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Sun Jul 30 18:38:23 1995
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K.FISCHER@LINK-F.Rhein-Main.de (Klaus D. Fischer)Betreff : Velez: Chiapas
und die MedienDatum : Sa 27.05.95 (erhalten:
31.05.95)
Jorge Enrique Arai Velez Chiapas und die Medien Um die
Auswirkungen des Ind¡gena-Aufstandes in Chiapas aus der Perspektive der
Kommunikationsmedien richtig einschaetzen zu koennen,ist es zuerst
notwendig, einen Blick auf den allgemeinen Zustand der Medien in Mexiko zu
werfen. Dies gilt um so mehr, als die Berichterstattung ueber die
zapatistische Bewegung bemerkenswerte Unterschiede aufwies, je nachdem um
welches Medium es sich handelte. Waehrend Teile der Printmedien zur Tribuene
von Person und Diskurs des Subcomandante Marcos sowie auch der Zapatisten
insgesamt wurden, kannman dies von den Radiosendern und vom Fernsehen nicht
behaupten. Was passierte mit diesen Medien? Die Antwort koennte sehr einfach
sein: Imjuristischen Sinne kontrolliert die Regierung die zuletzt
genannten Medien durch Zwangsmittel, deren Einsatz sich auf die
Mediengesetzgebung stuetzt. Damit eine Person einen Radio- oder Fernsehsender
einrichten kann, muss sie eine Konzession beantragen. Obgleich hierzu
scheinbarr ein technische und finanzielle Voraussetzungen massgeblich sind,
hat die Regierung die rechtliche Moeglichkeit, eine bestimmte Konzession
zuwiderrufen, ohne dass dem jeweiligen Betreiber die Moeglichkeiten
der Gegenwehr gegeben sind. Fuer den Widerruf einer Genehmigung kann sich die
Regierung auf technische Argumente stuetzen, die auf einem seit
geltenden (und inzwischen obsoleten) Gesetz beruhen, auch wenn
die eigentlichen Mo tive fuer die Entscheidung anderer Natur sind. Auf
diese Weise sind die Betreiber von Rundfunk- und
Fernsehsendern Sanktionsmechanismen unterworfen, in deren Rahmen die
Verbreitung von regierungskritischen Haltungen den Verlust dessen darstellen
kann, was heutzutage vor allem als ein grosses Geschaeft gelten kann. In
diesem Sinne stellen die Besitzer der elektronischen Medien auch
Parteigaenger des jeweils herrschenden Regimes dar, weil sie einen direkten
Nutzen ausihm ziehen. Im Falle der Presse war die Regierung bis vor kurzen
dereinzige Lieferant von Zeitungspapier, was ihr erlaubte, die Lieferungvon
Papier fuer bestimmte Publikationen zu beschneiden oder ganzeinzustellen.
Dies wurde dann technisch oder oekonomisch begr uendet,war im Grund aber
eine Reaktion auf die Verbreitung "unangebrachter"Nachrichten und Meinungen
durch das betroffene Presseorgan. Eingesellschaftlicher Aufbruch Mit dem
Erbeben, das Mexiko-Stadt 1985heimsuchte, begann jedoch ein Prozess
ausserinstitutionellergesellschaftlicher Organisierung, der aus der
damaligenNotstandssituation heraus entstand, dann jedoch Ausdrucksformen
annahm,die bis heute andauern. S o bildeten die "Union der Nachbarn
undGeschaedigten" (UVyD), die Gewerkschaft der Schneiderinnen und
andereGruppen einen Diskurs des Protestes heraus, der dem bisher
offiziellenentgegengehalten wurde. Zunaechst waren die Forderungen dieser
spontanen tstandenen Bewegung entweder im Bereich der Wohnung oder dem
derArbeitsbedingungen angesiedelt. Diese Reaktionen der "einfachen
Buergerund Buergerinnen" stellten jedoch ein neues Phaenomen dar, das aus
derSicht der Regierung aufgrund seines Umfanges sowie seiner
Spontaneitaetschwer einzuschaetzen war. Von diesem Augenblick an
entstandenallmaehlich Gruppierungen, die einen viel umfassenderen
Diskursaufwiesen. Auch wenn dieser noch um sehr spezifische Positionen (fast
soviele wie auch Gruppen existierten) kreisten, so handelte es sich dochaus
der G esamtsicht um die Herausbildung von Forderungen, die in denmeisten
aller Faelle dem offiziellen Diskurs diametral entgegengesetztwaren oder
diesen zumindest infrage stellten. Zu Beginn stellten dasRadio und die
Printmedien Raeume zur Verfuegung, in d enen sich jenePositionen am klarsten
artikulieren konnten, wohingegen das Fernsehenseine traditionelle Rolle als
Sprachrohr der Regierung beibehielt. Das Jahr 1988 markierte eine weitere
Zaesur, was die Faehigkeit dermexikanischen Zivilgesellschaft angeht, mit
Nachdruck ihre eigenenAnsichten zum Ausdruck zu bringen. Die oekonomische
