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Wed Sep 25 23:26:50 1996
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Vom Scheiterhaufen zur "kriminellen Vereinigung"
"---Die Deutschen Censoren -----------------------------
--------------------------------------------------------
------------------------------------Dummköpfe----------"
Heinrich Heine widmete obige Gedankenstriche 1827 dem "Preußischem
Zensurkollegium", welches wirklich so hieß und diese Zeilen sogar
in der irrigen Ansicht passieren ließ, Heines Buch werde "entweder
nicht gelesen oder doch, ohne sonderlichen Schaden gestiftet zu haben, bald
vergessen sein".
Leider haben Dummköpfe aber, so sie an der Macht sind, Mittel zu
Verfügung, die nicht nur zum Spott gut sind, und eventuell sind es gar
keine Dummköpfe, sondern kühl kalkulierende Technokraten, Diktatoren
oder Inquisitoren. Die Geschichte der Zensur ist so alt wie die der Herrschaft,
und sie war und ist mit Verfolgung und Widerstand verbunden.
Von der Antike an wurden Schriften verbrannt, gelegentlich mitsamt der Autoren.
(Autorinnen werden in den Quellen nicht erwähnt.) Als der Buchdruck
aufkam, sorgten die Päpste ab 1487 per "Bulle" für eine
allgemeine Vorzensur, damit nichts gedruckt werde, was "gottlos,
feindlich oder Ärgernis erregend" sei. Bereits gedruckte
Bücher waren aufzulisten und zur Überprüfung einzureichen. An
sich sei die Druckkunst zwar ein Geschenk des Himmels, aber mancherorts werde
mit dieser Gnadengabe Mißbrauch getrieben durch die Verbreitung von
Werken, die Irrtümer des Glaubens sowie Angriffe auf Persönlichkeiten
enthielten. Solche Irrungen hätten erfahrungsgemäß schon oft
großes Ärgernis gebracht und ließen Schlimmeres für die
Zukunft befürchten ... Diese Sorge verfolgt wirklich jede Obrigkeit.
Immerhin protestierten Kölner Drucker dagegen, daß von diesen
Erlaß auch nichttheologische Bücher betroffen waren - leider
erfolglos. Und 1515 mußten Buchdrucker in mehreren Städten
schwören, ohne Wissen der Ratsherren nichts zu drucken oder auszuliefern.
Der deutsche Kaiser Maximilian ernannte 1496 einen
"Generalsuperintendenten des Bücherwesens in ganz
Teutschland", das erste überlieferte Verbot betraf übrigens
"den Juden günstige" Bücher eines Dr. Reuchlin.
Im 16. Jahrhundert tauchten die ersten gefälschten Impressen gegen die
Zensur auf, als Druckort fand sich "Utopia", oder ziemlich
unverfroren "Rom, zu St. Peters Hof". (Diejenigen, die in den
70er Jahren dieses Jahrhunderts einen Raubdruck von Brechts
"Arbeitsjournal" mit "Auf- und Abbau Verlag, Peking -
Havanna - Moskau" untertitelten, hatten also Vorfahren.) Ein Drucker
nannte sich "Hanns Lufft", entsprechend wenig greifbar war er
wohl. "Peter Hammer" war ein weiteres mittelalterliches
Druckerpseudonym, was vierhundert Jahre später für Tarnschriften von
Exil-SPD und -KPD neu verwandt wurde.
Daß es in der deutschen Geschichte immer wieder notwendig war, im Kampf
um die Freiheit des Wortes zu solchen Mitteln zu greifen, bekamen
mißliebige SchreiberInnen, die für die Obrigkeit greifbar waren,
heftig zu spüren. Für seine Angriffe auf die Fürsten wanderte
Christian Daniel Friedrich Schubart 1777 für zehn Jahre Einzelhaft auf den
Hohenasperg, der heute noch ein Knast ist. Er schrieb dort, obwohl er Papier
und Bleistift nicht erhielt, seine Lebensgeschichte, indem er sie einem
Mitgefangenen durch die Zellenwand diktierte. Danach versteckte er die Seiten
bis zu seiner Entlassung jahrelang unter dem Zellenboden. Bittererweise war er
nach der Kerkerhaft so eingeschüchtert, daß er Hofpoet des
Fürsten wurde und Kritik nur noch im kleinsten Kreise äußerte.
