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Absender : K.FISCHER@LINK-F.Rhein-Main.de (Klaus D. Fischer)Betreff : Velez: Chiapas und die MedienDatum : Sa 27.05.95 (erhalten: 31.05.95)


Jorge Enrique Arai Velez Chiapas und die Medien Um die Auswirkungen des Ind¡gena-Aufstandes in Chiapas aus der Perspektive der Kommunikationsmedien richtig einschaetzen zu koennen,ist es zuerst notwendig, einen Blick auf den allgemeinen Zustand der Medien in Mexiko zu werfen. Dies gilt um so mehr, als die Berichterstattung ueber die zapatistische Bewegung bemerkenswerte Unterschiede aufwies, je nachdem um welches Medium es sich handelte. Waehrend Teile der Printmedien zur Tribuene von Person und Diskurs des Subcomandante Marcos sowie auch der Zapatisten insgesamt wurden, kannman dies von den Radiosendern und vom Fernsehen nicht behaupten. Was passierte mit diesen Medien? Die Antwort koennte sehr einfach sein: Imjuristischen Sinne kontrolliert die Regierung die zuletzt genannten Medien durch Zwangsmittel, deren Einsatz sich auf die Mediengesetzgebung stuetzt. Damit eine Person einen Radio- oder Fernsehsender einrichten kann, muss sie eine Konzession beantragen. Obgleich hierzu scheinbarr ein technische und finanzielle Voraussetzungen massgeblich sind, hat die Regierung die rechtliche Moeglichkeit, eine bestimmte Konzession zuwiderrufen, ohne dass dem jeweiligen Betreiber die Moeglichkeiten der Gegenwehr gegeben sind. Fuer den Widerruf einer Genehmigung kann sich die Regierung auf technische Argumente stuetzen, die auf einem seit geltenden (und inzwischen obsoleten) Gesetz beruhen, auch wenn die eigentlichen Mo tive fuer die Entscheidung anderer Natur sind. Auf diese Weise sind die Betreiber von Rundfunk- und Fernsehsendern Sanktionsmechanismen unterworfen, in deren Rahmen die Verbreitung von regierungskritischen Haltungen den Verlust dessen darstellen kann, was heutzutage vor allem als ein grosses Geschaeft gelten kann. In diesem Sinne stellen die Besitzer der elektronischen Medien auch Parteigaenger des jeweils herrschenden Regimes dar, weil sie einen direkten Nutzen ausihm ziehen. Im Falle der Presse war die Regierung bis vor kurzen dereinzige Lieferant von Zeitungspapier, was ihr erlaubte, die Lieferungvon Papier fuer bestimmte Publikationen zu beschneiden oder ganzeinzustellen. Dies wurde dann technisch oder oekonomisch begr uendet,war im Grund aber eine Reaktion auf die Verbreitung "unangebrachter"Nachrichten und Meinungen durch das betroffene Presseorgan. Eingesellschaftlicher Aufbruch Mit dem Erbeben, das Mexiko-Stadt 1985heimsuchte, begann jedoch ein Prozess ausserinstitutionellergesellschaftlicher Organisierung, der aus der damaligenNotstandssituation heraus entstand, dann jedoch Ausdrucksformen annahm,die bis heute andauern. S o bildeten die "Union der Nachbarn undGeschaedigten" (UVyD), die Gewerkschaft der Schneiderinnen und andereGruppen einen Diskurs des Protestes heraus, der dem bisher offiziellenentgegengehalten wurde. Zunaechst waren die Forderungen dieser spontanen tstandenen Bewegung entweder im Bereich der Wohnung oder dem derArbeitsbedingungen angesiedelt. Diese Reaktionen der "einfachen Buergerund Buergerinnen" stellten jedoch ein neues Phaenomen dar, das aus derSicht der Regierung aufgrund seines Umfanges sowie seiner Spontaneitaetschwer einzuschaetzen war. Von diesem Augenblick an entstandenallmaehlich Gruppierungen, die einen viel umfassenderen Diskursaufwiesen. Auch wenn dieser noch um sehr spezifische Positionen (fast soviele wie auch Gruppen existierten) kreisten, so handelte es sich dochaus der G esamtsicht um die Herausbildung von Forderungen, die in denmeisten aller Faelle dem offiziellen Diskurs diametral entgegengesetztwaren oder diesen zumindest infrage