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Ein Rückblick in die Zukunft

Wir, das Geld, das Blatt und der Tod

"It is only decoration" ... und ein bißchen Verwaltung

ID-HAUSMITTEILUNGEN

[ID 370/371 vom 20.02.1981]


EIN RÜCKBLICK IN DIE ZUKUNFT

Als der ID 1973 in der Hochkonjunktur des Frankfurter Häuserkampfes als Notwendigkeit einer Gegenberichterstattung zur bürgerlichen Pressemaschinerie entstand, hatten einige Genossen schon damals eine vage Vorstellung, daß der ID z.B. sich mal als eine Tageszeitung entwickeln könnte.
Während der ID Betroffenenberichte und unterbliebene Nachrichten veröffentlichte, die von den bürgerlichen Medien weitgehend unterlassen werden (aus welchen Gründen auch immer), wurde der ID von ihnen ebenfalls ignoriert. Eine Werbung wurde vom ID prinzipiell abgelehnt, der Preis von 1,50 DM konnte lange Zeit als 'politischer' Preis gehalten werden.
Als die Repression 1977 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte und viele politische Gefangene gegen die Haftbedingungen ankämpften, hatte der ID eine weitere wichtige Funktion: die Verhältnisse in den Knästen öffentlich zu machen. Irgendwann ermüdeten auch die Leser an den ständigen Repressionsgeschichten, deren Namen und Orte nur noch ausgewechselt werden zu brauchten. Der ID bekam ein Image von einem 'langweiligen Repressionsblättchen', das sich trotz späterer Konzeptänderung hartnäckig in den Vorstellungen vieler Köpfe hielt, die den ID längst nicht mehr lasen und diese Entwicklung nicht mitbekamen.
Die Idee einer Tageszeitung wurde verwirklicht, andere Alternativzeitungen schossen wie Pilze aus dem Boden, eine neue Ökologiebewegung veränderte weit- gehend die politische Landschaft. Die Abozahlen sanken innerhalb eines Jahres um ca. 3000. Doch die Frage, ob der ID seit Bestehen der Taz überflüssig geworden war, wollte sich ernsthaft niemand stellen. Es wurde die Entwicklung der linken Tageszeitung erst einmal abgewartet, um dann zu entscheiden. Viele wurden von der Taz enttäuscht, so daß die Frage des Aufhörens wieder beiseitegelegt wurde. Das Spiel mit der Macht hatte begonnen: die Macht der Taz-Macher, die entscheiden, ob der oder jener Bericht hineinkommt, und die Macht der Berichteschreiber, die Taz zu benutzen, damit die Geschichte schon am nächsten Tag mit einer hohen Auflage verbreitet wird. Nur wurde dabei übersehen, daß die Taz nicht der ID ist: während weitgehend die Betroffenenberichte im ID original im Wortlaut veröffentlicht wurden, wurden diese in der Taz 'jour- nalistisch vermanscht'. Dazu kommen eine Vielzahl von Tickermeldungen aus aller Welt, die auch vermarktet werden. Gute Berichte gehen einfach unter, während beim ID Hintergrundberichte z.B. beim wöchentlichen Erscheinungsrhythmus noch locker gelesen werden können. Was der ID an Alltags-Repressionsgeschichten (z.B. Schinke-Prozeß), unterbliebener Kritik über Themen, die in der 'Szene' nicht ernsthaft diskutiert oder in Frage gestellt werden (z.B. Alternativpreise, Asylanten), brachte, so wie die Funktion, ein überregionales Sprachrohr der regionalen Alternativpresse zu sein (indem der ID wichtige Artikel nachdruckte), konnte bis heute die Taz als überregionales Organ nicht leisten.
Die Frage der politischen Relevanz und die Existenzberechtigung des IDs verstärkte sich bei mir umso mehr, als ein bedrückendes Desinteresse, das sich in einer bornierten Art von "wir haben ja doch die Taz" ausdrückte, entstand. Während der ID 'heiße' Berichte in der Vergangenheit bringen konnte, machte sich leider eine Tendenz der Ignoranz (?) der Benutzer bemerkbar. Der ID wurde bei Übernahme eines Berichtes kaum noch genannt, man bediente sich nur.
Die Frage, ob ein politisches Blatt wie der ID an finanziellen und personellen Fragen kaputtgehen soll, sollte sich jeder selbst stellen. Ich persönlich finde den ID immer noch relevant genug, um nicht zu sagen, noch wichtiger als zuvor, wenn man die Medienlandschaft und die kommenden politischen Ereignisse und Entwicklungen sieht. Ein Aussetzen für eine gewisse Zeit, um sich neu zu formieren, wird auch für uns alle ein wichtiger Lernprozeß sein.

