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Wed Sep 25 23:26:43 1996
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Alles hat ein Ende - nur die Wurst hat zwei!
oder: Die Müllerinnen haben immer noch Lust auf Krawall!
Einige Frauen aus der radikal
Dieser Beitrag entsteht vor dem Hintergrund einer längeren Mitarbeit in
der radikal, die nach 1984 begann und vor 1993 endete. Das Folgende ist
also weder für den ganzen Zeitraum noch für alle Frauen, die zu
dieser oder anderer Zeit mitgearbeitet haben, repräsentativ.
Es geht grundsätzlich um die Frage, welche Stellung Frauen/Lesben in
gemischten Medien einnehmen bzw. welchen Stellenwert gemischte Medien für
uns haben, welchen Platz wir darin einnehmen wollen und welche Position
einzelne von uns zu radikal hatten/haben?
Diese Fragen können nicht pauschal und allgemeingültig für alle
Frauen/Lesben beantwortet werden, da sie von der jeweiligen
politisch/strategischen Vorstellung abhängen: Geht es um autonome
Frauen/Lesbenorganisierung, oder geht es um gemischte Organisierung, die
patriarchale Ausbeutung und Unterdrückung in und mittels
gemischt-geschlechtlicher Organisierung bekämpfen will? Hinter so
unterschiedlichen Vorstellungen stehen zwei unterschiedliche
Organisierungskonzepte, die eine jeweilige Praxis von Frauen/Lesben nach sich
ziehen - auch was die Mitarbeit in einem gemischten Projekt wie der
radikal betrifft.
Eine Schwierigkeit besteht darin, daß viele intern geführte
Diskussionen keinen Niederschlag in veröffentlichten Artikeln fanden, oder
bei einzelnen Artikeln wegen fehlender Kennzeichnung zumindest die
Miturheberinnenschaft einzelner von uns nicht sichtbar wurde.
Als damals einzelne Frauen/Lesben in das Projekt einstiegen, geschah dies mit
der Vorstellung von gemischter Organisierung. Wir sahen eine Struktur wie die
der radikal als unabdingbar für radikale Organisierung an. Zum
einen wegen der Überregionalität (weg vom regionalen Mustopf), als
auch wegen der verdeckten Form der Struktur, die zwingend notwendig war wegen
der Repression, aber die wir auch für bereichernd hielten, denn sie
erzwang nicht die Schere im Kopf. Zudem wollten wir unsere inhaltlichen
Vorstellungen als eine Grundlage linksradikaler Organisierung einbringen und
durchsetzen. Das war auch notwendig, denn seinerzeit wurde die Hervorhebung des
Kampfes gegen patriarchale Unterdrückung und Ausbeutung von der Mehrheit
in der radikal lediglich als Einstellung toleriert. Eine praktische
Konsequenz unseres Konzeptes (verfaßt von einer gemischten Gruppe) sollte
sein, daß bestimmte Themen wie Sexismus nicht nur gemischt, sondern auch
von Frauen und Männern getrennt diskutiert werden sollten.
Wenn wir heute selbstkritisch unsere damaligen Konzeptpapiere lesen, sehen wir,
wie reduziert sich Diskussionen in der Gruppe und in der Struktur vermittelten,
als auch, wie verschwommen die damalige Begrifflichkeit war. Wir schrieben
zwar, daß man nicht von "Menschen" allgemein sprechen
könne, da diese Formulierung "überdeckt, daß Männer
und Frauen hier unterschiedliche Ausgangsbedingungen haben, aus denen sich
sowohl eine andere Wahrnehmung als auch andere Kämpfe ergeben"
(134, Teil 2, S.76), aber gerade zum Punkte Patriarchatskritik, -analyse kam
nicht mehr viel nach. Auch bei den Hauptaufgaben der radikal, die wir
zum Schluß aufzählten, gab es keinen ausdrücklichen Punkt, der
sich zum Ziel setzte, feministische Inhalte zu verbreiten und
Frauenlesbenaktionen zu dokumentieren. Lediglich die Hinweise auf
"Adler" (eine Billigklamottenladenkette, die Textilarbeiterinnen
im Trikont besonders übel ausbeutete) und "Flüchtlinge"
deuteten an, daß unsere inhaltlichen Vorstellungen stark von den Analysen
und Aktionen der RZ und Rote Zora beeinflußt waren. Die Aktionen der
Roten Zora gegen die Adler-Filialen waren für uns kämpferischer
Ausdruck von internationaler Frauensolidarität, die
Flüchtlingskampagne der RZ ein notwendiger Ausdruck der Unterstützung
und Solidarität mit rassistisch/sexistisch selektierten und ausgegrenzten
Frauen und Männern außerhalb der westeuropäischen
Kernländer - eine notwendige Ergänzung zu anderen
internationalistischen Unterstützungskampagnen mit Befreiungsbewegungen im
Trikont - praktischer Antiimperialismus in den Metropolen. Aber dies war
lediglich zwischen den Zeilen lesbar und wäre für Außenstehende
schwerlich aus den Texten allein rekonstruierbar.