stellten. Zu Beginn stellten dasRadio und die Printmedien Raeume zur Verfuegung, in d enen sich jenePositionen am klarsten artikulieren konnten, wohingegen das Fernsehenseine traditionelle Rolle als Sprachrohr der Regierung beibehielt. Das Jahr 1988 markierte eine weitere Zaesur, was die Faehigkeit dermexikanischen Zivilgesellschaft angeht, mit Nachdruck ihre eigenenAnsichten zum Ausdruck zu bringen. Die oekonomische Krise und dasErscheinen der politischen Figur des Cuauht‚moc C rd enas wirkten alsVerstaerkter des gegen die Regierung gerichteten Unmuts. Der Streik derStudierenden Ende 1987 sowie die Demonstrationen zur Unterstuetzung der oppositionellen Praesidentschaftskandidatur von C rdenas stellten Gelegenheiten dar, auf die Strasse zu gehen und offen der eigenen Ablehnung des Status quo offen Ausruck zu verleihen. Zu diesem Zeitpunkt geriet das Fernsehen in eine tiefe Glaubwuerdigkeitskrise (von der es sich immer noch nicht erholt hat), als es fuer den offiziellen Praesidentschaftsanwaerter der PRI, Carlos Salinas de Gotari, Partei ergriffund einen schmutzigen Krieg der Informationen im Stil der USA begann.(Dazu gehoerten das Auftauchen angeblicher unehelicher Kinder von C rdenas oder auch dessen Diffamierung durch seine Halbbrueder.) Der maechtigste und reaktionaerste der privaten Fernsehsender, Televisa,wurde aus Anlass des Praesidentschaftswahlkampfes von 1988 deutlicherdenn je zum Sprachrohr der Regierung, das in alle mexikanischen Haushalte hineinreichte. Die Printmedien wiesen demgegenueber eine groessere Meinungspluralitaet auf. Mehrheitlich bezweifelten sie die offiziellen Resultate der Praesidentschaftswahlen, bei denen sich der PRI-Kandidat nur mit Hilfe massiver Wahlfaelschungen durchsetzen konnte. Mit Salinas in die "Erste Welt"? Die Regierung unter Salinas de Gotari verschaffte sich zu Beginn ihrer Amtszeit dadurch Legitimation, dass sie spektakulaere Schlaege gegen bestimmte, ihr auch gefaehrliche Lobbygruppen und gewerkschaftliche Kaziken fuehrte, was dann auch in den Medien ausfuehrliche Beachtung fand. Die regierungsnahen Medien und das Fernsehen praesentierten das Bild eines jungen, starken, dynamischen undentschlossenen Praesidenten. Sein Diskurs der Modernisierung fand seinen Zenit am Horizont der Globalisierung. Der Handelsoeffnung in Einklang mit dem neoliberalen Modell entsprach eine Zunahmne der Informationsquellen auf der Ebene der Kommunikation. Die neuen Technologien sowie die Moeglichkeit des Zugangs zu Satelliten,veraenderten bestimmte Formen des audiovisuellen Konsums vor allem inden groesseren Staedten. Spaet und mit Stockschlaegen wurde Mexiko Teil des "globalen Dorfes". Der neue Informationsmarkt blieb jedoch auf die Mittel- und Oberschicht beschraenkt, was wiederum der Regierung erlaubt hat, ihre Version der Ereignisse in den gebuehrenfreien elektronischen Medien durchzusetzen, die eine weitaus groessere Menge von Empfaengern,vor allem Schichten mit einem niedrigen soziooekomonischen und kulturellen Niveau, erreichen. Die Wirtschaftsintegration Nordamerikas durch das NAFTA-Freihandelsabkommen wurde als Eintritt Mexikos in die "Erste Welt", in die Welt der "Entwickelten", verkauft. Dieser Weg in das Wohlstandsparadies, als dessen Garanten auch die mexikanische Mitgliedschaft in der OECD sowie die vermeintliche Gesundung der Wirtschaft herangezogen wurden, sollte mit dem 1. Januar 1994 beginnen.Die Zapatisten machten dieser Illusion ein Ende. Mit dem ersten Tag des Jahres 1994 begann ein bewaffneter Aufstand im Bundesstaat Chiapas, wo Gruppen von Individuen mit maskierten Gesichtern drei Ortschaften einnahmen, darunter San Crist¢bal de las Casas, die zweitwichtigste Stadt des Bundesstaates. Das Zapatistische Heer der nationalen Befreiung (EZLN) verbreitete die "Deklaration des lakandonischen Urwaldes", in deres die unwuerdigen Lebensbedingungen der Ind¡genas dieser Regionanprangert und mit einem "Es reicht!" ihre bewaffnete Erhebung rechtfertigte. Die militaerischen Auseinandersetzungen zwischen der EZLN unddem mexikanischen Bundesherr dauerten zwoelf Tage an und fuehrten zuToten auf beiden Seiten. In Mexiko-Stadt konnte eine grosse Anzahl vonMenschen mobilisiert werden, die das End e aller Feindseligkeiten undeinen Waffenstillstand forderten, der dann auch am 12. Januar in Krafttrat. Die Zivilgesellschaft, so wird allgemein gesagt, stoppte vorerstden Krieg. Und danach begann die Schlacht im Bereich der Kommunikation.Die Medienstrategie der EZLN und die oeffentliche Meinung Der Aufstandin Chiapas implizierte nicht nur eine Polarisierung der politischenUeberzeugungen, sondern auch der Medien. Letzteres ist nicht nur auf diequasi unbeschraenkte Instrumentalisierung der Kommunikationsmedienzurueckzufuehren, die der Staat einsetzt, um die EZLN zudequalifizieren, sondern enspringt auch der Selektivitaet, mit der dieZapatisten ihre Kommuniques verbreiten. So sind die nationalenTageszeitungen La Jornada, El Financiero und die auf Chiapas begrenzteTiempo zu exklusiven Or ganen geworden, mittels derer sich dieZapatisten an die Oeffentlichkeit des Landes richten. Alle uebrigenMedien muessen sich mit den offiziellen Verlautbarungen zufriedengeben.Die aulaendischen Medien haben demgegenueber einen fast unbegrenztenZugan g zu den von den Zapatisten kontrollierten Gebieten. DieMedienstrategie der EZLN beruht auf der Einsicht in die ungeheureBedeutung der Medien in der heutigen Gesellschaft sowie dem Wissen vonder ungeheuren Schnelligkeit des in ihr stattfindenden info rmationellenAustausches. Gleichzeitig hat der permanente Kontakt mit dem Ausland denAufstaendischen Sympathien rund um den Erdball gesichert und denpolitischen Druck auf die mexikanische Regierung erhoeht. In diesemKontext wird die Polarisierung der oeffentlichen Meinung nochdeutlicher. Fuer das Fernsehen, die Mehrzahl der Radiosender und dietraditionelle Presse sind die Aufstaendischen "professionelleGewalttaeter", deren einzige Absicht es ist, das L and zudestabilisieren. In dieser Richtung argumentiert auch ein bestimmterTeil der mexikanischen Intellektuellen wie derLiteratur-Nobelpreistraeger Octavio Paz, aber auch einige seinererklaerten Gegner, unter ihnen H‚ctor Aguilar Cam¡n, bekannt durc hseine pseudokritische, im Grunde jedoch Carlos Salinas gegenueberwohlgesonnene Einstellung. Auf der anderen Seite erklaeren sichtraditionelle Kraefte der mexikanischen Linken, darunter vor allem diestaedtischen Gruppierungen, linke Intellektuelle, ein Grossteil derUniversitaetsangehoerigen und Studierenden sowie die OppositionsparteiPRD solidarisch mit dem Zapatismus. Von einigen wenigen radikalenAusnahmen abgesehen uebernimmt jedoch niemand den Gebrauch der Gewaltals Mittel der politischen A useinandersetzung; alle rechtfertigenjedoch die Gruende, die zum bewaffneten Aufstand in Chiapas gefuehrthaben. Dies alles bildet die Grundlage fuer das, was als der"medienpolitische Effekt" dieses Aufstandes bezeichnet werden kann.Dieser beinhaltet Spaltungen im medial verstaerkten politischenMeinungsgefuege, wobei jede Position sich im Besitz der absoluten"Wahrheit" waehnt, wie auch immer diese aussehen mag. Im Verlauf desJahres Ç4 war der Chiapas-Konflikt mal mehr, mal weniger in den Medienpraesent. Wenn er auch eigentlich nie aus ihnen verschwandt, so fuehrtendie Ermordung des offiziellen Praesidentschaftskandidaten im Maerz unddes Generalsekretaers der PRI im September sowie auch diePraesidentschaftswahlen im August doch dazu, dass die Berichterstattungueber den Aufstand an die