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Die Ordnung des Chaos

Leben und Arbeit von DFM/ARTburo Haevfties

Das Telefon klingelt: »Wieder jemand, der glaubt, daß das nicht live ist... und das stimmt.«
»Eine Grundregel der Welt ist, daß die Menge des Chaos nie abnimmt. Selbst, wenn ihr eure schmutzigen Kleider wascht, verlagert ihr den Schmutz nur in die Umgebung, wo er auch herkam. Die Ordnung ist örtlich. Das deformatorische Prinzip beruht auf dieser Ordnung des Chaos.«
DFM ist keine Abkürzung, sondern ein Schnitt des Wortes DeForMation. Es ist der Name einer Anzahl von Radioprogrammen und Performances, die seit 1982 in Amsterdam stattfinden. Sie wurden von einer wechselnden Gruppe, die unter verschiedenen Namen vornehmlich in Amsterdam auftraten, hergestellt. Es begann mit dem DFM-Nachtprogramm auf Radio GOT und wurde zu DFM-radio-television International Network Europe anläßlich des Youth Medial Festivals (1985), das in Amsterdam stattfand und zugleich den Beginn von Radio 100 bedeutete. DFM wuchs ziemlich schnell zu einer Gruppe heran, die die samstäglichen Nacht- und sonntäglichen Mittagssendungen ausstrahlten. Unter anderem waren Performances unter dem Namen ARTburo Haefties in der Conradstraat, ein ehemals besetztes Armeegelände in Amsterdam, zu sehen. Sie waren auf der Documenta in Kassel mit einem Tonwagen vertreten. Nach der Räumung des ConradFreistaates waren sie auf dem Post-Conradfestival im Paradiso mit dem Probelauf eines entstehenden Raumschiffes zu besichtigen. Nachdem DFM bei Radio 100 Anfang 1989 seine Arbeit beendete, gaben sie in den Höhlen der Metrostation Weesperplein, im Rahmen des Circuit du Theatre, die Theatervorstellung »Underground«. Im selben Sommer waren sie auch mit ihrem virtuellen Raumschiff auf der International Conference on Alternative Technology im Paradiso. Das ARTburo hatte 1990 einige Monate Arbeitsräume am Achter Oosteinde zur Verfügung, aber dieses Haus wurde geräumt, bevor man so richtig beginnen konnte. Danach tauchten sie wieder auf den Äther auf, wo sie unter anderem montags Nacht auf Radio Patapoe das Programm John Turbo goes Code Cyb, FMD machten. Während des Sommerfestes im Juli 1990 lief eine Performance unter dem Namen Tekno Tribe auf dem Wasser im Westhafen, wo zum ersten Mal nicht ihr enormes Tonarchiv eingesetzt wurde. Auf der zweitägigen Wetware Konferenz [Wetware = der Mensch, der an der Soft- und Hardware hängt] des Sommerfestes 1991 im Amsterdamer Melkweg, konnten die Besucher des ARTburo Backspace selber im Kontrollraum platznehmen. Die aneinandergeschaltete Elektronik hatte zum Ziel, diverse Realitäten der Virtualität zu retten . Toek ist Gründer und große Konstante in der Arbeit des DFM/ARTburos. Nur in der Periode '87-'88 bestand DFM aus einer festen Gruppe. Danach wurde eine technische Werkstatt, die mehr oder weniger funktionierte, als Zentrum eines Netzwerkes von Aktivitäten und Kontakten, ins Leben gerufen. Hier kam man regelmäßig zu einer Performance zusammen. Diese Arbeitsstation hat bis heute keinen permanenten Status. Die DFM'ler gingen ihren eigenen Weg und beschäftigen sich im Moment vor allem mit Computern und Cyberspace. So wurde im September 1990 das Netzwerk BBS errichtet, im dem sich die Computerbenutzer aus dem In- und Ausland über die Aktivitäten informieren und mit dem ARTburo, oder untereinander direkt kommunizieren können. Als Grundlage dieser ersten Übersicht der Ideen und Arbeiten von DFM/ARTburo dienten etwa fünf Programme aus der BILWET Personengalerie , die im Laufe der Jahre auf Radio 100 und Radio Rataplan in Nijmegen zu hören waren.

Wie hat das DFM-Radio-Fernsehen begonnen?

Toek: Ein Studi fragte mich in einer Kneipe, ob ich ein paar Platten auflegen will. Radio GOT hatte gerade begonnen. Dort startete ich mit einem Punkprogramm. Nachher ahmte ich aus Langeweile andere Programme nach. Ich saß manchmal drei bis vier Stunden allein im Studio und fühlte mich sehr einsam. Ich versuchte, Gäste ins Programm einzubeziehen, aber die erschienen nicht. Ein Informationsaustausch funktionierte überhaupt nicht. Nach einer gewissen Zeit hab ich dann Menschen eingeladen, die ganz und gar nicht informativ waren, die nur quatschten, schrieen und besoffen herumlallten. Jemand, so wie er ist, so offen im Radio bloßzustellen, fand ich auch informativ. Jemand, der so betrunken und bekifft ist und nicht begreift, daß er auf Sendung ist. Sehr amüsant. Und sobald er langweilig wird, kommt Musik. Nach einer Weile, wollte jeder Gast sein, ein paar sind übriggeblieben: Edward der Schöne (Max Mengmeester), Paulien Strak, Rogier und Joost (Rooster & de Vries), Reinout und Chris.

Was für Programme habt ihr gemacht?

