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Vom Scheiterhaufen zur "kriminellen Vereinigung"

"---Die Deutschen Censoren ----------------------------- -------------------------------------------------------- ------------------------------------Dummköpfe----------"
Heinrich Heine widmete obige Gedankenstriche 1827 dem "Preußischem Zensurkollegium", welches wirklich so hieß und diese Zeilen sogar in der irrigen Ansicht passieren ließ, Heines Buch werde "entweder nicht gelesen oder doch, ohne sonderlichen Schaden gestiftet zu haben, bald vergessen sein".
Leider haben Dummköpfe aber, so sie an der Macht sind, Mittel zu Verfügung, die nicht nur zum Spott gut sind, und eventuell sind es gar keine Dummköpfe, sondern kühl kalkulierende Technokraten, Diktatoren oder Inquisitoren. Die Geschichte der Zensur ist so alt wie die der Herrschaft, und sie war und ist mit Verfolgung und Widerstand verbunden.
Von der Antike an wurden Schriften verbrannt, gelegentlich mitsamt der Autoren. (Autorinnen werden in den Quellen nicht erwähnt.) Als der Buchdruck aufkam, sorgten die Päpste ab 1487 per "Bulle" für eine allgemeine Vorzensur, damit nichts gedruckt werde, was "gottlos, feindlich oder Ärgernis erregend" sei. Bereits gedruckte Bücher waren aufzulisten und zur Überprüfung einzureichen. An sich sei die Druckkunst zwar ein Geschenk des Himmels, aber mancherorts werde mit dieser Gnadengabe Mißbrauch getrieben durch die Verbreitung von Werken, die Irrtümer des Glaubens sowie Angriffe auf Persönlichkeiten enthielten. Solche Irrungen hätten erfahrungsgemäß schon oft großes Ärgernis gebracht und ließen Schlimmeres für die Zukunft befürchten ... Diese Sorge verfolgt wirklich jede Obrigkeit.
Immerhin protestierten Kölner Drucker dagegen, daß von diesen Erlaß auch nichttheologische Bücher betroffen waren - leider erfolglos. Und 1515 mußten Buchdrucker in mehreren Städten schwören, ohne Wissen der Ratsherren nichts zu drucken oder auszuliefern. Der deutsche Kaiser Maximilian ernannte 1496 einen "Generalsuperintendenten des Bücherwesens in ganz Teutschland", das erste überlieferte Verbot betraf übrigens "den Juden günstige" Bücher eines Dr. Reuchlin.
Im 16. Jahrhundert tauchten die ersten gefälschten Impressen gegen die Zensur auf, als Druckort fand sich "Utopia", oder ziemlich unverfroren "Rom, zu St. Peters Hof". (Diejenigen, die in den 70er Jahren dieses Jahrhunderts einen Raubdruck von Brechts "Arbeitsjournal" mit "Auf- und Abbau Verlag, Peking - Havanna - Moskau" untertitelten, hatten also Vorfahren.) Ein Drucker nannte sich "Hanns Lufft", entsprechend wenig greifbar war er wohl. "Peter Hammer" war ein weiteres mittelalterliches Druckerpseudonym, was vierhundert Jahre später für Tarnschriften von Exil-SPD und -KPD neu verwandt wurde.
Daß es in der deutschen Geschichte immer wieder notwendig war, im Kampf um die Freiheit des Wortes zu solchen Mitteln zu greifen, bekamen mißliebige SchreiberInnen, die für die Obrigkeit greifbar waren, heftig zu spüren. Für seine Angriffe auf die Fürsten wanderte Christian Daniel Friedrich Schubart 1777 für zehn Jahre Einzelhaft auf den Hohenasperg, der heute noch ein Knast ist. Er schrieb dort, obwohl er Papier und Bleistift nicht erhielt, seine Lebensgeschichte, indem er sie einem Mitgefangenen durch die Zellenwand diktierte. Danach versteckte er die Seiten bis zu seiner Entlassung jahrelang unter dem Zellenboden. Bittererweise war er nach der Kerkerhaft so eingeschüchtert, daß er Hofpoet des Fürsten wurde und Kritik nur noch im kleinsten Kreise äußerte.