Nachdem die adeligen Herrscher die Kontrolle über "ihre"
Völker von Napoleon zurückerlangt hatten, nahmen sie das Attentat des
Studenten Karl Ludwig Sand auf den russischen Staatsrat von Kotzebue 1819 zum
Anlaß, um in den "Karlsbader Beschlüssen" eine
rigorose Vorzensur durchzusetzen. Alle Bücher mit weniger als 20
Druckbögen (ca. 300 Seiten) waren davon betroffen. Dickere Bücher
waren eh nur für die Reichen, und die durften auch politisch
Gefährliches lesen.
Ein Zitat von Fürst Metternich, dem Chef der europäischen
"Central-Polizei", die überall ihre Spitzel und Agenten
hatte, ist zeitlos typisch für die geistige Einstellung solcher
Amtsinhaber:
"Mit Volksrepräsentation im modernen Sinne, der
Preßfreiheit und den politischen Vereinen muß jeder Staat zugrunde
gehen, der monarchische wie die Republik. Anarchie ist möglich. Dagegen
mögen die Gelehrten am Schreibtisch protestieren, soviel sie auch immer
wollen. Am Ende der Gelehrsamkeit steht das Zuschlagen, und kommt es einmal
hierzu, so ist der, der in geschlossener Reihe zuschlägt, der Gelehrteste.
Ich unterscheide: Denken, Reden, Schreiben, Druckenlassen. Denken? Ja, das ist
frei. Der Mensch ist frei geboren. Reden? Da muß man wieder
unterscheiden, ob man rede, um Gedanken auszutauschen oder um zu lehren. Im
ersteren Falle muß unterschieden werden, ob man vor vielen rede, im
letzten Falle muß der Staat aber immer genaue Kontrolle üben.
Schreiben ist frei wie das Denken, es ist nur ein Festhalten der Gedanken. Aber
anders und eine ganz eigne Sache ist es mit dem Druckenlassen. Da muß der
Staat die engen Schranken ziehen, die wir Zensur nennen."
Zensur kann tödlich sein: Der Hessische Landbote, eine
fortschrittliche Flugschrift, die Georg Büchner zusammen mit Freunden
machte, wurde 1834 beschlagnahmt und ein Mitherausgeber, Ludwig Weidig,
verhaftet. Büchner selbst wurde erst nur verhört und flüchtete,
als er eine zweite Vorladung bekam, ins Exil, aber Weidig, dem der
Landbote eigentlich schon viel zu radikal geworden war, brachte sich
nach zwei Jahren übler Kerkerhaft um.
Glimpflicher ging es dem Verleger der Lokomotive, der zehn Jahre
später die Zensoren damit nervte, daß er den Verlagsort ständig
wechselte oder Zensurlücken im Blatt mit Kinderliedern wie "Ein
armes Lämmchen, weiß wie Schnee" füllte. Als die
Lokomotive endgültig verboten war, druckte er eine Sammlung aller
zensierten Stellen - auf mehr als 20 Druckbögen, wodurch er die Vorzensur
überlistete. Das Buch konnte deshalb erst verboten werden, als es bereits
ausgeliefert war. Letzten Endes erhielt er jedoch zwei Jahre Festungshaft, die
er anscheinend gut überstand.
In den 1840er Jahren war Deutschland das Land mit den meisten politischen
EmigrantInnen, nichtreaktionäre deutschsprachige Literatur wurde nur noch
durch Exilierte vertreten.
Ein Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung schrieb damals über
Zensur und politische Verfolgung, wegen der er selbst ins Exil mußte:
"Der Schriftsteller ist also dem furchtbarsten Terrorismus, der
Jurisdiktion des Verdachts anheimgefallen. Tendenzgesetze, die keine objektiven
Normen geben, sind Gesetze des Terrorismus, wie sie die Not des Staats unter
Robespierre und die Verdorbenheit des Staats unter den römischen Kaisern
erfunden hat. Gesetze, die nicht die Handlung als solche, sondern die Gesinnung
des Handelnden zu ihren Hauptkriterien machen, sind nichts als positive
Sanktionen der Gesetzlosigkeit. Sie sind ein Schrei des bösen Gewissens.
