Wir *dokumentieren* jetzt eine Information aus der Zeitung
fatal
vom Februar 1995
Wagenburg Bambule - ein Hintergrundbericht
Am 1. Dezember 1994 flogen im Hamburger Karolinenviertel vor der Wagenburg
"Bambule" Steine gegen die Polizei. 22 verletzte BeamtInnen und Beamte waren
das Resultat. Die Tagespresse sprach von der "Feuernacht im Karo-Viertel"
und beschraenkte sich darauf, die Randale in moeglichst bunten und blutigen
Bildern darzustellen. Ohne nach den Hinterguenden zu fragen, wurden
Horrorszenarien an die Wand gemalt und Sachverhalte voellig verzerrt
wiedergegeben. Es kam der Eindruck auf, als haette eine kaltbluetige
Terrorbande mit hochtechnischer Bewaffnung stundenlang stundenlang eine
Gruppe wehrloser PolizistInnen zusammengeschlagen. Und dass Menschen Gruende
dafuer haben koennten, Pflastersteine auszubuddeln und auf andere Menschen
zu schmeissen, wurde voellig abgestritten. Wer militant ist, ist im Unrecht.
Basta. Dass dieses Schwarz-Weiss-Schema nicht so ganz funktioniert, zeigt
unser Bericht.
Bambule bleibt !?
Ueber eine Feuernacht, die keine war
von Michael Rensen
Viele Menschen werden am 2. Dezember nur den Kopf geschuettelt haben, als
sie in den Zeitungen Ueberschriften lasen, die auf die eine oder andere
Weise deutlich zu machen versuchten, dass Hamburg sich seit dem gestrigen
Abend mitten in einem Buergerkrieg befaende. Von der "Feuer-Nacht im
Karolinenviertel" (BILD) war die Rede, und riesige Farbfotos zegten
verschwommene Feuerszenarien, die an Kriegsbilder aus Bosnien erinnerten. An
Inhaltlichem boten die Zeitungen wenig: Dass es um die Wagenburg "Bambule"
im Karolinenviertel ging, der die Raeumung drohte, war aus den
bluttriefenden, sensationssuechtigen Schockberichten noch herauszulesen,
aber viel mehr gab es aus der Presse nicht zu erfahren. Statt dessen wurden
die DemonstranInnen als "Chaoten", die Bauwagen als "Terror-Zentralen" oder
"Mobilheime fuer Sympatisanten" bezeichnet und allen, die sich fuer die
Wagenburg einsetzten, attestiert, sie wuerden die "Fratze der
Unmenschlichkeit zeigen" (Zitate: BILD). Was die BewohnerInnen der "Bambule"
und ihre FreundInnen dazu brachte, in jener Nacht auf die Barrikaden zu
gehen, wurde weitestgehend verschwiegen und soll deshalb hier kurz
dargestellt werden.
Nachdem die Wagenburg "Bambule", die im Karo-Viertel auf einer ungenutzten
Gruenflaeche steht, ueber ein Jahr geduldet worden war, versuchte die
Stadtentwicklungsgesellschaft (STEG) die BewohnerInnen im Fruehjahr '94
raeumen zu lassen, was jedoch von der Polizei abgelehnt wurde, da fuer sie
die rechtliche Situation nicht eindeutig war. Daraufhin bemuehte sich der
Bezirk Mitte, mehrere Raeumungsverfuegungen zu erwirken, die jedoch immer
wieder durch formale und inhaltliche Fehler hinfaellig wurden. Erst Ende
November '94 setzte sich der Bezirk in der zweiten Gerichtsinstanz beim
Oberverwaltungsgericht Hamburg durch. Waehrend der vorangegangenen Monate
hatten die BewohnerInnen der "Bambule" und ihr Anwalt immer wieder versucht,
mit STEG und Bezirk ins Gspraech zu kommen, was jedoch von den Behoerden
stets abgelehnt worden war. Von der STEG anberaumte Termine wurden von
dieser nicht eingehalten, und selbst oeffentlich auf
BuergerInnenversammlungen gegebene Gespraechzusagen waren wenige Tage
spaeter bereits wieder fuer null und nichtig erklaert.
Gleichzeitig solidarisierten sich im Karo-Viertel immer mehr Menschen mit
der "Bambule", die sich sehr um eine Einbindung in das Viertel bemuehte. Die
BauwagenbewaohnerInnen wurden nicht als Soerenfriede, sondern als
NachbarInnen betrachtet. Kinder spielten auf dem Bauwagenplatz, und Frauen
trauten sich nachts wieder auf die Strasse, weil sie wussten, dass sie in
der Naehe der "Bambule" sicher waren.
"Bambule" ins Viertel integriert
Doch dies alles nuetzte nichts, weil der Bezirk Mitte und hier besonders der
"Genosse" Bolze von der SPD an der Raeumung festhielten. Da der Bezirk zu
einem Dialog nicht bereit war, beschlossen die BewohnerInnen der "Bambule"
nach langen, zermuerbenden Diskussionen, am 1. Dezember gemeinsam mit
ungefaehr 100 FreundInnen Strassensperren vor der Wagenburg zu errichten,
oeffentlichen Druck aufzubauen und damit ein Gespraech zu erzwingen. Es war
vorher vereinbart worden, die Barrikaden zwar zu verteidigen, dass
Schmeissen von Molotow-Vocktails jedoch zu unterlassen und die Autos der
AnwohnerInnen nicht anzuruehren. An diese Strategie hielten sich die
DemonstrantInnen auch weitestgehend. Entgegen den Pressebrichten flogen
weder Mollies noch Stahlkrampen, und es wurden auch keine Schulen gpluendert
oder Starkstromdraehte ueber die Strasse gespannt.
