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Es reicht offenbar nicht, die Forschung und Anwendung von Gen- und Reproduktionsmedizin
oder die Aufrüstung und Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien
als ideologische, ökonomische und politische Herrschaftsformen zu
charakterisieren. Öffentlichkeit ist mit solchen Aufklärungsabsichten
nicht zu finden. Auch ließ sich mit Technologiekritik bis heute
keine breitere feministische Öffentlichkeit herstellen. Das heißt
jeoch nicht, daß das, was Öffentlichkeit nicht hat, nicht existiert:
Flugblätter, Broschüren und Infodienste belegen die Aktivitäten
von Frauengruppen und anderen Initiativen. Sie aber bleiben in aller Regel
in den großen Gentechnologie-Reportage-Serien unberücksichtigt,
die sich je nach Konjunktur der Spiegel, die ZEIT oder der Stern in den
Tonlagen liberalistisch-populistischer Ethikdiskussion gelegentlich leisten.(1)
Auch exponierte AutorInnen kommen selten auf die Idee, das Spektrum feministischer
Gruppen zu berücksichtigen, die zum Thema Gen- und Reproduktionstechnologie
arbeiten.(2) Und umgekehrt. Obgleich
beide Seiten um ihre je spezifischen Vermittlungsprobleme wissen, die
sie bei der Herstellung eines Zusammenhangs von Gen- und Reproduktionstechnologien,
der Novellierung des §218, der Ideengeschichte eugenischer Praxis,
der Abschiebung von AsylbewerberInnen und Sextourismus haben,(3)
bewegen sie sich weiterhin auf unterschiedlichen Ebenen.
Es stellt sich daher die Frage, warum trotz der seit den frühen
siebziger Jahren in ihrer Intensität zwar diskontinuierlich verlaufenden,
nie aber abgebrochenen theoretischen und politischen Aktivitäten
gegen die Durchsetzung sogenannter neuer Technologien in nahezu allen
gesellschaftlichen Bereichen keine Antiatombewegungszeiten vergleichbare
Öffentlichkeit zustandegekommen ist. Liegt es daran, daß AKWs
aufgrund ihrer provozierenden, unästhetischen Monumentalität
als ein unmittelbareres Zeichen von Gefährlichkeit wahrgenommen wurden
eine Wahrnehmung, vor der sich der weiße Techno-Appeal der Genlabors
nicht fürchten muß? Aber jetzt ist die Argumentation der LobbyistInnen
ja auch eine andere: Statt behaupten zu müssen, gesundheitliche Schäden
durch Atomtechnologie seien ausgeschlossen, stellt sich die Gen- und Reproduktionsmedizin
als Gesundheitstechnologie vor. Schon der Vergleich von Atom- und Gentechnologie
hinkt jedoch gefährlich, insofern er einer veränderten Argumentationsstrategie
nur zu recht kommt. Wie in dem Vorwort der Publikation Tödliche Ethik
angesprochen, können die HumangenetikerInnen auf eine weitverbreitete
Argumentationslinie innerhalb der Ökologiebewegung setzen, die z.B.
in ihren Widerstand gegen Atomkraftwerke die Angst vor Behinderung als
ein zentrales (Hervorhebung S.B.) Motiv einbaut. (Bruns u.a. 1993,
S. 13)(4)
Die neuen Technologien lassen sich nicht bruchlos in den methodischen
Kanon klassischer feministischer Kritik einbinden. Ein Beispiel ist die
vor allem unter US-amerikanischen Feministinnen verbreitete, aber auch
in Deutschland vertretene Position, der Erfolg der Gen- und Reproduktionstechnologien
sei zugleich ein emanzipatorischer Erfolg, der Frauen von der Reduktion
auf ihren Körper und damit von Gebärfähigkeit und Mutterschaft
entlaste (Texte zur Kunst 1994, S. 222). Wird damit nicht implizit die
Behauptung aufgestellt, daß Frauen notwendigerweise als Opfer ihrer
eigenen Fruchtbarkeit (Wajcman 1994, S. 101)(5)
angesehen werden müssen?
