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Wed Sep 25 23:26:34 1996
 

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Zum Konflikt aus heutiger Sicht
Tja, immer noch harter Tobak, das Ganze. Und es macht uns immer noch leicht sprachlos, wenn wir uns wieder an diese Zeit zurückerinnern. Wir kämpfen auch heute noch mit der Verbitterung im Herzen, daß wir kurz davor standen, beide Standbeine (sowohl das strukturelle wie das inhaltliche) zum ersten Mal in der Geschichte der illegalen radi in Einklang miteinander gebracht zu haben. Was können wir dem jetzt hier hinzufügen? Wir versuchen uns vorsichtig ranzutasten, indem wir erst mal ein Zitat herauskramen, daß einem von uns damals in die Hände gefallen war.
"In einem gesellschaftlichen Umbruch stehen sich nie zwei Klassen allein, mit genau umschriebenen Interessen gegenüber, sondern immer sind auch die kämpfenden Lager selbst in sich vom Antagonismus angegriffen, der die Triebkraft des ganzen gewaltsamen Zusammenstoßes ausmacht. Immer wird die Wucht des Angriffs, in der wir alle nach Einheit suchen, nach gemeinsamer Handlung, nach Verständnis und Solidarität, begleitet vom Gären der verschiedenartigen Auffassungen, Bestrebungen, Zielrichtungen, immer ist der Wunsch, übereinzukommen in den Richtlinien, zusammenzuwirken vor dem gemeinsamen Feind, konfrontiert mit dem Drang zur Verwirklichung dessen, was von den einen als das absolut Richtige und Wahre erkannt wird, und was sich in den Augen der anderen doch wieder von deren Wahrheit unterscheidet. (...) Gleich nach den Schritten des Anfangs (ist) die Krise da, in die bedenkenlose Überzeugung mischt sich das Zerwürfnis, die Einfachheit der Handlung wird zerstört von der Kompliziertheit der Gedanken, die sich gegenseitig aufheben wollen. So entsteht die paradoxe Situation, daß es zwischen all denen, die Gemeinsames anstreben, schärfste Trennungslinien gibt, und dies bis zur Selbstzerfleischung." (Peter Weiss, Die Ästhetik des Widerstands)
Vielleicht ist es manchem/r zu schwulstig - was auch kein Wunder wäre, schließlich ist es vor etlichen Jahren geschrieben worden und nicht aus der Erfahrung und dem Wortschatz gängiger autonomer Praxis entstanden. Es bezieht sich auf die Auseinandersetzungen innerhalb der KPD während des Faschismus. So wohl es tat, wahrzunehmen, daß die destruktive Debatte innerhalb der radikal geschichtlich kein Einzelfall ist, so runterziehend ist die Erkenntnis, daß die Geschichte des Scheiterns von linksradikalen Organisationsansätzen sich permanent wiederholt. Es läßt sich auch leider auf sehr viel weitere Debatten innerhalb der radikalen Linken anwenden. Wir erinnern nur an die Zergliederung der Solidarität zu den Kaindl-Angeklagten in mehrere Unterstützungs-Komitees oder an die völlig eskalierte Debatte zwischen der RAF und Gefangenen aus der RAF.
Damit wollen wir uns historisch weder mit der KPD noch mit der RAF in eine Linie stellen. Wir sehen die heftige Auseinandersetzung innerhalb unseres Projektes auch als eine Folge der politischen jahrelangen Sprachlosigkeit. Wir standen zwar permanent in der Auseinandersetzung über das Wie der Organisierung - aber der inhaltliche Rahmen, in den sich die politisch tragenden Gruppen der radi einordneten, kam immer zu kurz. Als dann die strukturellen Freiräume erstmals gegeben waren, aktiver und genauer ein Zeitungsverständnis vieler verschiedener Gruppen zu entwickeln, brachen die Widersprüche ungehemmt auf.
(Vermeintlich) in den Griff bekommen ließen sich diese nur noch durch die Entwicklung eines technischen und bürokratischen Modells - politische Lösungen, die Utopie und reale Situation miteinander versuchten in Einklang zu bringen, hatten keine Chance, auch nur angedacht zu werden.
