In den internationalen Medien war es still um Peru geworden,
nachdem vor einigen Jahren zuerst der Anführer der maoistischen
Guerillaorganisation Leuchtender Pfad, Presidente Gonzalo
(Guzman) und dann auch die Führung der Revolutionären
Bewegung Tupac Amaru MRTA gefangen genommen wurde.
Perus Präsident Alberto Fujimori, der Peru seit sechs Jahren
diktatorisch mit Notverordnungen und dem Terror von Militär und
Polizei regierte, schien den Kampf gegen die bewaffnete
Opposition gewonnen zu haben. Der Weg für den Neoliberalismus
schien auch in Peru frei zu sein. Das Sparprogramm des
Internationalen Währungsfonds IWF, in Peru als "Fuji-Schock"
bekannt geworden, führte zur weiteren rapiden Verarmung der
Bevölkerung. Heute lebt die Hälfte der peruanischen Bevölkerung
unter der Armutsgrenze, über 80% sind unterbeschäftigt in
ungesicherten Beschäftigungverhältnissen. Nach der vom IWF
geforderten Aufhebung von Subventionen und Preiskontrollen für
Lebensmitteln explodierten die Preise um 500-3000%. Die
Reallöhne sanken im Jahr von Fujimoris Regierungsantritt 1990
um 65%. Ebenfalls im Sinne des IWF wurden große Teile der
Staatsunternehmen an die multinationalen Konzerne verkauft und
im Gesundheits-und Bildungssektor kam es zu massiven
Entlassungen. Auf der anderen Seite bekommt ein Prozent der
Bevölkerung allein 30% des Volkseinkommens Perus. Traumhafte
Profite fließen in die Taschen der wenigen einheimischen
Kapitalisten und der ausländischen Konzerne.
Als ein Schock für die Herrschenden nicht nur in Peru mußte da
die Besetzung der Japanischen Botschaft in Lima mit hunderten
von prominenten Geiseln durch ein Kommando der schon
totgeglaubten MRTA Guerilla wirken. Am 17. Dezember 1996
drangen die 20 Guerilleros als Partyservice getarnt in die
Botschaft ein und nahmen hunderte Geiseln, drunter viele
Ausländische Diplomaten, Wirtschaftsführer, peruanische
Regierungsmitglieder und sogar der Chef der peruanischen
Antiterrorpolizei. Das Guerillakommando forderte die Freilassung
von 453 gefangenen Genossen, die unter menschenunwürdigen
Bedingungen in Perus Gefängnissen sitzen. Darunter auch ein
Großteil der historischen MRTA-Führung. Schon vorher waren
300 MRTA-Gefangenen gegen die miserablen Haftbedingungen in
einen Hungerstreik getreten und hatten erfolglos an die
Weltöffentlichkeit appelliert. Politische Gefangene werden in Peru
in Massenprozessen von anonymen, maskierten Richtern in
Massenprozessen und ohne das Recht auf eigenen Verteidigung
abgeurteilt und in 12 spezielle Hochsicherheitsgefängnisse
eingeliefert. Das erste Jahr der Gefangenschaft besteht aus
vollständiger Isolationshaft. Zum Waschen und Trinken erhalten
die Gefangenen täglich nur zwei Liter Wasser. Teilweise sind die
Zellen ohne Tageslicht acht Meter unter dem Erdboden. Obwohl
80% der Gefangenen erkrankt sind, haben sie kein Recht auf
medizinische Versorgung. "In den Gefängnissen werden sie
verfaulen und nur tot wieder herauskommen", erläuterte Fujimori
seinen Umgang mit den politischen Gefangenen.
Die Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru MRTA wurde 1983
von drei verschiedenen revolutionären Strömungen gegründet. Die
procubanische MIR hatte sich mit einer Abspaltung der
Kommunistischen Partei und der Revolutionär Sozialistischen
Partei, die ihren Ursprung in fortschrittlich ausgerichteten
Militärkreisen hatte, vereinigt. Im Gegensatz zu Guerilla des
Sendero Luminoso, die eine extrem sektiererische Politik bis hin
zu Morden an anderen linken Kräften betrieb und eine rein
militärische Volkskriegsstrategie propagierte, sah sich die MRTA
lediglich als bewaffneter Arm der Volksbewegung. Populäre
bewaffnete Propaganda sollte die Bevölkerung zu eigener
Aktivität veranlassen. So verteilte die MRTA nach einem
Bankraub Geld an die Armen, oder forderte durch Entführungen
von Industriellen Lebensmittelverteilungen in den Slums und die
Ausstrahlung ihrer Botschaften in den Medien. Die
Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Studentenverbänden und
den Bewohnern der Elendsviertel stand neben dem bewaffneten
Kampf im Vordergrund.
Im Gegensatz zu dieser Linie steht allerdings die spektakuläre
Botschaftsbesetzung. Nicht mehr der Appell an die peruanische
Bevölkerung steht im Vordergrund, sondern Druck auf die
internationale Politik. Die einzige konkrete Forderung der
Guerilleros besteht in der Freilassung der MRTA-Gefangenen.
Zwar wird die neoliberale Politik Fujimoris in den Kommuniquis
angeklagt, einen Weg zur Überwindung dieser Politik kann die
MRTA allerdings nicht bieten. So hat es die MRTA versäumt, die
absolut gerechtfertigte Forderung nach der Freilassung der
Gefangenen mit sozialen Forderungen zu verbinden. Nach außen
erscheint die Botschaftsbesetzung wie ein Krieg der MRTA gegen
die Regierung und eben nicht mehr wie in der Vergangenheit als
der Volkswiderstand gegen die Diktatur. Die peruanischen
Arbeiter und Studenten, die Bewohner der Slums mögen die
Aktion der MRTA mit heimlicher Sympathie betrachten, es gibt
allerdings keinerlei nennenswerte öffentliche Solidaritätsaktionen.