Ein Flugblatt zu einer Veranstaltung des Frauenrates der Uni Mainz vom
Februar 1988 steht m.E. stellvertretend für die Position hiesiger
feministischer Gruppen, die der reproduktionstechnologischen Emanzipationsversion
ausgesprochen skeptisch gegenüberstehen: So seien es vor allem US-amerikanische
Feministinnen aus dem Umfeld der NOW (große nationale liberal-feministische
Frauenorganisation der USA), die die Neuen Gen- und Reproduktionstechnologien
wie künstliche Befruchtung, In-Vitro-Fertilisation, Embryotransfer,
Leihmutterschaft, pränatale Diagnostik und Geschlechtswahl als hervorragende
Möglichkeiten zur Erweiterung der Selbstbestimmung von Frauen beurteilten.
Entsprechend würde Leihmutterschaft auch nicht grundsätzlich
abgelehnt, sondern im Rahmen des Selbstbestimmungsrechtes akzeptiert.
Es würden lediglich die Bedingungen diskutiert, die Frauen innerhalb
des Leihmuttergeschäftes Kontrolle zusicherten.
Die Autorin Judy Wajcman belegt mit ihrem 1994 auf Deutsch vorgelegten
Buch Technik und Geschlecht, daß die Emanzipationsversprechungen
der neuen Technologien weder in ihren Prämissen noch in ihren Aussichten
zutreffen. Wajcman gibt zu bedenken, daß der Zugang zu den Vorteilen
solch kostspieliger Techniken wie der In-vitro-Befruchtung stark an die
Zahlungsfähigkeit gebunden ist. Es habe darüber hinaus allen
Anschein, daß die Gen- und Reproduktionstechnologien vielmehr dazu
genutzt würden, die Mutterfunktion von Frauen zu verfestigen und
ihre Rolle zu internalisieren, insofern Nichtmuttersein als eine Krankheit
bzw. als ein sozialer Nachteil angesehen werde, die/der nun nicht mehr
länger hingenommen werden müsse. Darüber hinaus werde der
Wert des eigenen- Kindes verstärkt, das genetisch mit einem selbst
verwandt sei. Insofern stelle sich die Gen- und Reproduktionsmedizin als
ein Weg zur biologischen Mutterschaft durch technische Intervention dar.
Daß dieser Weg jetzt auch als unfruchtbar geltenden Frauen geöffnet
wird, stimmt Wajcman skeptisch, da Unfruchtbarkeit bislang nur einen niedrigen
Stellenwert in der medizinischen Hierarchie eingenommen habe (vgl. Wajcman
1994, S. 77106).
Judy Wajcman geht in ihrem Buch über einen techniksoziologischen
Ansatz leider kaum hinaus, so daß die verschiedenen Subjekt- und
Identitätskonzepte, wie sie im Zuge postmoderner und sozialkonstruktivistischer
Theorien entwickelt wurden, so gut wie nicht berücksichtigt werden.
Ohne diese aber läßt sich der ideologische Kontext, in dem
sich die feministische Diskussion um die Bedeutung der neuen Biotechnologien
extrem polarisiert, nicht verstehen. Von welcher Art emanzipatorischen
Potentials gehen in diesem Zusammenhang einerseits technikpessimistische,
anderseits technikoptimistische und zum dritten technikambivalente Argumente
aus? Sind es überhaupt taxierbare Stimmungswerte, die Einfluß
auf die Öffentlichkeit nehmen eine Öffentlichkeit, die sich
ja ihrerseits durch die Angebote der Biotechnologien ganz persönlich
und daher eben nicht als Öffentlichkeit angesprochen fühlt?
Das verpersönlichte Verhältnis zwischen Gen- und Reproduktionstechnologien-
zu ihren in Aussicht genommenen BenutzerInnen liegt sicherlich darin begründet,
daß es sich hier nicht um eine Massentechnologie handelt, sondern
um eine individuelle, den je eigenen Genen angepaßte Diagnose- und
Therapieweise. Diese Vorstellung von genetisch programmierten Identitäten
hält einerseits an biologistischen Modellen fest, suggeriert andererseits
die Möglichkeit, Identitäten biotechnologisch umprogrammieren
zu können. Daß dabei Geschlechterungleichheiten weniger abgebaut
als ausgebaut werden, wurde bereits angesprochen.