Die technische Lösung, die die einzelnen radi-Ausgaben zu einem Fall für den Rechenschieber machte, um zu errechnen, ob alle Gruppen gleichviel Seiten zugesprochen bekommen hatten - scheiterte bekanntlich sofort, weil ein Teil währendessen ausstieg.
Für das bessere Verständnis dieser Zeilen sei gesagt, daß uns dieser Teil, diese Tendenz im Konflikt näher stand, auch wir waren Befürworter einer verstärkten inhaltlichen Debatte gewesen. Der Verlauf des Konfliktes sowie der Ausstieg hat uns im Hinblick auf die radi ein gutes Jahr lang völlig demotiviert. Wir waren zwar nicht direkt in den Konflikt einbezogen gewesen - aber dennoch im Konflikt mit eigenen Postionen präsent. Wir stürzten uns danach ausschließlich in die inhaltlich-theoretische Arbeit. Aus heutiger Sicht würden wir sagen, Verdrängung 1A pur, aber wenigstens konstruktiv gewendet.
Mit der Tendenz, die übrig geblieben war, wollten wir in der ersten Zeit danach nicht mehr viel zu tun haben. Ihre Haltung im Konflikt war nicht die unserige, zudem begannen die strukturellen Aufgaben wieder derart überhand zu nehmen, daß an innovative Überlegungen, welche Rolle die radi innerhalb der radikalen Linken spielen könnte, nicht (mehr) zu denken war. Angesichts einer sowieso bescheidenen Anzahl kontinuierlich arbeitender Gruppen innerhalb der radikalen Linken war es um so bitterer, sich einzugestehen, daß wir genau daran gescheitert waren, diese in ein handlungsfähiges Konzept einzubinden.
Für uns kann es jetzt, zwei Jahre später, nicht um eine Aufwärmung des Konfliktes gehen, sondern nur um den Versuch, daraus die richtigen Erfahrungen zu ziehen. Das Stichwort dazu findet sich in der Austrittserklärung einer Frauen-Combo: "für uns gibt es keine Arbeitsgrundlage mehr".
Darum soll es sich im folgenden drehen. Was kann künftig eine Arbeitsgrundlage innerhalb der radikal sein, wie können sich unterschiedliche politische linksradikale Gruppen innerhalb des Projektes begegnen. - Fragen, die sich für uns nicht nur in Bezug auf die radi stellen.
Schaut mensch sich die radikale Linke an, dann scheint die Unfähigkeit innerhalb unseres Projektes nur ein bescheidener Spiegel der Kompromißunfähigkeit innerhalb dieser Linken zu sein.
So peinlich uns manchmal unser Konfliktchen erschien, so lächerlich muß Außenstehenden die Zerstrittenheit der Linksradikalen und deren Unfähigkeit, sich aufeinander einzulassen, erscheinen.
Vieles an Gegenüberstellungen ist in den Stellungnahmen grundsätzlich benannt worden, wir wollen hier der Übersichtlichkeit halber noch einmal zusammenfassen:
- Unterschiedliche Auffassung über den Begriff der "Autonomie" einer Gruppe innerhalb der radikal
- Den Einen ist die Struktur das Wesentliche, den anderen das Produkt derselben
- Unterschiedliche Auffassung über den Stellenwert der inhaltlichen Diskussion zwischen den einzelnen Gruppen
- Stellenwert und Wichtigkeit der O.L.G.A.
- persönliche Unvereinbarkeiten
- Der Wandel von einer kleinen, übersichtlichen Struktur zu einem vielschichtigen Geflecht, bei dem sich viele durch Vorschläge für eine konkrete radikal beteiligen.
Die letzten beiden Punkte haben wir absichtlich ans Ende gesetzt, denn die persönlichen Unvereinbarkeiten, resultierend sowohl aus politischen Differenzen wie aus jahrelangen Erfahrungen miteinander, machten die konkrete Problemstellung des Wandels von der übersichtlichen Struktur mit Improvisierungen hin zu einem verläßlichen Projekt mit fest umrissenen Konzept, in dem die unterschiedlichen Vorstellungen einen Platz finden, unlösbar.
