Texte, Beiträge und Diskussionen zum Thema: Chiapas und die Linke
Quo vadis Solidaridad?
Thesen zu Solidarität und Internationalismus
I. Nach dem Ende der sogenannten Systemkonkurrenz und dem angeblichen Sieg des real existierenden Kapitalismus hat sich die klassische linke Solidaritätsbewegung in der BRD perspektivlos und resigniert in ihre Schlupflöcher zurückgezogen.
Klassische Objekte linker Solidaritätsbegierde sind zerstört oder
im global-kapitalistischen Grundkonsens aufgegangen. Die SandinistInnen in
Nicaragua verloren Anfang der 90er die Regierungsmacht an eine
neoliberal-konservative Rechtskoalition und Cuba öffenet sich dem Papst,
dem Dollar, Benneton und dem Tourismus. Internationalistische Alternativen kann
die klassische Solidaritätsbewegung nicht bieten, weil sie nie welche
hatte.
II. Die klassische BRD-Linke Solidaritätsbewegung, wie sie sich im Zuge des Vietnamkrieges formierte, mit Cuba siegte, mit Nicaragua kämpfte, mit Palästina fiel und nun an Kurdistan verzweifelt, ist immer eine gewesen, die sich an den nationalen Befreiungsbewegungen in den verschiedensten Teilen der Welt orientierte.
Das hatte einige Folgen:
III. Stärke und Schwäche nicht selbstbestimmt
Die Solidaritätsbewegung in der BRD stand und fiel mit den Bewegungen im Trikont oder im Nahen Osten, an denen sie sich zu orientieren suchte. Das hatte zur Folge, daß es keine Bewegung gab, die auch die BRD-Verhältnisse wirksam angreifen konnte, sondern nur dann stark war, wenn die jeweilige nationale Befreiungsbewegung "vor Ort" stark war. Stellten sich aber Niederlagen ein, wie in El Salvador, oder aber wurden die Kämpfe - wie in Cuba - institutionalisiert, flauten auch die hiesigen Bewegungen und Soligruppen ab, bzw. wandten sich anderen - nicht internationalistischen - Themengebieten zu.
Durch die jeweilige Beschränktheit des Blickes auf immer nur eine oder
wenige lokale und nationale Befreiungsbewegungen, konnte kein wirklich
internationalistischen Ansatz entwickelt werden, der die Forderungen der
jeweiligen Bewegungen als regional bedingkte erkennen, somit kritisierbar machen
und den hiesigen Verhältnissen einen entsprechenden Kampf entgegen halten
konnte. Statt dessen wurden die Verhältnisse unkritisch übertragen und
dem lokalen Befreiungskampf ein "Kampf in den Metropolen" gegenübergestellte,
der die realen Lebens- und Unterdrückungsverhältnisse der hier
lebenden Menschen galant ausblendete. Andererseits wurden die Verhältnisse
idealisiert, die Leute gingen entweder in die jeweiligen Länder, um dem
Zivilisationsdruck zu entkommen, oder versuchten die idealisierten Verhältnisse
auf die hiesigen zu übertragen, gründeten Ökokommunen und setzten
auf Subsistenz oder zumindest Transfair-Kaffee.
IV. Das Problem mit den nationalen Befreiungsbewegungen
Unkritisch wurden Forderungen und Programmatik der lokalen, nationalen Befreiungsbewegungen übernommen. Die alleinige Tatsache des gemeinsamen Opponierens gegen eine Regierung oder einen Staat sorgten für unbedingte Solidarität in den Metropolen, vor allem in der BRD. Deutlich gesagt werden muß, daß natürlich jede Gruppe, die sich gegen Fremdbestimmung und Ausbeutung wehrt solidartische Unterstützung erfahren sollte. Deutlich gesagt werden sollte aber auch, daß, wenn diese Bewegungen als kämpfende GenossInnen ernst genommen werden sollen, sie auch eine solidarische Kritik erfahren müssen.
Immer häufiger stellt sich das Problem, daß sich vor allem im
Zuge immer stärkerer Seperatisierungskämpfe bisherige EmpfängerInnen
linker solidarität als BefreiungsnationalistInnen outen, ihre politische
Praxis, aber auch ihre politische Zielsetzung absolut antiemanzipatorisch ist.
Antisemitische Positionen, Sexismus und Rassismus bleiben kritikabel, auch wenn
sie von einer Befreiungsbewegung geäußert werden. Und das alleinige
Propagieren von Staat und Nation, Religion und Kultur, sollte gerade vor dem
Hintergrund dessen, was für eine Politik hier damit betreieben wird,
kritisiert werden dürfen.
V. Solidarische Kritik und kritische Solidarität
Ein Ruck kam in die klassische linke Solibewegung, als im Januar 1995 die Nachricht vom bewaffneten Aufstand der ZapatistInnen in Mexiko die Runde machte. Die Linke schien wieder ein Vorbild, die Solidaritätsbwegung wieder ein Subjekt zu haben, daß müde GenossInnen wieder munter machen würde.