Nun läßt sich aber nicht sagen, daß die unterschiedlichen
Spielarten von Technomythen in irgendwelchen Laboren gleich mit irgendwelchen
Krebsmäusen und Klonen mitfabriziert oder von LobbyistInnen geradewegs
in die Öffentlichkeit hineinmanipuliert werden. Sie haben bereits
da ihre Chance, wo TechnologiekritikerInnen unterm Strich zu dem Ergebnis
kommen, die Existenz von Gen- und Reproduktionstechnologien sei nur mehr
ein weiterer Beweis einer akuten Verschlimmerung bestehender, vereinnahmender
Strukturen (Ernst 1994, S. 17).(6)
Zentral ist hierbei beispielsweise die Befürchtung einer Reihe von
Gentechnologiegegnerinnen, mit den angeblichen Erfolgen der Gen- und Reproduktionstechnologien
sei es um den in all seiner ausgebeuteten Nicht-Authentizität zu
verteidigenden weiblichen Körper geschehen. Aber gerade der vermeintliche
Entscheidungszwang zwischen Naturbewahrung und Naturbeherrschung ist der
beste Beweis dafür, daß auf ihren Körper zurückgeworfene
Frauen sich auf diesen Körper beziehen müssen. Alle noch so
abgehalfterten Weiblichkeitsklischees haben insofern Realgehalt, als sie
sich im Laufe der Geschichte gesellschaftlicher Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse
an den Körpern der Frauen abgespielt haben. Daß sich also Frauen
im Kontext der Diskussionen um Gen- und Reproduktionstechnologien auf
ihren Körper beziehen, ist keine theoretische Schwäche, sondern
eine historische Konsequenz. Jedoch hat Judy Wajcman meiner Meinung nach
zurecht darauf hingewiesen, daß die Konzentration auf die Sexualpolitik,
in die die neuen Reproduktionstechnologien eingebettet sind, implizit
oder explizit das Modell der Nutzung und des Mißbrauchs von Technologie
übernimmt und sich des Umfanges, in dem die Technologien politische
Eigenschaften haben, nicht genügend bewußt ist (Wajcman 1994,
S. 87). In diesem Sinne wäre Technologie als eine von der gelebten
sozialen Realität nicht abstrahierbare Denk- und Produktionsform
zu analysieren, die auch als Angriff auf spezifische Lebens- und Arbeitsweisen
wahrgenommen werden kann.
Daß sich Gen- und Reproduktionstechnologien in den Mutterschaftskomplex
hineinkonstruieren lassen, entspricht der symptomatischen Ablenkung von
sozialen Benachteiligungen der Frauen, die heute Kinder haben, und der
Frauen, die heute keine Kinder haben. Von nachteiligen sozialen Unterschieden,
die zwischen den Geschlechtern aufgrund kultureller Interpretionen körperlicher
Merkmale gemacht werden, wird nicht erwartet, daß sie sozial, sondern
daß sie mit Hilfe synthetischer Biologie überwunden werden.
Technologie und Soziales werden nicht nur getrennt voneinander gedacht,
Technologie bekommt nun vielmehr die Funktion zugesprochen, die bislang
das Soziale innehatte: Sie verkörpert das gesellschaftspolitische,
ökologische und medizinische Veränderungspotential. Jetzt von
feministischer Seite ein Befreiungspotential synthetischer Biologie anzunehmen,
hieße ja, den Kampf gegen die auf (alten) biologistischen Zuschreibungen
beruhende Unterdrückung von Frauen in dem Moment aufzugeben, in dem
er sich in seine technologische (synthetische) Form zu transformieren
sucht.