Insofern fanden wir den damaligen Schritt zum Austritt der einen Seite letztlich konsequent und richtig - auch wenn er uns selbst und die radikal zurückgeworfen hat.
Die Gewichtung zwischen inhaltlicher und struktureller Arbeit hatte in den meisten Jahren der radikal eine erhebliche Schieflage zugunsten der Struktur. Während einerseits völlig akzeptiert wurde, wenn GenossInnen ausschließlich Verteilungs- und Logistikarbeiten übernahmen - es entsprach und entspricht dem Konzept der radikal, daß sich alle, egal an welcher Stelle des Netzes, zu allen Fragen einbringen sollten - wurde andererseits während des Konflikts nicht akzeptiert, wenn einige Grenzen steckten und sagten, "Wir wollen vor allem am Inhalt der radikal arbeiten". "Vor allem" ist in diesem Zusammenhang ohnehin vorsichtig zu genießen. Eine ausschließliche Konzentrierung auf inhaltliche Arbeit hat es in der Geschichte der radi sowieso nie gegeben, und hätte es bisher auch nie geben können.
Das Problematisieren von drohenden Hierarchien zwischen Kopf- und Handarbeit ist so alt wie die Ausweitung der radikal-Struktur selbst - wir strebten nie eine Aufteilung an, in der die einen eine Ausgabe verteilen und die anderen sie erstellen. Dem haben wir immer durch die verschiedensten Vermittlungsmodelle Rechnung getragen. Aber natürlich müssen diese Modelle immer die jeweils besonderen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Wer mit mehreren verschiedenen strukturellen Aufgaben belastet ist, kann zu einer inhaltlichen Debatte weniger beitragen - das heißt, es besteht die Gefahr, daß andere, die sich mehr um die Diskussion untereinander kümmern können, bereits Punkte beackert haben, woran die anderen noch gar nicht dachten. Aber die Gefahr besteht auch andersherum, denn linkes (autonomes) Politikverständnis erstreckt sich oft nur auf die Betonung der Praxis, dies ist auch in der radi nicht anders.
In einem Positionspapier in der Nr.146 steht folgendes: "Bei einigen von uns dominiert die Arbeit an der radi den politischen Alltag. Das ist ein Mißverhältnis, das wir gerne abbauen würden. Unsere Basis sollte die politische Organisierung 'vor Ort' sein, da wo wir leben, Strukturen aufbauen, organisieren, mobilisieren, Aktionen machen. Wir wollen keine hauptberuflich 'journalistisch' arbeitenden Menschen/Gruppen sein, sondern die radi ist für uns eine Struktur, die uns und anderen linksradikalen Zusammenhängen für Austausch und Diskussion zur Verfügung steht. Das entspricht unserer Meinung nach momentan auch dem Stand und den Bedürfnissen autonomer Organisierung in den Städten und Regionen.
Da gibt es zwischen uns und 'den einen' starke Unterschiede. Wir wollen zwar mehr politische Diskussionen unter uns, aber an der radi eine überregionale politische Organisierung hochzuziehen, wäre für uns im Moment ein aufgeblasener Luftballon, der der politischen Basis/Realität davonfliegt."
Pampel & Muse ("die einen") formulieren vier Seiten weiter hinten:
"Wir streb(t)en für diese Struktur mehr an als die regelmäßige Produktion und Verteilung der radi. In unseren Augen hat(te) sie einen Organisierungsgrad, eine Logistik und Größe erreicht, die über das hinausgeht, was wir sonst vorfinden; die uns ungenutzte politische Möglichkeiten eröffnet(e). Deshalb woll(t)en wir einen Schwerpunkt auf die gemeinsame Entwicklung legen mit der Möglichkeit im Hinterkopf, daß sich noch ganz andere Betätigungsfelder finden könnten, die über das 'wir machen zusammen die radikal' hinausgehen. Dieser Ansatz scheint derzeit eher ein Hirngespinst, da getrennte Wege eingeschlagen wurden."