Krise und dasErscheinen der politischen Figur des Cuauht‚moc C rd enas
wirkten alsVerstaerkter des gegen die Regierung gerichteten Unmuts. Der
Streik derStudierenden Ende 1987 sowie die Demonstrationen zur
Unterstuetzung der oppositionellen Praesidentschaftskandidatur von C rdenas
stellten Gelegenheiten dar, auf die Strasse zu gehen und offen der
eigenen Ablehnung des Status quo offen Ausruck zu verleihen. Zu diesem
Zeitpunkt geriet das Fernsehen in eine tiefe Glaubwuerdigkeitskrise (von der
es sich immer noch nicht erholt hat), als es fuer den offiziellen
Praesidentschaftsanwaerter der PRI, Carlos Salinas de Gotari, Partei
ergriffund einen schmutzigen Krieg der Informationen im Stil der
USA begann.(Dazu gehoerten das Auftauchen angeblicher unehelicher Kinder
von C rdenas oder auch dessen Diffamierung durch seine Halbbrueder.)
Der maechtigste und reaktionaerste der privaten Fernsehsender, Televisa,wurde
aus Anlass des Praesidentschaftswahlkampfes von 1988 deutlicherdenn je
zum Sprachrohr der Regierung, das in alle mexikanischen Haushalte
hineinreichte. Die Printmedien wiesen demgegenueber eine groessere
Meinungspluralitaet auf. Mehrheitlich bezweifelten sie die offiziellen
Resultate der Praesidentschaftswahlen, bei denen sich der PRI-Kandidat nur
mit Hilfe massiver Wahlfaelschungen durchsetzen konnte. Mit Salinas in die
"Erste Welt"? Die Regierung unter Salinas de Gotari verschaffte sich zu
Beginn ihrer Amtszeit dadurch Legitimation, dass sie spektakulaere Schlaege
gegen bestimmte, ihr auch gefaehrliche Lobbygruppen und gewerkschaftliche
Kaziken fuehrte, was dann auch in den Medien ausfuehrliche Beachtung fand.
Die regierungsnahen Medien und das Fernsehen praesentierten das Bild eines
jungen, starken, dynamischen undentschlossenen Praesidenten. Sein Diskurs
der Modernisierung fand seinen Zenit am Horizont der Globalisierung. Der
Handelsoeffnung in Einklang mit dem neoliberalen Modell entsprach eine
Zunahmne der Informationsquellen auf der Ebene der Kommunikation. Die
neuen Technologien sowie die Moeglichkeit des Zugangs zu
Satelliten,veraenderten bestimmte Formen des audiovisuellen Konsums vor
allem inden groesseren Staedten. Spaet und mit Stockschlaegen wurde Mexiko
Teil des "globalen Dorfes". Der neue Informationsmarkt blieb jedoch auf
die Mittel- und Oberschicht beschraenkt, was wiederum der Regierung
erlaubt hat, ihre Version der Ereignisse in den gebuehrenfreien
elektronischen Medien durchzusetzen, die eine weitaus groessere Menge von
Empfaengern,vor allem Schichten mit einem niedrigen soziooekomonischen
und kulturellen Niveau, erreichen. Die Wirtschaftsintegration
Nordamerikas durch das NAFTA-Freihandelsabkommen wurde als Eintritt Mexikos
in die "Erste Welt", in die Welt der "Entwickelten", verkauft. Dieser Weg
in das Wohlstandsparadies, als dessen Garanten auch die mexikanische
Mitgliedschaft in der OECD sowie die vermeintliche Gesundung der
Wirtschaft
herangezogen wurden, sollte mit dem 1. Januar 1994 beginnen.Die
Zapatisten machten dieser Illusion ein Ende. Mit dem ersten Tag des Jahres
1994 begann ein bewaffneter Aufstand im Bundesstaat Chiapas, wo Gruppen
von Individuen mit maskierten Gesichtern drei Ortschaften einnahmen, darunter
San Crist¢bal de las Casas, die zweitwichtigste Stadt des Bundesstaates. Das
Zapatistische Heer der nationalen Befreiung (EZLN) verbreitete die
"Deklaration des lakandonischen Urwaldes", in deres die unwuerdigen
Lebensbedingungen der Ind¡genas dieser Regionanprangert und mit einem "Es
reicht!" ihre bewaffnete Erhebung rechtfertigte. Die militaerischen
Auseinandersetzungen zwischen der EZLN unddem mexikanischen Bundesherr
dauerten zwoelf Tage an und fuehrten zuToten auf beiden Seiten. In
Mexiko-Stadt konnte eine grosse Anzahl vonMenschen mobilisiert werden, die
das End e aller Feindseligkeiten undeinen Waffenstillstand forderten, der
dann auch am 12. Januar in Krafttrat. Die Zivilgesellschaft, so wird
allgemein gesagt, stoppte vorerstden Krieg. Und danach begann die Schlacht
im Bereich der Kommunikation.Die Medienstrategie der EZLN und die
oeffentliche Meinung Der Aufstandin Chiapas implizierte nicht nur eine
Polarisierung der politischenUeberzeugungen, sondern auch der Medien.