Auch technologiepessimistische Interventionen neigen dazu, diesen Kampf
aufzugeben, wenngleich ihr Tenor ein grundsätzlich anderer ist. Ein
Beispiel ist der Text Schwangerschaftsabbruch als Verfassungsbruch. Verstaatlichung
des menschlichen Genoms der Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter,
die im deutschsprachigen Raum eine exponierte Position in der aktuellen
Technologiedebatte einnimmt. Ihre an das Geschichtsmodell von Michel Foucault
angelehnte diskurstheoretische Untersuchung des §218 ist der Versuch,
seine Novellierung im Kontext von Gen- und Reproduktionstechnologien zu
diskutieren. Treusch-Dieter analysiert das Bundesverfassungsgerichts-Urteil
von 1993 als eine Fortsetzung der modernen Lebenskontrolle durch den Bund
von fortschrittlichem- Rechtsstaat und fortschrittlichem- medizinisch-industriellen
Komplex und geht dabei von der These aus, daß Genom-Würde nunmehr
die gentechnologische Transformation der Menschenwürde darstelle.
Insofern der Ort der Lebensentstehung im weiblichen Körper nicht
mehr an die sexuelle Fortpflanzung gebunden sei, sei auch die schicksalhafte
Notwendigkeit, die mit der Mutterrolle identisch war und ihre Symbolisierungen
bestimmte, in jeder Hinsicht relativ geworden. Damit habe auch die sogenannte
patriarchalische Gesellschaftsstruktur abgedankt (Treusch-Dieter 1994,
S. 111-119).
Schwebt Treusch-Dieter eine Art unfreiwillige Emanzipation aus patriarchalen
Gesellschaftsstrukturen vor, insofern diese nun durch die Gen- und Reproduktionstechnologien
auf die Abhängigkeit von Geschlechterdifferenzen nicht mehr bauen
können und sei es um den Preis, den Kamikaze kostet? Ein Text der
Roten Zora/ Revolutionären Zellen weist darauf hin, daß es
dem Kapital bei seinem Vorstoß zur Enteignung der Gebärfähigkeit
sicher nicht um die Einverleibung weiblichen Reproduktionsvermögens
in eine eingeschlechtliche Welt patriarchaler Herrschaft gehe. Vielmehr
solle der Einsatz von Reproduktionstechnologien gegenüber Frauen
das Instrumentarium erweitern, mit dem der soziale Angriff gegen wertlose-,
unnütze- Teile der Gesellschaft schon in den Mutterleib vorverlagert
werde und es dem Staat erlaube, seine sozialen Investionen in die Klasse
radikal zu senken.(7)
Treusch-Dieter stützt mit ihrer These, die Bio- und Gentechnologien
stellten mit ihrem Angriff auf sexuelle Fortpflanzung den vorerst finalen
Schritt in der Geschichte der Lebenskontrolle dar, die Auffassung, es
habe sich nun eine völlig verselbständigte Beherrschungsinstanz
über die Körper herausgebildet, die diese vor allem in ihrer
weiblichen Version überflüssig mache. Das öffnet einer
deterministischen Verschlimmerungsthese Tür und Tor, die sich der
Prämissen biologistischer Diskurse über Körper und Leben
quasi negativ vergewissert. Beklagt wird nämlich, daß die ausschließlich
auf das Gen- gerichtete Disziplinierung der Körper eine asexuelle
sei.
Damit rekurriert Treusch-Dieter (unfreiwillig) auf einen weiblichen Wert,
der der asexuellen, also von sexueller Fortpflanzung unabhängigen
Disziplinierung entgegengestellt werden kann. Der Motor für gesellschaftliche
Veränderungen, wie sie sich in der Novellierung des §218 niederschlagen,
wird in der Technologie selber gesucht. Als Beleg für diese Motorfunktion
führt Treusch-Dieter die Koinzidenzen zwischen historischen Emanzipationsschüben
und den Interessen der modernen Lebensmacht- an, die wohl niemand leugnen
würde, die sich jedoch in ihrer technizistischen Version geradezu
defätistisch ausnehmen. So weist Gerburg Treusch-Dieter darauf hin,
daß die 1972 gestarteten Experimente mit Embryonentransfers in England
zu einem Zeitpunkt anfingen, als Frauen in England für Abtreibung
auf die Straßen gingen (Texte zu Kunst 1994, S. 223). Soll das heißen,
der emanzipatorische Kampf um Selbstbestimmung sei das Epiphänomen
technologischen Fortschritts? Wer also kein Epiphänomen sein will,
bleibt demnächst zu Hause. Dagegen haben andere darauf hingewiesen,
daß die Biotechnologien deshalb so erfolgreich sind, weil sie auf
das Selbst- der Selbstverwirklichung- exakt passen (Geene 1994, S. 7).(8)
Damit wird zwar nicht abgestritten, daß sich Bio- und Reproduktionstechnologien
in Begriffe wie Selbstbestimmung einklinken können, genausowenig
wird aber der Umkehrschluß gezogen, sie würden deshalb von
ihnen auch gleich mitgesteuert.