Einige Zeilen vorher stellten sie aber selber fest: "Diese Struktur ist in unseren Augen nichts Statisches, einfach Existentes, sondern eine ständige Bewegung: hinterfragen, diskutieren und entwickeln. Entsprechend der Sensibilität und Energie die dafür aufgewendet wird, entwickelt sie sich weiter oder bleibt in einem Zustand hängen."
Eben - die radi ist, war und wird eine Struktur sein, die sich zur Verfügung stellt, die versucht ein Medium zu sein, in das sich möglichst alle verschiedenen linksradikalen Politikansätze einbringen können. Inwieweit untereinander in der Vernetzung noch andere Sachen eine Rolle spielen, hängt von der Qualität der Debatten und den perspektivischen Diskussionen ab. Sowie von den politischen Grenzziehungen des eigenen Selbstverständnisses, dazu nochmal ein Zitat aus der Nr.146:
"Für uns als Frauengruppe liegt keine Perspektive im Aufbau einer gemischten Organisierung, weder innerhalb noch außerhalb der radikal, sondern in der Frauenorganisierung (und so, wie die Verhältnisse derzeit sind) in erster Linie in der vor Ort. Das schließt nicht aus, daß wir Bündnisse mit gemischten oder Männergruppen eingehen, an Punkten, an denen uns eine Zusammenarbeit sinnvoll bzw. notwendig erscheint."
Standen bis ca. 1990 die strukturellen Probleme der Vernetzung im Vordergrund und bestimmten sie die internen Debatten, so prägte ab 1991 immer mehr die konkrete Erstellung einer radi die Diskussion. Wichtig ist für uns, was wir konstruktiv aus dem damaligen Scheitern für heute und die Zukunft rausziehen können. Denn es ist selbstverständlich, je mehr Gruppen sich in die konkrete Gestaltung der radi einbringen, desto wahrscheinlicher stehen sich sowohl inhaltlich unterschiedliche Vorstellungen und Gewichtungen, Positionen gegenüber, wie auch ein unterschiedliches Sich-Einbringen in die Struktur. Die radi vermittelt sich als ein Blatt, in dem verschiedene Strömungen zu Wort kommen sollen - das bedingt, daß die beteiligten Gruppen ein funktionsfähiges Arbeitsmodell entwickeln müssen, wie sie miteinander klar kommen, ohne daß Kriterien wie "Sympathie" oder "einheitliches Zeitungsverständnis" eine Rolle spielen.
Zugleich gibt es unübersehbare Schwierigkeiten innerhalb einer illegalen Struktur, denn keine Ausgabe kann in einer Vollversammlung beschlossen und fabriziert werden, sondern es werden bei einer Produktion einige Gruppen aus Gründen der Sicherheit und der Arbeitsaufteilung mehr Verantwortung übernehmen müssen als andere. Dadurch besteht in entscheidenden Phasen der Produktion eine einseitige Machtverteilung, nämlich zugunsten derjenigen, die bei der konkreten Artikelzusammenstellung mehr Verantwortung übernehmen. Auch wenn viele Gruppen einzelne Artikel schreiben, andere die O.L.G.A. anfertigen, müssen immer noch welche koordinierend wirken und bei mehreren unterschiedlichen Vorschlägen aus der Struktur schließlich das auswählen, was auf die letzten freien Seiten gepackt werden soll.
Jemand muß das Intro machen, es muß beschlossen werden, ob der Antifa-Block noch eine Seite mehr bekommen kann und wo die weggenommen wird, welche Reihenfolge die Artikel haben (lacht nicht, auch dies war Thema von Auseinandersetzungen) etc.pp.
Um das mal bildlich zu machen: Wie sollen sich eine radikalfeministische, eine antifaschistische und eine sozialrevolutionäre Gruppe, eine Gruppe, die vor allem Wert darauf legt, die Militanzdebatte umfassend zu dokumentieren und voranzutreiben, zwei Gruppen, die die O.L.G.A. und das GdV erstellen, sowie eine MigrantInnengruppe auf einen Konsens einigen, wie die nächste radikal auszusehen hat? Dazu kommen noch etliche Beiträge, die aus der Struktur vorgeschlagen wurden, sowie mehrere längere Artikel aus der Post.
