Über: CDU-Fraktion Schleswig-Holstein
Über: Bundeskanzleramt, Bundesminister Friedrich Bohl
Bundesminister für Post und Telekommunikation
Dienststelle 121c
Dr. Eschweiler, 7.6.94
Rechtliche Einordnung von Datenkommunikation/Mailboxen
I
Die existierenden Mediengesetze sind auf sog. Mailboxen nicht
anwendbar. Zum einen ist das Rundfunkrecht nicht einschlägig,
da der Rundfunkbegriff in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt
wird, denn die Beteiligten kommunizieren entweder dadurch,
daß sie bestimmte Inhalte aufgrund bestehender verbundener
Personen direkt versenden oder daß sie die Inhalte zum Abruf
durch andere Teilnehmer des Systems bereithalten. In beiden
Varianten fehlt es an der Verbreitung von Darbietung an die
Allgemeinheit. Zum anderen ist der Bildschirm-Staatsvertrag
nicht anwendbar, da die Nutzung des Mailboxsystems nur einem
geschlossenen, nach bestimmten Kriterien beschränkten Kreis
von anbietern und Teilnehmern zugänglich ist. Dagegen setzt
der in der Rede stehende Staatsvertrag ein System voraus, das
allen interessierten Teilnehmern und Anbietern offensteht.
Damit bleibt festzustellen, daß dem Mailboxsystem die Eigen-
schaft des Massenmediums fehlt. Wegen der begrenzten Zahl der
Teilnehmer ist das Mailboxsystem als Individualkommunikation
zu qualifizieren. Einer neuen medienrechtlichen Regelung für
Mailboxen bedarf es daher nicht. Bei Mailboxen handelt es
sich nicht um neuen Medien, sondern um Telekommunikations-
dienstleistungen im Sinne des Paragraphen 1 Absatz 4 des Ge-
setzes über Fernmeldeanlagen (FAG).
II
Der Auffassung, die rechtliche Einordnung des Komplexes
"Mailbox" sei unklar, kann so nicht gefolgt werden 1). Wett-
bewerbs- und urheberrechtliche oder strafrechtliche Verstöße
werden grundsätzlich vom Absender der jeweiligen mail began-
gen. Dieser nimmt die strafrechtliche oder wettbewerbs- bzw.
urheberrechtliche Verletzung vor und will die Tat als eigene.
Bezüglich des Haftungs- und Sorgfaltsmaßstabes, der den Be-
treibern auferlegt wird, gelten die allgemeinen Haftungsre-
geln, wobei die Umstände des Einzelfalles von maßgeblicher
Bedeutung sind.
Hat der Netz- oder Diensteanbieter keine Kenntnis vom Inhalt
der versandten/abrufbaren Nachrichten, so hat er rechtlich
nur die Funktion eines technischen Vermittlers von Kommunika-
tionsvorgängen. Als solcher trägt er keinerlei Verantwortung
in urheber-, wettbewerbsrechts oder strafrechtlicher Hin-
sicht. Urheberrechtlich trifft nur denjenigen eine Verant-
wortlichkeit, der einen adäquaten Beitrag zur Verursachung
der Rechtsverletzung leistet, was bei demjenigen nicht der
Fall ist, der lediglich unwesentliche Hilfsdienste leistet
(vgl. Schricker/Wild, Urheberrecht, München 1987, Para. 97
Rn. 326). Im strafrechtlichen Bereich fehlt es am Teilnahme-
vorsatz für eine Beihilfe nach Para. 27 StGB.
Eine besondere Bewertung kann allenfalls dann gelten, wenn
der Betreiber den Inhalt der "mail" kennt. Hier kann im Ein-
zelfall in der Weitersendung der Nachricht eine Beihilfe zu
einer Straftat, zur Urheberrechtsverletzung bzw. ein Verstoß
gegen das Wettbewerbsrecht vorliegen.
Darüber hinaus ist der Fall von Bedeutung, in dem der Betrei-
ber der Mailbox Angebote Interessierter an die Öffentlichkeit
zum Abruf anbietet, beispielsweise ein elektronisches
"schwarzes Brett" zum Austausch von Informationen der Öffent-
lichekeit zur Verfügung stellt. In dieser Fallgruppe liegt es
nahe, eine Parallele zu der rechtlichen Bewertung der Situa-
tion eines Zeitungsverlegers hinsichtlich des Anzeigenteils
zu ziehen. Nach Auffassung der Rechtsprechung (Landgericht
Stuttgart, Az. 17 O 478/87) besteht eine Haftung des Anbie-
ters auf Unterlassung der Verbreitung nur in den Fällen, daß
er die Beeinträchtigung des kennt oder etwa, auf einen Hin-
weis hin, erkennen kann.
III
Abschließend gilt angesichts der erwähnten negativen Bericht-
erstattung in den Medien über Mailboxsysteme anzumerken, daß
der Betreiber eines - technisch neutralen - Dienstes niemals
vor Mißbrauch völlig geschützt ist. Die Bundesregierung prüft
daher, welche Maßnahmen im Bereich der mißbräuchlichen Nu-
tzung von Mailboxen durch vor allem politisch radikale Grup-
pierungen ergriffen werden können. Die Bundesregierung erwägt
aber kein generelles Verbot dieser Telekommunikationsdienst-
leistung, sondern setzt sich im Gegenteil für neue Technolo-
gien wie beispielsweise "electronic mail" ein. Dem dient
letztendlich auch die vor dem Abschluß stehende Postreform
II, die u.a. auch zu einem weiteren Ausbau der Telekommunika-
tionstechnologie führen soll.
Anmerkung:
1) Die Anfrage beim Bundesministerium wurde aufgrund die-
ses Mißstandes von mir gestellt.