Nachdem die adeligen Herrscher die Kontrolle über "ihre" Völker von Napoleon zurückerlangt hatten, nahmen sie das Attentat des Studenten Karl Ludwig Sand auf den russischen Staatsrat von Kotzebue 1819 zum Anlaß, um in den "Karlsbader Beschlüssen" eine rigorose Vorzensur durchzusetzen. Alle Bücher mit weniger als 20 Druckbögen (ca. 300 Seiten) waren davon betroffen. Dickere Bücher waren eh nur für die Reichen, und die durften auch politisch Gefährliches lesen.
Ein Zitat von Fürst Metternich, dem Chef der europäischen "Central-Polizei", die überall ihre Spitzel und Agenten hatte, ist zeitlos typisch für die geistige Einstellung solcher Amtsinhaber:
"Mit Volksrepräsentation im modernen Sinne, der Preßfreiheit und den politischen Vereinen muß jeder Staat zugrunde gehen, der monarchische wie die Republik. Anarchie ist möglich. Dagegen mögen die Gelehrten am Schreibtisch protestieren, soviel sie auch immer wollen. Am Ende der Gelehrsamkeit steht das Zuschlagen, und kommt es einmal hierzu, so ist der, der in geschlossener Reihe zuschlägt, der Gelehrteste. Ich unterscheide: Denken, Reden, Schreiben, Druckenlassen. Denken? Ja, das ist frei. Der Mensch ist frei geboren. Reden? Da muß man wieder unterscheiden, ob man rede, um Gedanken auszutauschen oder um zu lehren. Im ersteren Falle muß unterschieden werden, ob man vor vielen rede, im letzten Falle muß der Staat aber immer genaue Kontrolle üben. Schreiben ist frei wie das Denken, es ist nur ein Festhalten der Gedanken. Aber anders und eine ganz eigne Sache ist es mit dem Druckenlassen. Da muß der Staat die engen Schranken ziehen, die wir Zensur nennen."
Zensur kann tödlich sein: Der Hessische Landbote, eine fortschrittliche Flugschrift, die Georg Büchner zusammen mit Freunden machte, wurde 1834 beschlagnahmt und ein Mitherausgeber, Ludwig Weidig, verhaftet. Büchner selbst wurde erst nur verhört und flüchtete, als er eine zweite Vorladung bekam, ins Exil, aber Weidig, dem der Landbote eigentlich schon viel zu radikal geworden war, brachte sich nach zwei Jahren übler Kerkerhaft um.
Glimpflicher ging es dem Verleger der Lokomotive, der zehn Jahre später die Zensoren damit nervte, daß er den Verlagsort ständig wechselte oder Zensurlücken im Blatt mit Kinderliedern wie "Ein armes Lämmchen, weiß wie Schnee" füllte. Als die Lokomotive endgültig verboten war, druckte er eine Sammlung aller zensierten Stellen - auf mehr als 20 Druckbögen, wodurch er die Vorzensur überlistete. Das Buch konnte deshalb erst verboten werden, als es bereits ausgeliefert war. Letzten Endes erhielt er jedoch zwei Jahre Festungshaft, die er anscheinend gut überstand.
In den 1840er Jahren war Deutschland das Land mit den meisten politischen EmigrantInnen, nichtreaktionäre deutschsprachige Literatur wurde nur noch durch Exilierte vertreten.
Ein Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung schrieb damals über Zensur und politische Verfolgung, wegen der er selbst ins Exil mußte:
"Der Schriftsteller ist also dem furchtbarsten Terrorismus, der Jurisdiktion des Verdachts anheimgefallen. Tendenzgesetze, die keine objektiven Normen geben, sind Gesetze des Terrorismus, wie sie die Not des Staats unter Robespierre und die Verdorbenheit des Staats unter den römischen Kaisern erfunden hat. Gesetze, die nicht die Handlung als solche, sondern die Gesinnung des Handelnden zu ihren Hauptkriterien machen, sind nichts als positive Sanktionen der Gesetzlosigkeit. Sie sind ein Schrei des bösen Gewissens. Und wie ist ein Gesetz der Art zu exekutieren? Durch ein Mittel, empörender als das Gesetz selbst, durch Spione."