Die Theorie von der technologischen Determinierung sozialer Geschlechter
läßt sich in ihrer Argumentation von essentialistischen Geschlechtermodellen
offenbar nicht trennscharf unterscheiden. Sowohl biologistische als auch
technizistische Geschlechtermodelle versuchen sich auf der Grundlage metaphysischer
Eigenschaften zu legitimieren. Eine technikdeterministische Sichtweise
paßt sich der biologistischen insofern an, als sie eine (öffentlichkeitsfähige)
Gegenstrategie jenseits verinnerlichter Zwänge nicht konzeptualisieren
kann.
Donna Haraway, eine US-amerikanische feministische Kulturtheoretikerin,
hat sich dennoch für den gegenstrategischen Weg entschieden und damit
für eine optimistische Version von Technologiekritik. Nach Haraway
sind Subjekt, Identität und Natur immer schon technologisch vermittelte
Kategorien, für deren spezifische Eigentlichkeiten zu plädieren
sehr leicht auch sexistisch und rassistisch ausgelegt werden könne
(A.N.Y.P. 1994, S. 35): Sie [Haraway] ist davon überzeugt, daß
wir dieses Unmöglichmachen des Denkens einer reinen Natur-, einer
reinen Wissenschaft-, eines reinen Menschen- usw. durch die Technowissenschaft
für einen antirassistischen Feminismus brauchen, oder zumindest nutzen
können. (Ernst 1994, S. 16) Es ist aber nicht die aufgeklärte
Wissenschaftskritikerin, die nun von einer Metaposition aus das Denken
in unreinen Kategorien fordert; für Haraway sind diese ein Ausdruck
des Bruchs der Identitifikation von Subjekt und Reproduktion, wie er mit
den Möglichkeiten der neuen Technologien zutagetritt, durch diese
aber nicht hervorgebracht wird. Rassismus, Sexismus und Klasse werden
als Modalitäten beschrieben, diesen Bruch im Konzept der Natur zu
kaschieren etwas, was angesichts der neuen Technologien nicht mehr möglich
sei, gerade weil sie ihre Naturidentität behaupten müssen (Haraway
1991, S. 149183).
Mit Haraway kommt nun ein Konzept in die Debatte, das die neuen Technologien
weniger in einen kohärenten Sinn technikdeterministisch zu konstruieren
sucht; vielmehr wendet sie die sie stützenden Lebensformen, wie sie
sich in Geschlechter-, Rassen- und Klassenverhältnissen zu naturalisieren
suchen, gegen ihre eigenen ins Wanken geratenen Prämissen. Und genau
hier setzt Haraways politisches Projekt an, in das sie die Zukunftsperspektiven
der High Tech-Industrie genauso miteinbezieht wie die Jetzt-Perspektive
alltäglicher Lebensformen. Daß mit dem biotechnologisch evozierten
Bruch der Identifikation von Subjekt und (Selbst-)Reproduktion die Veränderung
der alltäglichen Lebensformen denkbar sei, zeige, daß die sie
stützenden gesellschaftlichen Prämissen auch nicht als zwingend
vorausgesetzt werden können.
