kapitalistische Differenzpraxis weiter ausbaut.

In Anlehnung an Haraway und Modifikation zu Gerburg Treusch-Dieter würde ich in bezug auf den technologisch-industriellen Komplex daher nicht nur von einer veränderten Version der Lebenskontrolle sprechen, sondern von einer ebenso manifesten Veränderung der Lebensformkontrolle, wie sie als Alltag erlebt wird. Haraway erläutert, wie sich die Anordnungen von Rasse, Geschlecht und Klasse, die ihre Wurzeln in high-tech-gestützten sozialen Beziehungen haben, in der Erhöhung der Reproduktionsanforderungen an Frauen ausdrücken. Als Billiglohnkräfte haben sie sich nun nicht mehr nur um ihre Familien zu kümmern, sie müssen darüber hinaus ihre durch Rationalisierungsmaßnahmen arbeitslos gewordenen Männer sowohl emotional als auch finanziell mitunterstützen.

Aber gerade in dieser high-tech-gestützten Verschärfung gesellschaftlicher Ausbeutungsverhältnisse sucht Haraway den Beweis ihrer Reproduktionsunfähigkeit. Im Sinne eines sozialistischen Feminismus setzt sie auf die Implosion einer in Widersprüchen verfangenen herrschenden Identitätspolitik. Mit und gegen die Bedingungen von Mikroelektronik- und Biotechnologieindustrie habe sich eine Gemeinschaft unterdrückter Frauen formiert, die sich nicht mehr in herrschende Identitätsmuster einpassen ließe. In der Vision eines futuristisch-utopistischen Szenarios kreiert Haraway die Denkfigur der/des Cyborg, die/den sie als einen Hybriden aus Maschine und Organismus beschreibt, als ein Wesen von sozialer Realität als auch von Fiktion. Die/der Cyborg sei ein Versuch, einen ironischen, politischen, postgeschlechtlichen Mythos zu bilden, der an Feminismus, Sozialismus und Materialismus glaube. Im Sinne ihrer Analyse gesellschaftlicher Veränderungen beschreibt Haraway die/den Cyborg als ein Modell zur Überwindung originaler Einheit der Identifiktion mit Natur im westlichen Sinn. Den dieser Einheit zugrundeliegenden Ursprungsmythos läßt Haraway nun all die Frauen und Wesen (Maschinen, Tiere, Science Fiction-Figuren) überwinden, die im westlichen Sinn eben ohnehin nie als Subjekte identifiziert waren. Damit erweckt Haraway den gar nicht so ironischen Eindruck, der nächste Emanzipationsschub käme von den Frauen, über die die Feministin nicht nur spricht, sondern die sie unter institutionalisierten Laborbedingungen akademisch legitimierter feministischer Wissenschaftskritik für ihre eigenen Projektionen benutzt.

Angesichts der Identifizierung von unterdrückten Frauen mit der Figur eines Techno-Hybriden wird von einer Reihe von KritikerInnen zu Recht die Frage gestellt, ob das Cyborg-Manifest sich nicht einem unfreiwillig zynischen Technologieoptimismus verdankt. Dieser Vorwurf unterschätzt Haraways Konzept insofern, als es eine politische Ironisierung auf die erkenntnistheoretische Dimension high-tech-gestützter Ingenieurs- und Laborwissenschaften sein will. Aber das ist die wissenschaftstheoretische Seite, die auf den Paradigmenwechsel antwortet, wie er sich in der akademischen Wissenschaft und Wissenschaftskritik seit Ende der siebziger Jahre abzeichnet.(9) Jenseits bis dato gängiger Praxis, mit Wissenschaft Realität entdecken zu wollen, wurde nun die Auffassung vertreten, daß Wissenschaft selber als Konstruktion von Realität verstanden werden muß.