Letzteres ist nicht nur auf diequasi unbeschraenkte Instrumentalisierung der
Kommunikationsmedienzurueckzufuehren, die der Staat einsetzt, um die EZLN
zudequalifizieren, sondern enspringt auch der Selektivitaet, mit der
dieZapatisten ihre Kommuniques verbreiten. So sind die
nationalenTageszeitungen La Jornada, El Financiero und die auf Chiapas
begrenzteTiempo zu exklusiven Or ganen geworden, mittels derer sich
dieZapatisten an die Oeffentlichkeit des Landes richten. Alle uebrigenMedien
muessen sich mit den offiziellen Verlautbarungen zufriedengeben.Die
aulaendischen Medien haben demgegenueber einen fast unbegrenztenZugan g zu
den von den Zapatisten kontrollierten Gebieten. DieMedienstrategie der EZLN
beruht auf der Einsicht in die ungeheureBedeutung der Medien in der heutigen
Gesellschaft sowie dem Wissen vonder ungeheuren Schnelligkeit des in ihr
stattfindenden info rmationellenAustausches. Gleichzeitig hat der permanente
Kontakt mit dem Ausland denAufstaendischen Sympathien rund um den Erdball
gesichert und denpolitischen Druck auf die mexikanische Regierung erhoeht.
In diesemKontext wird die Polarisierung der oeffentlichen Meinung
nochdeutlicher. Fuer das Fernsehen, die Mehrzahl der Radiosender und
dietraditionelle Presse sind die Aufstaendischen
"professionelleGewalttaeter", deren einzige Absicht es ist, das L and
zudestabilisieren. In dieser Richtung argumentiert auch ein bestimmterTeil
der mexikanischen Intellektuellen wie derLiteratur-Nobelpreistraeger Octavio
Paz, aber auch einige seinererklaerten Gegner, unter ihnen H‚ctor Aguilar
Cam¡n, bekannt durc hseine pseudokritische, im Grunde jedoch Carlos Salinas
gegenueberwohlgesonnene Einstellung. Auf der anderen Seite erklaeren
sichtraditionelle Kraefte der mexikanischen Linken, darunter vor allem
diestaedtischen Gruppierungen, linke Intellektuelle, ein Grossteil
derUniversitaetsangehoerigen und Studierenden sowie die OppositionsparteiPRD
solidarisch mit dem Zapatismus. Von einigen wenigen radikalenAusnahmen
abgesehen uebernimmt jedoch niemand den Gebrauch der Gewaltals Mittel der
politischen A useinandersetzung; alle rechtfertigenjedoch die Gruende, die
zum bewaffneten Aufstand in Chiapas gefuehrthaben. Dies alles bildet die
Grundlage fuer das, was als der"medienpolitische Effekt" dieses Aufstandes
bezeichnet werden kann.Dieser beinhaltet Spaltungen im medial verstaerkten
politischenMeinungsgefuege, wobei jede Position sich im Besitz der
absoluten"Wahrheit" waehnt, wie auch immer diese aussehen mag. Im Verlauf
desJahres Ç4 war der Chiapas-Konflikt mal mehr, mal weniger in den
Medienpraesent. Wenn er auch eigentlich nie aus ihnen verschwandt, so
fuehrtendie Ermordung des offiziellen Praesidentschaftskandidaten im Maerz
unddes Generalsekretaers der PRI im September sowie auch
diePraesidentschaftswahlen im August doch dazu, dass die
Berichterstattungueber den Aufstand an die zweite Stelle rueckte. Der
Konflikt wurdejedoch von einigen Medien als Suendenbock benutzt, dem die
Verantwortungfue r alle im Land auftretenden Uebel angelastet wurde. Ein
Beispieldafuer war die Geldabwertung im Dezember letzten Jahres: Nachdem
diesevom Fernsehen und von der regierungsnahen Presse so gut wie
ignoriertworden war, erklaerte man ploetzlich den Zapati smus
zumHauptverantwortlichen fuer die Krise. Hierbei handelt es sich um
einenbemerkenswerten Widerspruch: Eine geschwaechte und fuer viele
Mediennicht mehr existente Bewegung "verursachte" die
schlimmstewirtschaftliche und politische Krise der mexi kanischen
Geschichte. DerAutor dieser ungluecklichen Interpretation der Ereignisse war
niemandanderes als der damalige Finanzminister. Am Tag darauf erklaerte
erseinen Ruecktritt. Eine erste Bilanz Eine subjektive und ohne Zweifelauch
gewagte generelle Bilanz der Auswirkungen des Chiapas-Konfliktesauf die
mediale Struktur Mexikos erlaubt verschiedenartigeInterpretationen.