Und wie ist ein Gesetz der Art zu exekutieren? Durch ein Mittel,
empörender als das Gesetz selbst, durch Spione."
Der Redakteur hieß Karl Marx.
1878 sorgte Bismarcks "Gesetz gegen die gemeingefährlichen
Bestrebungen der Sozialdemokratie" - damals mag die SPD sie
womöglich gehabt haben - für das Verbot von über 250
sozialdemokratischen Zeitungen und Zeitschriften, aber kurz danach erschien im
Züricher Exil die erste Nummer der Parteizeitung Sozialdemokrat.
Für das Einschmuggeln nach Deutschland wurde eine besondere Struktur
aufgebaut, die sich "rote Feldpost" nannte. Jede Woche (!) wurden
bis zu zehntausend (!) Exemplare vertrieben, und 1885 resignierte der Berliner
Polizeipräsident: "Die Auflage des 'Sozialdemokrat'
wächst nach den vorliegenden Nachrichten fast mit jedem Quartal, und
dementsprechend nimmt auch seine heimliche Einführung nach Deutschland zu.
Diesem Schmuggel wirksam entgegenzutreten, hat sich als unmöglich
erwiesen. Es werden zwar recht oft an den Grenzen und im Inlande Briefe und
Pakete, die das Blatt enthalten, mit Beschlag belegt, aber der bei weitem
größte Teil der Auflage gelangt doch regelmäßig in die
Hände der Besteller. Die Expedienten haben im Verlaufe der Jahre eine
große Fertigkeit im Schmuggel erlangt und wählen dabei die
verschiedensten Mittel und Wege."
Friedrich Engels hingegen freute sich, er schrieb zur gleichen Zeit:
"Wie oft hat mir altem Revolutionär das Herz im Leibe gelacht,
wenn ich diese so ausgezeichnet eingeölte, geräuschlose
Wechselwirkung zwischen Redaktion, Expedition und Abonnenten, diese
businesslike geschäftsmäßig organisierte revolutionäre
Arbeit Woche für Woche, jahraus, jahrein mit gleicher Sicherheit sich
abwickeln sah."
Der Sozialdemokrat erschien noch bis zur Wiederzulassung einer
legalen SPD-Presse im Jahre 1890.
Schon1872 waren Wilhelm Liebknecht und August Bebel zu zwei Jahren Festungshaft
verurteilt worden. "Beweismaterial" waren alle möglichen
Broschüren und Artikel gewesen. Sie wurden somit
"Sitzredakteure" - so wurden die im Impressum Aufgeführten
genannt, weil sie eben das Risiko trugen, zu "sitzen". Was Bebel
über seine Haftzeit schrieb, kommt heutigen Gefangenen teilweise bekannt,
teilweise privilegiert vor.
"Für uns Festungsgefangene war ein Flügel dieser Bauten
reserviert, in dem man sieben oder acht Zellen eingerichtet hatte. Die
Reinigung unserer Zellen besorgte ein sogenannter Kalfakter. Für deren
Reinigung und Miete - der Staat gibt auch den Gefängnisraum nicht umsonst
- hatten wir monatlich fünf Taler zu zahlen. Unser Essen bezogen wir aus
einem Gasthaus.
Unsere Tagesordnung war die folgende: Morgens 7 Uhr mußten wir
angekleidet sein, alsdann wurden die Zellen zwecks der Reinigung geöffnet.
Während dieser Zeit frühstückten wir auf dem breiten Korridor,
der vor den Zellen hinlief. Um 8 Uhr wurden wir wieder eingeschlossen bis 10
Uhr, zu welcher Zeit wir unseren Spazicrmarsch im Garten unternahmen. Um 12 Uhr
wieder Einschließung bis 3 Uhr im Winter, 4 Uhr im Sommer, dann zweiter
Spaziergang, von 5 beziehungsweise 6 Uhr ab wieder Einschließung bis
nächsten Morgen. Da wir das Recht hatten, bis 10 Uhr abends Licht brennen
zu dürfen, waren diese Stunden meine Hauptarbeitszeit.