Diese Ungenauigkeiten sind sicher zum einen einer erst wachsenden inhaltlichen
Klarheit, aber auch der sich erst entwickelnden
"Schreibfähigkeit" geschuldet.
Doch zurück - wir wollten feministische Standpunkte, Analysen und Inhalte
in die Diskussion tragen und außerdem intern getrennt-geschlechtliche
Diskussionen führen. Eine inhaltliche Begründung dafür lieferten
die Männer der Gruppe in einem Text in der 134, Teil 2.
Kurz gesagt, es war nicht durchsetzbar, da die Mehrheit - Frauen wie
Männer - keinen Grund und keine Notwendigkeit für ein solches
Vorgehen sah. Diese Position war damals absolut gängig in der Linken, und
auch heute scheint sich wieder eine entsprechende Mainstream-Meinung
durchzusetzen, die bestenfalls wohlwollend toleriert, wenn Frauen sich
organisieren, aber für sich selbst die Frage der getrennt-geschlechtlichen
Organisierung nicht in Betracht zieht.
Begründet wurde die Ablehnung unseres Konzeptes damals nicht
großartig - aber unterschwellig schwang das männlich Überlegene
mit, der Rückzug auf vertraute Territorien, auf denen mann sich sicher
fühlte. Nach dem Motto: 'Ist ja wichtig, aber der Kampf gegen
US-Imp. oder Faschisten, oder Hausbesitzer, oder sonstwas ist viel
wichtiger!' Im übrigen wurde deklamiert: 'Wir sind keine
Macker', oder von Frauen: 'Wir fühlen uns nicht
unterdrückt', und unisono und sowieso: 'Männer, die sich
mit Männern organisieren wollen, werden wohl von den Frauen in ihrer
Gruppe unterdrückt oder sind abgedrehte, oberintellektuelle
Hirnwichser.'
Unterschwellig transportierten sich selbstverständlich in solchen
Diskussionen alte sexistische Standpunkte, feministische Standpunkte wurden oft
erst dann wahrgenommen, wenn es eine militante Aktion von Frauen gegeben hatte.
Schon in den eigenen Strukturen wurden Frauen, die viel schrieben und sich
nicht schwerpunktmäßig im organisatorischen, technischen Bereich
engagierten, sondern konfrontativ feministische Inhalte vertraten und keine
offensichtlich "militante" Praxis aufwiesen, von einigen nur
mühsam als Genossinnen akzeptiert. Und wenn doch, dann aufgrund ihrer
Arbeitskraft - ein durchweg funktionales Verhältnis, das sicher nicht auf
dem oft beschworenen gegenseitigen Vertrauens- und Respektverhältnis
beruhte. Natürlich existierten dadurch, Inhalte als auch Umgangsformen
(Chefstrukturen) betreffend, Kampfverhältnisse untereinander. Das galt
nicht für alle am Projekt Beteiligten. Es gibt auch die andere Seite:
Diejenigen, die eher im technischen Bereich arbeiteten, fühlten sich von
den als "Intellektuelle" Bezeichneten abqualifiziert. Das
größte Problem war wohl, daß es wenig Raum für
ausführliche gemeinsame Diskussionen gab. In der "Natur"
dieser Strukturen liegt, daß sie technisch sehr aufwendig und
arbeitsintensiv sind. Der Platz für inhaltliche Debatten muß sehr
bewußt eingeräumt werden, weil er sonst immer gegenüber den
(kurzfristig) existentielleren, wichtigeren Technix auf der Strecke bleibt.
Konflikte bestanden nicht darin, daß Beiträge von Frauen oder
Männern mit antipatriarchalem Inhalt nicht veröffentlicht wurden. Es
hing vielmehr immer alles von der Eigeninitiative ab. Wenn man die Stärke
aufbrachte und powerte, dann in der Regel meist mit Erfolg. Das machte eine
Offenheit des Projektes aus, war aber auch Anzeichen für eine gewisse
Beliebigkeit (die immer wieder Thema von Diskussionen war).
Richtig Schluß war dann bei dem Anspruch, sich gemeinsam in eine
inhaltliche Richtung zu entwickeln. Wenn es an das schon erwähnte
Eingemachte ging, die Frage nach der eigenen Person, beharrten alle meistens
auf ihren Standpunkten. Das hatte schon wieder den Vorteil, daß frau
wußte, woran sie war - was sie erwarten konnte, und was aber nicht.