zweite Stelle rueckte. Der Konflikt wurdejedoch von einigen Medien als Suendenbock benutzt, dem die Verantwortungfue r alle im Land auftretenden Uebel angelastet wurde. Ein Beispieldafuer war die Geldabwertung im Dezember letzten Jahres: Nachdem diesevom Fernsehen und von der regierungsnahen Presse so gut wie ignoriertworden war, erklaerte man ploetzlich den Zapati smus zumHauptverantwortlichen fuer die Krise. Hierbei handelt es sich um einenbemerkenswerten Widerspruch: Eine geschwaechte und fuer viele Mediennicht mehr existente Bewegung "verursachte" die schlimmstewirtschaftliche und politische Krise der mexi kanischen Geschichte. DerAutor dieser ungluecklichen Interpretation der Ereignisse war niemandanderes als der damalige Finanzminister. Am Tag darauf erklaerte erseinen Ruecktritt. Eine erste Bilanz Eine subjektive und ohne Zweifelauch gewagte generelle Bilanz der Auswirkungen des Chiapas-Konfliktesauf die mediale Struktur Mexikos erlaubt verschiedenartigeInterpretationen. Einerseits kamen durch ihn die Unterschiede zwischenden verschiedenen id eologischen Haltungen, aber auch eigenewirtschaftliche Interessen deutlicher zum Ausdruck. Denn fuer die vonden Zapatisten als Kommunikationsorgane ausgewaehlten Zeitungen war diesauch ein grosses Geschaeft: So steigerte La Jornada in nur einem Mona tihre taegliche Auflage von ca. 60000 auf 130000. Ebenso kam es zueinem Glaubwuerdigkeitsverlust und damit zu Verkaufseinbussen bei einergrossen Anzahl von Publikationen, so auch bei der alteingesessenenExcelsior, die einstmals als Flagschiff der mexikanischen Tagespressegalt. Das Fernsehen und die Mehrzahl der Radiosender hattendemgegenueber unter verschaerften Kontrollen durch die Regierung zuleiden und erhoehten die ideologische Distanz zu jenen sozialen Gruppen,die den Beweggruenden des Zapatismus positiv gegenueberstanden.Andererseits machte der Konflikt die in der mexikanischen Gesellschaftvorhandene ideologische Pluralitaet sichtbar und fuehrte gleichzeitig zueiner Anerkennung des realen Gewichts der oeffentlichen Meinung. Wennsich unter ihren Fittichen auch die unt erschiedlichsten Ueberzeugungenversammeln, so ist sie sich doch ihrer wachsenden Bedeutung imnationalen Rahmen sowie auch ihrer Faehigkeit bewusst geworden, imausreichenden Masse selbst die Glaubwuerdigkeit der ihr praesentiertenInformationen zu erk ennen. Dabei ist zu betonen, dass dieseEinschaetzung sich vor allem auf die urbanen Zentren bezieht, da Mexikoals eine Gesellschaft mit sehr ausgepraegten Unterschieden zwischenStadt und Land bezeichnet werden kann. Was die laendlichen Gebieteangeht , so bewegt sich dort die unabhaengige oeffentliche Meinung nochauf schwachen Fuessen, obwohl ihre Praesenz allmaehlich waechst. Diejuengste Veschaerfung der Auseinandersetzungen, die von der Regierunggegenueber der EZLN angewandten Massnahmen sowie die dramatische Lageder im Urwald versteckten zapatistischen Bewegung machen ein Eingehenauf die Forderungen der Ind¡genas eher unwahrscheinlich. Die Beseitigungder eigentlichen Ursachen des Konflikts ist wie nie zuvor in weite Fernegerueckt. Jedoch hat auch jetzt wieder nur der Druck der oeffentlichenMeinung den Ausbruch eines offenen Krieges vorerst verhindert. Trotz undge rade wegen seiner jahrhundertealten Zurueckgebliebenheit bietetschliesslich gerade Chiapas eine moegliche Grundlage fuer einennationalen Aufbruch hin zu einer wirklichen Modernisierung derpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen in unse rem Land.Es wird sowohl von der Regierung, von den Zapatisten als auch von deroeffentlichen Meinung abhaengen, ob diese Moeglichkeit eine diesertypisch mexikanischen Utopien bleibt oder nicht.Jorge Enrique Arai Velez ist Kommunikationswissenschaftler in Mexiko-Stadt.