Aber kaum hatte ich mich in meiner Zelle häuslich eingerichtet, als ich
wie ein Taschenmesser zusammenklappte. Die großen Anstrengungen und
Aufregungen der letzten Jahre hatten mir nicht zum Bewußtsein kommen
lassen, wie sehr meine Kräfte heruntergekommen waren. Jetzt, wo ich
gewaltsam zur Ruhe verwiesen worden war und die Spannung nachließ, brach
ich zusammen. Die Erschöpfung war so groß, daß ich wochenlang
keine ernste Arbeit vornehmen konnte. Aber absolute Ruhe und frische Luft
brachten mich allmählich wieder auf die Füße.
Nach einigen Monaten erlangte ich, daß Liebknecht den Vormittag von 8
bis 10 Uhr in meine Zelle mit eingeschlossen wurde, um mir englischen
und französischen Unterricht zu geben. Bei dieser Gelegenheit wurden dann
auch die Interna der Partei und die politischen Vorgänge
erörtert."
1914 ging die Zensur an die Militärbefehlshaber über, der
militärische Nachrichtendienst baute einen Apparat zur Lenkung der
gesamten Presse auf. Wer mit Antikriegsschriften oder sozialkritischen Reden
gegen die Zensurbestimmung des "Burgfriedens" verstieß,
wurde als eine "Gefährdung der Einheit des deutschen Volkes"
angesehen und verschwand wie Rosa Luxemburg für Monate in
"Schutz-" und Festungshaft. Aber diese Maßnahmen
verhinderten nicht die militärische Niederlage, und die Novemberrevolution
befreite alle politischen Gefangenen.
Die Weimarer Republik, das historische Vorbild der BRD, schaffte zwar per
Verfassung die Zensur ab, mit dem "Gesetz zum Schutz der
Republik" war aber ab 1922 die Verfolgung kritischer Schriften jederzeit
möglich. Hinzu kamen häufige Drohungen von Deutschnationalen und
Nazis, die ab 1929 in Landesregierungen vertreten waren und u.a. für ein
Aufführungsverbot von Remarques Antikriegsfilm "Im Westen nichts
Neues" sorgten. Mit 1930/31 eingeführten
"Notverordnungen" konnte jederzeit alles beschlagnahmt und
verboten werden, was "die öffentliche Sicherheit und
Ordnung" bzw. "lebenswichtige Interessen des Staates
gefährdet" und "Behörden oder leitende Beamte des
Staates beschimpft oder böswillig verächtlich macht." Carl von
Ossietzky, der als Redakteur der Weltbühne wegen Kritik an der
heimlichen Aufrüstung der Reichswehr in den Knast wanderte und später
im KZ umgebracht wurde, ist das bekannteste Beispiel aus jener Zeit.
Die Nazis liquidierten sehr schnell die linken Parteien und Organisationen
mitsamt ihrer Presse, Zensur war eine gewollte Auswirkung. Die
"Reichsschrifttumkammer" trieb NS-GegnerInnen ins Exil,
veröffentlichte schwarze Listen verbotener Bücher und weiße
Listen empfohlener Bücher der NazidichterInnen. Insgesamt wurde die Zensur
zu keiner anderen Zeit so perfekt und brutal durchgesetzt wie von Goebbels und
seinen Handlangern bei Polizei und willfährigen Schriftstellern,
Redakteuren und KünstlerInnen selbst.
Es ist meist müßig zu fragen, ob Linke wegen ihrer
Veröffentlichungen verfolgt werden oder sowieso aufgrund ihrer
staatsfeindlichen Einstellung und Praxis. Für die Zeit der
nationalsozialistischen Herrschaft sind solche Unterscheidungen sogar unsinnig,
denn die Gestapo verfolgte JüdInnen und Linke, die nie ein Wort
veröffentlicht hatten, genauso wie kommunistische DruckerInnen und
anarchistische SchriftstellerInnen, und deren Erzeugnisse brannten mit den
Büchern jüdischer AutorInnen auf denselben Scheiterhaufen.
