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"Solidarität ist wie eine Wärmewelle ..."

Ein Interview mit Werner Konnerth


Was bedeutet für dich der Knastaufenthalt im nachhinein?

Noch bevor ich an die Reihe kam, wußte ich, daß es Knäste gibt und wozu sie da sind. Der Kerker hängt ja als Drohung über jedem rebellischen Kopf, und über die Jahre verschwanden immer wieder Bekannte darin. Ich hörte und las von Gefangenen, die weiter kämpften, und anderen, die es mit Dealerei versuchten, was ziemlich eklig und schäbig rüberkam, denn meistens ging es auf Kosten anderer. Solche Erfahrungen trugen zur gedanklichen Vorbereitung auf den Knast bei.
Trotzdem blieb er eine Vorstellung. Jetzt hab ich das Gefängnis erlebt und weiß, daß es nicht das Ende ist. Wenn du dich selbst nicht aufgibst, geht es unter anderen Bedingungen weiter; dann verliert das Eingesperrt-Sein einen großen Teil des Schreckens, und du bist stark. Ich hab weniger Angst vorm Knast, und das möchte ich gerne rüberbringen.

Inwiefern unterscheidet sich die Vorstellung vom Knast von der Realität?

Das Thema Knast wird meiner Ansicht nach zu sehr aus einer Opferrolle heraus gesehen. Betont werden zuerst die Fiesheiten, die Angst, die Wut, und lang dahinter kommt die Frage, wie du mit der Situation umgehen, sie bewältigen und sogar Positives draus ziehen kannst. Oft wird auf die Tränendrüsen gedrückt und sich über die Schlechtigkeit der Gegenseite beschwert, die man und frau ja gerade bekämpft. Aber wenn ich einem auf die Glocke haue, brauch ich mich nicht wundern, wenn der zurückhaut. Und wenn ich gegen diesen Staat und dies Gesellschaftssystem bin, werden solche Leute wie ich logisch bekämpft.
Es ist eines, Knast und Isolation im Rahmen einer Öffentlichkeitsarbeit anzuprangern, die von den Herrschenden ihre eigenen humanistischen Werte, wie Menschenrechte, einfordert; ein anderes sich darüber zu empören, daß dieses System seine tatsächlichen oder vermeintlichen Feinde verfolgt. Wenn du dich schon draußen Illusionen hingegeben hast, wendet sich die Naivität im Knast doppelt gegen dich. Du mußt noch mehr um deine politische Identität kämpfen.

Wie waren deine Haftbedingungen?

In Moabit hatte ich Sonderhaftbedingungen, wie sie bei beim Vorwurf der Paragraphen 129 und 129a üblich sind. Die Sicherungsverfügung umfasste etwa 30 Punkte. Im wesentlichen war das: Einzelzelle, allein zur Dusche, allein Hofgang, also alles alleine. Ich durfte mit keinem reden und hatte immer mindestens zwei Schließer oder Wachteln auf den Hacken, wenn ich mal aus der Zelle raus bin. Die Besuche liefen hinter einer Tennscheibe ab - also nichts mit Anfassen oder Abknutschen - und wurden von zwei Staatsschützern und einem Justizbüttel überwacht. Die saßen immer mit bei, haben zugehört und mitgeschrieben. Zum Schluß waren's sogar fünf Büttel. Außerdem gab's Körperfilze, Zellenfilze, natürlich kein Umschluß, kein Sport - also 23 Stunden auf Zelle.

Was hast du gemacht, um das auszuhalten?