Toek: Das elementarste Programm, daß wir als Format aus dem Chaos gefiltert haben, ist der Einleitungs- und Schlußteil. Mit einer Einführung von 10 und einem Schlußteil von 20 Minuten, brauchst du nur noch eine halbe Stunde aufzufüllen, um ein Programm von einer Stunden zu haben. Dafür gibt es ein Notprogramm, wenn du wirklich nichts hast. Das Jingle, die Erkennungsmelodie, ist sehr wichtig. Es bestimmt die Sphäre und sorgt für die Erkennbarkeit. Ein anderer Typ des Abendprogrammes beginnt mit einer Stunde unterschiedlichster Musik, einem Diskussionsteil, dem Stimmungsprogramm und Schluß-Mix. Das kann bis zu fünf Stunden dauern. Die Musik am Anfang machst du, um die Leute zu ködern. Es ist sehr schwierig, Hörer zu bekommen. Du spielst eine speedmetal oder hardcore-Platte und verlierst 99% aller Hörer, die noch vom vorhergehenden Programm übrig waren. Die Einläutung von zehn Minuten ist gerade lang genug, bombastisch und frivol ... das halten sie noch aus. Aber dann ist es sehr wichtig, was du danach spielst. Spielst du eine Stunde niederländisch und sagst dann auch noch, daß die Leute anrufen können, um Grüße auszurichten, läuft das Telefon heiß. Aber nach einer Stunde speedmetal ruft niemand an, so geht das. Also binden wir die Leute mit wechselnder Musik und kündigen den weiteren Verlauf der Sendung an. »Die Super RIP show, schönes Programm, mit Gästen, Glitter und Glamour.« Radio Aktiv: »anrufen = aussenden«. Oder »Blue for you... Stimmungsprogramm mit herrlich entspannter Musik, Gedichten und der schrägen Platte.« Jeder Beliebige konnte die Programme präsentieren, weil die Formate mit einem klaren Jjnglepaket, Plattensack und ein paar Spitzen vorhanden waren.
Chris: Ich habe bei DFM mit dem Quiz angefangen, wo ein Chris van Willigenburg versuchte, die unsinnigsten Hilversumer Quizsendungen in puncto Schwachsinn und Anspruch zu übertreffen. Eine Reihe unterschiedlichster Personen und Figuranten traten hinzu: Jan jan de Leensveld, Babbette, Berend Barendz alias Barend Berentz, Rudolf Dodeober jr., Prins B. van Spoor Bijsterveldt, Edwoud van Thorbecke, das DFM- Rundfunkorchester und das Aufbauteam. Das Quiz fiel nicht gerade auf fruchtbaren Boden. Er ließ es sein. Danach wurde es ein gefragtes Programm. Zusammen mit Ben Anders wurde dann die LCD-show gemacht, »Die Rache von Rudolf Dodeober«, ein super räumliches Stereo-Programm. Es wurde auf zwei Kanälen produziert, Ben Anders und sein Freundeskreis nahmen den rechten Kanal und Chris van Willigenburg den linken. Auf beiden Kanälen wurden unabhängig voneinander Programme präsentiert, während die Programmmacher doch ab und zu einen Dialog angingen, oder einander anriefen. Man konnte es auf mehrere Arten hören: mono, links und rechts, stereo oder überhaupt nicht. Aber van Willigenburg tat etwas, was sich nicht gehörte. Er ging zum anderen Kanal lauschen, während sein eigener still blieb. Also mußte er aufhören. Seine Karriere ist natürlich ohne come-back nicht vollständig. So kam die Super Reality Interested Person Show (Super RIP show) zustande. Das war eine »Talkshow mit Allüren«, sparsam mit Musik gespickt, ein echtes Konzept aus Hilversum. Danach sind noch Versuche unternommen worden, mit dem längsten und schlechtesten Programm, alle Radio 100 HörerInnen zu vergraulen, aber das klappte nicht. Also haben wir das auch gelassen. In dem darauffolgenden Totalprogramm machte Chris van Willigenburg nur noch die breakfastshow . Ihm wurden ein oder zwei Stunden seiner Kollegen zugestanden. Es war ein Mix, ein Reiseprogramm und exotische Klänge. Nun kann ich ja verraten, daß Chris darin den Teilbereich klassische Klänge betreute. Gleichzeitig machte er die Erzählungen aus einer ungastlichen Jugend . Er schlug dann die seriöse Tour ein und redete über Sachen, die ihm selbst Schwierigkeiten bereiteten. So erzählte er das Folgende: Ich träumte, daß ich mit einer alten Kiste an einer Bushaltestelle stand. In der Kiste waren alte Bücher und Plastikschund. Ich mußte darauf aufpassen. Plötzlich kam über einen Hügel eine Horde von Menschen auf mich zu. Fremde Wesen, ohne eigene Identität. Aber sie kamen sehr drohend auf mich zu. Sie wollten sich meiner Kiste bemächtigen, die mir anvertraut war. Ich bekam allerlei grobes Kriegsmaterial zur Verfügung gestellt. Ich sah und fühlte im Detail die erbarmungslosen Auswirkungen dieser Waffen auf die anstürmende Horde. Es waren eine Art Riesenzwerge. Je mehr ich mit den Morgensternen und Beilen erledigte, desto mehr stürmten sie auf mich und die höhere technische Vernunft versagte. Glücklicherweise kam schließlich ein Bus, in dem ich mit der Kiste einstieg .
Als roter Faden durch all diese Programme zog sich wiederum das Alter ego von Chris van Willegenburg, Cassette Dick. Er stellte sich für sehr kurze Gastauftritte in Programmen zur Verfügung. Er kam dann selbst, mit einer ihn von den Hörfreunden anvertrauten Schachtel Musikcassetten, ins Studio. Alle Cassetten wurden innerhalb der verfügbaren Zeit gespielt, selten mehr als einige Minuten. Ich zitiere und preise Chris van Willigenburg hier nicht als Medienperson. Trotz seinem regelmäßigen Scheitern, finde ich seine dahinterliegenden Ideen spannend, und ich bin einer der wenigen, der sie aus seinen Programmen entnehmen kann. So findet er, daß die souveräne Würde des Konsumenten respektiert werden muß, soll eine Wechselwirkung entstehen. Diese Würde bietet dem Seh-, Lese-, Geruch- und Hörfreund die Freiheit, über die eigenen Einsichten nachzudenken. Das ist der erste Schritt zur Lösung des Problems, um dasjenige, was du denkst, sagst und tuts, mehr oder weniger auf die Reihe zu kriegen.
Toek: Ich war immer schon an Formen interessiert, zum Beispiel wie ein Quiz im Fernsehen präsentiert wird. Der Showmaster muß mit all seiner Flexibilität und Erfindungsgabe das Chaos, das ständig auf der Lauer ist, bannen. Er füllt die Löcher, die in die getimte Programmierung fallen. Es ist ein total kontrolliertes, emotionales Ereignis, sehr contra-diktiv. Innerhalb weniger Sekunden muß man das applaudierende Publikum zur Ruhe bringen und das stille Publikum zum Applaus. Alle Fernsehzuschauer warten nur darauf, daß irgendwas schief geht. Das sind die herrlichsten Momente, weil sie am wenigsten vorkommen. Ein Autounglück während des Rennens, ein Moderator, der von der Treppe fällt, oder ein Quizkandidat, der in eine Torte läuft. Dies alles ist bei DFM permanent so. Das ist immer noch Formation. Danach kehren wir zur Deformation zurück. Alle Codes und Konventionen müssen wie Radio klingen, um die Leute aus der Fassung zu bringen. Kein gemachter Fehler ist reiner Zufall. Sich für nichts schämen. Das Chaos zulassen. Wir haben Erfahrung gesammelt, im Chaos zu arbeiten. Wir ziehen alle Kanäle auf, laden Gäste ein, nennen Telefonnummern und kontrollieren den Tuner, um andere Piraten in die Sendung einzubeziehen. Wir kochen unseren Chaostopf auf multimedialer Weise. Die Techniker sind im Studio sehr entspannt. Sie drehen hier und da an einem Knopf, nehmen den Hörer auf, drehen eine Cassette um, und sprechen etwas ins Mikro. Leute am Telefon versuchen sich fast immer krampfartig in die Sendung einzubringen. Sie wollen mitkommunizieren, aber dazwischen liegt eine ganze Menge Desinformation. Sie sind out of order. Denn mit wem reden sie eigentlich? Es ist ein enormer Mischmasch. Nur ein paar Menschen können noch dem Endsignal folgen, destillieren die Schlüsselwörter, die sie interessieren und verschließen sich den nicht relevanten Sachen. Wir produzieren schmalspurige cut-ups, in denen man nur noch Schlüsselwörter hört und der Rest auf Hintergrundgeräusche reduziert ist. Gegenwärtig nennt man das Datenreduktion. Während der Produktion solcher Sendungen, ist der Pausenknopf mein größter Freund.

Die meisten Menschen haben Angst vor dem Chaos und kennen es deshalb nicht. Was ist Chaos?

Toek: Chaos ist das Material, aus dem die Wissenschaft entsteht, und aus dem die Musiker ihre Symphonien schaffen. Es ist das Material, aus dem diese Welt aufgebaut ist. Ordnung herrscht nur in einem sehr kleinen Teil. Wir stellen Installationen, absolut willkürliche Apparate, Fernsehgeräte, Sender, Empfänger, Verformer etc. auf, dann können sich die Kanäle öffnen, so daß die Information einströmen kann. Wir gehen noch weiter mit all der verformten Information, die zu uns kommt. Wir entwickeln das, mischen es zu so einer grotesken Form, das man die Message der Medien nicht mehr wahrnehmen kann. Nun kommt die Atmosphäre zum Vorschein. Eine Grundstimmung, die man lesen kann. Genauso wie beim Scannen mit der Fernbedienung. Wenn man sich einmal an's Umschalten gewöhnt hat, kommt man in Stimmung. Als Gesamteindruck bleibt dann : He, heute ist viel Krieg im Fernsehen , oder Überall ist Sport . Das Geräusch, das wir dann daraufsetzen, durchbricht es. Aber man kann Chaos nicht wiederholen. Den Terror und die schwarze Stimmung holen wir übrigens heraus. Die schüren nur die Angst bei den Menschen. Es ist nicht schwierig, Leute zu schockieren. Man sieht zum Beispiel unglücklicherweise Horrorbilder. Aber aus diesem Material werden auch deine Träume gemacht. Die Information deformiert dich dann. Ich bekämpfe negative Information, dagegen haben wir tausend Zensurknöpfe. Also auch wir manipulieren die Medien. Die meiste Information sitzt bei uns in der Sublimationssphäre.

Was ist das deformatorische Prinzip?