Die ZapatistInnen - Männer und Frauen mit schwarzen Masken - waren auf
den ersten Blick sympatisch. Sie hatten kämpfende Frauen in ihren Reihen
und sahen feministische Fragestellungen nicht nur als Nebenwiderspruch, sie
wollten nicht an die Macht, sie setzten nicht allein auf den bewaffneten Kampf,
sondern viel mehr auf Dialog, sie schienen das Subjekt der Befreiung - nämlich
indigene BäuerInnen - selbst zu sein und nicht bloß kämpfende
MedizinstudentInnen. So waren sie erfrischend postmodern und neu. Und nochetwas
war neu an den Zapatistas. Sie forderten den Dialog. Sie wollten keine dröge
unemanzipatorische Solibewegung, deren Aktivitäten sich vorrangig darauf
beschränkten Pakete und Traktoren zu schicken, sondern sie wollten
Auseinandersetzung und solidarische Kritik. Das war nur leider für die
BRD-Linke zu harter Tobak. Bisher sind weder Neoliberalismus und Globalisierung,
noch Subsistenzkonzepte Gegenstand von öffentlichen Auseinandersetzungen
innerhalb linker Soligruppen. Vielmehr wird auch weiterhin vieles unkritisch übernommen.
VI. Linker Imperialismus
Oft gelten jene, die die Politik von Befreiungsbewegungen so ernst nehmen, wie die eigene und sie deshalb auch gegebenenfalls kritisieren, als "linke ImperialistInnen". Sie würden, so die "guten Linken", marginalisierten Gruppen im Trikont die eigenen Theorien aufdrücken, sie seinen DogmatikerInnen und IdeologInnen, obwohl doch die Linke heute jenseits von Dogmatik und Ideologie stände und dem Lebensweise und Ganzheitlichkeit gegenüberstelle (Sammlung von Positionen, die so und in anderer Form auf dem Intergalaktischen Vorbereitungskongreß im Frühsommer 1996 in Berlin gefallen sind.)
Das ist Quark. Im Gegenteil, sind - wenn mensch überhaupt von "linkem
Imerpiralismus" reden kann - die die ImperialistInnen, die jene Gruppen,
die beginnen sie zu wehren, immer wieder auf ihren Opferstatus - auf die Rolle
der Marginalisierten - zu reduzieren und die die miserablen Lebensverhältnisse
der Menschen ästhetisieren. Das zeigt sich z.B. an der Auseinandersetzung
um das Konzept der Subsistenz und der Kategorie der Identität.
VII. Subsistenz - Ästhetisierte Armut?
Vor allem der Versuch der Zapatistas und indigener BäuerInnen in Chiapas, ein Netz der Subsistenz, also der Selbstversorgung un der Kontrolle aller Nahrungsmittel durch eigenen Anbau, zu entwickeln, hat in der westlichen Solidaritäts- und Ökobewegung viele NachahmerInnen gefunden. Als bloßer individualistischer Spaß an der Freude - O.K., als politische Strategie, den BäuerInnen in Chiapas ein Hohn.
Für diese nämlich ist Subsistenz die einzige Möglichkeit,
nicht zu verhungern. Die Nahrungsmittelversorgung ist für die neoliberale
mexikanische Regierung der Hebel, um die aufständige Bevölkerung
auszuhungern. Die Möglichkeit eine autarke Lebensweise zu realisieren, ist
eine wirksame Waffe zum Schutz vor der Regierung. Aber sie ist kein Ziel und
kein Schlüssel zur besseren Welt. Im Gegenteil ist sie verbunden mit Not
und Entbehrungen, die sie bei einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung nicht zu
leiden hätten. Das hiesige Subsistenzkonzept aber ist nichts als
Individualisierung von Politik und auch nur deshalb möglich, weil diese
kapitalisitsche Gesellschaft die nötigen Räume dafür schafft.
VIII. Identität und Kultur
Ein anderer Punkt, an dem sich diese unkritische Rezeption von lokalen Befreiungsbewegungen durch Metropolenlinken zeigt, ist die Frage der Kategorien Identität und Kultur. Es macht eben einen Unterschied wo und unter welchen Bedingungen dieses oder jenes rezipiert wird. Die indigene Bevölkerung in Mexico haben die Identität "Indio" nicht frei gewählt. Es handelt sich um eine Fremdzuschreibung durch die hegemonialen Teile der Geselschaft - größtenteils europäisch-spanischer Herkunft. Die Fremdzuschreibung "Indio" ist verbunden mit realen Folgen. "Indios" sind weniger angesehen, haben weniger Rechte, keine oder kaum Ausbildung und Gesundheitsversorgung. Die einzelnen Individuen erden nicht aufgrund individueller Schwächen unterdrückt und ausgebeutet, sondern als Gruppe. Sie müssen jeden Tag die Fremdzuschreibung "Indio" erfahren. Unter dem Vorsatz: "Identität zur Waffe machen" versuchen die Zapatistas nun diese Fremdzuschreibung durch eine Selbstzuschreibung aufzulösen. Die Unterdrückung der Gruppe kann also nur dann beendet werden, wenn das Subjekt der Unterdrückung ein anderes ist. Mensch mag zu "Identitätspolitik" stehen wie mensch will. Der Musikjournalist Diedrich Diederichsen hat einmal gesagt: "Identität nenne ich von vorneherein schon ein Gewaltverhältnis" und ich möchte im da zustimmen. Dich bleibt per Fremdzuschreibung kollektiv unterdrückten Gruppen trotzdem das Recht der Fremdzuschreibung die eigene Identität entgegenzusetzen - allerdings immer unter der Prämisse, daß diese Identität Waffe und nicht Ziel ist.