Zum Beispiel einen Tagesplan. Ich hab täglich Gymnastik getrieben, geboxt, gelesen und Briefe geschrieben. Du mußt dich beschäftigen und etwas gegen die aufkommenden Konzentrationsstörungen tun, und du darfst dich nicht hängenlassen, sonst greifen die ganzen Mechanismen, und du wirst verzeifelt, denkst nur noch an Freilassung, statt mit dem momentanen Leben klarzukommen.
Für mich waren besonders die Briefe wichtig. Zumal die Post die letzte Brücke nach draußen ist, wenn man von den sogenannten Besuchen mal absieht. Bei den Briefen passiert was im Kopp, du tauchst in eine andere Welt ein und kommst gedanklich raus aus der Zelle. Auch Zeitungen sind wichtig, damit du mitbekommst, was draußen abgeht, und dich nicht noch mehr einigelst, als es die Zustände schon erzwingen. Bei mir hat es drei Monate gedauert, bis ich Zeitungen bekam, und das war nur Schikane, um die Isolation zu verstärken, solange du noch weich bist.
In extremen Situationen hat mir auch weitergeholfen, an die Menschen zu denken, die unter viel herberen Bedingungen leben und kämpfen, wie im Trikont oder früher im Widerstand gegen die Nazis. Ich hab mir zwei Gesichter über den Tisch gehängt, ein alter Kommunist, ehemaliger KZ-Insasse, und eine Roma-Frau. Die hab ich oft angeschaut, an guten und an schlechten Tagen, und das hat mir geholfen, weil diese Bilder meine Situation relativiert haben.
Wichtig war auch das Gefühl, nicht allein zu sein, also nicht für ein individuelles Ding zu sitzen, sondern stellvertretend für ein Kollektiv, letztendlich für die radikale Linke. Es gab viele Zeichen von draußen, und so sehr auch versucht wurde, sie von mir fernzuhalten, im Knast habe ich die Solidarität wie eine Wärmewelle gespürt.

Kannst du genauer beschreiben, was du mit Hängenlassen meinst?

Auf der Station gab es einen, der in einer ungewissen Zukunft gelebt hat. Er stand am Fenster und konnte nur über seinen anstehenden Prozeß und die Hoffnung auf halboffenen Vollzug reden, vom Haß auf seine Freundin, die ihn angeblich betrog. Er lebte in einer von Einbildungen und Wünschen bestimmten Scheinwelt. Dazu lag er den ganzen Tag im Bett und glotzte in die Röhre, und er verzichtete sogar auf den Hofgang, wenn es ihm draußen zu kalt war. Der Mann war halbtot hinter seiner körperlichen Hülle. Das meine ich mit Hängenlassen.
Ich lebte um einiges bewußter wie draußen. Das kam fast automatisch, denn das Angebot an Aktivitäten und Reizen ist geringer. Also mußt du dich mit dem Wenigen, was es gibt, mehr auseinandersetzen, und dadurch gehst du mehr in die Tiefe und wirst genauer. Wenn du z.B. frißt, was auf den Teller kommt, und dich körperlich nicht forderst, dann quillst du auf und wirst noch unbeweglicher. Wenn du nicht denkst und dich auseinandersetzt, verstärkst du den verordneten Reizentzug und wirst flach im Kopf. Und wenn du auf deine Phantasie verzichtest, statt sie zu entwickeln, verlierst du einen überlebenswichtigen Teil, den sie nie so einsperren und kontrollieren können wie deinen Körper. All das kostet natürlich Überwindung, zumal die Knastatmosphäre zur Faulheit geradezu einlädt. Aber es ist ein Kampf für dich selber, bei dem ich eine Menge lernte.

Wo hattest du rückblickend die größten Probleme mit der Isolierung?

Die meisten Probleme ergeben sich aus der Einknastung an sich, also daß dir deine Selbstbestimmung genommen wird und die Bewegungsfreiheit. Anfangs hatte ich Bammel vor dem, was ich mir unter Knastkoller vorgestellt habe, daß du verrückt wirst in diesem kleinen, verschlossenen Raum. Aber mit der Zeit richtete ich mich ein. Ich nutzte jeden Zentimeter Zellenboden für diverse Übungen, und später wurde auch die Stunde Hofgang zu einem genußreichen Höhepunkt des Tages, nachdem ich mich wochenlang mit dem stupiden Im-Kreis-Rennen gar nicht anfreunden konnte.
Unangenehm war, daß ich mit niemand richtig reden konnte, allein im Kopp mit mir, und daß jede Kommunikation über Briefe und beim Besuch überwacht und zensiert wurde. Je weniger von außen kam, desto mehr mußte ich aus mir ziehen. Dabei lernst du dich auf eine neue Art kennen, und das war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte, mit guten und schlechten Seiten.
Im Alltag draußen bist du ja nie so allein auf dich gestellt, und da kam es ganz gut, zu merken, daß sie dich trotz verordneter Einsamkeit und dem ganzen Brimborium nicht alle machen können, daß ich auch ohne meine Leute Tiefpunkte überstand und Power hatte. Es gibt im Knast und alleine Möglichkeiten, sich zu wehren, und als ich das gecheckt hatte, fühlte ich mich schon viel besser. Dann ging es weniger um gequältes Aushalten dieser Zeit, sondern ich wollte aus dem Knastalltag das beste machen und so viel wie möglich selbst bestimmen gegen die Maschine.