Der Redakteur hieß Karl Marx.
1878 sorgte Bismarcks "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" - damals mag die SPD sie womöglich gehabt haben - für das Verbot von über 250 sozialdemokratischen Zeitungen und Zeitschriften, aber kurz danach erschien im Züricher Exil die erste Nummer der Parteizeitung Sozialdemokrat.
Für das Einschmuggeln nach Deutschland wurde eine besondere Struktur aufgebaut, die sich "rote Feldpost" nannte. Jede Woche (!) wurden bis zu zehntausend (!) Exemplare vertrieben, und 1885 resignierte der Berliner Polizeipräsident: "Die Auflage des 'Sozialdemokrat' wächst nach den vorliegenden Nachrichten fast mit jedem Quartal, und dementsprechend nimmt auch seine heimliche Einführung nach Deutschland zu. Diesem Schmuggel wirksam entgegenzutreten, hat sich als unmöglich erwiesen. Es werden zwar recht oft an den Grenzen und im Inlande Briefe und Pakete, die das Blatt enthalten, mit Beschlag belegt, aber der bei weitem größte Teil der Auflage gelangt doch regelmäßig in die Hände der Besteller. Die Expedienten haben im Verlaufe der Jahre eine große Fertigkeit im Schmuggel erlangt und wählen dabei die verschiedensten Mittel und Wege."
Friedrich Engels hingegen freute sich, er schrieb zur gleichen Zeit: "Wie oft hat mir altem Revolutionär das Herz im Leibe gelacht, wenn ich diese so ausgezeichnet eingeölte, geräuschlose Wechselwirkung zwischen Redaktion, Expedition und Abonnenten, diese businesslike geschäftsmäßig organisierte revolutionäre Arbeit Woche für Woche, jahraus, jahrein mit gleicher Sicherheit sich abwickeln sah."
Der Sozialdemokrat erschien noch bis zur Wiederzulassung einer legalen SPD-Presse im Jahre 1890.
Schon1872 waren Wilhelm Liebknecht und August Bebel zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt worden. "Beweismaterial" waren alle möglichen Broschüren und Artikel gewesen. Sie wurden somit "Sitzredakteure" - so wurden die im Impressum Aufgeführten genannt, weil sie eben das Risiko trugen, zu "sitzen". Was Bebel über seine Haftzeit schrieb, kommt heutigen Gefangenen teilweise bekannt, teilweise privilegiert vor.
"Für uns Festungsgefangene war ein Flügel dieser Bauten reserviert, in dem man sieben oder acht Zellen eingerichtet hatte. Die Reinigung unserer Zellen besorgte ein sogenannter Kalfakter. Für deren Reinigung und Miete - der Staat gibt auch den Gefängnisraum nicht umsonst - hatten wir monatlich fünf Taler zu zahlen. Unser Essen bezogen wir aus einem Gasthaus.
Unsere Tagesordnung war die folgende: Morgens 7 Uhr mußten wir angekleidet sein, alsdann wurden die Zellen zwecks der Reinigung geöffnet. Während dieser Zeit frühstückten wir auf dem breiten Korridor, der vor den Zellen hinlief. Um 8 Uhr wurden wir wieder eingeschlossen bis 10 Uhr, zu welcher Zeit wir unseren Spazicrmarsch im Garten unternahmen. Um 12 Uhr wieder Einschließung bis 3 Uhr im Winter, 4 Uhr im Sommer, dann zweiter Spaziergang, von 5 beziehungsweise 6 Uhr ab wieder Einschließung bis nächsten Morgen. Da wir das Recht hatten, bis 10 Uhr abends Licht brennen zu dürfen, waren diese Stunden meine Hauptarbeitszeit.