Die Eigeninitiative, von der dann so viel abhing, setzte ein ständiges
Funktionieren voraus. Ein Stärkebegriff entwickelte sich parallel dazu,
der Durchziehertum, funktionalen Umgang mit sich und anderen nach sich zog. Oft
ging an ihm kein Weg vorbei, oft konnten aber gerade Männer sich auf die
Weise lästigen Diskussionen außerhalb der radikal entziehen,
z.B. warum sie zuhause nicht abwaschen: 'Habe gerade was irre Wichtiges zu
tun'. Auch innerhalb der radikal wurden Sachzwänge gerne ins
Feld geführt, um unliebsame Diskussionen abzubiegen, 'es stehen noch so
viele Technix an, wir haben keine Zeit mehr, dieses oder jenes zu
besprechen...' Das galt nicht nur für Männer, aber eben auch und
gerade für Männer. Es ist schließlich immer eine Frage, wem
Anonymität, eine reduzierte Wahrnehmung und entsprechend reduzierte
Diskussionen der ganzen, umfassenden Persönlichkeit entgegenkommen? Das
soll kein generelles Argument gegen verdeckte Strukturen sein, sondern ist als
Hinweis gemeint, wie Mann und Frau, die sich in solchen Strukturen bewegen,
ihre eigene Tätigkeit reflektieren sollten. Oft war es auch schlicht
Ausdruck von persönlichem, sozialem Unvermögen. So oder so ist es ein
Terrain, wo sich keine/r die Selbstkritik sparen kann.
Wir schlugen uns also mit diesen Anforderungen individuell herum, kauten an
unseren eigenen Persönlichkeitsveränderungen herum, die durch die
intensive, auch sozial abgetrennte Arbeit (da man über sie nur mit wenigen
redete) entstanden.
Artikel aus dieser Zeit waren u.a. die Dokumentation einer Frauenradiosendung
in Radio 100, Westberlin, von Frauen aus dem "autonomen Frauenplenum
gegen die Weltbank und den Internationalen Währungsfond" zu
Frauenarbeit, oder Internationalismus. Einige von uns beteiligten sich an
Vorläufern des späteren "Gegen das Vergessen" in der
136 Teil 2:
"Kampf gegen imperialistische Flüchtlingspolitik zu entwickeln
geht Hand in Hand mit der Beschäftigung mit der faschistischen Geschichte
der BRD. Bei der Beschäftigung mit der Geschichte der organisierten
Vernichtung und des Widerstands dagegen, wird die Dimension klarer, die unser
Kampf und unsere Ziele hier haben. Mit einem klaren Bewußtsein der
faschistischen Kontinuität erscheinen auch 'tagespolitische'
Ereignisse in einem neuen Licht. So wird die Ermordung eines Flüchtlings
in Tübingen, den ein Ladenangestellter beim Klauen erwischt hatte, die
Überfälle der organisierten Faschisten gegen Flüchtlingslager
erkennbar als Spitze des Eisberges. Der Boden dieses Eisberges ist das
Hinnehmen breiter Teile der Bevölkerung, das Hinnehmen der Vernichtung.
Dieser Boden wird durch die permanenten rassistischen und sexistischen
Mobilisierungen des Staates geschaffen, anhand der Flüchtlinge, anhand der
SS 218 Prozesse in Bayern (Memminger Massenprozesse damals), wo das sexistische
Bild von Frauen als die lebensspendende Produktionsmaschine ohne freie
Selbstbestimmung über den eigenen Körper festgeklopft wird, in den
sexistischen Kampagnen gegenüber Lesben und Schwulen (in England ganz
offen in Form des SS clause 28, der das positive Darstellen von
Homosexualität in der Öffentlichkeit kriminalisiert) usw. Diese
sexistischen und rassistischen Strukturen, die verinnerlicht, in die Köpfe
gehauen werden, schaffen den Boden, auf dem imperialistisch/patriarchale
Unterdrückung, Ausbeutung und Vernichtung sich hier ideologisch am Leben
erhält, sich reproduziert und immer wieder weiterentwickelt..."
(S.93).
In der 137 kam ein Artikel zum Zusammenhang von Faschismus und Sexismus.
Andere von uns recherchierten liebevoll Chronologien zu den Hungerstreiks, die
von verschiedenen sog. sozialen Gefangenen und RAF- und Widerstands-Gefangenen
1989 gemacht wurden. Besonderes Gewicht hatten dabei die Aktionen und
Erklärungen der Frauen aus dem Frauenknast Plötzensee. Kleine
Nettigkeit nebenbei, im Zeitalter der Computer wird es nicht mehr vielen
auffallen, aber das klebemontierte Bild zu der Hungerstreik-Chronologie in der
137 (S.20), auf dem eine Frau Gitterstäbe durchtritt, war auch eine der
Formen, mit denen sich Frauen bemühten, den Mangel an Bildern, besonders
was die - andere - Darstellung von Frauen angeht - zu beheben.