Chris: Information und Deformation sind gleichwertig. Information ist eine so scharf und klar wie mögliche Vorstellung von Sachen. Deformation ist ein breiteres Bewußtsein. Aber wenn sich das Bewußtsein ausdehnt, wird es vage und ist nicht mehr ins Hier und Jetzt zu fügen, es wird allgemeiner. Eine deformatorische Technik ist das Remixprinzip. Es werden Sachen, die früher gemacht wurden, als Grund- und Teilstoffe der Deformation gebraucht. Diese Grundstoffe stehen in allen Medien zur Verfügung. Eine alte Sendung kann das Basisband für ein neues Programm werden. Daneben kommen wir zielbewußt mit falschem, oder archaischem Sprachgebrauch. Die auf-, be-, re-, wiederund ver- Präfixe schütteln wir durcheinander, wie z.B. Desearch & Revelopment. Oder wir nehmen das Geräusch einer Kamera auf. Wir lassen die Hörer ein Videoband hören. Das sind paradoxale Produktionen, spaßig und seriös, nicht von Bedeutung und deswegen gut. Sie sind vergänglich, da in den geeichten Medienkanälen all diese deformatorischen Prinzipien ihre Anwendung finden. Zum Beispiel: Sie sehen das niederländische Abendjournal. Sie sehen Bilder der Wüste, aufgenommen aus einem Hubschrauber. Sie sehen Stacheldrahtumzäunungen, Wachtürme, bewaffnete militärische Aufseher und Eingesperrte in Pyjamakostümen. Die dazugehörige Stimme erzählt Ihnen, daß es sich hier um ein Gefängnis handelt. Ich selber sehe ein Konzentrationslager, von dem bekannt ist, daß dort die in Pyjamakostümen gekleideten Menschen, ohne Prozeß festgehalten werden.
Toek: Die Verformung ist überall. Man kommt nicht drumherum, man muß hindurch. Es ist schier unmöglich, reine Information zu bringen. Jede Manipulation verändert die Information, die man rüberbringen will. Das Kinderspiel, bei dem ein Wort, oder Sinn die Runde macht und wo man herzlich über das Endprodukt lacht, kennt jeder. Die Information wird längs ihrer Strecke, die sie zurücklegt, verformt, daß das, was schließlich präsentiert wird, von uns Deformation genannt wird. So entsteht die Information ohne Sinn und Absicht. Wir erkennen dieses universelle Prinzip an und bekämpfen es nicht, sondern benutzen es.

Ihr filtert das Rauschen nicht heraus, sondern verstärkt es noch, um darin herumzuirren. Wie sieht das Rauschen von innen aus?

Reinout: Meistens geht man davon aus, daß es ein erwünschtes Signal gibt, und mißt dann die Menge der Geräusche, die dazugekommen sind, auf dem Wege durch was weiß ich für welche Medien. Trotz der Tatsache, daß die Geräusche zufällig sind... und beträchtlich rauschen, gibt es doch das eine oder andere zu beziffern. Es ist ziemlich normal, zu schauen, mit welcher Frequenz die Dinge rauschen.
Weißes Rauschen ist definiert, als die Anwesenheit aller Frequenzen im gleichen Maßstab. Es gibt auch rotes Rauschen, dann werden ebensoviel Enerigegeräusche in allen Frequenzbändern gemacht. Die Tatsache, daß man mit dem Rauschen rechnen kann, bedeutet, daß man es filtern kann. So machst du mit einem Syntheziser eine schöne Welle, das Rauschen des Meeres, indem du dich einfach durch das Frequenzband hin- und herbewegst. Rauschen tritt immer auf, alles rauscht. Vor allem bei der Kommunikation im weitesten Sinne des Wortes. Wir Menschen sind, als Teil unserer biologischen Maschine, dem Rauschen gegenüber blind und taub. Wir sind darauf erpicht, die Information aus dem Angebot zu holen, das uns zur Verfügung steht. Es geht dann nicht um das zusätzliche Geräusch, wenn wir miteinander sprechen, sondern um die Interpretation, das Umsetzen in Worten und Zurücksetzen in Gedanken. Das ist abhängig von Zufallsfaktoren, wie jemand sich fühlt, wie offen er für eine Sache ist. Das bestimmt in starkem Maße, wie tiefgehend Kommunikation sein kann.
Auch beim Speichern von Informationen, die durch die Zeit hindurchgetragen werden, wird Information hinzugefügt. Die Information unterliegt der Deformation, sie bröckelt ab und schlimmer noch: Es kommt neue Information hinzu, die als Interpretation beigefügt wird und von der alten nicht mehr unterschieden werden kann. Auch in der Technik kämpft man damit: es ist schwierig, Information und Rauschen zu unterscheiden. Einmal zusammengekommen, werden sie eins. Mathematisch gesehen, kann man Information und Rauschen nicht voneinander trennen, sie sind zu sehr miteinander verwandt. Der Prozeß der Interpretation scheidet sie wieder - bis jetzt durch Menschen. Selbst dein Cassettenrecorder hat schon dolby und dynamic noise limiting, es bleibt ein durch Menschen eingeführtes Konzept: das Rauschen eben nicht. Stell dir vor, du nimmst eine heranrollende Welle am Strand auf. Was tun die Filter damit? Dem Klang nach, ist es erhebliches Rauschen. Was für eine Information ist das, und welche Prozesse der Trennung willst du anwenden? Du kannst dem selbst eine ganze Portion Rauschen hinzufügen, ohne, daß die heranrollende Welle verschwindet. Die Welle ist offenkundig sehr rauschbeständig.
Selbst, wenn du mutwillig Deformation anwendest, denke ich, daß sich die Menge der Information, die die Menschen aufspießen, nicht verändert. Es bleibt die gleiche Menge an Bedeutung anwesend. Ich glaube an die Existenz von Gleichgewichten. Wenn du das Rauschen von einer Stelle zu verdrängen weißt und alle Andacht darauf konzentrierst, wird das Rauschen an anderen Stellen um so stärker. Daraus läßt sich zum Vergnügen die Lehre ziehen, vor allem, weil es einen so breiten Horizont hat, daß man es nicht tief genug durchdringen kann, während das analytische Denkvermögen Grenzen setzt, die nicht überschritten werden können.

Was ist die virtuelle Wirklichkeit ?