Aber kaum hatte ich mich in meiner Zelle häuslich eingerichtet, als ich wie ein Taschenmesser zusammenklappte. Die großen Anstrengungen und Aufregungen der letzten Jahre hatten mir nicht zum Bewußtsein kommen lassen, wie sehr meine Kräfte heruntergekommen waren. Jetzt, wo ich gewaltsam zur Ruhe verwiesen worden war und die Spannung nachließ, brach ich zusammen. Die Erschöpfung war so groß, daß ich wochenlang keine ernste Arbeit vornehmen konnte. Aber absolute Ruhe und frische Luft brachten mich allmählich wieder auf die Füße.
Nach einigen Monaten erlangte ich, daß Liebknecht den Vormittag von 8 bis 10 Uhr in meine Zelle mit eingeschlossen wurde, um mir englischen und französischen Unterricht zu geben. Bei dieser Gelegenheit wurden dann auch die Interna der Partei und die politischen Vorgänge erörtert."
1914 ging die Zensur an die Militärbefehlshaber über, der militärische Nachrichtendienst baute einen Apparat zur Lenkung der gesamten Presse auf. Wer mit Antikriegsschriften oder sozialkritischen Reden gegen die Zensurbestimmung des "Burgfriedens" verstieß, wurde als eine "Gefährdung der Einheit des deutschen Volkes" angesehen und verschwand wie Rosa Luxemburg für Monate in "Schutz-" und Festungshaft. Aber diese Maßnahmen verhinderten nicht die militärische Niederlage, und die Novemberrevolution befreite alle politischen Gefangenen.
Die Weimarer Republik, das historische Vorbild der BRD, schaffte zwar per Verfassung die Zensur ab, mit dem "Gesetz zum Schutz der Republik" war aber ab 1922 die Verfolgung kritischer Schriften jederzeit möglich. Hinzu kamen häufige Drohungen von Deutschnationalen und Nazis, die ab 1929 in Landesregierungen vertreten waren und u.a. für ein Aufführungsverbot von Remarques Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues" sorgten. Mit 1930/31 eingeführten "Notverordnungen" konnte jederzeit alles beschlagnahmt und verboten werden, was "die öffentliche Sicherheit und Ordnung" bzw. "lebenswichtige Interessen des Staates gefährdet" und "Behörden oder leitende Beamte des Staates beschimpft oder böswillig verächtlich macht." Carl von Ossietzky, der als Redakteur der Weltbühne wegen Kritik an der heimlichen Aufrüstung der Reichswehr in den Knast wanderte und später im KZ umgebracht wurde, ist das bekannteste Beispiel aus jener Zeit.
Die Nazis liquidierten sehr schnell die linken Parteien und Organisationen mitsamt ihrer Presse, Zensur war eine gewollte Auswirkung. Die "Reichsschrifttumkammer" trieb NS-GegnerInnen ins Exil, veröffentlichte schwarze Listen verbotener Bücher und weiße Listen empfohlener Bücher der NazidichterInnen. Insgesamt wurde die Zensur zu keiner anderen Zeit so perfekt und brutal durchgesetzt wie von Goebbels und seinen Handlangern bei Polizei und willfährigen Schriftstellern, Redakteuren und KünstlerInnen selbst.
Es ist meist müßig zu fragen, ob Linke wegen ihrer Veröffentlichungen verfolgt werden oder sowieso aufgrund ihrer staatsfeindlichen Einstellung und Praxis. Für die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft sind solche Unterscheidungen sogar unsinnig, denn die Gestapo verfolgte JüdInnen und Linke, die nie ein Wort veröffentlicht hatten, genauso wie kommunistische DruckerInnen und anarchistische SchriftstellerInnen, und deren Erzeugnisse brannten mit den Büchern jüdischer AutorInnen auf denselben Scheiterhaufen.
Und angesichts des Holocaust und der Raubkriege war die Zensur wirklich eines der weniger wichtigen Naziverbrechen.