Einerseits kamen durch ihn die Unterschiede zwischenden verschiedenen id
eologischen Haltungen, aber auch eigenewirtschaftliche Interessen deutlicher
zum Ausdruck. Denn fuer die vonden Zapatisten als Kommunikationsorgane
ausgewaehlten Zeitungen war diesauch ein grosses Geschaeft: So steigerte La
Jornada in nur einem Mona tihre taegliche Auflage von ca.
60000 auf 130000. Ebenso kam es
zueinem Glaubwuerdigkeitsverlust und damit zu Verkaufseinbussen bei
einergrossen Anzahl von Publikationen, so auch bei der
alteingesessenenExcelsior, die einstmals als Flagschiff der mexikanischen
Tagespressegalt. Das Fernsehen und die Mehrzahl der Radiosender
hattendemgegenueber unter verschaerften Kontrollen durch die Regierung
zuleiden und erhoehten die ideologische Distanz zu jenen sozialen
Gruppen,die den Beweggruenden des Zapatismus positiv
gegenueberstanden.Andererseits machte der Konflikt die in der mexikanischen
Gesellschaftvorhandene ideologische Pluralitaet sichtbar und fuehrte
gleichzeitig zueiner Anerkennung des realen Gewichts der oeffentlichen
Meinung. Wennsich unter ihren Fittichen auch die unt erschiedlichsten
Ueberzeugungenversammeln, so ist sie sich doch ihrer wachsenden Bedeutung
imnationalen Rahmen sowie auch ihrer Faehigkeit bewusst geworden,
imausreichenden Masse selbst die Glaubwuerdigkeit der ihr
praesentiertenInformationen zu erk ennen. Dabei ist zu betonen, dass
dieseEinschaetzung sich vor allem auf die urbanen Zentren bezieht, da
Mexikoals eine Gesellschaft mit sehr ausgepraegten Unterschieden
zwischenStadt und Land bezeichnet werden kann. Was die laendlichen
Gebieteangeht , so bewegt sich dort die unabhaengige oeffentliche Meinung
nochauf schwachen Fuessen, obwohl ihre Praesenz allmaehlich waechst.
Diejuengste Veschaerfung der Auseinandersetzungen, die von der
Regierunggegenueber der EZLN angewandten Massnahmen sowie die dramatische
Lageder im Urwald versteckten zapatistischen Bewegung machen ein Eingehenauf
die Forderungen der Ind¡genas eher unwahrscheinlich. Die Beseitigungder
eigentlichen Ursachen des Konflikts ist wie nie zuvor in weite
Fernegerueckt. Jedoch hat auch jetzt wieder nur der Druck der
oeffentlichenMeinung den Ausbruch eines offenen Krieges vorerst verhindert.
Trotz undge rade wegen seiner jahrhundertealten Zurueckgebliebenheit
bietetschliesslich gerade Chiapas eine moegliche Grundlage fuer
einennationalen Aufbruch hin zu einer wirklichen Modernisierung
derpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen in unse rem
Land.Es wird sowohl von der Regierung, von den Zapatisten als auch von
deroeffentlichen Meinung abhaengen, ob diese Moeglichkeit eine diesertypisch
mexikanischen Utopien bleibt oder nicht.Jorge Enrique Arai Velez ist
Kommunikationswissenschaftler in Mexiko-Stadt.