Und angesichts des Holocaust und der Raubkriege war die Zensur wirklich eines
der weniger wichtigen Naziverbrechen.
Nach der Niederlage des NS-Faschismus übernahmen zunächst die
alliierten Behörden Zensuraufgaben, z.B. wurden kommunistische Zeitungen
von britischen Militärs mehrfach für jeweils drei Monate verboten,
und sogar die existentialistische Zeitschrift Der Ruf von Alfred
Andersch und Hans-Werner Richter wurde 1946 von US-Militärbehörden
verboten.
Die BRD brauchte nur sieben Jahre, von ihrer Gründung 1949 bis zum
KPD-Verbot 1956, um die kommunistische Presse und ihre Druckereien zu
zerschlagen. 1954 erschienen bundesweit 13 kommunistische Tageszeitungen,
alleine in NRW 250 Betriebszeitungen mit einer Gesamtauflage von einer Million.
Das BKA - damals schon einschlägig tätig - registrierte bis Ende 1954
über 5.000 Druckschriften, von denen 3.500 eingezogen worden waren.Gegen
nur ein Blatt, die Hamburger Volkszeitung, wurden zwischen 1951 und 1956
dreihundertsechsundneunzig Strafanzeigen gestellt, ein Redakteur hatte im
gleichen Zeitraum sechzig (!) Prozesse. Im gleichen Zeitraum wurden über
3.000 Leute wegen "politischer Delikte" verurteilt.
Mit dem bis heute geltenden Verbot der KPD stellten alle diese Zeitungen ihr
Erscheinen zwangsweise ein, große Druckereien und ihr Vermögen
fielen an den Staat. Zeitschriften aus der DDR fielen unter die gleichen
Paragraphen. Die, die sie auf dem Postweg empfingen, konnten als
"Bezieher" verurteilt werden, wenn sie nach Meinung des Gerichts
den Inhalt billigten - selbst wenn sie sie unbestellt zugesandt bekommen
hatten. Das traf deutlich nur Linke, denn anderen wurde keine inhaltliche
Nähe unterstellt.
Zwischen 1957 und 1966 wurden 3.700 Personen zu Geldstrafen, Entzug des
Reisepasses usw. verurteilt. Hinzu kamen jahrelange Berufsverbote gegen
RedakteurInnen und JournalistInnen. Mehrere hundert KPD-AktivistInnen bekamen
z.T. mehrjährige Knaststrafen ohne Bewährung, dazu kamen Haftkosten,
Arbeitsplatzverlust und Entzug des Wahlrechts. Nur zwei Beispiele: Für die
Verschickung der Broschüre "Die geschichtliche Aufgabe der
Deutschen Demokratischen Republik und die Zukunft Deutschlands" an einen
"Sympathisanten" wurde ein Kommunist Anfang der 60er Jahre zu
sieben Monaten Knast verurteilt. Und fast 900 BezieherInnen eines
Informationsdienstes, den die Justiz als "kommunistische
Tarnschrift" ansah, wurden überprüft, und eine
"Leserversammlung" wurde 1964 von vier Staatsanwälten und
hundert Polizisten komplett festgenommen.
Die meisten Verurteilungen basierten formaljuristisch auf einem
Organisationsdelikt, dem Verstoß gegen das KPD-Verbot, und damit konnten
sowohl Drucker von kommunistischen Schriften belangt werden als auch jemand,
der sich am 1. Mai 1959 eine rote Nelke angesteckt hatte, "obwohl er
wußte, daß sie aus Ost-Berlin stammte".
Mit den neuen Notstandsgesetzen und NATO-Bürgerkriegsübungen im
Rücken konnte sich die "sozialpartnerschaftlich"
konsolidierte BRD Ende der 60er Jahre eine weniger flächendeckende und
massive Repression leisten, zumal die "68er Bewegung" nicht als
so bedrohlich angesehen wurde wie die KPD zehn, fünfzehn Jahre zuvor.
Das änderte sich in den 70er Jahren rapide. In einem anderen Beitrag
dieses Buches werden schon Beispiele für Zensur, wie der AGIT-Prozeß
und die Verfahren gegen die radikal, beschrieben.