Nach der Niederlage des NS-Faschismus übernahmen zunächst die alliierten Behörden Zensuraufgaben, z.B. wurden kommunistische Zeitungen von britischen Militärs mehrfach für jeweils drei Monate verboten, und sogar die existentialistische Zeitschrift Der Ruf von Alfred Andersch und Hans-Werner Richter wurde 1946 von US-Militärbehörden verboten.
Die BRD brauchte nur sieben Jahre, von ihrer Gründung 1949 bis zum KPD-Verbot 1956, um die kommunistische Presse und ihre Druckereien zu zerschlagen. 1954 erschienen bundesweit 13 kommunistische Tageszeitungen, alleine in NRW 250 Betriebszeitungen mit einer Gesamtauflage von einer Million. Das BKA - damals schon einschlägig tätig - registrierte bis Ende 1954 über 5.000 Druckschriften, von denen 3.500 eingezogen worden waren.Gegen nur ein Blatt, die Hamburger Volkszeitung, wurden zwischen 1951 und 1956 dreihundertsechsundneunzig Strafanzeigen gestellt, ein Redakteur hatte im gleichen Zeitraum sechzig (!) Prozesse. Im gleichen Zeitraum wurden über 3.000 Leute wegen "politischer Delikte" verurteilt.
Mit dem bis heute geltenden Verbot der KPD stellten alle diese Zeitungen ihr Erscheinen zwangsweise ein, große Druckereien und ihr Vermögen fielen an den Staat. Zeitschriften aus der DDR fielen unter die gleichen Paragraphen. Die, die sie auf dem Postweg empfingen, konnten als "Bezieher" verurteilt werden, wenn sie nach Meinung des Gerichts den Inhalt billigten - selbst wenn sie sie unbestellt zugesandt bekommen hatten. Das traf deutlich nur Linke, denn anderen wurde keine inhaltliche Nähe unterstellt.
Zwischen 1957 und 1966 wurden 3.700 Personen zu Geldstrafen, Entzug des Reisepasses usw. verurteilt. Hinzu kamen jahrelange Berufsverbote gegen RedakteurInnen und JournalistInnen. Mehrere hundert KPD-AktivistInnen bekamen z.T. mehrjährige Knaststrafen ohne Bewährung, dazu kamen Haftkosten, Arbeitsplatzverlust und Entzug des Wahlrechts. Nur zwei Beispiele: Für die Verschickung der Broschüre "Die geschichtliche Aufgabe der Deutschen Demokratischen Republik und die Zukunft Deutschlands" an einen "Sympathisanten" wurde ein Kommunist Anfang der 60er Jahre zu sieben Monaten Knast verurteilt. Und fast 900 BezieherInnen eines Informationsdienstes, den die Justiz als "kommunistische Tarnschrift" ansah, wurden überprüft, und eine "Leserversammlung" wurde 1964 von vier Staatsanwälten und hundert Polizisten komplett festgenommen.
Die meisten Verurteilungen basierten formaljuristisch auf einem Organisationsdelikt, dem Verstoß gegen das KPD-Verbot, und damit konnten sowohl Drucker von kommunistischen Schriften belangt werden als auch jemand, der sich am 1. Mai 1959 eine rote Nelke angesteckt hatte, "obwohl er wußte, daß sie aus Ost-Berlin stammte".
Mit den neuen Notstandsgesetzen und NATO-Bürgerkriegsübungen im Rücken konnte sich die "sozialpartnerschaftlich" konsolidierte BRD Ende der 60er Jahre eine weniger flächendeckende und massive Repression leisten, zumal die "68er Bewegung" nicht als so bedrohlich angesehen wurde wie die KPD zehn, fünfzehn Jahre zuvor.
Das änderte sich in den 70er Jahren rapide. In einem anderen Beitrag dieses Buches werden schon Beispiele für Zensur, wie der AGIT-Prozeß und die Verfahren gegen die radikal, beschrieben.