Jede Gruppe hat in eigenen Diskussionen wahrscheinlich bereits 40 Seiten einer radikal gefüllt, mit dem was sie subjektiv als wichtig erachten. Und nun? Nun hauen sich die VertreterInnen gegenseitig ihre Begründungen um die Ohren, warum sie welche Seitenzuteilung für die einzig wahre halten - schließlich stehen in der nächsten radikal lediglich 100 Seiten zur Verfügung.
Ergebnis: Entweder es stecken welche zurück oder lassen sich gar von den Argumenten anderer überzeugen - oder aber spätestens nach zwei Ausgaben, die in kräftezehrenden Auseinandersetzungen noch zu einem Konsens getrieben wurden, knallt es ganz heftig im Karton.
Das ist kein übertriebenes Bild, das wir uns aus den Fingern saugen (von der Zusammensetzung der Gruppen mal abgesehen), sondern war während der Ausgaben 144 - 147 die Realität der radikal, warum sonst sind vier Hefte nacheinander mit je zwei Teilen und jeweils über 100 Seiten zustande gekommen? Es ging im Grunde nur noch darum, möglichst dicke Hefte zu machen, um die Auseinandersetzungen untereinander zu entschärfen. Denn es zeichnete sich absolut keine Lösung dafür ab, wer wie entscheidet, was reinkommt und was raus soll.
Gleichzeitig aber konnte es sich diese Struktur gar nicht leisten, daß die inhaltliche Debatte zur Erstellung einer einzelnen Ausgabe so dominant wird, daß die Fragen der Vertriebslogistik usw. hintenüber fallen. Unaufmerksamkeit können wir uns in diesem Bereich keinesfalls leisten.
Was ist also realistischerweise die Lösung? Wie kann der Gefahr der Hierarchie begegnet werden, die entsteht, wenn nur wenige den Inhalt der radikal bestimmen? Und wie geht es, daß die verschiedenen politischen Haltungen nicht nur nebeneinanderstehend zur Geltung kommen, sondern sich innerhalb eines produktiven Streites weiterentwickeln?
Wir halten die Autonomie der einzelnen Gruppen für eine unverzichtbare Voraussetzung. Sie ist die einzige realistische Arbeitsgrundlage einer sich immer weiter verzahnende Struktur der radikal. Da dies aber, wie oben beschrieben, dazu führen würde, daß die radikal je nach Gruppenanzahl immer fetter und damit unlesbarer werden würde, kann die Schlußfolgerung nur sein, daß die letzte Entscheidungskompetenz über die konkrete Zusammenstellung der jeweiligen Ausgaben rotierend wechseln muß. So würde auch für die LeserInnen am deutlichsten werden, welche Gruppe innerhalb der radikal welchen politischen Ansatz verfolgt.
Das beinhaltet dennoch regelmäßige und feste Bereiche innerhalb der radi.
Das bedeutet nicht, daß die Gruppen innerhalb der radikal nicht miteinander debattieren können und sollen, ganz im Gegenteil. Alleine die nötige Koordinierung, wer sich mit welchem Thema beschäftigen will, relativiert die Autonomie einer Gruppe auf ein gewisses Maß. Ein festes, nach außen vermitteltes Konzept des Modus, wie die Zusammenstellung einer einzelnen radi zustande kommt, könnte die Debatten am konkreten Punkt ansetzen lassen, anstatt sich im nachhinein über Machtvorwürfe auseinanderzusetzen.
Wir reden nicht einer Liberalisierung und Beliebigkeit der radikal das Wort - im Gegenteil, wir wollen die radikal schärfen, indem Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Gruppen in Zukunft sichtbarer werden und nicht im Streit um eine konkrete Seitenvergabe gebunkert werden. Es heißt auch nicht, daß wir uns jetzt allen möglichen Positionen öffnen würden.
Wir können uns eine radikal ohne die verstärkte Diskussion zwischen den einzelnen Gruppen nicht vorstellen - genau deshalb fanden wir auch die Zeit von 1991 bis 1993 trotz allem die anregendste Zeit innerhalb der radi - nur müssen wir die richtigen Konsequenzen aus dem vorläufigen Scheitern dieser Entwicklung ziehen.