Du hast ja auf einer Station mitten unter anderen Gefangenen gelegen. Gab es da keine Möglichkeiten, die Isolation zu durchbrechen?

Die gab es. Die gegen uns angewendete Form der Isolation ist nicht perfekt. Ich denke du findest immer Schlupflöcher, wenn sie dich nicht in einen toten Trakt stecken wie viele RAF-Gefangene, wo du außer deinem Pulsschlag gar nichts hörst.
Das Kontaktverbot wirkte zum Teil über Drohung. Auf der Station war nämlich bekannt, daß ich ein Sonderfall war. Das klebte auch dick an der Tür und wurde bei jedem Öffnen der Zelle deutlich, wenn sie mit zwei Schlüsseln davor standen. Die meisten Knackis riskierten nichts, denn es wurde suggeriert, daß jede Kontaktaufnahme bestraft wird. Manchmal konnte ich mit dem Ohr an der Tür Gespräche draußen verfolgen, und ich muß sagen, der Umgangston der meisten Gefangenen zu den Schlüsseln war unterwürfig und anbiedernd, und mit solchen Gesellen wollte ich auch nicht reden.
Auch am Fenster hätte ich mich mit dem einen oder anderen unterhalten können. Aber ich wollte es nicht, denn in meiner Ecke saßen viele Idioten mit lauter Scheiße im Hirn. Ihre Kommunikation bestand darin, sich allerlei Heldentaten zu rühmen und übers Ficken zu reden, wobei mit Gewaltphantasien nicht gegeizt wurde. Mit den meisten Ausländern konnte ich mich nicht veständigen, weil ich ihre Sprache nicht verstand, aber das was ankam - Rumänisch verstehe ich ganz gut -, unterschied sich nicht von der beschriebenen Art.
Ich weiß nicht, ob sie mich absichtlich in diesen Teil gelegt haben oder ob die Gefangenen um mich rum einen repräsentativen Querschnitt der heutigen Knastbelegschaft darstellen. Ich entdeckte jedenfalls kaum Gefangene, die sich politisch verstehen. Es gab zwei, drei Kurden, die wegen politischer Delikte eingelocht worden waren, und das ist heute allgemein so, daß wesentlich mehr AusländerInnen als Deutsche wegen politischer Delikte sitzen.

Hattest du Kontakt mit Kurden?

Ja, zu Ihsan, aber nur über Zeichen und Kampfparolen, denn er verstand kein Wort Deutsch oder Englisch. Sie hatten ihn als angeblichen Chef der Berliner PKK eingelocht und ihm dieselbe Sicherungsverfügung wie mir reingeknallt, also auch Isolierung, Einzelhof und den ganzen Scheiß. Ein anderer Kurde steckte mir mal einen Brief zu, aber er wurde danach sofort verlegt.
Mehr Kontakt hatte ich zu Benjamin Ramos Vega aus Barcelona, der aufgrund einer durch Folter erpreßten Aussage seit über einem Jahr isoliert in Auslieferungshaft sitzt. Sie sagen, er soll eine Wohnung für ein ETA-Kommando besorgt haben. Die ersten Kontakte liefen von meinem Fenster aus, denn ich konnte einen Teil des Einzelhofs sehen, der 1980 für Gefangene vom 2. Juni und der RAF gebaut wurde und an den inzwischen geschlossenen Trakt angrenzt. Er hat fünf Meter hohe Mauern und einen extra Wachturm, obwohl er mitten im Knast liegt. Heute laufen dort alle möglichen schweren Jungs, nicht nur sogenannte Terroristen.
Dort hatte ich jedenfalls Hofgang, und auch Benjamin und Ihsan liefen dort ihre Runden. Von Benjamin wußte ich aus der Interim, war mir aber unsicher, ob er's ist, und so hab ich ganz klassisch die Faust an die Gitter gehalten und venceremos (wir werden siegen) gerufen. Er hat sofort reagiert, und ab da ging es los. Über seine Leute draußen konnte er mich bald zuordnen. Er kann etwas Deutsch, ich hab mir ein Spanischwörterbuch besorgt, und dann haben wir gerufen. Später haben wir mit Zetteln angefangen und die an bestimmten Stellen im Hof abgebunkert, in einer Ecke, in einem toten Winkel oder einfach an die Wand geklebt.
Den meisten Kontakt hatte ich zu einem anderen Gefangenen auf meiner Station. Gut zwei Monate hat er mich mit Zeitungsausschnitten versorgt und ich ihn mit Kopien der letzten fünf radikal-Ausgaben, die ich als Teil der Akten auf Zelle hatte. Er kam vorbei, wenn die Luft rein war, und wir haben uns den Kram durch einen Spalt über der Zellentür durchgeschoben. Das klappte ganz gut, denn Moabit ist ein alter Knast und bei weitem nicht so paßgenau gebaut wie die neuen Gefängnisse und Hochsicherheitstrakte. Wir haben uns angefreundet und sogar brieflich diskutiert. Das war geil, weil es trotz aller Verfügungen, Filzen und Kontrollen bestens funktionierte.