Andere versuchten durch die Auswahl der dokumentierten Artikel ihre
Auffassungen in der radikal unterzubringen. So mit dem Artikel
"Hungerstreik vorbei, was nun?" in der 138, Teil 1. Auf Seite
48/49 wird dadrin kritisch festgestellt, daß das "fehlende
Verhältnis zum Knast sich krass in der Bewertung des Hungerstreiks der
Frauen in der Plötze zeigte. Zwar gab es das Bemühen, diesen
Hungerstreik in die laufende Mobilisierung einzubeziehen, die Art und Weise,
wie das meistens geschah, zeigte jedoch, daß viele Genossinnen und
Genossen draußen die politische Bedeutung dieses Kampfes nicht begriffen
haben.(...) In einigen Veranstaltungen wurde überhaupt nichts zur
Plötze gesagt. Wir können es wirklich nicht mehr gelassen ertragen,
wenn Genossinnen und Genossen immer wieder ihr 'Die Plötzefrauen sind
uns nah' oder 'Den Kampf der Plötzefrauen finden wir total stark'
herunterbeten und dazu sonst politisch nichts zu sagen haben. Die Frauen haben
mit ihrem Widerstand auch den sogenannten Behandlungsvollzug, der als
reformierter (modernster) Strafvollzug gilt, angegriffen und somit ein
Vorzeigeprojekt der Herrschenden stark in Mitleidenschaft gezogen. In diesem
Beton-Psycho-Knast, wo so manche von uns die Ohnmacht beschleicht, wenn wir
davor stehen, finden Frauen ihre eigene Sprache des Widerstands (...) Besonders
wichtig ist doch, daß die Frauen in der Plötze den Kampf mit
Forderungen geführt haben, an denen sich eine Perspektive für den
gesamten Knast aufzeigt (...) Im Gegensatz z.B. zu den Forderungen der
gefangenen Männer in Tegel (die auch 'eigene' Forderungen sind)
betonen die Frauen in der Plötze viel stärker den sozialen Aspekt der
Selbstbestimmung und Kollektivität, aus dem heraus Stärke und
gemeinsamer Kampf entsteht."
In der 138, 2.Teil folgte dann noch eine historische Aufarbeitung zum Thema
ArbeiterInnenbewegung und Frauenbewegung anläßlich der Diskussionen
um den 1. Mai und die Krawalle in Westberlin. Festgestellt wurde dort von
einigen von uns, daß "die meisten autonomen Männer
nachwievor ihr eigenes Tun und Handeln nicht reflektieren, da sie kein
grundsätzliches Interesse an antipatriarchalen Inhalten haben."
(S.15)
Als letztes Beispiel für Arbeit einzelner von uns, aber ohne
"namentlich" Kennzeichnung, sei noch ein Artikel in der 139 auf
S.118/119 zu den großen Prozessen gegen Feyka Kurdistan erwähnt.
Schon damals wurde thematisiert, warum die Solidarität zu den Kurdinnen
und Kurden, die bei Feyka organisiert sind, im Verhältnis zu der sie
treffenden Repression so gering ist. Als wichtiger Punkt wurde dort genannt,
daß "dem Wesen von marxistisch/leninistischen Parteien
entsprechend, die PKK ein ausgesprochen funktionales Verhältnis zu Frauen
hat. Vor einigen Jahren gründete sie neben einer Jugend- eine eigene
Frauenunion, aber diese soll sich um die 'Rückständigkeit' der
Frauen kümmern, um sie dann in den allgemeinen Klassenkampf einreihen zu
können. Unterdrückung in der Partei durch Männer gibt es
offiziell nicht. Und wenn, wird 'offiziell'
maßgeregelt."
Parallel beschäftigten wir uns öfter mit der Frage, ob wir
Peinlichkeiten aus dem Inhalt der jeweiligen radikal-Ausgaben lieber
gleich zensieren sollten oder ob sich die radi-Männer bei
gelegentlichen inhaltlichen Beiträgen ungestört und richtig blamieren
sollten. Auf der einen Seite wollte frau das Bild der radikal nicht
schönfärben und damit in der Öffentlichkeit einen falschen
Eindruck entstehen lassen, auf der anderen Seite kämpfte frau um ein
bestimmtes inhaltliches Profil, das sie sich nicht versauen lassen wollte.