Reinout: Das beginnt natürlich mit den Computerspielen, die so allmählich bekannt sind. Umgebungen, in denen man Punkte holen kann. Ein bewegender Bildschirm mit möglichst vielen huschenden Sachen und Geräuschen, um dich aufzusaugen und in eine Sphäre zu ziehen. Im Augenblick sind Entwicklungen im Gange, die den Anschluß des Menschen an den Computer unmittelbarer machen. So gibt es den data-glove, ein Handschuh, voll mit Sensoren, die die Position der Hand und der Finger erfassen und sie dann an den Computer weitergeben. Bei den ersten Experimenten bewegte eine künstliche Hand auf dem Bildschirm Gegenstände, wie Stäbchen oder Tassen, genauso wie die Hand das außerhalb des Computers tat. Eine andere Entwicklung ist das Stereofernsehen, das du als Helm aufsetzt. In ihm befinden sich zwei kleine Miniaturfarbfernseher, die jedem Auge verschiedene Bilder zuführen können. Wenn die Bilder nur vage unterschiedlich sind, entsteht Tiefe. Mit dem data-glove kann man also die Hand sehr realistisch sehen. Du kannst einem cyberspace beitreten, indem du selbst Handlungen ausführst. Bis jetzt werden die Bilder, durch die du dich bewegst, noch von anderen erdacht und die Bewegungen sind begrenzt. So wurde cyberspace an kommerzielle Entwicklungspakete angeschlossen, die wir aus der Architektur kennen, und die dem Kunden die Möglichkeit bieten, seinen zukünftigen Raum in 3-D zu durchschreiten und dort nach eigenem Belieben Stühle, Tische und Wände zu verschieben. Dieser Raum scheint sich wahnsinnig auszubreiten. Man kann auch existierende Räume, hier auf der Erde, oder selbst außerirdische, beibringen. Du hast einen Helm auf dem Kopf und auf dem Dach eines Gebäudes steht eine Kamera, die sich genauso mitbewegt. Ohne sich physisch fortzubewegen, kann man geistig an einer anderen Stelle sein, und dort Wahrnehmungen machen. Stell dir vor, du hast eine Miniaturkamera, die sich über den Fußboden deines Zimmers bewegt. Das sitzt dann riesenhaft vergrößert auf deine Augen. Eventuell hat sie noch eine Miniaturhand, die Salz- oder Staubkörner bewegen kann. Du versetzt dich so in eine ganz andere Dimension, du wirst ein Stück kleiner und kannst so aufs neue dein Zimmer erkunden. Du betrachtest ehrfürchtig die Grobheit der Strukturen.
Es gibt auch andere Räume, die erkundet werden können, mathematische zum Beispiel. Fractals, lebendige Bilder, wie z.B. beim Eiskristall, wo sich die Struktur vom Rand bis zum Innersten unendlich wiederholt. Künstliche Landschaften, die als unmöglich betrachtet werden, aber doch sehr natürlich rüberkommen. Dieses Phänomen aus der Chaosforschung kann mathematisch beschrieben und seit kurzem auf dem Computer hergestellt werden. Ein anderes Bild entsteht, wenn man der Fractalformel den Zufallsfaktor Rauschen zufügt. So wird ein Raum generiert, den man gigantisch erkunden und in dem man wahnsinnige Eindrücke sammeln kann. Nicht mehr, wie bei den Computerspielen auf das Punktesammeln oder Töten von Gegnern, die die ganze Zeit von oben auf dich niederkommen, versessen, sondern auf das Sammeln von Erfahrungen. Zukünftig wird so ein Handschuh auch mit einem Motor versehen werden. Der dataglove nimmt dann nicht nur die Position deiner Hand ein, sondern gibt auch Gegenkraft, wenn du etwas anfaßt. Auf diese Weise kann es auch fühlbar werden.
Toek: Die virtuelle Realität, die wir inoffizielle Wirklichkeit nennen, befindet sich nicht allein im Computer. Ein gutes Hörspiel kann Menschen schon in eine andere Realität bringen. Das kann man auch mit Dekors und Installationen erreichen. Wir richten einen Raum ganz anders ein. Das ist sehr abhängig vom Einfühlungsvermögen und der Fantasie des Wahrnehmenden. Bei unseren früheren Installationen, wie in den Kellern vom Paradiso, einem Veranstaltungsort in Amsterdam, haben wir ein virtuelles Raumschiff geschaffen. Fast niemand hat es so erfahren, außer den Operatoren, die mit dem DFM-Geräuscheschiff unterwegs waren. Der offizielle cyberspace wird sich in enormen Großrechnern befinden, die miteinander verbunden sind. Das wird exorbitante Beträge kosten, obwohl es ihn schon immer und überall gab. Der Mensch hat durch die Jahrhunderte hinweg allerlei Instrumente entwickelt, um andere Realitäten zu beschauen, zum Beispiel mit dem Teleskop, Mikroskop, Infrarot, Fernrohr, Röntgengerät, Sonnenbrillen etc. Theater ist wahrscheinlich einer der ältesten Formen der künstlichen Wirklichkeit. Wir selbst können nun die Apparatur bauen, um Künstlichkeit interaktiv zu machen. Keine Brille, kein Handschuh, kein Datasuit, aber berührbare virtuelle Umgebungen, die lebensgroß sind und auf deine Anwesenheit mit Handlungen reagieren. Virtual reality ist ein Bewußtseinszustand. Es ist schon lange eine Diskussion im Gange, was Realität ist und inwieweit sie für jeden dasselbe ist. Du kannst deine Realität so technologisch repräsentieren, wie du willst. Unsere Wirklichkeit nennen wir inoffiziell , weil die Gesellschaft sagt, das geht nicht, was wir wollen. Wir verfälschen bis jetzt die virtuelle Realität, aber was ist der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fälschung, wenn man ihn nicht mehr sieht? Die geschaffenen Realitäten erscheinen so wirklich, was sie auch sind. Wir sitzen auf der Grenze und können in beide Richtungen Ausflüge machen. Eine ganze Gruppe Inoffizieller ist damit beschäftigt, und das Arbeiten am International Network Europe beabsichtigt, die Menschen zu vernetzen. Uns interessieren die technischen Beschränkungen und Grenzen der Kommunikation, die wir im Bereich der Musik, Bilder und Töne untersuchen. Alle Technik ist begrenzt, es macht die Kanäle enger. Sprache ist auch so eine Technologie. Wir fragen uns immer wieder, warum wir nicht rüberkommen.

Wie ist das Verhältnis zwischen den Geräuschen und Computern?

Reinout: Es ist ziemlich schwierig, dem Computer Rauschtöne zu entlocken. Es wird viel mit Computerprogrammen gearbeitet, um Zufallszahlen zu generieren. Wenn du damit Bearbeitungen ausführst, weißt du, daß auf mehrere Milliarden Versuche doch einmal das gleiche Muster dabei herauskommen muß. Du kannst es solange treiben, bis es dich nicht mehr stört. Das Gegenteil vom Zufall ist ja gerade die Wiederholung. Mit dem Computer produzierst du also immer öfter Wiederholungen und eleminierst so den Zufall. Ich neige dazu, Geräusche aus einer natürlichen Quelle zu holen. Transistoren rauschen zum Beispiel immer, und dieses Signal kannst du dem Computer zuführen, in Bildern umsetzen und dir dann mit der Maus, die am Computer hängt, einen Weg bahnen. Auch dann hast du einen cyberspace, der entdeckt werden kann.
Zur Zeit kombiniere ich Zahlen mit Rauschen und mache davon Bilder. In einem Fractal kehrt immer dasselbe Muster zurück. Das läßt an eine Schneeflocke denken. Wenn man sie mit einem Vergrößerungsglas betrachtet, findet man eine Struktur. Schaut man tiefer mit einem Mikroskop, so sieht man genau dieselbe. Neue Computer geben für diese Art Untersuchungen viele Möglichkeiten, weil man ein bewegendes Bild generieren kann. Die Zeit wird ineinander gedrückt. Es entsteht ein Spielfilm, auch wenn man nichts tut. Das Rauschen hat die gleiche Eigenschaft wie der Fractal: wenn du ihn vergrößerst, oder verkleinerst, bleibt nur das Rauschen und man sieht plötzlich die Struktur der Quelle. So wie beim Computer, wo du irgendwann auf die Wiederholung stößt. Das Erlebnis ist wichtiger, als das letztendliche Produkt, denn es ist nicht wiederholbar; es ist flüchtig. Du machst es, es rauscht hindurch und du kannst es von neuem aufrufen, es sei denn, du hast es gespeichert. Aber daran habe ich wenig Interesse.

Ruft die neue hightech auch andere Erfahrungen hervor?

Reinout: Für das Sammeln von Sphären und Erfahrungen hast du den Computer nicht nötig. Plattenspieler, Kopierapparate, Rundfunkvideorecorder, Bandrecorder und dergleichen, werden nun zu Schleuderpreisen verkauft. Ich selber habe schon Computer auf der Straße gefunden. Bei ARTburo nehmen wir sie wieder in Gebrauch, um Sphären zu kreieren, eventuell einer neuen Verwendung zuführen. Was von anderen als Mangel betrachtet wird, setzen wir als neuen deformatorischen Effekt ein. Wir fügen dem Wert zu, ändern die Apparatur, dadurch können sie auf einmal einen Scherz mehr. Irgendwann bündelt sich das Ganze zu einer Performance. Wir arbeiten an einer Integration zwischen sehr alten und neuen Apparaturen, wir sind keine Hightech-Fetischisten.
Wir laden Menschen ein, einer Performance beizuwohnen und einzusteigen. Stimmungen sind sehr wichtig, es ist eine Art Informationsübertragung, die sehr beständig ist. Sie durchdringt einfacher, viel besser, als gesprochene Worte. Wir können sehr weit gehen und haben auch die Intensität vor Augen. Wir wollen Menschen eine weite Reise machen lassen, ob das nun sehr tief geht, oder hart wird, ist von Mal zu Mal verschieden. Wir reiben uns an moralischen Aspekten. Uns stehen Techniken zur Verfügung, die eventuell gefährlich sind. Man kann tiefe Töne hören, die imstande sind, Teile des Körpers zu zerstören, oder starke magnetische Felder ausstrahlen, wovon wir selbst keine Idee haben, was sie anrichten - das versuchen wir aber explizit zu vermeiden. Das Reisen im Raum, so wie wir das tun, kann eine sehr individuelle Angelegenheit sein, weil wir versuchen, dich mit ganzer sensorischer Gewalt zu vereinnahmen. Wir sind nicht sehr stark in die vorhandenen kulturellen Strömungen involviert. Wir empfangen Impulse, machen aber gerne unsere eigenen Sachen. Wir möchten eine positive Ausstrahlung haben, obwohl es sehr schwierig ist, denn wir sind sehr anspruchsvoll und der Hörer muß sehr geduldig und aufmerksam sein. Du kannst eine spannende Reise machen, ohne davon depressiv zu werden. Intensität ist nicht identisch mit Negativität.