Im Gegenteil gelang es der Regierung, mit einer Kombination aus
Repression und Lebensmittelspenden, Demonstrationen gegen die
MRTA zu initiieren. Die Bevölkerung sieht den Kampf der
MRTA nicht mehr als ihren Kampf. In der Botschaftsbesetzung,
die wohl ein letztes Aufbäumen der Guerilla darstellt, zeigt sich
die Schwäche der MRTA und die Isolation, in die sie in den
letzten Jahren geraten ist. Letzendlich ist das Konzept der MRTA,
mit populären Robin Hood Aktionen die Bevölkerung für sich zu
gewinnen, gescheitert. Wenn offensichtlich eine Guerilla für die
Menschen kämpft und sie befreit, warum sollte das Volk dann
noch selber kämpfen. In der Auseinandersetzung mit den
russischen Sozialrevolutionären, den Ahnherren jeder auf die
Bauern und die städtische Intelligenz gestützte Guerilla weltweit,
hat Leo Trotzki den marxistischen Standpunkt formuliert:
"Wenn es ausreicht, sich mit einer Pistole zu bewaffnen um sein
Ziel zu erreichen, warum sollte man sich da noch im
Klassenkampf engagieren? Wenn ein Fingerhut voll Schießpulver
und ein wenig Blei ausreicht, um den Feind durch den Hals zu
schießen, warum sollte da noch eine Organisation der
Arbeiterklasse notwendig sein? Wenn es sinnvoll erscheint,
hochgestellte Persönlichkeiten mit den Lärm von Explosionen
aufzuschrecken, warum soll da noch die Notwendigkeit einer
Partei bestehen? Warum noch Versammlungen, Massenagitation
und Wahlkämpfe, wenn man von der Parlamentstribüne aus so
einfach auf die Ministerbank zielen kann? In unseren Augen ist
der individuelle Terror unzulässig, gerade, weil er die Rolle der
Massen in deren eigenen Bewußtsein schmälert, sie mit ihrer
eigenen Machtlosigkeit versöhnt, und ihre Blicke und Hoffnungen
auf einem großen Rächer und Erlöser lenkt, der eines Tages
kommen und seine Mission erfüllen wird. Die anarchistischen
Propheten der "Propaganda der Tat" können soviel über den
belebenden und stimulierenden Einfluß terroristischer Aktionen
auf die Massen lamentieren, wie sie wollen. Theoretische
Überlegungen und die politische Erfahrung beweisen das
Gegenteil. Je "effektiver" die terroristischen Aktionen sind, je
größer ihre Auswirkung, um so mehr konzentriert sich die
Aufmerksamkeit der Massen auf sie - und um so mehr reduzieren
sie das Interesse der Massen an der Selbstorganisation und der
eigenen Ausbildung."
In den letzten Jahren haben sich verschiedene traditionelle
Guerillaorganisationen in Lateinamerika vom bewaffneten Kampf
abgewendet und in politische Parteien umgewandelt. Daß große
Teile dieser neuen "Links"-Parteien selber zu
sozialdemokratischen Trägern des Neoliberalismus wurden, wie
einzelne Flügel der salvadorianischen FMLN, ist auf das Scheitern
der traditionellen Guerilla zurückzuführen. Doch in anderen
lateinamerikanischen Ländern kam es auch zu einem erneuten
Aufschwung der Guerilla. Von letzten, isolierten
Verzweiflungsaktionen wie in Peru bis hin zur neuartigen
postsozialistischen EZLN reichen die Beispiele. Es mag sein, daß
die peruanische MRTA erreicht, daß Gefangene freigelassen oder
die Haftbedingungen verbessert werden. Dies wäre ein Erfolg für
die MRTA-Genossen, den wir mit Kundgebungen und
Protestbriefen auch in der BRD nach Kräften unterstützen sollten.
Doch einen Ausweg aus dem Neoliberalismus kann momentan
keine Guerilla in Lateinamerika bieten. Diesen Ausweg bietet nur
der bewaffnete Aufstand des organisierten Proletariats - der einzig
konsequent revolutionären Klasse in der kapitalistischen
Gesellschaft -, der die Massen des städtischen und des ländlichen
unterdrückten Kleinbürgertums nach sich zieht. Auch die
IV.Internationale hatte - unter dem Eindruck der kubanischen
Revolution - viel zu lange die Hoffnung, Guerillagruppen könnten
die revolutionäre Organisation der Arbeiterklasse ersetzen und
kleinbürgerlich nationalistische Bewegungen könnten erfolgreich
den Sozialismus erkämpfen. Die Erfahrung hat diese Hoffnung
widerlegt. Jetzt gilt es, neben aller notwendiger Solidarität mit
Organisationen wie der MRTA und den Zapatistas, den
Marxismus wieder unter den Arbeitern und Jugendlichen in
Lateinamerika zu verankern. Jeder weitere Umweg über den von
den Massen isolierten bewaffneten Kampf, linksnationalistische
Offizierscliquen oder programmatisch unbestimmte
Volksbewegungen wird nur weitere blutige Niederlagen nach sich
ziehen.
Nick Brauns