Es ist ja auch außerordentlich ermüdend, die Rolle der
"notorischen Quengeltante" zu spielen. Heute ja noch wird von den
Frauen in linken Zusammenhängen regelrecht erwartet, daß sie in
Diskussionen ihr Sprüchlein aufsagen: 'Also, ich vermisse jetzt aber
wirklich den Frauenstandpunkt...' Mit so einer Rollenzuweisung wollen sich
die Herren das Denken ersparen und, indem sie Problembewußtsein
signalisieren, vielleicht sogar noch Fortschrittlichkeit demonstrieren.
Schlußendlich ist es ein ignorantes, zynisches und ausbeuterisches
Verhältnis. Diese Rolle sollte frau tunlichst zurückweisen.
Wir haben noch einmal herumgestöbert und haben ein gutes Beispiel für
diesen Zwiespalt gefunden. In der 140 war ein "Interview mit einem
türkischen Genossen" zu Jugendgangs ("Seit rund 3 Jahren
rotten [für den Schreiber ein positiver Begriff, Anm.] sie sich zusammen.
Hier geboren, nicht hier geboren - Jugendliche mit unterschiedlichen
Nationalitäten. Gemeinsam gegen eine rassistische Gesellschaft. -
Tagtäglich auf der Straße kloppen sie Nazis, gehen sie rauben, geben
sie den Bullen zurück, was sie täglich einstecken. Machen Frauen an,
weil sie ihren Haß nicht nur an korrekten Stellen ablassen. -
Widerspenstig, unausstehlich, mackermäßig - aber unwiderstehlich?
...")
Das Interview geht über viele Seiten, immer wieder gespickt mit
Setzerinnenbemerkungen. Grundtenor des Interviewers wie des Interviewten ist
eine sich gegenseitig bestärkende, abfeiernde, männliche
hubba-hubba-Stimmung: "Akan: Ja, es kann sein, daß sie [=Leute von
den Jugendbanden, Anm.] einen Edeka-Laden aufgemacht haben und beim
Rückzug auf die Bullen getroffen sind. 20 von ihnen sind festgenommen
worden, aber alle mußten freigelassen werden, weil sie denen nix beweisen
konnten. - Fred: Aber vorher haben sie son Glatzentreffen aufgemischt? Oder wie
war das? - Akan: Na ja, da waren so 10 Glatzen und sie haben sich gesagt, wenn
es nur 10 Glatzen sind, machen wir ersteinmal Edeka klar und dann gehen wir die
Glatzen klatschen. Weil sie haben gehofft, daß noch mehr Nazis da sind,
es waren aber weniger, und dann haben sie ... - Fred und Akan: Erst Edeka und
dann die Nazis klargemacht..., hahahöhö, gröhl." (S.54)
"Fred: Gibt es eine eigenständige Frauengruppe? - Akan: Eine
Frauengang gibt es. Ich denke mir, daß die gemeinsame Sache mit den 36
boys machen. Die Frauen sind auch vor kurzem von den Bullen festgenommen
worden, weil sie 30 Baseballschläger dabei hatten (na klasse! in dem grips
vom interviewer spielte sich wohl nix ab, sonst hätte er ja wohl jetzt
nachgefragt - diese männer! d. S'in)(...)" Es folgt ne Diskussion
über den Sexismus der Gangs, dann wieder Akan: "Ja, zur Zeit wird
sehr viel darüber diskutiert. Hauptsächlich die Leute aus den
Jugendgangs, die hier geboren sind, schmeißen sich dabei ins Zeug. Die
anderen sind anders drauf als die in der Türkei geborenen. Sie sind
solidarischer mit den Frauen (na ich denke mir, die frauen in den gangs oder
die eine frauengang sind auch nicht schlecht am pauern, daß sich was
ändert. kann doch gar nicht anders sein, sonst würden die typen doch
nix machen, d.s'in) Ich denke mir, daß sich das mit der Anmache nur
ändern wird, wenn immer mehr Frauen in die Banden reingehen. Das wird auch
von den türkischen Antifas propagiert und auch, mehr gegen Sexismus zu
machen. Aber ich denke, das braucht noch Zeit, bis es sich unter den
Jugendlichen durchsetzt. (Frauen bildet Banden! Yeah! d.s'in)" (S.55).
Vorher schon hatten sich bei einigen Frauen die Überlegungen
verstärkt, gemeinsam und massiver feministische Inhalte in die radikal
zu tragen, sie auch namentlich zu zeichnen und einen eigenen Post-Kanal
für Frauen (Stichwort: Frauen-ZK) einzurichten.
Diese Veränderungen hingen stark mit unserer sonstigen politischen
Entwicklung zusammen. Unsere Vorstellung von Frauenkampf verschob sich noch
mehr in Richtung autonomer Organisierung und gemeinsamer Arbeit mit
Frauen/Lesben, Schaffung eigener Strukturen auch in der radi selber.