Kommen nun aber Metropolenlinke an und entdecken ihre Vorliebe für
Indianische Identität und Kultur werden die kämpfenden Gruppen im
Trikont wieder auf die Fremdzuschreibung als "Identität", "Rasse"
oder "Kultur" zurückgeworfen. Sie haben die Definitionsmöglichkeit
über diese Begriffe nicht mehr länger selbst in der Hand. In den Augen
ihrer vermeintlichen "GenossInnen" sind sie "die" Indianer -
zwar mit positiven Attributen besetzt, aber eben ein Kultur, exotisch und
anders. Durch Kleidung und Lebensweise versucht mesch auch selbst diese Identität
anzunehmen. Dann ist es aber keine "Identität als Waffe" mehr,
dann wird die "Kategorie Identität" zum Selbstläufer und die
marginalisierten Gruppen bleiben weiter marginalisiert - fast wie von Natur aus
seiend - verhaftet in Identität und Kultur, per Zuschreibung von anderen.
IX. Revolutionär und Popstar - Symbolik der Befreiung
Wichtiger Bestandteil der westlichen Solidaritätsbewegung war auch immer die Nutzbarmachung von "Revolutions-Symbolik" in ihrem Metropolenkampf. Ganze Straßenzüge waren mit DemonstrantInnen übersäht, die wie eine heilige Ikone die Rote Fahne mit dem Konterfei Ernesto Guevaras vor sich hertrugen. Heute interessieren die lustigen Püppchen von maskierten Rebellen mehr, als die Texte der Zapatistas - handelt es sich gerade einmal nicht um einen poitischen Aufsatz des charismatischen Subcommandante Marcos.
Auch Symbolik kann zur Waffe taugen. Sie gibt die Möglichkeit kurz und
prägnant Inhalte und Richtungen darzustellen. Allerdings ist sie immer abhängig
von der hegemonialen gesellschaftlichen Rezeption und auch von der
subkulturellen Rezeption innerhalb von linken Kreisen und Szenen. Deshalb muß
zur Symbolik auch immer entsprechender Inhalt gehören, damit sie sich nicht
selbst entlehrt. Darum muß immer bedacht werden, daß Symbolische
Politik immer auch eine mißverständliche Politik ist und darum müssen
auch immer wieder Deutungskämpfe um gewisse Symboliken geführt werden.
Allein die Tatsache einen tollen Rebellenführer zu haben darf für eine
internationalistische Politik nicht ausreichen. Vielmehr gilt es auch hier die
Idole zu dekonstruieren. Eine internationalistische Linke braucht keinen
Christus und keine Heiligen, wer die will, kann in die Kirche gehen. Auch hier
muß gelten: "Kill your Idols".
X. Es sieht aus, als sei die internationalistische Bewegung zerstört und unpolitisch. Ganz so ist es natürlich nicht. Aber es kommt darauf an, was wir nun mit ihr anfangen. Die Entwicklungen in Mexico und nun in Peru mit "Tupak Amaru" haben gezeigt, daß der Befreiungskampf als Option nicht zusammen mit dem real existierenden Sozialismus von der Bildfläche verschwunden ist. Die neuen Befreiungsbewegungen haben sich aber verändert. Sind vielleicht etwas postmoderner geworden. Die Frage ist, ob sich die Solidaritätsbewegung in den Metropolen auch verändert, vielleicht hin zu einem internationalistischen Anspruch, der sich nicht nur an den Befreiungsbewegungen der Welt orientiert, sondern eigene Internationalistische Konzepte entwirft. Der fragt, was gibt es für Anknüpfungspunkte im ehemaligen "Herzen der Bestie", in den Metropolen - Sozialklau und Umstrukturierung der Städte sprechen hier eine deutliche Sprache. Vielleicht gelingt es streitbarer zu werden und sich ernst zu nehmen. Vor allem die hier angefürhten Punkte: Befreiungsnationalismus, Identität, Subsistenz, Kultur... bedürfen noch weiterer Überlegungen. Aber auch die Frage nach dem: "Was wollen wir?" darf wieder gestellt werden. Ist da die Marcosche Zivilgesellschaft wirklich eine begrüßenswerte Option?
Zumindest eins sollte vorbei sein, die langweilige: "Hoch-die-internationale-Kinderschokolade"-Rethorik.
Dafür bleibt heute keine Zeit und kein Raum.
Tobias Ebbrecht hat diese Thesen anläßlich einer Veranstaltung zum Thema "Chiapas und die Linke" und Gründung der Mexiko-Gruppe im AZ, Wuppertal geschrieben. Dies ist einee überarbeitete Fassung.