Gab es einen einschneidenden Punkt in den 6 Monaten Knast?

Nach etwa 3 Monaten stand ich vor der ersten größeren Konfrontation. Solange dauerte es, bis ich mich einigermaßen eingelebt und gefestigt hatte. Sie wissen natürlich, daß du gerade in der ersten Zeit weich und labil bist, und sie versuchen diesen Zustand zu verlängern und Druck auszuüben. Vielleicht kippst du ja um.
Solche Programme liefen gegen alle Gefangenen vom 13.6. Sie verboten Lautsprecher bei Kundgebungen, Andreas wurde anfangs ständig verlegt, Rainer steckten sie in Bielefeld gleich in den Trakt, sie hielten Briefe mit lächerlichen Begründungen an und verweigerten den Besuch von FreundInnen. Jeder Kontakt nach draußen widerspricht ja der Absicht, dich weichzukochen. Bei mir lief die Schikane außerdem über die Verweigerung von Zeitungen. Sie reagieren nicht auf Eingaben, händigen mir genehmigte Sachen nicht aus, ich kam trotz Hepatitis nicht zum Arzt, kaltes Wasser beim Duschen, zu kurzer Hofgang, und und...
Ich stand täglich vor der Frage, laß ich's durchgehen oder verlange ich eine Veränderung. Du darfst natürlich nicht ausflippen, denn wenn du wegen jeder Kleinigkeit zeckst, lachen sie dich aus, und du erreichst nur das Gegenteil. Außerdem hast du nicht gerade viele Mittel an der Hand, um dich durchzusetzen, und ein Hungerstreik muß gut geplant sein.
Nach diesen drei Monaten hatten sich mehrere Schikanen summiert, und auf meine Vormelder (Anträge) kamen nur hinhaltende oder keine Reaktionen. Damit konnte ich mich nicht abfinden, sonst hätte ich bei allen zukünftigen Auseinandersetzungen verloren und auch meinen Anblick im Spiegel meiden müssen. So wichtig wie der Respekt vor dir selbst, ist, daß die Knasthierarchie dich respektiert und daß sich unter den Schlüsseln rumspricht, daß sie nicht alles mit dir machen können.
Ich faßte also den ganzen Scheiß in einer Beschwerde an den Knastleiter zusammen und machte klar, daß wenn jetzt nichts passiert, ich andere Möglichkeiten erwägen würde, mir Gehör zu verschaffen. Gleichzeitig telefonierte mein Anwalt, und siehe da, in den nächsten Tagen erledigte sich ein angebliches Problem nach dem anderen wie durch Zauberhand. Die Sachen wurden ausgehändigt, und ich bekam sogar Antworten auf Melder, die ich längst gehakt hatte.

Wie erklärst du dir das? Ein so schnelles Nachgeben ist ja nicht gerade üblich, oder?

Für mich war entscheidend, daß ich den nächsten Schritt klar hatte, also daß es keine leere Drohung war, sondern eine Ankündigung. Es wird eine Rolle gespielt haben, daß ich und wir relativ prominente Gefangene waren, weil draußen einiges passierte. Außerdem hatte ich darauf geachtet, daß alle meine Forderungen in den Bereich der Knastleitung und nicht der BAW oder des BGH-Richters fielen. Sie konnten die Sache also nicht nach oben abschieben und mußten abwägen, ob sie deswegen Stunk und Aufsehen riskieren.