Unsere Zielvorstellung ist nicht eine immer bessere radi, ausgerichtet nach den Vorstellungen einiger weniger Gruppen, sondern das Anregen und Bestärken des politischen Streits über die verschiedenen Ansätze innerhalb der radikalen Linken. Das ist das Wahrnehmen von verschiedenen Ausgangsbedingungen und Identitäten, die politische Positionen erst erklärbar machen.
Machen wir uns nichts vor, linksradikale Politikansätze sind im Moment am Überwintern, es geht in der nächsten Zukunft vor allem darum, ein bestimmtes erreichtes Terrain nicht deshalb wieder zu verlassen, weil mit einem Krisenszenario herumlamentiert wird, das die gesellschaftliche Isolierung einseitig der Verantwortung linksradikaler (militanter) Politik zuschreibt. Neue Zuversicht in Hinsicht auf linksradikale Praxismöglichkeiten zu gewinnen, heißt auch, den Bündnischarakter der radikalen Linken stärker vom politischen Anspruch zur realen Praxis zu machen.
Zu guter Letzt noch ein Zitat aus einem Positionspapier in der Nummer 146:
"Das Verhältnis rassistischer, sexistischer und kapitalistischer Unterdrückungsstrukturen zueinander, Infragestellung von militanter und bewaffneter Politik, Zusammenwirken von politischen und sozialen Bewegungen, Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten in die gesellschaftliche Realität hinein usw. sind Fragen, die sich für uns aus unserer eigenen Geschichte und Praxis stellen. Für uns ist die Arbeit an der radi nicht davon losgelöst, sondern wir wollen das Projekt selbst ständig hinterfragen und überlegen, welche Bedeutung und Funktion die radi in solchen grundsätzlichen Diskussionen haben kann. Es ist bezeichnend für unseren Zustand innerhalb der radi, daß wir im eigenen Konfliktsumpf versinken und bislang nicht in der Lage waren, uns dazu zu äußern, wo es doch teilweise ähnliche Probleme sind, mit denen auch wir uns herumschlagen. Das Problem, daß eine verdeckte Struktur halt eben über ihre Praxis (in unserem Fall der Vertrieb der radi) zusammengehalten wird und die politische Bestimmung eher zu kurz kommt, scheint uns nicht nur unser Problem zu sein, sondern z.B. auch in der Zusammenarbeit der RZ eine Rolle zu spielen."


Mit halber Kraft vorwärts
Nach diesen Überlegungen zu Möglichkeiten künftiger konzeptioneller Abfederungen, sollte die radi zum zweiten Mal den "Luxus" erleben, von der Beteiligung verschiedenster Gruppen überrollt zu werden - zurück in den radi-Alltag.
Acht Monate hat es gedauert, bis sich die radi nach den Wirren des "Konflikts" im November 1993 mit der Nummer 148 wieder in der Öffentlichkeit zurückmeldete.
"Einige haben aufgehört - abgesehen von einzelnen technischen Aufgaben, die trotz der vorhandenen Gräben zusammen gelöst werden können. Sie sahen darin - in Anbetracht der zerstrittenen Situation - die einzige Möglichkeit, die Weiterexistenz von radi zu gewährleisten. Die alten Probleme spielen im Augenblick kaum eine Rolle, wir haben uns damit abgefunden und sehen in ihrer Aufarbeitung keine Hauptaufgabe, obwohl sie in Diskussionen immer wieder auftauchen. Wir rechnen immer noch mit inhaltlichen Beiträgen der anderen."
Kurz und knapp wurde im Intro das bittere Ende unseres Konflikts vermittelt. Um zwei zentrale Zusammenhänge geschwächt, raffen sich die verbliebenen Gruppen mit einzelnen Neuzugängen wieder auf, versuchen ihre letzten Energien zu mobilisieren, um einen neuen Start zu wagen. Einige, die sich während des Konflikts den "AussteigerInnen" verbunden fühlen, bleiben zwar dabei, sind zunächst vorsichtig bereit zur "nötigen Strukturarbeit", bleiben aber skeptisch.