Don Camillo / ID


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WIR, DAS GELD, DAS BLATT UND DER TOD

oder: diese Wochen braucht ihr mal keinen ID zu lesen
Frankfurf,14.Februar 1981

ERSTENS: DAS GELD
Seit Juni 1980 ging es mit der Zahl der ID-Fans nicht mehr bergab, seit Dezember sogar etwas bergauf, jedoch: auf dem Stand von 2 300 verkauften ID's jede Woche (bezahlte oder spendierte Abonnements plus Buchlädenverkauf) läßt sich das Blatt nicht finanzieren.
Gewiß braucht sich eine Zeitung nicht oder nicht nur aus Abonnements zu finanzieren. Im Gegenteil, kaum eine existiert so: Werbung, Spenden, Vereins- beiträge aller Art steuern meistens den Löwenanteil bei, vor allem bei überregionalen. Aber für den ID würde all dies eine vollständig neue Struktur bedeuten, und dafür braucht's Initiativen an vielen Orten.

ZWEITENS: NEUBEGRÜNDUNG IM WEITERLAUFEN - GESCHEITERT Alltag in dunklen Kisten
Seit jenem großen Schritt nach hinten, dem zentralistischen Super-Hirn Westberliner "Tageszeitung", hatte der ID zwei Aufgaben zu erfüllen. Die eine war sein altes technisch-moralisches Projekt: Medium der Vergessenen zu sein, Schauplatz jener Berichte, die nicht nur in die bürgerliche oder in die linke Partei-Presse, sondern auch in die undogmatischen, aber etablierten Medien nicht paßten. Alltag hinter Verdrängungsgittern, in geschlossenen Anstalten oder unprominenten Strafprozessen, war ein jedem geläufiger ID-Inhalt: und viele klagen über die ewig rotierende Gebetsmühle trauriger Wahrheiten. Aber wer denkt heute noch daran, daß seinerzeit der Widerstand gegen die AKW-Baupläne in Wyhl von der Linken als beschränkt und kleinbürgerlich-bäuerlich-idiotisch abgetan wurde, und der ID zu den ersten Blättern gehörte, die diesen Widerstand enthusiastisch aufgriffen. Kurz, das "Unpolitische", das heute meistens nur im Feuilleton zugelassen ist (pardon, Gernot Gailer in der Taz natürlich ausgenommen!), war das Unterbliebene und tummelte sich, soweit es Linken über den Weg lief, im ID: von Querulanten bis zum Punky.