Daraus ergibt sich die Frage, warum sich diese Lebensformen trotz ihrer
brüchigen Prämissen auf der Ebene arbeitsteiliger Verhältnisse
in der High Tech-Industrie fortsetzen, obwohl doch gerade diese sich dank
der Biotechnologien angeblich selber zu verwerfen suchen. Donna Haraway
beschreibt u.a. anhand der Alltagsbedingungen der Frauen in Silicon Valley
und der Situation von Arbeiterinnen in chipproduzierenden Billiglohnländern,
in welchem Maße die High Tech-Industrie die kapitalistische Differenzpraxis
weiter ausbaut.
In Anlehnung an Haraway und Modifikation zu Gerburg Treusch-Dieter würde
ich in bezug auf den technologisch-industriellen Komplex daher nicht nur
von einer veränderten Version der Lebenskontrolle sprechen, sondern
von einer ebenso manifesten Veränderung der Lebensformkontrolle,
wie sie als Alltag erlebt wird. Haraway erläutert, wie sich die Anordnungen
von Rasse, Geschlecht und Klasse, die ihre Wurzeln in high-tech-gestützten
sozialen Beziehungen haben, in der Erhöhung der Reproduktionsanforderungen
an Frauen ausdrücken. Als Billiglohnkräfte haben sie sich nun
nicht mehr nur um ihre Familien zu kümmern, sie müssen darüber
hinaus ihre durch Rationalisierungsmaßnahmen arbeitslos gewordenen
Männer sowohl emotional als auch finanziell mitunterstützen.
Aber gerade in dieser high-tech-gestützten Verschärfung gesellschaftlicher
Ausbeutungsverhältnisse sucht Haraway den Beweis ihrer Reproduktionsunfähigkeit.
Im Sinne eines sozialistischen Feminismus setzt sie auf die Implosion
einer in Widersprüchen verfangenen herrschenden Identitätspolitik.
Mit und gegen die Bedingungen von Mikroelektronik- und Biotechnologieindustrie
habe sich eine Gemeinschaft unterdrückter Frauen formiert, die sich
nicht mehr in herrschende Identitätsmuster einpassen ließe.
In der Vision eines futuristisch-utopistischen Szenarios kreiert Haraway
die Denkfigur der/des Cyborg, die/den sie als einen Hybriden aus Maschine
und Organismus beschreibt, als ein Wesen von sozialer Realität als
auch von Fiktion. Die/der Cyborg sei ein Versuch, einen ironischen, politischen,
postgeschlechtlichen Mythos zu bilden, der an Feminismus, Sozialismus
und Materialismus glaube. Im Sinne ihrer Analyse gesellschaftlicher Veränderungen
beschreibt Haraway die/den Cyborg als ein Modell zur Überwindung
originaler Einheit der Identifiktion mit Natur im westlichen Sinn. Den
dieser Einheit zugrundeliegenden Ursprungsmythos läßt Haraway
nun all die Frauen und Wesen (Maschinen, Tiere, Science Fiction-Figuren)
überwinden, die im westlichen Sinn eben ohnehin nie als Subjekte
identifiziert waren. Damit erweckt Haraway den gar nicht so ironischen
Eindruck, der nächste Emanzipationsschub käme von den Frauen,
über die die Feministin nicht nur spricht, sondern die sie unter
institutionalisierten Laborbedingungen akademisch legitimierter feministischer
Wissenschaftskritik für ihre eigenen Projektionen benutzt.
Angesichts der Identifizierung von unterdrückten Frauen mit der Figur
eines Techno-Hybriden wird von einer Reihe von KritikerInnen zu Recht
die Frage gestellt, ob das Cyborg-Manifest sich nicht einem unfreiwillig
zynischen Technologieoptimismus verdankt. Dieser Vorwurf unterschätzt
Haraways Konzept insofern, als es eine politische Ironisierung auf die
erkenntnistheoretische Dimension high-tech-gestützter Ingenieurs-
und Laborwissenschaften sein will. Aber das ist die wissenschaftstheoretische
Seite, die auf den Paradigmenwechsel antwortet, wie er sich in der akademischen
Wissenschaft und Wissenschaftskritik seit Ende der siebziger Jahre abzeichnet.(9)
Jenseits bis dato gängiger Praxis, mit Wissenschaft Realität
entdecken zu wollen, wurde nun die Auffassung vertreten, daß Wissenschaft
selber als Konstruktion von Realität verstanden werden muß.
