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Thu Apr 24 19:53:57 1997
 

junge Welt, Donnerstag, 24. April 1997, Nr. 95, Seite 3, ansichten

>> Niederlage für die MRTA?

> jW sprach mit Norma Velasco, der Europa-Sprecherin der 
> peruanischen MRTA

F: Es heißt, die MRTA-Guerilleros wurden von der Stürmung der
Residenz des japanischen Botschafters völlig überrascht. Kam
der Angriff der rund 150 Elitesoldaten tatsächlich unerwartet?

Nein. Die Erstürmung war weder für uns noch für das
MRTA-Kommando in der Residenz überraschend. Wir haben immer
gewußt und gesagt, daß Präsident Fujimori von Anfang an auf
eine militärische Lösung gesetzt hat. Das läßt sich über den
ganzen Zeitraum der Residenzbesetzung hinweg nachweisen. Schon
kurz nach der Besetzung wurde das Kriegsrecht über Lima und
den Hafen Callao ausgerufen. Willkürlich wurden Campesinos
unter der falschen Beschuldigung verhaftet, Mitglieder der
MRTA zu sein.

Dann im März die Entdeckung des Tunnels, den die Militärs vom
Nachbarhaus zur Residenz gegraben hatten. Das machte die
Absichten Fujimoris vor aller Welt deutlich. Nein, wir hatten
keine Illusionen. Auch wenn Fujimori zuweilen von einer
friedlichen Lösung gesprochen hat und hierzulande in den
Medien auch von einer bevorstehenden Lösung geschrieben wurde.
Aber eine winzige Hoffnung hatten wir doch, daß die
internationale Öffentlichkeit in vielen Ländern der Welt den
Druck auf die peruanische Regierung so verstärken wird, daß
sie zum Einlenken gezwungen ist. Ich meine gerade auch die
Länder, in denen es anders als in Peru möglich ist, diese
Forderungen auf die Straße zu tragen. In der Beziehung haben
wir uns getäuscht.

F: Welche Erklärung gibt es dafür, daß bei der Erstürmung des
Gebäudes alle 14 Guerilleros ums Leben kamen - darunter zwei
minderjährige Frauen -, während auf der anderen Seite zwei
Soldaten und eine der 72 Geiseln starben?

Es war nicht Ziel des MRTA-Kommandos, die in der Botschaft
Gefangenen zu ermorden. Es ging ihnen um die Erfüllung ihrer
Forderung bei maximalem Schutz des Lebens auch der Gefangenen.
Es gab einen Kampf zwischen Mitgliedern des Kommandos und den
Soldaten. Aber die meisten Mitglieder des MRTA-Kommandos
wurden erst nach der Erstürmung der Botschaft hingerichtet und
aller Wahrscheinlichkeit nach auch gefoltert. Ihre toten
Körper wurden auch bisher nicht in der Öffentlichkeit gezeigt.

F: Gibt es nach der Erstürmung einen Widerstand innerhalb der
peruanischen Bevölkerung?

In Lima ist wegen der totalen Militarisierung zur Zeit kein
Widerstand möglich. Aber es wird in den nächsten Tagen
Aktionen in ganz Peru geben. Die MRTA ist auf diese Situation 
vorbereitet.

F: Ist die Erstürmung eine Niederlage für die Tupac Amaru?

Es ist schon richtig, daß es eine schwere Niederlage für die
MRTA ist; weder die Bewegung noch das peruanische Volk haben
damit etwas gewonnen. Dennoch ist das nicht das Ende. Wir
haben eine Schlacht verloren, aber der Kampf geht weiter.

F: Wenige Stunden nach der Erstürmung der japanischen
Botschaftsresidenz ließ sich Perus Präsident Alberto Fujimori
in einem exklusiven Restaurant im Diplomatenviertel San Isidro
erneut als Sieger über den Terrorismus feiern. Es scheint,
Fujimori ist gestärkt aus dem Konflikt hervorgegangen.

Wenn es nach Fujimori gegangen wäre, hätte die Aktion
eigentlich nie stattfinden können, denn er hatte die MRTA
schon vor Jahren für tot erklärt. Das wird er auch jetzt
wieder tun, und er wird sich wieder täuschen. Fujimori mag
sich jetzt als Sieger feiern lassen. Keines der Probleme des
peruanischen Volkes wurde jedoch bislang von ihm durch diese
Aktion gelöst: Die Verelendung großer Teile der Bevölkerung,
der Hunger, die fehlende medizinische Versorgung existieren
weiter und nehmen sogar stets zu. Der Ausgang der Krise um die
Botschaft zeigt, daß Fujimori ausschließlich auf militärische
Gewalt gesetzt hat und nach wie vor setzt.