Wir sahen die radi weiterhin als einen unverzichtbaren Bestandteil
für linksradikale, überregionale Organisierung, und aufgrund unserer
eigenen politischen Sozialisation in gemischten Zusammenhängen waren wir
der Ansicht, daß Feministinnen sich nach ihrer Entwicklung hin zu
autonomen Frauenkämpferinnen nicht vollständig aus gemischten
Zusammenhängen herausziehen, sondern ihr Verhältnis zu ihnen neu
definieren sollten.
Wir sahen gemischte Medien als Forum, um andere Frauen zu erreichen, die nicht
von sich aus auf den Gedanken kommen, Frauenzeitungen zu lesen. Durch unsere
Präsenz in diesen Foren haben wir die Möglichkeit, unsere
inhaltlichen Konflikte (aber auch Gemeinsamkeiten) mit den Gemischten zu
benennen und auf deren Widersprüche, Halbheiten etc. hinzuweisen. Durch
diesen offenen Umgang mit gemischten Projekten und in der offensiven Art der
Verbreitung unserer Inhalte und unserer Praxis können wir neue Frauen
für unsere Sicht und unsere Organisierung begeistern.
Für uns gab und gibt es keine "geschlechtsneutralen"
Diskussionen, und es gibt in patriarchalen Gesellschaften erst mal keinen
Lebensbereich, in dem Frauen und Männer nicht ganz unterschiedliche
Interessen haben. Um feministische Interessen und Ziele durchsetzen zu
können, bedarf es eines permanenten Kampfes, für den wir autonome
Strukturen als Ausgangspunkt zur Entwicklung feministischer Strategien und
Praxis brauchen, um in unserem Sinne handlungsfähig zu sein.
Das inhaltliche Profil der radi war somit neben dem daran erfolgenden
praktischen Strukturaufbau für uns das entscheidende. Diese Beurteilung
hängt natürlich vom politischen Selbstverständnis ab: Sieht
man/frau sich eher als Dienstleistungsunternehmen oder als eingreifendes Medium
mit klar umrissenem politischen Standort? Und sieht man/frau die eigene
Position als eine gesellschaftlich marginale, wie es die
linksradikal-feministische oder auch die von antipatriarchalen Männern
oder die von radikalen Behindertengruppen leider ist, dann kann frau es sich
schlicht nicht leisten, sich in diffusen Bündnissen
"aufzulösen", sondern muß immer wieder den eigenen
Standort benennen. Ohne den gehen Frauen (und auch Linke) im mainstream unter
und schwächen somit die eigenen Interessen.
Sinnvolle Bündnisse mit gemischten Strukturen sahen wir auf der Grundlage,
daß wir nicht maßgeblich verantwortlich für den "ganzen
Laden" sind, sondern unsere Energien im wesentlichen für den
Strukturaufbau mit Frauen einsetzen können.
Beginn dieser Phase war die 140 mit dem Artikel "An die Genossinnen -
wer sind wir eigentlich" S.61.
Der eigene Post-Kanal sollte dem Rechnung tragen, daß viele Frauen nicht
an ein gemischtes Medium insgesamt schreiben, sondern nur mit den Frauen
kommunizieren wollen.
Wir arbeiteten zu Themen wie dem Golfkrieg (142) und wie eine Praxis dazu
aussehen kann, zur Entwicklung militanter Politik, zu Positionen anderer Frauen
zur RAF (141, zu einem Text von Schweizer Frauen), zu Sexismus in Antifa und
dem Rest der Szene, dokumentierten das, was wir an Frauenlesbenaktionen und
-diskussionen in die Finger bekamen.
Nicht alles, was wir für die Diskussion in Frauenzusammenhängen
wichtig fanden, konnte oder kann Platz in der gemischten Öffentlichkeit
haben, da es nur zu gern von Männern bzw. Gemischten für eigene
Polemiken im Stile von: 'Ihr seid ja auch nicht besser' gegen Frauen
genutzt wurde und wird. Unsere Idealvorstellung und Utopie war eine Art
Frauen-radikal - also eine ähnliche Struktur, aber
ausschließlich von und für Frauen. Dort wären wir die Schere im
Kopf gegenüber männlichen Mitstreitern und Lesern bei den
Beiträgen losgewesen und hätten ein Forum geschaffen, in dem Frauen
über radikale Inhalte und radikale Frauen/Lesbenpraxis diskutieren
können.