Bereits 1974 wurde die Zeile "Georg von Rauch ermordet" (Georg
war Mitglied der Bewegung 2. Juni und wurde von einem Zivilbullen im Dezember
1971 erschossen) im Roten Schüler- und Lehrlingskalender 1973 und
die Veröffentlichung des RAF-Buches Über den bewaffneten Kampf in
Westeuropa für den damals noch linksradikalen Wagenbach Verlag mit
acht Monaten auf Bewährung und ca. 150.000 DM Verfahrenskosten quittiert.
Derselbe Verlag wurde 1972 von Siemens wegen einer satirischen Denkschrift zum
Firmenjubiläum, in der die Rolle des Konzerns im Trikont und im
Nationalsozialismus nicht geschönt wurde, zivilrechtlich so verklagt,
daß 36.000 DM Kosten anfielen. Ein kleiner linker Verlag kann so was kaum
durchstehen.
Das internationale Russell-Tribunal schrieb 1979 in seinem Urteil über die
BRD u.a: "In der Tat gibt es in der Bundesrepublik keine offizielle
Zensurinstanz. Dennoch findet Zensur in einer Vielzahl von Bereichen
täglich statt. Ein wichtiges Instrument für diese nicht offizielle
Zensur bilden für den Staat die in den siebziger Jahren verabschiedeten
Gesetzesparagraphen wie z. B. die SSSS 88 a und 130 a StGB, die dem
'Gemeinschaftsfrieden' dienen sollen, tatsächlich aber selbst
wissenschaftliche und literarische Äußerungen über Gewalt
strafverdächtig machen. Aber nicht nur diese neuerlich verabschiedeten
Paragraphen des StGB laden zum staatlichen Mißbrauch ein. Die deutsche
Eigentümlichkeit, den Staat als oberste und erste Privatperson zu
begreifen, die jederzeit für Verleumdung empfindlich ist, und von ihr
verletzt werden kann, stellt ein zusätzliches Mittel dar, Kritik zu
unterbinden. (...) Im Bereich der Presse besteht die Tendenz (...) Verlage und
Buchhandlungen mit Durchsuchungen und Prozessen bis zur Existenzgefährdung
zu überziehen, nur weil sie nicht genehme Bücher publiziert und
ausgelegt haben. (...) Indem durch die Zensurmaßnahmen das Spektrum
offiziell und halboffiziell erlaubter Meinungsäußerungen immer
stärker eingeengt zu werden droht, entsteht die Gefahr einer Zweiteilung
der Gesellschaft. Der normale und herrschende Teil, der sich anpaßt, und
der an den Rand gedrängte Teil der Minderheiten."
Die genannten Zensurparagraphen wurden seitdem wieder verändert, mangels
Effizienz und weil sich nicht mal Diktaturen offene Zensur nachsagen lassen
wollen. Heute wird der gleiche Effekt durch den Einsatz der
Organisationsparagraphen 129 und 129a zu erzielen versucht, die zunächst
nur gegen Stadtguerillagruppen eingesetzt wurden.
Die Zensur kurdischer Zeitungen und Zeitschriften erinnert in ihrer Systematik
und in der Art der Duchsetzung eher an die KPD-Verfolgung, denn erst in der
Folge und mittels des Verbots der kurdischen Vereine wurden die Verlage,
Zeitschriften und Parteisymbole sozusagen indirekt verboten. Das Ausmaß
der Beschlagnahmungen, wo ganze Paletten mit Büchern und Zeitschriften
tonnenweise abgeholt wurden, und Einknastungen kurdischer Zeitungs- und
VerlagsmitarbeiterInnen übertrifft das der Angriffe auf die radikal
bei weitem.
Der geschichtliche Abriß hat hoffentlich gezeigt, daß gerade in
Deutschland die Herrschenden nach Phasen gewisser Liberalität immer wieder
zu massiver Repression gegriffen haben und daß es falsch wäre,
gegenwärtige Verhältnisse einfach als stabil anzusehen. Was an Zensur
bzw. freier Veröffentlichung möglich ist, hängt immer vom
Kräfteverhältnis zwischen "Oben" und
"Unten", also auch vom geleisteten Widerstand ab.