Genau dieses konstruktivistische Paradigma nimmt Haraway in einem absoluten
Sinn wörtlich. Um den gesellschaftlichen Veränderungen gerecht
zu werden, wie sie auf der Ebene der neuen Technologien zum Ausdruck kommen,
versucht Haraway über sozialdeterministische Erklärungsmuster
hinauszugehen. Sie glaubt daher, daß eine tiefgreifende Kritik der
Wissenschaft und ihrer Konstruktionen der Natur nur dann möglich
sei, wenn gleichzeitig der fortwährende Glaube an die Kultur und
die Gesellschaft als etwas Wesenhaftes aufgegeben werde (Ernst 1994, S.
15). Die Autorin Waltraud Ernst stellt bei ihrer Historisierung feministischer
Wissenschaftskritik und -konstruktion die besondere Rolle Donna Haraways
heraus, der gegenüber aber auch die grundsätzlich anstehende
Forderung nach mehr Selbstthematisierung geltend gemacht werden muß.
So weist Ernst auf die die fehlende Thematisierung der sozialen Konstruktionsprozesse
innerhalb des Labors und des Labors als Institution in der Gesellschaft
hin (Ernst 1994, S. 14), womit das Genlabor genauso gemeint ist wie die
institutionellen Produktionsstätten von (feministischer) Wissenschaft
und (feministischer) Wissenschaftskritik.
Anhand dieser Forderung läßt sich auch auf die eingangs gestellte
Frage nach der ausbleibenden Öffentlichkeit in bezug auf Gen- und
Reproduktionstechnologie noch einmal zurückkommen. In dem Maße,
in dem in Genlaboren fernab von öffentlicher Kontrolle produziert
wird, in dem Maße scheint sich auch der Kanon feministischer Wissenschaftstheorie
und -kritik in einer Art Labor eingerichtet zu haben. Unter Laborbedingungen
ist die Attraktion offenbar groß, gesellschaftliche Veränderungen
in ihrer technologischen Utopieversion zu simulieren. Ein solches Vorgehen
verführt auch dazu, eine klinisches Bild von einer in Aussicht genommen
Zukunft auf die Gegenwart zurückzuwerfen und damit gesellschaftliche
Verhältnisse von einem möglichen worst-case her zu konstruieren.
In dieser Vision kommen politische Gruppen faktisch nicht (mehr) vor oder
wenn, dann wie bei Haraway in der Mythosform einer hybriden Cyborggemeinschaft.
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(1) Obgleich
1987 das Essener Gen-Archiv, 33 Wohnungen und das Bochumer taz-Büro
in polizeilichen Großaktionen durchsucht und die GentechnologiegegnerInnen
Ingrid Strobl und Ulla Penselin verhaftet wurden, blieben die Presseresonanz
und das öffentliche Interesse nur spärlich. Die Durchsuchungen
und Verhaftungen waren gegen die Frauen gerichtet, die sich seit längerem
kritisch mit Bevölkerungspolitik, Gentechnologie und Frauenunterdrückung
beschäftigten, sowie insbesondere in Köln gegen Leute, die sich
gegen staatliche Politik der Aussonderung und Abschiebung von Flüchtlingen
wenden. Vgl. Wer ist, bitteschön, die nächste?
In Stadt-Revue Köln 2/88. Als am 7. Oktober diesen Jahres eine Reihe
von GentechnologiegegnerInnen, unter ihnen die Gruppe Kein Patent auf
Leben und Beteiligte des Ausstellungsprojektes Game Grrrl, im Europäischen
Patentamt eine Eingabe gegen die Krebsmaus machten, war die (Zivil-)Polizei
weitaus präsenter als Presse und Öffentlichkeit.
(2)
In dieser Hinsicht eine Ausnahme bildet Judy Wajcman,
die in ihrem eben erschienenen Buch Technik und Geschlecht die Arbeit
die Gruppe FINRRAGE (Feministisches internationales Netzwerk des Widerstandes
gegen Gen- und Reproduktionstechnologien) differenziert in ihre Überlegungen
miteinbezieht.