Genau dieses konstruktivistische Paradigma nimmt Haraway in einem absoluten Sinn wörtlich. Um den gesellschaftlichen Veränderungen gerecht zu werden, wie sie auf der Ebene der neuen Technologien zum Ausdruck kommen, versucht Haraway über sozialdeterministische Erklärungsmuster hinauszugehen. Sie glaubt daher, daß eine tiefgreifende Kritik der Wissenschaft und ihrer Konstruktionen der Natur nur dann möglich sei, wenn gleichzeitig der fortwährende Glaube an die Kultur und die Gesellschaft als etwas Wesenhaftes aufgegeben werde (Ernst 1994, S. 15). Die Autorin Waltraud Ernst stellt bei ihrer Historisierung feministischer Wissenschaftskritik und -konstruktion die besondere Rolle Donna Haraways heraus, der gegenüber aber auch die grundsätzlich anstehende Forderung nach mehr Selbstthematisierung geltend gemacht werden muß. So weist Ernst auf die die fehlende Thematisierung der sozialen Konstruktionsprozesse innerhalb des Labors und des Labors als Institution in der Gesellschaft hin (Ernst 1994, S. 14), womit das Genlabor genauso gemeint ist wie die institutionellen Produktionsstätten von (feministischer) Wissenschaft und (feministischer) Wissenschaftskritik.

Anhand dieser Forderung läßt sich auch auf die eingangs gestellte Frage nach der ausbleibenden Öffentlichkeit in bezug auf Gen- und Reproduktionstechnologie noch einmal zurückkommen. In dem Maße, in dem in Genlaboren fernab von öffentlicher Kontrolle produziert wird, in dem Maße scheint sich auch der Kanon feministischer Wissenschaftstheorie und -kritik in einer Art Labor eingerichtet zu haben. Unter Laborbedingungen ist die Attraktion offenbar groß, gesellschaftliche Veränderungen in ihrer technologischen Utopieversion zu simulieren. Ein solches Vorgehen verführt auch dazu, eine klinisches Bild von einer in Aussicht genommen Zukunft auf die Gegenwart zurückzuwerfen und damit gesellschaftliche Verhältnisse von einem möglichen worst-case her zu konstruieren. In dieser Vision kommen politische Gruppen faktisch nicht (mehr) vor oder wenn, dann wie bei Haraway in der Mythosform einer hybriden Cyborggemeinschaft.

(1) Obgleich 1987 das Essener Gen-Archiv, 33 Wohnungen und das Bochumer taz-Büro in polizeilichen Großaktionen durchsucht und die GentechnologiegegnerInnen Ingrid Strobl und Ulla Penselin verhaftet wurden, blieben die Presseresonanz und das öffentliche Interesse nur spärlich. Die Durchsuchungen und Verhaftungen waren gegen die Frauen gerichtet, die sich seit längerem kritisch mit Bevölkerungspolitik, Gentechnologie und Frauenunterdrückung beschäftigten, sowie insbesondere in Köln gegen Leute, die sich gegen staatliche Politik der Aussonderung und Abschiebung von Flüchtlingen wenden. Vgl. Wer ist, bitteschön, die nächste?
In Stadt-Revue Köln 2/88. Als am 7. Oktober diesen Jahres eine Reihe von GentechnologiegegnerInnen, unter ihnen die Gruppe Kein Patent auf Leben und Beteiligte des Ausstellungsprojektes Game Grrrl, im Europäischen Patentamt eine Eingabe gegen die Krebsmaus machten, war die (Zivil-)Polizei weitaus präsenter als Presse und Öffentlichkeit.

 

(2) In dieser Hinsicht eine Ausnahme bildet Judy Wajcman, die in ihrem eben erschienenen Buch Technik und Geschlecht die Arbeit die Gruppe FINRRAGE (Feministisches internationales Netzwerk des Widerstandes gegen Gen- und Reproduktionstechnologien) differenziert in ihre Überlegungen miteinbezieht.

 

(3) Renate Lorenz und Stephan Geene haben zur Ausstellung GAME GRRRL, die im Frühjahr '94 in der Shedhalle/Zürich und im Herbst '94 im Kunstverein München zu sehen war, einen Handapparat zusammengestellt, in dem die Aktivitäten zahlreicher Initiativen seit Mitte der 80er Jahre dokumentiert sind. Besondere Berücksichtigung finden darin Texte der Roten Zora und der Revolutionären Zellen und die Maßnahmen seitens des Bundeskriminalamtes gegen GentechnologiegegnerInnen wie Ingrid Strobl und Ulla Penselin (siehe auch Anm.1). Darüber hinaus wird über die Arbeit der Züricher Gruppe Antigena, der Münchener Gruppe Kein Patent auf Leben und der Berliner Initiative GID Gen-ethischer Informations-Dienst informiert.