Das MRTA-Kommando hat immer betont, daß es eine friedliche
Lösung will, und viele Menschen in Peru sind dafür auf die
Straße gegangen. Grundlage einer friedlichen Lösung wäre die
Beendigung der unmenschlichen Haftbedingungen der politischen
Gefangenen in den Knästen Perus gewesen. Damit jedoch ist
klar: Es gibt keine Grundlage für einen Dialog mit dem
Fujimori-Regime.

F: Das erklärte Ziel der Residenzbesetzung war, die
Haftbedingungen für die politischen Gefangenen der MRTA in
Perus Gefängnissen zu verbessern. Was bedeutet die neue
Situation für diese Gefangenen?

Zur Zeit sind keinerlei Verbesserungen und Zugeständnisse von
seiten des Regimes denkbar. Wir müssen uns neue, bessere
Methoden für ihre Befreiung ausdenken. Wichtig ist aber
weiterhin, daß die internationale Öffentlichkeit weltweit die
politischen Gefangenen und ihre unmenschliche Behandlung jetzt
nicht aus den Augen verlieren darf.

Interview: Peter Nowak



K O M M E N T A R

> Blutbad in Lima bestätigt USA als Hegemonialmacht

>> Ein Demokrat schlägt zu

Die Demokratie hat über den Terror gesiegt: Auf diesen knappen
Nenner bringt Perus Präsident Fujimori die Erstürmung der
Residenz in Lima, und die Staatschefs in aller Welt bekunden
ihre Erleichterung über die Befreiung der Geiseln. Der Vatikan
äußert "tiefe Trauer" über die Opfer, eine angemessene
Pflichtübung der Betroffenheit im Chor der allgemeinen
Befriedigung. Die Vermittler zwischen peruanischer Regierung
und dem MRTA-Kommando haben ihre Rolle als nützliche Idioten
Fujimoris gut gespielt: die Hoffnung auf eine friedliche
Lösung aufrechtzuerhalten, während Fujimori das blutige Ende
vorbereitete.

Offiziell hat Fujimori die Stürmung der Residenz im Alleingang
vorbereitet. Allein, gewichtige Indizien deuten darauf hin,
daß hinter den Kulissen ein Kampf zwischen den USA und Japan
um die Hegemonie in Peru stattgefunden hat, aus dem die USA
als Punktsieger hervorgegangen sind. Fujimori ließ die
Residenz stürmen, ohne Tokio vorher zu informieren: ein
starkes Stück, handelte es sich doch faktisch um einen Angriff
auf japanischem Hoheitsgebiet. Bereits Mitte Februar hatte die
peruanische Zeitung La Republica einen Interventionsplan des
militärischen Geheimdienstes veröffentlicht, nach dem die
Erstürmung der Residenz unter Beteiligung von Spezialisten des
Kommandos Süd der USA mit Sitz in Panama stattfinden sollte -
unklar ist, welche Rolle US-amerikanische Repressionskräfte am
Dienstag gespielt haben. Die schöne Technologie, mit der die
Residenz überwacht wurde - Wanzen in Wasserleitungen etc. -
deutet ebenfalls auf Unterstützung aus entsprechenden US-
Kreisen hin. Und für die USA war der Sturmangriff "keine
völlige Überraschung" (US-Verteidigungsminister Cohen).

Die US-freundlichen Kräfte in und um die peruanische Regierung
scheinen sich somit durchgesetzt zu haben. Die ökonomische
"Modernisierung", die immer größere Teile der Bevölkerung ins
Elend wirft, kann verstärkt mit autoritären politischen
Maßnahmen flankiert werden. Und die westliche Presse muß sich
nicht mehr mit Berichten über die grauenerregenden Zustände in
den peruanischen Gefängnissen plagen. Fujimori hat seinen Ruf
als terroristischer Kämpfer gegen den Terrorismus erneut 
bestätigt und kann in aller Gemütsruhe, wenn auch gegen den
ausdrücklichen Wortlaut der Verfassung, seine dritte Amtszeit
vorbereiten. Die Demokratie hat gesiegt.

Bernd Beier