Wie war das mit Euren Auftritten?

Toek: Ich wohnte in der östlichen Bergwerksgegend und spielte in der Punkband The Spoilers . In dieser Zeit kaufte ich mir einen Verstärker, Cassettenrecorder und Plattenspieler und setzte es auf den linken Radiokanal, klassische Musik zum Beispiel, steckte auf den rechten Kanal meine Gitarre ein und begann zu spielen. Ab und zu drückte ich auf den Pausenknopf, und begann mit Geräuschen zu experimentieren, basierend auf Punk, eben alles schön kaputt machen. Als New Wave aufkam, habe ich versucht, eine neue Waveband aufzubauen, aber die Musiker, mit denen ich spielte, hatten die größte Mühe, sich vom Rock loszusagen und spacy, oder minimal sounds zu machen. Nach ein paar Reisen bin ich nach Amsterdam gegangen und da hat es dann wirklich angefangen. Jemand aus meinem Haus saß auf der Kunstakademie. Die machten da ein Fest mit dem Thema Krise ab den zwanziger Jahren. An Punk hatte noch niemand gedacht, obwohl das doch auch eine Krisenerscheinung ist. Mein Hausgenosse frug mich, ob ich eine Punkband wüßte. Ich sagte, wir könnten auf der Stelle eine gründen. Wir holten ein paar Freunde zusammen und gründeten The Skronts . Wir durften nicht auf dem großen Podium spielen. Wir mußten uns über eine Treppe stellen. Vor uns spielte ein Salonorchester, aber die hörten nicht auf. Daraufhin legte ich eine Cassette mit Polizeisirenen und den Geräuschen von Rammpfählen beim Bau der Stopera, dem Amsterdamer Rathaus/Oper, dessen Bau eine Geschichte des militanten Widerstands ist, auf. Es entstand Aufregung. Wir hatten ein Ölfaß ans Treppengeländer gebunden, auf das jemand mit riesigen Keulen hämmerte. Schon nach der dritten Nummer kam jemand, der sagte, wir sollten aufhören. Sie schalteten den Verstärker aus, wir ihn wieder an. Nachdem wir das ein paar Mal wiederholt hatten, drehten sie den Strom ab. Wir sollten aufhören, aber wir trommelten weiter, bliesen auf Schiedsrichterpfeifen und entfachten ein Feuerwerk. Sie dachten, daß wir den Laden abreißen wollten, während wir doch nur demonstrierten, was Krise ist. Danach sagte man: Nie wieder! . Aber gleichzeitig wurde bekannt, daß die Rietveldakademie drei Monate später im Paradiso ein Fest mit dem Titel Heftig veranstalten wollte. Wir veränderten unseren Namen in The Haefties . Dort war es natürlich überhaupt nicht heftig, aber wir brannten darauf, unsere Heftigkeit zu zeigen. Wie beim ersten Mal, wollte auch diesmal der Musiker vor uns nicht aufhören und wurde wütend von der Treppe geschubst. Ich hatte ein Brotmesser an meine Gitarre gebunden, so eine Art Bajonett. Wir wollten auf die Instrumente schlagen, wenn die Installation ausgeschaltet werden sollte. Wir hatten zwei Sängerinnen, einen Sänger, Gitarre, Bass und Schlagzeug. Zur Hälfte der ersten Nummer vergißt der Sänger seinen Text. Zum Ende wirft er Ständer und Mikrofon ins Publikum, wo einige Freunde von ihm standen und es auffingen, mit einer Kneifzange den Draht durchschnitten, das Mikro in ihre Tasche steckten und zum Ausgang liefen. Die hatten schon ein Band, aber noch kein Mikrofon. Der PA-Mann sah das auch und hatte den Punkie gleich in seinen Klauen. Sänger auch weg. Fantastisch, es konnte überhaupt nicht besser kommen. Es traf nun die zwei Sängerinnen, aber die kamen nicht nach oben, weil sie in einem anderen Frequenzbereich saßen. Dann ging auch ich singen, aber wenn ich singe, kann ich nicht Gitarre spielen und wenn ich Gitarre spiele, kann ich nicht singen. Der Bassist spielte völlig andere Nummern. Der Schlagzeuger hörte nichts und klapperte vor sich hin. Die Gitarre wurde noch höher gedreht, nur Pfeiftöne. Es gab noch eine Performance mit einem Suppenhuhn, das auf dem Podium lag. Ich trat es in den Saal und die Punker spielten damit Fußball. Es war eine chaotische Masse. Zu einer bestimmten Zeit ging der Strom aus und wir begannen wieder zu trommeln. Niemand hielt uns auf. Aus diesem Auftritt ist das Art-Haefties-Prinzip entstanden, daß man einfach mit dem fortfahren muß, was man sich vorgenommen hat. Als der Punk vorbei war, ging es mehr um Kunst, im weitesten Sinne des Wortes. Wenn wir Kunst machen, machen wir Kunst und niemand hält uns auf, und wir tun es so, wie wir das wollen. Die Einflüsse sind immer noch in unseren Performances, obgleich wir jetzt wieder sehr zivilisiert sind, uns beteiligen und Respekt vor der Arbeit der anderen haben.

Wie sahen eure Performances aus?