Unterlassene Kritik
Die andere Aufgabe, die hinzukam und rechtfertigte, von Neugründung zu reden, wurde immer mehr die Kritik an der etablierten Sponti-Linken. Die hatte 1979 mit einem Großprojekt, der "Tageszeitung", einen Haken um ihren eigenen Anspruch ökologisch vertretbarer Lebensformen geschlagen. Zum Widerspruch reizte die Kommerzialisierung der linken ("alternativen") Projekte, Undurchsichtigkeit der Geschäfte, Werbung in Alternativzeitungen, Rituale der Gedächtnislosigkeit (gerade in der Nicht-Auseinandersetzung mit dem linken Trauma Stadtguerilla), Propagandalügen in dem ewigen Lindwurm von Prozessen, aus denen mehr und mehr die linke Politik bestand. Nicht zu vergessen der stumpfsinnige Antifaschismus, dem (außer der Zuständigkeit des Staatsanwaltes) zu den beteiligten Menschen nichts ein- oder auffiel. Wir konnten all dies nicht theoretisch formulieren, es sei denn in einem vagen Konzept ökologischer Kritik technokratischer Verkehrsformen, denen auch die Linke verfiel. Immehin reichte der Instinkt eines aufmüpfigen Basis- Projektes, um die entscheidenen Fragen aufzuwerfen. Und der Mangel am theoretischen System schützte wenigstens vor dem unangebrachten strategischen Gestus. Offenheit des Projekts, Sprachrohr der regionalen Alternativpresse.
Beide Aufgaben sollten nicht irgendwie, sondern in einem kollektiven Rahmen erfüllt werden, der selbst die dritte Aufgabe bildete: überregional, aber nicht zentralistisch, das heißt Verbindungen zwischen Regionen wie auch zwischen Bereichen (Anti-Knast und Anti-AKW zum Beispiel) anbieten, ohne Einheit stiften zu WOLLEN. Das war möglich, wenn man auf der regionalen Alternativpresse (die der ID kräftigst gefördert hatte) aufbaute, anstatt sich selbst von oben herunter wie schließlich die Taz) seinen Unterbau zu basteln. Dort, wo der ID gemacht wurde, in diesem Frankfurter Hinterhof, sollte die Zeitung offen sein, für jeden, der kam, sollte keine Schwellen für Mitmachen und Abgedrucktwerden bieten: ein Stück Selbstversorgung.
Aber das Konzept hat nicht genug Leute überzeugt: wenn es schon gewagt ist, allwöchentlich ein Korrektur-Blatt zu machen (Halt! das fehlt was! Wo bleibt der Knacki Maier, wo bleiben die Asylanten?), in dem das Unterbliebene regiert und das Unbestrittene eigentlich ganz fehlen müßte (jemand noch nichts von El Salvador gehört?), dann verwirrt es nur, linkes Allerweltsgeschrei als Seitenfüller zu bringen (Brokdorf nein danke, oh wirklich, seufz-gähn-keuch).
Darüberhinaus bedarf die Sammlung unterbliebener Nachrichten (obwohl aus der gleichen Kritik entstanden) wohl ganz anderer Qualifikationen und Arbeitsweisen der Zeitungsmacher als die Auswahl und Formulierung politischer Diskussionsthemen zur Kritik und Selbstkritik in der westdeutschen Linken.

DRITTENS: WAS JUCKT WEITER?
Daß der ID in den sieben Jahren seines bisherigen Bestehens sich selbst zu einem großen Teil überflüssig gemacht hat, ist oft gesagt und wiederholt worden. Aber daß die bestehenden Medien, regional und überregional, keine unterbliebenen Nachrichten mehr am Wegesrand stehen ließen, könnte keiner behaupten: dazu sind diese Medien allesamt zu marktgängig. Im Gegenteil: bei vierhunderttausend Exemplaren Alternativpresse plus "Taz" und "Neuer" würde ich vermuten, daß (ohne ID) Bekanntes bekannter wird, aber Vergessenes umso sicherer vergessen bleibt. Daß Pressefreiheit auch in der Alternativpresse mehr denn je Redakteursfreiheit und nicht Leserfreiheit ist. Daß zentrale Medien der gemeinsame Nenner der Gespräche an 20 Kneipentischen der Republik sind und Konformität heranzüchten. Doch sind all diese Alternativ-Kolosse noch recht empfindlich. Die Regionalisierung des Netzwerkes zum Beispiel gibt zu denken und zu hoffen.

VIERTENS: WIE WEITER?
Vielleicht hilft in dieser Situation eine eigene Zeitung, und sei es ein Kontrast-, Kritik- und Korrektur-Medium, heute nicht mehr weiter. Blätter gibt's genug, das Kontrastblatt ist nur eine weitere Spezialisierung. Vielleicht bracht es eher einer Initiative (oder vieler Inititativen) zum Durchpusten unterbliebener frischer Luft in den verschiedensten Medien von der Frankfurter Rundschau über die Konkret bis zur Tageszeitung, zur Kölner Stadtrevue und zum Revolutionären Zorn, so unterschiedlich (hihi!) die auch sind. Ob sich sowas wie ein Kollektiv freier Mitarbeiter, die allen auf die Nerven fallen, eine Zeitlang halten könnte und wirksam wäre? Vielleicht lohnt sich der Versuch.