Das war also erst mal zu den Haftbedingungen ...

Moment, dazu möchte ich noch was sagen. Und zwar zu den Begriffen von Isolation und politische Gefangene, denn darauf wurde bei der Unterstützung einiges aufgebaut.
Zunächst mal entsprach meine Isolation bei weitem nicht jener von Gefangenen aus der Guerilla. Der Begriff verwischt die Unterschiede der Isolationsformen und daß sie erst mit zunehmender Dauer wirken. Ich merke schon nach sechs Monaten die Auswirkungen meiner abgeschwächten Iso, aber was z.B. in Bernd Rösner nach 17 Jahren Knast vorging, oder wie sich viele Jahre im Hochsicherheitstrakt überstehen lassen, davon lange Zeit vollkommen geräuschisoliert, das kann ich mir nicht vorstellen. Auch nicht was die totale Kontaktsperre bedeutet, ohne Besuch, ohne Brief und ohne den geringsten Austausch mit der Außenwelt.
Auch da muß differenziert werden. Denn ein gewisses Maß an Isolation gehört zur Logik der U-Haft, weil du bis zum Prozeß versuchen könntest, dich mit anderen Beschuldigten abzuquatschen oder sonst was zu drehen. Während die in Strafhaft praktizierte Isolation in der Regel Vernichtungshaft ist, also der systematische Versuch, die Gefangenen in den Wahnsinn zu treiben, zum Abschwören zu bringen. Dem zu widerstehen sind langwierige Kampferfahrungen, wovon ich gerade mal die ersten Schritte beschnuppert habe.
Ein weiterer Aspekt besteht darin, daß nicht allein die klassisch politischen Gefangenen Sonderhaftbedingungen unterliegen, sondern auch Rebellinnen, sogenannte Gemeinschaftstäter und viele andere. Zwar wurden in den 70er Jahren diverse Isolationstechniken mit an politischen Gefangenen erprobt - insbesondere an jenen aus der Guerilla -, aber isoliert wurde auch schon in den Kerkern der Jahrhunderwende, und die weiterentwickelten Techniken sind zu großen Teilen in den sogenannten Normalvollzug integriert worden.
Isolation gehört also zum Alltag des Knastsystems. Wenn einer unbeugsam ist und ein paar Ausbruchsversuche hinter sich hat, landet der genauso im Trakt wie eine politische Aktivistin, die den bewaffneten Kampf draußen verteidigt. Isolation kann alle Gefangene treffen, besonders wenn sie sich wehren oder zu organisieren versuchen.
Auch ich war nicht der einzige isolierte Gefangene. Daß man allein auf Zelle sitzt, keinen Kontakt aufnehmen kann usw. - das haben auch andere Gefangene gehabt. Gut, die Besuchsüberwachung, der Einzelhof, die Filzen in dem Ausmaß, das sind schon besondere Sachen gewesen, aber dafür hab ich Leute draußen, einen Anwalt und kann mich verständigen.
Ich war auf eine Art ein privilegierter Gefangener. Die Schlüssel haben mitbekommen, daß die Kundgebungen wegen mir laufen, daß ein Bundesrichter vom BGH drüber sitzt, und so waren sie vorsichtig. Auch die größten Arschlöcher. Aber nebenan saß ein Vietnamese, und da wurde mal die Tür zugemacht, und sie haben ihn "zur Brust genommen", wie sie das nannten. Das heißt mit anderen Gefangenen können sie machen was sie wollen, weil die einfach keine Lobby haben, nichtmal Leute, die ihren Fall beobachten. Wenn eine draußen keine Leute hat, dann würde sie sich sogar über einen Besuch mit Trennscheibe und Kripo freuen; oder ein Russe, der in fünf Jahren nur dreimal Besuch von Frau und Kind aus Moskau hatte. Wenn du aus einem anderen Land kommst und kein Deutsch kannst, ist das auch eine Form von Isolation. Du kannst dich einfach nicht richtig verständigen und weniger wehren wie deutschsprechende Gefangene.

In einem Brief hast du geschrieben, daß du die Fixierung der Soliarbeit auf dich, euch und allgemein auf politische Gefangene nicht gut findest ...