So haben wir anfänglich mit Begeisterung die Entwicklung der Amazora
verfolgt - der einzigen Frauenzeitung, die unseren eigenen Vorstellungen
nahekam. Aber nach dem geringen Echo auf unserem Frauenpostkanal in der radi
- frau kann von einer Null-Reaktion sprechen, es kam also auch keine
Kritik, mit der wir uns hätten auseinandersetzen können - wunderte es
uns nicht, daß die Amazora zwischenzeitlich ihr Erscheinen wegen
mangelnder Beteiligung einstellte. Wir mußten für die
Frauen/Lesbenszene leider ähnliches feststellen, wie wir es schon seit
Jahren aus den gemischten Strukturen kannten, nämlich daß es wenige
gab, die sich verbindlich um die Vermittlung und Verbreitung von Diskussionen,
Erfahrungen u.ä. kümmerten, und daß es noch weniger gab, die
sich verbindlich um den "ganzen Laden" kümmerten.
Erklärbar ist das unserer Meinung nach mit der allgegenwärtigen
Konsumhaltung und dem mangelnden Denken in übergreifenden Strukturen. Das
Zerfallen in Kleinstzirkel, das sektiererische Abgrenzen untereinander (nicht
gemeint sind legitime Abgrenzungen gegenüber Sexismen, Rassismen,
Antisemitismus oder auch ML-Politik) läßt viele in
übergreifenden Strukturen keinen offenkundigen Sinn erkennen. Oft ist frau
und mann sich selbst genüge. Von anderen meint man in der Regel nicht
lernen zu können bzw. nur von denen, die der Trend gerade vorschreibt: Mal
wird sich dann an "Der Schwarzen Frau" orientiert, dann an
"Der Jüdischen Frau in Israel", an "Den
kämpfenden kurdischen Frauen", bei den Männern und Gemischten
sind es wieder andere.
Wir haben unsere Beteiligung an der radi nie als Konkurrenz zu der
Amazora betrachtet. Die Amazora war für uns ganz
unabhängig von der radikal wichtig in ihrer Bedeutung für den
Aufbau autonomer Strukturen. Die radi betrachteten wir als eine
Propagandabühne und Auseinandersetzungsfeld von Feministinnen mit einem
Teil der linksradikalen Bewegung. Im nachhinein gesehen hat dies sicher viel zu
selten öffentlich nachvollziehbar stattgefunden. Das sehen wir auch als
Manko an. Es könnte somit der Eindruck entstehen, daß die Artikel
und die Gruppen doch im großen und ganzen harmonisch nebeneinander her
arbeiten konnten. Das war aber so sicher nicht der Fall.
Die Unterschiede zwischen den an der radikal Beteiligten sieht frau wohl
am besten, wenn sie sich ansieht, in wie vielen Artikeln außer denen von
uns versucht wurde, einen feministischen Standpunkt einzuarbeiten. Es gab immer
einige Männer und Gemischte, die das versuchten, aber eben auch immer
einige, von denen nichts kam. Weiter wäre noch selbstkritisch
festzustellen, daß es die Dynamik gibt, daß frau selber auch, wenn
sie sich viel gemischt-geschlechtlich bewegt, auch ihren Schwerpunkt
tendenziell auf gemischt legt und feministische Ansätze teilweise
schwimmen gehen. Das heißt dann nicht, daß frau nicht mehr in der
Lage wäre, die gröbsten sexistischen Schnitzer zu bemerken, aber den
ausgemacht feministischen Standpunkt zu einem Thema sich zu erarbeiten, halten
wir unter gemischt-geschlechtlichen Bedingungen schlicht für
unmöglich.
Einen letzten Aspekt wollen wir nicht unerwähnt lassen (nicht nur
meckern...): Frau lernt in dieser Art Projekte besonders
Verläßlichkeit und Verbindlichkeit zu schätzen, auch die
derjenigen, mit denen sie an dem einen und anderen Punkt im Clinch liegt.
Und noch ein weiterer Punkt, der uns mit vielen dort verband, war eine Art
"Lebensgefühl" und eine ähnliche Einstellung zu vielen
Geschehnissen. So war es von allen getragen, daß auf die Rückseite
der 135 ein Gruß an Ingo kam, der gerade im Zusammenhang mit den
Schüssen an der Startbahn untertauchen mußte - oder ein
ähnlicher Humor wie bei der Rückseite von der 139, wo lauter
Strandkörbe mit der Bezeichnung "Müller" abgebildet
waren und der Spruch daneben stand: "Ohne Müller, kein
Krawall!"
Das ist natürlich Geschmackssache, aber wir haben uns darüber immer
herrlich amüsiert.