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"IT IS ONLY DECORATION" ... UND EIN BISSCHEN VERWALTUNG

Die inhaltlichen Diskussionen sind wir erstmal leid, die Argumente überzeugen nicht, weil dies nur ein Teil der Geschichte ist.
Sie spiegeln aber ziemlich genau, welchem Teil der Arbeit - eine Zeitung wöchentlich herauszubringen - unseren Anstrengungen in erster Linie gegolten hat. Wir können das schlechte Zeugnis für uns nicht unterschreiben, wir finden, es ist immer noch ein gutes Konzept, womit wir mal besser mal schlechter gearbeitet haben, und womit wir neben vielen Regionalzeitungen und der Taz bestehen wollten.
Die Produktion einer Zeitung heißt aber mehr als ein fein ausgearbeitetes Konzept, oder der Wille eine Zeitung herauszubringen, die ein bestimmtes Lebensgefühl äußert!
Es ist auch noch die ganze Organisation des Verlages da, die bei einer wöchentlich erscheinenden und in größerem Rahmen vertriebenen Zeitung unumgänglich ist. Außerdem halten wir im Nachhinein die Sache mit dem Bewußtsein bzw. mit der Verantwortung dem Kollektiv gegenüber für ein gleichwertig wichtiges Moment. An dem ersten punkt, haben wir in dem letzten Jahr viel gearbeitet, und nicht ohne Spaß daran gehabt zu haben. Am zweiten Punkt, Verwaltungsorganisation, haben wir nicht viel gerührt, seit es irgendwann großspurig auf Computerspezialisten zugeschnitten wurde. Wir haben uns aber um so mehr geärgert, über die Pannen, die uns den Alltag immer wieder dumm chaotisiert haben.
Über die Bedeutung des Kollektivs in Bezug auf uns und auch auf andere Kollektive, mit denen wir so gut wie nie ins andere als Geschäftsgespräche kamen - haben wir versucht, aber halt nur versucht, uns klar zu werden. Somit blieb auch die praktische Füllung des Zauberwortes "Kollektiv" laufend aus.
Den Grund unseres K.O.s in der ersten Rundes des neunten ID-Jahres sehen wir gerade in der bestehenden Konstellation zwischen Verlagsverwaltung und kollektiver Arbeit und Leben. Die unklaren Verhältnisse, die in dieser Hinsicht wahrscheinlich schon immer existierten, waren gerade noch haltbar in ID-Zeiten, in denen die Erwartung an den ID - die Projektionen von "außen" - die Fragen, die "innen" gestellt werden sollten, überdeckt haben. Ob es an politischer Einsicht fehlte, die Sachen richtig anzugehen?
Eine mögliche Antwort. Möglich, daß mit einem Gesellschaftsbild, bei dem nicht nur der Inhalt der Arbeit ernst genommen wird, sondern die Organisation der Arbeit und die Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber, in der eine/r lebt, vieles anders gelaufen wäre. Daß regionale Zeitungen sich meist besser tragen, hat auch seine ökonomischen Gründe. Aber sie stellen sich auch eher einer erreichbaren Öffentlichkeit, und dies hat nicht nur inhaltliche Folgen, sondern auch der Zustand im Kollektiv wird in den unmittelbaren Zusammenhängen sichtbar.
Natürlich können Projekte auch mit interessantem Inhalt und guten Geschäftsführern funktionieren. Über die Beispiele wurde mehr als genug geredet. Aber die positiven Beispiele? Wir waren es auch nicht. Es ist für uns auch keine Entschuldigung, daß ein Medienkollektiv zu betreiben wahrscheinlich schwieriger ist als ein Druckerkollektiv. Wenn wir die Frage stellen, wie es mit uns weitergehen soll, finden wir als einziges historisches Beispiel, von dem wir schöpfen können, das libertäre Spanien von 1936 -39... Also geht es darum, wieder von "unten" anzufangen. Das heißt Strukturen und Orte zu schaffen, wo die Möglichkeit besteht, zu kommunizieren. Dies kann ein Zentrum, ein Radio, ein Marktplatz oder auch eine Zeitung sein.
Der ID war nicht unser letzter Versuch, uns in die Verhältnisse einzumischen.
Bis dann...

Enikö + Waldemar
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