Ja. Es gab oft die Forderung nach Freilassung der radikal-Gefangenen. Ich hab mir gedacht, das ist weniger eine Parole als eine Frage des Kräfteverhältnisses. Ich fand auch, daß andere die Freilassung mindestens so nötig haben wie wir und daß sie vergessen werden.
Es gibt ja nicht nur Arschlöcher, sondern auch korrekte Knackis, die sich sozial und solidarisch verhalten und wissen auf welcher Seite sie stehen. Und es gibt Gefangene wie Christian Klar, der seit 14 Jahren sitzt, fünfmal lebenslänglich hat und zu dessen Hungerstreik gerade mal 20 Leute auf eine Kundgebung nach Bruchsal kamen. Auch in der Hinsicht hinterfrage ich die Aufmerksamkeit, die wir genossen.

Also weg mit den Knästen?

Finde ich etwas utopisch. Weder kann ich mir hier eine Revolution vorstellen noch eine nachrevolutionäre Gesellschaft ohne Knäste. Wenn du die Umwälzung der bestehenden Verhältnisse als einen radikalen Vorgang siehst, der sich nicht allein auf einen Austausch der Machteliten beschränkt, dürfte es danach weder Vergewaltiger, Mißbraucher, Faschisten, Politiker oder kapitalistische Blutsauger geben. Aktuell gibt es sie aber, und vielleicht gehören die nicht in den Knast, aber doch irgendwie weggeschlossen. Solange sich die Gesellschaft insgesamt nicht ändert, wird es auch diese Gefängnisse geben.

Wie ist deine Entlassung abgelaufen?

Ich hab nicht damit gerechnet. Eine von der Sicherheit hielt mir das Fax vom BGH unter die Nase, und ich fing an mit Packen. Eine Stunde später stand ich draußen vorm Knast. Ich bin mit einem Taxi nach Hause, wo nach und nach meine Leute eintrafen. Die waren zu spät nach Moabit gefahren, und das war auch ganz gut so, denn ohne diese Verschnaufpause wäre es zu viel gewesen. Allein schon wegen der Extreme, erst Reizentzug, dann Reizüberflutung.

Es wurde eine Kaution festgesetzt?

Ja, 20.000,- DM und andere Auflagen, wie dreimal wöchentlich bei den Bullen melden und das Verbot, keinen Kontakt untereinander aufzunehmen, auch nicht über Dritte. Wenn ich mehr mit einer solchen Entlassung gerechnet und darüber nachgedacht hätte, ich hätte mich zumindest schwer getan mit den Auflagen. Die Kaution ist schon wieder so ein Privileg, denn wer von den anderen Knackis kriegt mal locker 20 Mille hingeblättert? Außerdem paßt mir das Prinzip nicht, für deine Freilassung denen was zu zahlen, die dich nach ihren verschissenen Rechtsnormen eingeknastet haben.

Wie geht es weiter?

Mal schaun. Nach unserer Entlassung hat die Bundesanwaltschaft das Verfahren aufgesplittet. In unserem Fall gingen 110 Aktenordner an den Oberstaatsanwalt in Koblenz, der irgendwann vor dem dortigen OLG anklagen wird. Diese Sache haben sie also etwas tiefer gehängt.
Aber die Ermittlungen gegen die vier Abgetauchten im radikal-Verfahren laufen weiter über die BAW.
In den nächsten Monaten werden wir uns darauf konzentrieren, für alle, die es betrifft, eine Prozeßstrategie zu entwerfen. Für mich kann ich sagen, daß mir die Rolle als Angeklagter gar nicht gefällt und daß ich jedem Gericht die Legitimation abspreche, über uns zu urteilen. Mal sehen, ob wird den Spieß wenigstens in Teilen umdrehen können.

Was steckt deiner Meinung nach hinter den Durchsuchungen vom 13.6. und den Verfahren?