Bereits 1974 wurde die Zeile "Georg von Rauch ermordet" (Georg war Mitglied der Bewegung 2. Juni und wurde von einem Zivilbullen im Dezember 1971 erschossen) im Roten Schüler- und Lehrlingskalender 1973 und die Veröffentlichung des RAF-Buches Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa für den damals noch linksradikalen Wagenbach Verlag mit acht Monaten auf Bewährung und ca. 150.000 DM Verfahrenskosten quittiert. Derselbe Verlag wurde 1972 von Siemens wegen einer satirischen Denkschrift zum Firmenjubiläum, in der die Rolle des Konzerns im Trikont und im Nationalsozialismus nicht geschönt wurde, zivilrechtlich so verklagt, daß 36.000 DM Kosten anfielen. Ein kleiner linker Verlag kann so was kaum durchstehen.
Das internationale Russell-Tribunal schrieb 1979 in seinem Urteil über die BRD u.a: "In der Tat gibt es in der Bundesrepublik keine offizielle Zensurinstanz. Dennoch findet Zensur in einer Vielzahl von Bereichen täglich statt. Ein wichtiges Instrument für diese nicht offizielle Zensur bilden für den Staat die in den siebziger Jahren verabschiedeten Gesetzesparagraphen wie z. B. die SSSS 88 a und 130 a StGB, die dem 'Gemeinschaftsfrieden' dienen sollen, tatsächlich aber selbst wissenschaftliche und literarische Äußerungen über Gewalt strafverdächtig machen. Aber nicht nur diese neuerlich verabschiedeten Paragraphen des StGB laden zum staatlichen Mißbrauch ein. Die deutsche Eigentümlichkeit, den Staat als oberste und erste Privatperson zu begreifen, die jederzeit für Verleumdung empfindlich ist, und von ihr verletzt werden kann, stellt ein zusätzliches Mittel dar, Kritik zu unterbinden. (...) Im Bereich der Presse besteht die Tendenz (...) Verlage und Buchhandlungen mit Durchsuchungen und Prozessen bis zur Existenzgefährdung zu überziehen, nur weil sie nicht genehme Bücher publiziert und ausgelegt haben. (...) Indem durch die Zensurmaßnahmen das Spektrum offiziell und halboffiziell erlaubter Meinungsäußerungen immer stärker eingeengt zu werden droht, entsteht die Gefahr einer Zweiteilung der Gesellschaft. Der normale und herrschende Teil, der sich anpaßt, und der an den Rand gedrängte Teil der Minderheiten."
Die genannten Zensurparagraphen wurden seitdem wieder verändert, mangels Effizienz und weil sich nicht mal Diktaturen offene Zensur nachsagen lassen wollen. Heute wird der gleiche Effekt durch den Einsatz der Organisationsparagraphen 129 und 129a zu erzielen versucht, die zunächst nur gegen Stadtguerillagruppen eingesetzt wurden.
Die Zensur kurdischer Zeitungen und Zeitschriften erinnert in ihrer Systematik und in der Art der Duchsetzung eher an die KPD-Verfolgung, denn erst in der Folge und mittels des Verbots der kurdischen Vereine wurden die Verlage, Zeitschriften und Parteisymbole sozusagen indirekt verboten. Das Ausmaß der Beschlagnahmungen, wo ganze Paletten mit Büchern und Zeitschriften tonnenweise abgeholt wurden, und Einknastungen kurdischer Zeitungs- und VerlagsmitarbeiterInnen übertrifft das der Angriffe auf die radikal bei weitem.
Der geschichtliche Abriß hat hoffentlich gezeigt, daß gerade in Deutschland die Herrschenden nach Phasen gewisser Liberalität immer wieder zu massiver Repression gegriffen haben und daß es falsch wäre, gegenwärtige Verhältnisse einfach als stabil anzusehen. Was an Zensur bzw. freier Veröffentlichung möglich ist, hängt immer vom Kräfteverhältnis zwischen "Oben" und "Unten", also auch vom geleisteten Widerstand ab.