Es begann in der Conradstraat. Während einer der Conradfestivals hatten wir einen leeren Raum mit Säulen zu unserer Verfügung. Wir bauten ein Labyrinth aus schwarzem Plastik, ein Wegnetz, in dessen Mitte ein Kontrollraum war, zu dem das Publikum keinen Zutritt hatte, uns aber sehen konnte. In diesem Raum standen die Heimstudios, von allen, die mitmachten. Wenn du hereinkamst, sahst du zuerst ein lebendes Bild, das die verstorbene Gesellschaft des postatomaren Zeitalters darstellte. Wir hatten eine Sandfläche mit industriellem Schutt kreiert. Eine Landschaft nach einer Kernexplosion, die Gedanken waren nun frei. Da sollten, an Heizungsrohren kauende, nackte, mit Lumpen umhüllte Menschen an einem Feuer sitzen. Die Performer kamen nur, um ihre Verzehrbons abzuholen, danach wurden sie nicht mehr gesehen. Das tableau vivant blieb also tot. Dann kam man in einen langen Gang, an dessen Ende ein schlechtes Videogerät hing, auf dem nur Störung zu sehen war. Aber für das deformatorische Prinzip war das gut. Wenn man durch den Gang lief, blies sich das Plastik durch den Wind auf, den man verursachte. Wo man lief, wurde der Gang also schmaler. Links davon war die mentone , eine Galerie der Kunst nach der Atomkatastrophe. Das waren leere Bilderrahmen und vergoldete Zierrahmen. Im Raum stand ein Turm, eine Pyramide TV's, die grob aufeinandergestapelt und auf Rauschen gestellt waren, sowohl das Bild, als auch der Ton. Man kann auch sagen, ein Tonberg. Daneben war eine Pyramide aus Aluminiumfolie. In ihr stand ein Cassettenrecorder mit einer Lupe und produzierte Töne. Es gab auch zwei Lautsprecher, an denen zwei eingestellte Synthesizer hingen. Es gab eine enorme Schallwelle. Danach kam man in den eigentlichen Raum, den wir steuerten. In dem Raum standen vier große Farb-TV's, an denen vier Lautsprecher und vier Videosignale angeschlossen wurden. Sie waren miteinander verschaltet, so daß das Signal herumlief. Wenn man auf die TV's schaute, entstand Blitz, Blitz, ein neuer Film. Du konntest deine Augen mit einem bestimmten Rhythmus schliessen, herumdrehen, oder versuchen, dagegen anzugehen. Aber bei allen anderen Rhythmen erzeugte man sehr seltene Effekte. Der Ton lief über das quadrophonische Tonsystem im Kreis. Mit verschiedenen Geschwindigkeiten, manchmal im, oder gegen den Uhrzeigersinn. Einige waren aus dem Häuschen, lagen, oder saßen in Meditationshaltung, drehten sich, blinzelten, oder schwenkten mit den Händen vor den Augen. Das war der Beginn einer inoffiziellen Realität, in der man auch ohne Drogen high wurde, echte high-tech! Einige gingen in diesem Experiment wirklich mit. Das war auch der Anfang von unserem Raumschiff. Das ist also ein Kontrollraum, aus dem man andere Räume steuert. Auf dem Post-Conrad-Festival im Paradiso, haben wir das noch einmal getan. In einem alten Stoffladen hatten wir einen Kontrollraum aufgebaut. Unsere Installation hing in der Halle. Es waren Bilder der Conradstraat zu sehen, mit Aufnahmen des Festes, Bands, die kurz zuvor gespielt hatten, oder gerade noch spielten. Dasselbe galt für die Töne, die wir live, verzögert, oder bearbeitet, durchschalteten. Danach ging es sehr diszipliniert weiter. Wir waren dominant, aber sublim anwesend, ab und zu stärker und manchmal unmerkbar.
Wir beteiligten uns '89 im Paradiso an der ICATAKonferenz über den alternativen Einsatz der Technologie. Mitten im Saal war eine Luke. Wenn man die öffnete, kam man in den Keller. Dort saßen wir, weil man glaubte, wir würden nicht so richtig ins Bild passen. An einer Leiter hatten wir ringsherum Monitore gesetzt, ein Video-Gully. Menschen sahen sich selbst, oder die Situation von vor einer Stunde, Computerkunst, auf zehn Kanälen gleichzeitig. Dafür hatten wir extra eine Schalterbox gebaut. Aus dem Loch kam ein Kabelbündel hervor, unsere Verbindung mit der P.A., dem Videobeam, auf dem wir ab und zu zu sehen waren, und das Computernetzwerk. Am Kabelwirrwarr hingen zwei Mikrofone und eine Apparatur, die das Signal um das fünfzigfache verstärkte, und zwei Superohren, mit denen wir in die entlegensten Winkel hineinhören konnten. Ab und zu hielten wir eine Kamera, die an einem Pfahl befestigt war, aus dem Loch. Unten standen ein paar roboterähnliche Mutoiden, die uns von Freunden der Mutoid Waste Company zur Verfügung gestellt worden. Es folgte ein Gang mit blauer Beleuchtung, in dem eine laboratoriumsartige Atmosphäre herrschte, gelöst von dem, was da oben passierte, aber dennoch verbunden. Menschen spielten Videogames, arbeiteten am Computer, erstellten Tonmischungen, oder Löteten. Es war eine echte Informationsverarbeitungsmaschine.
Wir arbeiten mit den Texten, ohne sie zu lesen; du manipulierst die Information, ohne daran beteiligt zu sein. Lesungen zuzuhören finde ich total sinnlos. Bestimmte Schlüsselwörter, die den Stand der Dinge wiedergeben, extrahieren wir. Die Verpackung ist nicht so interessant, sie beschränkt sich durch die Eigenartigkeit des Menschen. Bei absoluter Stille, hing alles am Kopfhörer, aber bei unseren Geräuschen machte sich das Raumschiff davon. Fliegende Geräuschteppiche, auf den Monitoren verzögerte Bilder aus Sciencefiction-Filmen, ein laut lärmendes Durcheinander.
Dann sind die Operatoren auf dem Weg und es ist sehr interessant zu sehen, ob und wie die Besucher sich darauf einlassen.

Kann das Publikum noch mitfliegen, wenn das Raumschiff einmal unterwegs ist?

Diese Manifestationen waren in der Tat nicht so publikumsorientiert, obwohl jeder Zugang hatte, Fragen stellen und Anträge einreichen konnte. Daneben machten wir Theater vom Podium aus. Es begann mit der Vorstellung Underground im Bunker der Metrostation Weesperplein. Da haben wir acht Performances gemacht, die sehr individuell waren. Es war ein, aus einem Kontrollraum gesteuerter, Parcours, in dem sechzig, von einem Wärter begleiteten Menschen, durch das Licht und die Geräusche geführt wurden. Allen Plunder, den wir im Bunker fanden, hatten wir auf das Podium geworfen, auf dem eine alte Frau stand und darin herumgrabschte, auf der Suche nach brauchbaren Sachen. Dort fand sie eine Mumie und begann sie aufzuwikeln. Es kam ein silberner, beleuchteter Raumfahrer zum Vorschein. Er fragte sie nach dem Weg und verschwandt dann wieder. Die Beleuchtung war so grell, daß es schien, als ob er durch eine unsichtbare Mauer liefe. Okay, die nächste Performance. Auf den Keulen eines Jongleurs sind Blitzrröhren von Fotoapparaten montiert, die stroboskopische Effekte verursachen, die Szene ist untermalt mit indianischer Samplermusik. Er reizt das Publikum weiter. Das Sicherheitspersonal riegelt den Ort ab und wir sehen Plexiglasröhren mit Halogenlampen, die untereinander in Verbindung stehen. Wenn du so einen Lichtstrahl durchbrichtst, wird ein Soundtrack hörbar. Die Säulen ragen aus dem Rauch, der in den Raum gepumpt wurde, empor.
Dann kommen die Tänzer, in einer aus Autoreifen gebastelten Gummikleidung. Sie produzieren ihren eigenen Ton, indem sie die Lichtschranken unterbrechen. Danach erscheint eine sehr häßliche, bucklige Frau, die eine Arie singt und ab und zu ganz scheußlich schreit. Sie drückt den Schmerz und Ärger des Lebens aus. Es ist schön und scheußlich zugleich. Später sieht man noch einen mittelalterlichen Krieger, ein heftiges Kriegsritual und eine futuristische Maria-Prozession, zuviel, um es zu beschreiben. Die Atmosphäre war dann noch sehr postnuklear, obgleich das gegenwärtig schon wieder abnimmt...
Zusammen mit Deux Ex Magina , organisierten wir im Sommer 1990 eine Vorstellung unter dem Namen Tekno Tribe . Ein Volk, das durch Zeit und Raum reist und aus diesen Zeit/Räumen wieder auftaucht. Es kommt mit Raumschiffen, erscheint und verschwindet unter der Erde, dem Wasser, in der Luft, willkürlichen Zeit-Raum Koordinaten. Mitten auf dem Wasser hatten wir auf zwei Kanalbooten eine Konstruktion errichtet, eine mittelalterlich anmutende Schmiede, bemannt mit Kriegern und Mad-Max ähnlichen Figuren. Wir hatten einen enormen Blasebalg, eine Feuerstelle und einen großen Amboß gebaut, dahinter eine Brücke, auf der Musikanten standenDie Musik komponierte die tribalnoise Gruppe Het Zweet aus Breda, die mit leuchtenden grünen Overalls und Gummimasken, metallische Maschinenteile bespielten. Auf der Seite des Bootes standen zwei riesengroße hölzerne Kettenräder, auf die wir Rasseln gesetzt hatten. Außerdem hatten wir Kontaktmikrofone aufgestellt. Zuerst waren nur Live-Töne zu hören, keine vorbearbeiteten Töne, keine Samples, Synthesizer, oder Bänder. Nur verstärken und filtern, das ist unser neuer Trend. Damit kann man sehr weit gehen und hat absolut genug Spielraum. Das Ziel war eine Kadenz, was uns auch gelang.
Die Vorstellung beginnt im Dunkeln. Das Publikum, daß auf Booten ankommt, sieht bei hintergründigen Hafenlichtern eine Zeit-Raum-Klingel, wo irgendwas anderes passiert. Als die Boote in 50 Meter Abstand angelegt haben und die Motoren aus sind, beginnen sich die Kettenräder zu drehen. Wasserklatschen. Langsam gehen die Lichter an und wir entzünden an zwei Seiten riesige Feuerschalen. Wir bleiben statisch stehen. Die Idee war, allein die notwendigsten Handlungen zu verrichten. Dann wird das Schmiedefeuer entfacht. Als das Feuer die richtige Temperatur hat, wird eine große metallende Scheibe hineingelegt. Inzwischen kommen die Trommler in Gang. Es ist eine Ausdauer-Performance , durchhalten, bis du denkst, daß es nicht mehr geht. Es muß etwas passieren. Noch eben durchhalten - und dann erst tust du was. Das Objekt kommt aus dem Feuer und wird auf dem Amboß gelegt. Mit zwei schweren Hämmern dreschen wir auf es ein. Nach dem zehnten Schlag ist das Kontaktmikrofon entzwei. Dann hören wir auf und der Blasebalg bewegt sich wieder. Das Objekt geht ins Feuer und wieder auf dem Amboß. Inzwischen manifestiert sich der Höhepunkt, der Geräuschpegel steigt beträchtlich. Minimale Bewegung. Zum Schluß entladen wir uns, leider bricht auch der Stiel eines Hammers. Wenn die Klimax vorbei ist, hat das Publikum wirklich etwas miterlebt, obwohl während des Spiels absoluter Stillstand herrscht und auch keine teuren Instrumente eingesetzt werden. Ein minimales Produkt mit maximalem Resultat. Danach streben wir. Das Gefühl ist essentiell, darauf muß man einwirken, das ist Theater. Mehr, größer und besser, ist nicht notwendig. Die Atmosphäre ist unser Produkt, und wie die erreicht wird, ist nicht wichtig, wenn sie nur erreicht wird. Bei unseren Performances treten zwei Verformungen auf. Als Organisierende kämpfen wir mit der technischen Problematik. Verabredungen werden nicht eingehalten, Gegenstände gibt es nicht, wir haben vergessen, Sachen zu reparieren, Störung. So kann etwas neues entstehen, was wir selbst noch nicht bedacht haben. Brummende Geräusche, oder Unterbrechungen können sehr schön sein. Außerdem wenden wir Verformungen an. Für die Gesellschaft und die anderen, ist Verformung etwas, was man bekämpfen muß. Das muß verschwinden, so etwas kann man nicht machen. Wenn wir uns daran hielten, könnten wir gleich aufhören. Wir wollen das Publikum loslösen, sie sollen nicht mehr im gleichen Raum sein, in dem sie einstiegen. Das ist Verfremdung. Im Theater sieht man, daß sie eine Bühne so einrichten, daß eine völlig andere Stimmung entsteht. Aber man sitzt noch immer in einer Stuhlreihe. Man bekommt noch genug Information aus der Umgebung, obwohl alles nicht wirklich ist. Wir entfernen die Distanz, die Menschen müssen mittendrin sitzen. Wir haben technische Effekte, womit wir bestimmte Erwartungshaltungen stören. Unser Tonbild zum Beispiel, steht nie still. Es ist definitiv quadrophonisch, am liebsten phonisch. Es zirkuliert und rotiert. Das hört man nicht, man merkt es nur. Wenn die Performance beginnt, müssen auch die Organisatoren davon freikommen. Wenn der Betrieb losgeht, müssen sie mit der Maschine Einswerden. Sie müssen tatsächlich mit Ton und Bild Einswerden, ihr Handeln hat den Effekt und andersherum hat der Effekt ihre Handlung zur Folge.