Die DemonstrantInnen beschraenkten sich darauf, die Polizei mit
Pflastersteinen und Leuchtspurmunition daran zu hindern, bis zur Wagenburg
vorzudringen. Zu den zahlreichen Verletzungen der PolizistInnen kam es, weil
die Polizeikraefte trotz ihrer anfaenglichen Unterlegenheit immer wieder
gegen die Barrikaden anrannten und zurueckgeworfen wurden. Ausserdem
schienen die StaatsschuetzerInnen nicht recht mit Traenengas umgehen zu
koennen, da sie es entweder nicht weit genug, in den Gegenwind oder aber
gleich in die eigenen Reihen feuerten, was hinter den Barrikaden fuer nicht
wenig Verwirrung sorgte. Erst spaet in der Nacht, als die Raeumtrupps
eintrafen, gelang es der Polizei, die Strassen freizuraemen, doch von den
DemonstrantInnen erwischten sie keine(n) mehr, da diese sich laengst
zurueckgezogen hatten.
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Stadt nicht Gespraechsbereit
Aus der Strassenschlacht resultierte erstaunlicherweise ein
Gespraechsangebot der Stadt. Was Anrufe, Schreiben, Besuche, Bitten und
Anfragen zuvor nicht erreicht hatten, wurde schliesslich mit Pflastersteinen
erzwungen. Es ist bezeichnend fuer die Stadt Hamburg, dass erst zu solch
radikalen Methoden gegriffen werden musste, bevor die Behoerden sich dazu
herabliessen, mit der "Bambule" zu verhandeln.
Weder die BewohnerInnen noch die Mehrzahl der SympatisantInnen wollten
Randale und verletzte PolizistInnen. Viele haben lange mit sich gerungen,
bevor sie Steine in die Hand nahmen, angesichts der festgefahrenen Situation
jedoch keine andere Moeglichkeit mehr gesehen, den Lebensraum der
BauwagenbewohnerInnen zu verteidigen. Es haette nur ein wenig mehr
Gespraechsbereitschaft von Seiten der Behoerden bedurft, um die Krawalle zu
verhindern. So jedoch traegt der Bezirk Mitte letztlich die Verantwortung
fuer die Ausschreitungen. Und waehrend Behoerden und Medien weiter gegen die
"Bambule" hetzen und ihre Starrkoepfigkeit nicht aufzugeben bereit sind,
haben sie die BewohnerInnen der Wagenburg laengst mit den AnwohnerInnen des
Karo-Viertels zusammengesetzt und gemeinsam ueber die Anlaesse und Folgen
der Strassenschlacht diskutiert. Ueberzeugender und mutiger kann wohl nicht
klargemacht werden, wer in diesem Streit die besseren Argmente hat.
Hintergruende
In Hamburg leben 500-2000 Menschen in Bauwagen. Waehrend in den Bezirken
Altona, Nord und Eimsbuettel das Wohnen in Wagen geduldet wird, lehnt der
Bezirk Mitte Wagenburgen kategorisch ab und beruft sich dabei auf das
sogenannte *Wohnwagengesetz*. Dieses Gesetz stammt aus den 50er Jahren und
ist trotz sich veraendernder sozialer Verhaeltnisse in den letzten
Jahrzehnten nie abgeaendert worden. Am 19.12.52 wurde das Gesetz
verabschiedet, um der angeblich chaotischen Wohnsituation im
Nachkrieshamburg Herr zu werden. Als einige Jahre spaeter die emsigen
HamburgerInnen aus den Kriegstruemmern genuegend Haeuser fuer ihre eigenen
Beduerfnisse errichtet hatten, empfand die Sinti und Roma, fuer die das
Wohnen in Wagen zur Lebenskultur gehoert, als Plage. Flugs wurde am 5.5.1959
eine Aenderung ind das Wohnwagengesetz eingebracht, die es den Sinti und
Roma erschwerte, ihre Wohnform in Hamburg aufrechtzuerhalten. Selbst das
Oberverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 28.11.1994 darauf
hingewiesen, dass das Wohnwagengesetz heute nicht mehr zeitgemaess ist.
Die STEG (Stadterneuerungs- und Entwicklungsgesellschaft) ist formal ein
Privatunternehmen (GmbH), untersteht jedoch faktisch der Stadt, die 51% der
Anteile haelt. Die STEG ist zustaendig fuer die Sanierung der Hamburger
West-City (Ottensen, Karo-Viertel, Schulterblatt), foerdert
Privatsanierungen und plant oeffentliche Massnahmen zur Stadtteilerneuerung.
Das Ansehen der STEG in den betroffenen Stadtteilen ist in den letzten
Jahren stark gesunken, weil viele der Planungen an den Vorstellungen der
StadtteilbewohnerInnen vorbeigingen. Luxusmoderisierungen, mangelnder
Kooperationsbereitschaft und fehlendes Fingerspitzengefuehl in Krisenherden
haben dazu beigetragen, dass nicht wenige Menschen im westlichen Hamburg
sich mit den zahlreichen militanten Aktionen gegen die STEG-Bueros offen
oder zumindest versteckt solidarisch erklaert haben. Letztlich ist die STEG
jedoch kein Entscheidungstraeger, sondern an die Baubehoerde und die Bezirke
gebunden.
aus: fatal, Zeitung fuer Politik, Umwelt, Kultur und Soziales
Februar-April 1995
(z)
Infogruppe Hamburg (ifghh@krabat.comlink.de)
c/o Schwarzmarkt
Kleiner Schaeferkamp 46 20357 Hamburg