Oft kam oder kommt ja die Kritik, daß die radi militanzfixiert
sei. Wir sahen das vor dem Hintergrund der Arbeit, die wir uns mit inhaltlichen
Artikeln machten und der ständigen Betonung, daß es auf das
Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen (militant, öffentlich etc.)
ankomme, immer als schräge, auch vorgeschobene Argumentation an. In einem
konkret-Interview in 1/90 sagte Nina auf die Frage: "Was in euren
Worten über Theoretiker anklingt, aber auch in eurem Interview mit dem
ID, ist, daß es für euch eine Hierarchie politischer
Tätigkeiten gibt, bei der die illegale, militante Praxis die höchste
Stufe hat", folgendes:
"Es geht uns weniger um das Mittel, sondern um das Ziel. In erster
Linie kommt es darauf an, daß immer mehr Leute im Rahmen ihrer
Möglichkeiten auf eine Revolution hinarbeiten. Wie du das machst, ist
erstmal dein Bier und militanter ist nicht gleichbedeutend mit besser drauf. Da
gibt es ganz andere Kriterien, z.B. was für ein Niveau die
Auseinandersetzungen zwischen Typen und Frauen haben und wie ein
Bewußtsein praktisch umgesetzt wird. Es geht uns einfach um
Basisautonomie und Strukturen, wo Leute ihre Geschichte in die eigene Hand
nehmen mit dem Ziel, hier zunehmend die Machtfrage stellen zu können. Was
wir vorhin gesagt haben, hat nichts mit Theoriefeindlichkeit zu tun.
Aber wir haben Abscheu vor Funktionärstum und vor Leuten, die rumreden
und die Drecksarbeit den Leuten an der Basis überlassen, auf die
herabgeschaut wird, weil sie sich nicht so geschliffen ausdrücken
können. Oder die als doof belächelt werden, weil sie bei Diskussionen
über Fordismus nicht mitreden können oder wollen. In der Geschichte
war es doch eher so (im großen Maßstab, d.S'in), daß die
legale Linke sich von den Militanten abgegrenzt hat statt daß umgekehrt
gesagt wurde, ihr seid uns zu lasch. Dann fahren welche ein, und dafür
wird ihnen noch ans Bein gepißt. Ich hab das Gefühl, man muß
permanent beteuern, daß militante Aktionen oder Steine schmeißen
nicht aus einem Avantgardedünkel kommt."
Auch heute haben wir häufig bei dieser Art Kritik den Eindruck,
daß weniger der komplette Inhalt der radi eine Rolle spielt (schon
teilweise halb wissenschaftlich abgedrehte Texte zu Geschlechtergeschichte mit
merklichem drive weg von Genauigkeit der Sprache, die für alle
verständlich sein soll), sondern allein die Position ein Dorn im Auge ist,
die unablässig durch die Form der Organisierung daran erinnert, daß
wir nicht im Land der freien Möglichkeiten leben bzw. daß alle
linksradikale Politik nichts ist, wenn sie nicht ein militantes Standbein hat.
Wir haben zur radi an sich ein solidarisch funktionales Verhältnis
- wir finden es enorm, wie kontinuierlich gegen jeden Szene-mainstream, der
immer schon sehr oberflächlich und mit wenig Instinkt für politisch
notwendige praktische Schritte agierte, gearbeitet wurde und wird. Solange sich
nicht das politische Kräfteverhältnis in der radi ändert,
wissen wir, daß unsere Positionen dort immer einen Platz haben werden und
weiter auf inhaltlich und strukturell Erarbeitetem aufbauen können.
Es wird dennoch ein Kampfverhältnis hinsichtlich der Analyse und
Einschätzung bleiben, mit dem notwendigen Mißtrauen gegenüber
dem oft opportunistischen Verhalten von Männern als den gesellschaftlich
Stärkeren und Privilegierten.
Wir sehen die radi als ein Forum, wo Frauen/Lesben die Chance wahrnehmen
sollten, ihre Praxis für Frauen sichtbar und somit diskutierfähig zu
machen. Der Schwerpunkt feministischer Arbeit liegt dennoch ohne Zweifel im
Aufbau eigener Strukturen.
Nicht zuletzt sehen wir es als unsere Sache, den GenossInnen als Teil einer
zwar diffusen, aber nichtsdestotrotz bestehenden linksradikalen Bewegung den
Rücken gegen Repression zu stärken.
Die Grundlage für eine gute Zusammenarbeit besteht in der konkreten
inhaltlichen Ausrichtung der radi, in der der Kampf gegen patriarchale
Ausbeutung und Unterdrückung gleichberechtigt zu antirassistischen und
antikapitalistischen Kämpfen seinen Platz finden sollte...
P.S. Die Gründe für die Beendigung der Arbeit in der Gruppe
"Einige Frauen aus der radi" waren unterschiedlich, teils
lagen sie später an gesamt-strukturellen Streitigkeiten, teils daran,
daß sich der persönliche Arbeitsschwerpunkt in der Form (weniger
Zeitung) oder in der Art der Organisierung (mehr mit Frauen) verschob.