Was sind eure letzten Radioarbeiten?

Toek: Kurz vor der "Europa gegen den Strom Manifestation", die in der Börse von Berlage, einem Ausstellungs- und Veranstaltungsraum in Amsterdam, stattfand, saß ich im Studio vom seligen Radio Dood und bastelte herum. Das war in der Zwischenphase, es hieß noch nicht Patapoe. Ich strahlte täglich Testsendungen aus, also dachte ich: das können wir an diesem Tag auch tun. Um sieben Uhr morgens begannen wir als Radio Action einen achtzehnstündigen Marathon. Wir konnten mit dem Radio 100-Signal weitersenden. Die Leute in der Beurs, wo auch ein Sender stand, unsere Leute machten da Aufnahmen, riefen uns an. Wir schleppten Gäste ins Studio und frischten dröge Interviews mit Tonmischungen auf. Deutsche, Schweizer, Franzosen, Spanier und Italiener kamen vorbei, sehr gemütlich. Die internationale Attitüde entstand bei uns spontan. Während die anderen Veranstalter die größten technischen und organisatorischen Probleme erlebten, keine guten Kontakte mit dem Ausland zustande bringen konnten und von einer Diskussion über das Eintrittsgeld geplagt wurden. Niemand hatte dort die Kontrolle über das Signal. Wir dagegen hielten keine Versammlung ab und hatten genug Apparatur, um die Leute ihren Gang gehen zu lassen. Die Informationsmenschen erlebten dort eine große Krise, während unsere Deformation ein großer Erfolg war.
Danach erschien John Turbo, ein Typ, der auf dem Patapoe Radio aussendet, jeden Montag ab Mitternacht. John Turbo ist viel zu schnell für die Hörer, viel zu weit. Er weiß das und das ist auch absolut nicht schlimm. Früher hatte er Probleme damit, aber er weiß, daß er mit der Zeit doch Menschen erreicht, irgendwo. Er sitzt in einer Art virtueller Realität, wie ein japanischer Otaku. Er ist von der Apparatur umgeben. Man kann ihn per Telefon, Computer, Bildtelefon, Fax erreichen. Er kann alles miteinander verbinden, alle Signale dazuholen, er kann alles tun, es kann wirklich alles passieren. Nur die Hörer können da nicht einstimmen, die sind da soweit von entfernt, daß John Turbo ganz alleine in seiner inoffiziellen Realität sitzt. Gegen besseres Wissen fordert er öfters Menschen auf, seine Möglichkeiten zu nutzen, aber es kommt keine Antwort. Er läßt sich dadurch nicht stören und macht munter weiter. Er präsentiert weiterhin flott, legt schöne Platten auf und wirft hundertmal das Ruder herum, wenn er Lust dazu hat. Das Programm kann ganz abdriften, wie es heißt. John Turbo ist absolut nicht in den Griff zu kriegen. Er beginnt meistens mit einer Stunde abwechslungsreicher Musik, die er als European Music präsentiert, mit lookback on Dutch music histery . Das Ganze ist ein international program specially for tourists , weil es die Amsterdamer Bevölkerung kein bißchen interessiert, die kennen das schon, gehen aus, sind müde von der Arbeit. John Turbo rechnet damit, daß die Touristen über das Band radeln, und die Frequenzen absuchen. Er hat ein ganzes Paket mit Erkennungsmelodien und spricht englisch. Die Musik variiert von altem englischen Punk und New Wave bis zu deutschen, italienischen und spanischen Klängen. Ein Lockmittel, das benutzt wird, um in den folgenden Stunden Werbung zu machen. In der zweiten Stunde kommt ein Gast zu Wort, der über Netzwerke und Computer spricht. Ein lebhaftes Gespräch mit einem willkürlichen Gast. Man kann nicht mehr zwischen wahr und unwahr unterscheiden. Ist es unwirklich, so ist es ein Stückchen Wahrheit. Obwohl es echt ist, ist es eine grobe Lüge. Lässig werden die meisten intensiven Sachen niedergewalzt und auf die belanglosesten Sachen intensiv eingegangen. In der dritten Stunde kommt der alte DFM-Stil wieder. Cutups der vorherigen Stunden, Mixes, oder, wenn er keine Lust hat, die besten Bänder aus dem DFM-Archiv. Er versucht, den Zeitfaktor aus den Bändern zu entfernen, so daß sie immer gespielt werden können.
Ich weiß nicht, wie lange so ein Charakter noch existiert, wenn man alles gibt und nichts zurückkommt... Aber John Turbo wird sich nie leerlaufen, es gibt genug Zukunft, die er nach dem Hier und Jetzt bringen kann. Neulich tauchte er nicht mehr auf. Man sagte im Radio, daß er Schwierigkeiten hätte, aus dem cyberspace zurückzukehren. Das ist doppelsinnig. Wenn er nicht in der Radiorealität sitzt, sondern irgendwo anders herumlungert, kann man sagen, daß er in einer anderen Realität festsitzt, oder keine Lust hat, da herauszukommen. Die Patapoe-Direktoren konnten ihn da jedenfalls nicht herausholen. Diesmal schwebte John Turbo mit seinem Raumschiff über die TeknoTribe-Vorstellung. Es war der Teknoaspekt, der in der Performance fehlte, wahrscheinlich, weil er unsichtbar war.