Im Vordergrund steht wieder die Aufbauarbeit, gemeinsame inhaltliche Diskussionen treten notgedrungen wieder in den Hintergrund. Wieder existiert eine Phase, in der unheimlich viel Energie in die Struktur investiert werden muß. Allerdings findet der Bruch in der radi selbst nicht den Niederschlag, wie zu befürchten war. Mittlerweile macht sich die jahrelange gemeinsame Erfahrung bemerkbar, die "Techniks" lassen sich wesentlich übersichtlicher und streßfreier erledigen als früher. Zwar haben sich Gruppen aus der Fraktion zurückgezogen, die für mehr eigene Beiträge plädiert hatte, dennoch erscheinen spätestens ab der Nummer 149 wieder recht viele von radi-Gruppen verfasste Artikel. Auch die Diskussion innerhalb einzelner kontinuierlich inhaltlich arbeitender Zusammenhänge ging weiter. So beginnt die "Gegen das Vergessen"-Combo in der Nummer 149 mit ihrer Auseinandersetzung über die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse, eine Gruppe beschäftigt sich regelmäßig mit der Flüchtlingspolitik, die O.L.G.A.-Gruppe und deren Projekt entwickelt sich weiter, ein Zusammenhang konzentriert sich auf eine intensivere Auseinandersetzung mit der Kurdistan-Solidarität und auch die Diskussion um Organisiserung der Linken sowie militanten und bewaffneten Widerstand findet sich, wenn auch zu knapp, kontinuierlich in der radi. Die "Ausgestiegenen" übernehmen weiterhin Aufgaben und bleiben auch in der Zeitung präsent.
Langsam stabilisiert sich die Struktur wieder, die Bedeutung eigener Beiträge und die Rolle der O.L.G.A. waren mittlerweile weniger umstritten und alle finden Platz in der radi, um ihre Schwerpunkte zu setzen. Innerhalb der Struktur entwickelt sich eine Atmosphäre, in der gemeinsames Diskutieren und Arbeiten wieder möglich wird. Die Widersprüche, die uns über Jahre blockiert hatten, scheinen wieder diskutierbar zu sein. Nachdem trotzdem über mehrere Nummern das sichere Fortbestehen der Zeitung im Vordergrund steht, wollten wir uns nach der radi 152 im März 1995 wieder eine interne Verdauungspause gönnen, um nach den Erfahrungen der vergangenen fünf Nummern Resümee zu ziehen und weitere Schritte zu bestimmen. Vieles mußte und muß geklärt werden. Über die anstehenden Fragen und Diskussionen haben wir uns recht ausführlich in unserem Intro in der Nummer 153 geäußert. [Das Intro wird auf den folgenden Seiten dokumentiert, Anm.] Da es unserem aktuellen Diskussionsstand entspricht, machen wir an dieser Stelle mit der Aufarbeitung einen großen Punkt.


The future ...
Der Angriff der Bundesanwaltschaft hat die radi in der linksradikalen Öffentlichkeit wieder mehr ins Gespräch gebracht. Ein beschissener Anlaß, und doch läuft dadurch jetzt eine Diskussion, die ohnehin für die Zukunft der Zeitung existentiell notwendig ist. So können wir einige unserer wichtigsten Fragen nicht nur an uns selbst, sondern auch an die linke Szene richten, die unserer Meinung nach mitbestimmen sollte, was mit der radi weiter passiert.
"Doch wie haltet ihr, wie hält es die UnterstützerInnenszene eigentlich mit uns? Inwieweit ist das jetzige Aufbäumen mehr als die Betroffenheit darüber, daß GenossInnen im Knast sind oder abtauchen mußten?" haben wir deshalb in unserem Intro in der Nummer 153 die LeserInnen gefragt. Wir wollten mit dem von derartigen Appellen strotzenden Intro dafür sorgen, durch eine Diskussion über die Möglichkeiten und den Sinn des Fortbestehens der radi mehr Klarheit zu bekommen. Diese Diskussion ist in den letzten Monaten langsam in Gang gekommen. In der nächsten radi (Nummer 154) werden wir verschiedene Stellungnahmen veröffentlichen und natürlich auch unseren eigenen Senf dazu abgeben.