Ich halte relativ banale Hintergründe für möglich. Wenn ich mich in die Herrschaften von der Bundesanwaltschaft reinversetze, die bisherige Aktenlage berücksichtige und das Ganze mit einem Schuß Phantasie würze, ergibt sich folgendes Szenario:
Sie belauschen sieben Leute in einer Hütte in der Eifel und stellen verwundert fest, daß sie angeblich ein radikal-Treffen am Wickel haben statt der begehrten RAF-Connection. Nicht schlecht, denken sie, denn auch hinter der radikal sind sie ein gutes Jahrzehnt her, und diese Leute in der Hütte scheinen nicht erst seit gestern politisch aktiv zu sein. In ihren Hirnen nistet der Gedanke, daß ein hochkonspiratives Untergrundblatt natürlich auch Kontakte zu richtigen Bombenwerfern haben muß, etwa zu den AIZ, dem KOMITEE und natürlich zur RAF. Also observieren sie höchstwahrscheinlich die Leute mitsamt Umfeld über 1[ring] Jahre, aber leider scheint die Schnüffelei nicht viel Neues herzugeben. Denn nach diesen 1[ring] Jahren kriegen sie Haftbefehle nur für genau diese sieben Leute, die sie in der Eifel belauscht haben wollen (später kommt noch ein achter dazu), sie schnappen vier von ihnen, während drei entwischen (wie auch der achte später).
Möglicherweise hatte die BAW die Faxen dicke und erhoffte sich neue Erkenntnisse über die Durchsuchungen. Das ganze plazieren sie medienwirksam als großangelegte Anti-Terror-Aktion, als Schlag gegen den Linksextremismus, und wenn solche Begriffe fallen, interessiert sich eh kaum noch jemand dafür, was wirklich dahinter steckt und ob sie überhaupt Beweise für ihre Behauptungen haben.
Aber auch bei den Durchsuchungen scheint nichts Berühmtes abzufallen für ihre heiße These, denn sie kommen keiner einzigen dieser irre gefährlichen TerroristInnen auf die Spur. Ergo kein neuer Haftbefehl. Ganz leer wollen sie natürlich nicht ausgegangen sein; zumindest was die radikal betrifft, vermerken sie angeblich relevante Funde in ihren Akten. Sie präsentieren z.B. ein Protokoll, das angeblich das abgehörte Treffen in der Eifel-Hütte zusammenfaßt.
Angesichts der insgesamt mageren Ausbeute und frustriert von den Hoffnungen des einstigen Ansatzes, reicht es womöglich sogar den wackeren BAWisten: nach 26 Monaten eifrigem, aber recht glücklosen Puzzle drücken sie 110 Aktenordner Ermittlungsergebnisse einem untergeordneten Koblenzer Oberstaatsanwalt in die abwehrenden Hände. Jetzt, wo es "nur" noch um eine Zeitung geht, soll der sich drum kümmern.
Das wäre eine mögliche Vorstellung aus dem Inneren ihrer Gehirnwindungen, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, sich den Hintergründen des 13.6. zu nähern. Beispielsweise über die KGT (Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung) oder andere Oberchecker, die etwas weiter und vor allem politischer und strategischer denken als untergebene Beamtenhirne. Wenn Kanther von einem präventiven Schlag gegen die linksextremistische Szene spricht, kommen wir seinen Absichten vielleicht recht nahe, aber auch er bleibt relativ glücklos. Denn bis heute wurde nicht viel aus dem furchtbar abschreckenden Konstrukt einer riesigen terroristischen Vereinigung mit lauter Querverbindungen, und selbst die radikal haben sie nicht plattgemacht. Sie werden sich wutschnaubend in den Arsch gebissen haben, als die neue Ausgabe erschienen ist.

Demzufolge müßten sie das Verfahren so gut es geht runterspielen?

Einiges deutet daraufhin, aber die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende. Natürlich werden sie versuchen, das Gesicht zu wahren, und nicht vor laufenden Kameras eingestehen, daß sie in mancherlei Hinsicht einen Schlag ins Wasser gelandet haben.

Nur in mancherlei Hinsicht?