 

(4) An dieser Stelle kann die laufende Auseinandersetzung um die eugenischen Implikationen von Gentechnologie nur angerissen werden. Jedoch ist es wichtig zu bemerken, daß die willentlich durch die Atommafia zugelassenen gesundheitlichen Schäden keinesfalls neutralisiert werden dürfen; dennoch ist es aufschlußreich, wie mit der instrumentalisierten Angst vor der Aussicht auf ein behindertes Kind die Entscheidung für oder wider Gen- und Reproduktiontechnologien individualisiert wird.

 

(5) Meine Frage bezieht sich auf eine Bemerkung Wajcmans: Die konventionelle Sichtweise der HistorikerInnen und DemographInnen legt nahe, daß Frauen in vorindustriellen Gesellschaften das Opfer ihrer eigenen Fruchtbarkeit waren.

 

(6) Waltraud Ernst zitiert Baukje Prins, die den Ansatz der US-amerikanischen Wissenschaftlerin und Autorin Donna Haraway als ein Gegenkonzept gegen die Tendenz von Wissenschafts- und Technologiekritik bewertet, die immer nur bloße Momente oder Beweise der bestehenden vereinnahmenden Struktur sehen will.

 

(7) Der Fokus auf den Klassencharakter der Gen- und Biotechnologien birgt wieder andere Probleme, die an dieser Stelle nur angedeutet, aber nicht diskutiert werden können.

 

(8) Dieser Hinweis bezieht sich auf den Text im netz der unabhängigkeit einer Hamburger Frauen-Lesben-Gruppe zur Frage der Selbstbestimmung. In diesem Text wird der Zusammenhang zwischen dem naturwissenschaftlich-technischen Paradigma und der Konstruktion eines autonomen, vernünftigen Selbst dargestellt und gezeigt, daß die Subsumtion der Frauen unter den Selbstbestimmungsbegriff der Vereinzelung der Individuen als Arbeitskräfte entspricht.

 

(9) Vgl. Judy Wajcman, a.a.O., S. 16: Die radikalen politischen Bewegungen der späten 60er und frühen 70er Jahre begannen auch mit der Frage nach Anwendung und Mißbrauch von Wissenschaft. In den Kampagnen gegen eine mißbrauchte, militarisierte und umweltverschmutzende Wissenschaft vertraten sie die Auffassung, daß Wissenschaft auf Profit und Kriegsführung ausgerichtet sei. Ursprünglich wurde die Wissenschaft selbst als neutral bzw. wertfrei betrachtet und als nutzbringend, sofern sie in den Händen derjenigen war, die für eine gerechte Gesellschaft arbeiteten. Nach und nach entwickelte die Radical Science-Bewegung jedoch eine marxistische Analyse des Klassencharakters der Wissenschaft und ihrer Beziehung zur kapitalistischen Produktionsweise ... Eine der charakteristischen Formulierungen dieser mit der Radical Science-Bewegung verbundenen Auffassung war: Wissenschaft ist gesellschaftliche Verhältnisse.- (Auffällig ist hier die auch von mir praktizierte Ineinssetzung von Wissenschaft und Technologie.)

 

 

Literatur

Theo Bruns, Ulla Penselin, Udo Sierck (Hg.)

Tödliche Ethik. Beiträge gegen Eugenik und Euthanasie, Hamburg

Judy Wajcman 1994: Technik und Geschlecht. Die feministische Technikdebatte. Frankfurt/New York

Isabelle Graw und Gerburg Treusch-Dieter 1994: Briefwechsel, In: Texte zur Kunst Nr.15

Waltraud Ernst 1994: Von feministischer Wissenschaftskritik zu feministischen Wissenschaftskonstruktionen?, In: Die Philosophin. Forum für feministische Theorie und Philosophie, Nr.9

Gerburg Treusch-Dieter 1994: Genomwürde des Menschen Menschenwürde des Genoms. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 85/86

Stephan Geene 1994: life is mittelschön und differenz fun. das politische minusmillionen. In: A.N.Y.P., Zeitung des minimal club, Nr 6

Wir sind immer mittendrin. Gespräch mit Donna Haraway. In: A.N.Y.P., Zeitung des minimal club, Nr.6

Donna Haraway 1991: A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist Feminism in the Late Twentieth Century. In: dies., Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature, New York 1991 (Meine Zitate und Paraphrasen stammen aus einer unveröffentlichten Übersetzung von Juliane Rebentisch und Stephan Geene.)

 
     
Edition ID-Archiv Eichhorn/ Grimm (Hg.) Gender Killer Texte zu Feminismus und Politik
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