(3)
Renate Lorenz und Stephan Geene haben zur Ausstellung
GAME GRRRL, die im Frühjahr '94 in der Shedhalle/Zürich und
im Herbst '94 im Kunstverein München zu sehen war, einen Handapparat
zusammengestellt, in dem die Aktivitäten zahlreicher Initiativen
seit Mitte der 80er Jahre dokumentiert sind. Besondere Berücksichtigung
finden darin Texte der Roten Zora und der Revolutionären Zellen und
die Maßnahmen seitens des Bundeskriminalamtes gegen GentechnologiegegnerInnen
wie Ingrid Strobl und Ulla Penselin (siehe auch Anm.1). Darüber hinaus
wird über die Arbeit der Züricher Gruppe Antigena, der Münchener
Gruppe Kein Patent auf Leben und der Berliner Initiative GID Gen-ethischer
Informations-Dienst informiert.
(4)
An dieser Stelle kann die laufende Auseinandersetzung
um die eugenischen Implikationen von Gentechnologie nur angerissen werden.
Jedoch ist es wichtig zu bemerken, daß die willentlich durch die
Atommafia zugelassenen gesundheitlichen Schäden keinesfalls neutralisiert
werden dürfen; dennoch ist es aufschlußreich, wie mit der instrumentalisierten
Angst vor der Aussicht auf ein behindertes Kind die Entscheidung für
oder wider Gen- und Reproduktiontechnologien individualisiert wird.
(5) Meine
Frage bezieht sich auf eine Bemerkung Wajcmans: Die konventionelle Sichtweise
der HistorikerInnen und DemographInnen legt nahe, daß Frauen in
vorindustriellen Gesellschaften das Opfer ihrer eigenen Fruchtbarkeit
waren.
(6)
Waltraud Ernst zitiert Baukje Prins, die den Ansatz
der US-amerikanischen Wissenschaftlerin und Autorin Donna Haraway als
ein Gegenkonzept gegen die Tendenz von Wissenschafts- und Technologiekritik
bewertet, die immer nur bloße Momente oder Beweise der bestehenden
vereinnahmenden Struktur sehen will.
(7) Der
Fokus auf den Klassencharakter der Gen- und Biotechnologien birgt wieder
andere Probleme, die an dieser Stelle nur angedeutet, aber nicht diskutiert
werden können.
(8) Dieser
Hinweis bezieht sich auf den Text im netz der unabhängigkeit einer
Hamburger Frauen-Lesben-Gruppe zur Frage der Selbstbestimmung. In diesem
Text wird der Zusammenhang zwischen dem naturwissenschaftlich-technischen
Paradigma und der Konstruktion eines autonomen, vernünftigen Selbst
dargestellt und gezeigt, daß die Subsumtion der Frauen unter den
Selbstbestimmungsbegriff der Vereinzelung der Individuen als Arbeitskräfte
entspricht.
(9)
Vgl. Judy Wajcman, a.a.O., S. 16: Die radikalen
politischen Bewegungen der späten 60er und frühen 70er Jahre
begannen auch mit der Frage nach Anwendung und Mißbrauch von Wissenschaft.
In den Kampagnen gegen eine mißbrauchte, militarisierte und umweltverschmutzende
Wissenschaft vertraten sie die Auffassung, daß Wissenschaft auf
Profit und Kriegsführung ausgerichtet sei. Ursprünglich wurde
die Wissenschaft selbst als neutral bzw. wertfrei betrachtet und als nutzbringend,
sofern sie in den Händen derjenigen war, die für eine gerechte
Gesellschaft arbeiteten. Nach und nach entwickelte die Radical Science-Bewegung
jedoch eine marxistische Analyse des Klassencharakters der Wissenschaft
und ihrer Beziehung zur kapitalistischen Produktionsweise ... Eine der
charakteristischen Formulierungen dieser mit der Radical Science-Bewegung
verbundenen Auffassung war: Wissenschaft ist gesellschaftliche Verhältnisse.-
(Auffällig ist hier die auch von mir praktizierte Ineinssetzung von
Wissenschaft und Technologie.)
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