Was sind die Ziele des ARTburos?

In der Philosophie des ARTburos ist man sein eigener Boß. Arbeit und Freizeit muß man miteinander verbinden können. Tun, was du sowieso tust, und daraus deinen Beruf machen. Das Büro ist eine geschützte Hülle, die für Ordnung und gesellschaftliche Kontakte sorgt. Es handelt mit der offiziellen Realität. ART steht für das Entgegengesetzte: Freiheit und Chaos, alles kann und nichts muß. In den sechziger Jahren entdeckte man, daß die Spezialisten auf ihr eigenes Gebiet fixiert waren und dadurch in ihrer Entwicklung beschränkt werden. Damals entstand die Kybernetik, das Mischen von diversen Technologien und Wissenschaften.
So kann zum Beispiel das Wissen aus der Biochemie und der Mechanik einer Performance zugute kommen. Das ARTburo sucht schon seit Jahren einen Raum, um all seine diversen Aktivitäten unterzubringen, wo wir Radioprogramme machen können, experimentelle Videos, Dokumentationen, Statuen, Roboter, Dekorationen, Netzwerke und den Rest. Eine Halle, wo wir mit unseren Autos reinfahren können, wo Flaschenzüge hängen, schwere Metalle aufgeladen werden, Studios, ein Saal für Lesungen und eine offene Akademie, an der man Kurse belegen kann. Leute vom ARTburo müssen da auch wohnen, um das Engagement zu garantieren.
Die Leute, wo wir bis jetzt angefragt haben, sahen so ein Maloch auf sich zukommen, daß sie abwinkten. Das ARTburo ist lange Zeit virtuell gewesen. Als die Leute an unsere papierene Existenz glaubten, bekamen wir Einladungen. Jede Aktivität, die daraus folgte, machte uns reeller und nun sind wir in der echten Realität angelangt. Hallo.

Während der Wetware-Konferenz war eine Demonstration des Deformulators zu sehen. Was ist das für ein Computerprogramm?

Chris: Es ist ein total nutzloses Programm. Der Deformulator kann Texte zusammenstellen und analysieren. Jeder willkürliche Artikel, oder jedes Textfragment, kann als Vorbild dienen. Das Programm fügt dem Stil des Vorbildtextes Töne hinzu. Das Endresultat kann bei einigem Abstand genauso aussehen wie der ursprüngliche Text. Und trotzdem ist es Unsinn. Das Resultat sieht nicht wie ein Extrakt oder Zitat aus, sondern vermittelt ein Bild des Anfangtextes. Es bringt eine Sphäre herüber, von dem, was da irgendwann einmal stand.
Der Deformulator ist in Pascal geschrieben und basiert auf Travesty (Byte 1984). Er merkt zum Beispiel, daß hinter einem o, noch ein o vorkommen kann. Diese Analyse macht er von allen Kombinationen, die im vorliegenden Text vorkommen. Diese Resultate stehen in einer großen Tabelle aller möglichen Reihenfolgen von Buchstaben. Ein beliebiges Zeichen wird in der Tabelle aufgesucht und durch einen willkürlichen Nachfolger, der gemäß der Chancenverteilung in der Tabelle steht, ausgetauscht. Beim Start des Programmes werden erst Parameter eingeführt, die bestimmen, wie groß das Produkt wird und mit wie vielen Buchstaben hintereinander zu rechnen ist. Nehmen wir zwei, dann entsteht absoluter Unsinn. Bei fünf oder sechs kann man in den Wahn geraten, es mit einem authentischen Text zu tun zu haben, weil immer Teile von fünf oder sechs Buchstaben aus dem Originaltext vorkommen. Das frappante am DeForMulator ist die spezifische Signatur des Autors, die, trotz der Reise durch den Tonfilter, erhalten bleibt. Ein Text bar jeglichen Sinns, aber mit Stil. Schaut man sich den rollenden Text an, so entsteht augenblicklich der gleiche Eindruck, wie beim Konsumieren der Tages- und Wochenblätter. »Oh, es geht um Osteuropa«, blöde Kolumnen und gemischte Berichte.
Ich kann ein Beispiel von einem Bilwettext, der durch den Deformulator gelaufen ist, angeben: »Der Künstler der Menschenrechte, der mußte, wird man verzaubert, zur Maßnahme, in den Kader der Bestien, übergehen, startete einen Gemütsangriff, wurde abrißsüchtig und sank fragmentiert. Die Idee, daß das ideologische, technologische und chemische Ambiente der 80ziger Jahre für einen folkloristischen Nihilismus und Antistalinismus so eine Ahn-ung gaben, wird in der Begrenzung der abbruchsüchtigen Idealisten wiederprofiliert. Eine Gemütsandeutung der bösen Außenwelt, nach einem sinnvollen Moment im Wahn. Das krasse Auftreten eines kollektiven Tageslichtes, wird zu einem Limit der Ereignisse, damit in der Übergabe, Würde zu einer furchterregenden Betroffenheit gemacht wird, das Gedächtnis der Politik.« Die Idee von Bilwet war selbstredend: Alles was ich will, ist auftreten.

Im letzten Jahr ist das Bulletin Board System angelaufen. Was können die Benutzer davon erwarten?

Toek: Eine enorme Skala von Möglichkeiten. Zuerst ist es das Mailboxsystem, was für jeden zugänglich ist. Jeder hat ein eigenes Postfach, kann Utilities, Spiele, Informationen runter- und draufkopieren, Themengebiete wie Chat, zu kaufen, gesucht u.s.w. Weiter gibt es diverse Unterbretter, die eventuell vollständig von Gasteditoren bearbeitet werden und selbst eigene Boxen sein können. Es gibt nun Bretter für Poesie, Literatur, Grafiken, Ton und Technik. Dann gibt es das Netzwerkteil. Dieses Niveau ist nur für Leute zugänglich, die in den freien Medien, Kunst und Technik aktiv sind. Hier findet man natürlich die neuesten Nachrichten über die Entwicklung des Netzwerkes, einen Kalender mit Ankündigungen von Manifestationen und Ereignissen, Manifesten von Schreibern, Künstlern und Organisationen. Daran ist eine Datenbank gekoppelt, ein Informationsbestand über Spielorte, Organisationen, Künstlern, Videos, CD's und Publikationen der niederländischen Undergroundscene. Diese Datenbank wollen wir auf ein europäisches Niveau ausbreiten. Wir streben danach, ein möglichst großes Bild der internationalen Scene, die mit neuen Medien arbeitet, zu erfassen und zugänglich zu machen. Es wird an einer internationalen Netzverbindung gearbeitet. Das bedeutet, daß die Operatoren von örtlichen Mailboxen, in ganz Europa Nachrichtenbretter für das Netzwerk einrichten. Nachts wechseln diese Systeme ihre Informationen aus. Es gibt zwei Möglichkeiten der Benutzung. Die eine ist privat: Hier kann der Benutzer zum Ortstarif Informationen mit einem Menschen aus einem anderen Land austauschen. Die andere ist die öffentliche Post. Ein öffentlicher Bericht wird an alle angeschlossenen Mailboxen verschickt und alle eventuellen Reaktionen kommen wieder zum Versender zurück. Es gibt schon mehrere von diesen internationalen Netzwerken, aber dieses widmet sich ausschließlich den freien Medien, der Kunst und Technik.

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