Die radi hat eine nicht zu verachtende Kontinuität bewiesen, die doch immer wieder von Brüchen begleitet war. Brüche, die immer ihre Entsprechung im Zustand der radikalen Linken hatten. Vom sozialistischen Stadtblatt über eine Bewegungszeitung mit avangardistischen Kreativitätsmomenten bis zur - von militanter und bewaffneter Politik inhaltlich bestimmten - verdeckt organisierten Struktur. Und jetzt?
Die radi soll auch weiterhin die Plattform darstellen, auf der über die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Sichtweisen gestritten werden kann. In der Zeitung soll kommuniziert, sollen Erfahrungen ausgetauscht, soll radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen nicht nur geäußert, sondern auch propagiert werden. Sie wird weiterhin Forum revolutionärer Praxis bleiben.
So viel ist klar. In diesem Sinne wird die radi weder ein Linienblatt einer linksradikalen Fraktion noch eine rein zufällige Zusammenstellung irgendwelcher Aktivitäten sein.
Wie aber ist es bestellt um diese Fraktionen? Die radikale Linke hat mehr Fragen und Widersprüche als je zuvor. Diese Widersprüche spiegeln sich natürlich auch in unserer Struktur wieder. Wie wir in unserem Intro beschrieben haben, existieren unterschiedliche Einschätzungen über die Rolle militanter Kämpfe und bewaffneter Politik. So wird darüber gestritten werden müssen, welche Bedeutung diese Entwicklung für die radi hat oder - andersrum - welche Bedeutung die radi für - gegen? - diese Entwicklung haben kann. Hat die Zeitung genau die Aufgabe, in Zeiten der allgemeinen Skepsis bezüglich solcher Angriffe ein Mehr an Auseinandersetzung einzufordern? Oder stellt die Situation die Notwendigkeit der radi in Frage, weil sie als Organ von Militanten anachronistisch ist?
Oder geht es etwa darum, den Raum innerhalb linksradikaler Kommunikationsstrukturen zu definieren, den eine staatlich nicht kontrollierbare Zeitung, die bundesweit vernetzt ist, einnehmen muß? Wo ist dieser Raum zwischen freien Radios, (wenigen) Stadtzeitungen, linken Medien, die eine ganz bestimmte politische Linie vorgeben, und dem Internet?
Fragen, die wir nicht alleine beantworten wollen und auch nicht werden. Die radi ist keine Zeitung zum Konsumieren. Sie wird sich weder einer Mainstream-Stimmung der hoffnungslosen Wirklichkeit anpassen noch die Wirklichkeit ignorieren.
Die Veränderung der Bedingungen der Linken wird die radi verändern. Wie, das hängt von allen ab, die auf der Notwendigkeit unkontrollierter Kommunikation bestehen. Wird die Zeitung genutzt und gebraucht, wird sie auch in zehn Jahren noch existieren. Gemacht von denen, für die linke Kommunikation mehr ist als die einseitige, hierarchische Vermittlung von Information. Um so mehr sich an der dafür notwendigen Struktur beteiligen, um so umfassender, regelmäßiger, aktueller und differenzierter könnte die radi werden. Aufbauend auf einer elfjährigen Erfahrung verdeckt organisierter Zeitungsproduktion. Elf Jahre Auseinandersetzungen um eine Struktur, die trotz illegaler Bedingungen immer wieder ihre Handlungsfähigkeit bewiesen hat. Eine Struktur, die sich ständig veränderten Bedingungen anpassen mußte, organisiert von den verschiedensten Menschen, aus den unterschiedlichsten linksradikalen Spektren, die trotz vieler Niederlagen gelernt haben, verbindlich miteinander umzugehen. Und ohne Verbindlichkeit, Zähigkeit und ständiges Ringen mit- und gegeneinander wird kein Versuch von Organisierung, legal oder illegal, erfolgreich sein.

The future is unwritten!
Bleibt radikal!