Die Ermittlungen gegen die radikal laufen weiter, es wird eine Anklage und einen Prozeß mit hohem Verurteilungsdruck geben. Vier Leute sind auf der Flucht und würden bei ihrem Auftauchen wahrscheinlich genauso eingeknastet werden wie die drei K.O.M.I.T.E.E.-Beschuldigten oder eine Frau aus Frankfurt, die mit der Knastsprengung der RAF in Weiterstadt in Verbindung gebracht wird.
Ich will damit sagen: Selbst wenn ihre Theorien und Konstrukte nicht aufgehen, hat die repressive Welle der letzten Monate auch gegen die Antifa M und Antifas in Weimar, Passau und Arolsen spürbare Folgen, die nicht verniedlicht werden können. Es ist ja bekannt, daß die Paragraphen 129 und 129a in erster Linie dazu dienen, Beschuldigte, Gruppen und ganze Szenen mit polizeilichen Mitteln auszuspionieren. Du bist quasi vogelfrei, obwohl nicht verurteilt, und die Bullen können ganz ungezwungen abhören, V-Leute einsetzen, Informationen von Behörden einholen - also alles Dinge, die ansonsten (noch) nicht ganz legal sind. Diese Informationsbeschaffung wird mit lautem Terror-Geschrei legitimiert, worauf nur ganzen selten - ich glaube in etwa 3% aller Fälle beim SS 129a - eine gerichtliche Verurteilung folgt. In der Regel blasen sie die Backen auf wie Frösche, die Medien geifern, die Öffentlichkeit wird konditioniert, und wenn keine mehr hinschaut, verlaufen die Ermittlungen im Sande, oder die Prozesse werden schnell und geräuschlos abgewickelt.
Hinzu kommt, daß seit dem 13.6. eine Menge Leute in mehreren Städten in die Antirepressionsarbeit eingebunden und damit aus anderen Aktivitäten und Strukturen abgezogen sind. Es gibt haufenweise Zeugen- und Zeuginnen-Vorladungen in Frankfurt, Wiesbaden, Berlin und anderen Städten. Die Repression will also nicht nur abschrecken, sondern auch beschäftigen. Allerdings muß sich diese relativ aufgezwungene Beschäftigung nicht nur schlecht auswirken, denn gerade auch aus so einer Arbeit lassen sich politische Diskussionen und Erkenntnisse über das Wesen des Systems und seiner Schwachpunkte ziehen, Leute lernen sich neu kennen und arbeiten zusammen.

Nochmal zum radikal-Verfahren: Was bleibt übrig, wenn die Verbindungen zu militanten und bewaffneten Gruppen nicht konstruiert werden können?

Moment, ich hab gesagt, daß es derzeit nicht danach aussieht, und einigen Vorstellungen freien Lauf gelassen. Aber staatsanwaltliche Konstrukte sind Interpretationen, die einem politischen Interesse folgen und wenig mit tatsächlichen Fakten zu tun haben. Der SS 129 ist nicht vom Tisch, und hier streben sie ein Präzedenzurteil an. Erstmalig soll eine als Redaktion verdächtigte Gruppe als kriminelle Vereinigung abgeschossen werden, und wenn das durchkommt, können sie in Zukunft alle anderen linken Stadtzeitungen und Medien im allgemeinen kriminalisieren. Ob und wieweit sie sich vorwagen, hängt wesentlich vom Gegenwind ab...

... der nicht gerade stürmisch bläst. Warum gibt es heute weniger Protest gegen diesen grundsätzlichen Angriff auf die Pressefreiheit als vor 12 Jahren?

Das wüßte ich auch gerne. Damals war die Linke allgemein noch nicht so schwach, und es gab einen fließenden Übergang zu Teilen des liberalen und bürgerlichen Lagers, die sich für Meinungsfreiheit und Menschenrechte eingesetzt haben. Heute gehen liberale und emanzipative Positionen im Trend der rechten Volksgemeinschaft unter bzw. passen sich an. Die Lichterketten waren die letzten öffentlichen Auftritte dieses Spektrums, heute existiert es als politische Kraft genausowenig wie die Linke.
Anfangs hatte ich Illusionen, weil die radikal 1984 viel Sympathie genoß und gegen die Repression unterstützt wurde. Jetzt halte ich es für richtig, bei der Soliarbeit auf die eigenen Leute zu setzen, also die radikale Linke. Das hat den Vorteil, daß du nicht paar Obercheckern in Parteien und Vereinen in den Arsch kriechen mußt, nur weil du sie brauchst, daß du statt opportunistischem Herumlavieren die eigenen Inhalte betonen und weiterentwickeln kannst. Diejenigen, die sich auf dieser Grundlage für den Fall interessieren, werden sich einklinken. Denn ich rede nicht von einer sektiererischen oder arroganten Politik, sondern von einer Öffentlichkeitsarbeit, die sich mit klaren Positionen präsentiert, nach außen geht und Informationen anbietet.

Welche anderen Gründe - neben den extensiven Auslegung des SS 129 - kannst du dir bei der Verfolgung speziell der radikal vorstellen?

Zum einen wird es ihnen um die Struktur gehen, die die radikal offensichtlich seit Jahren erfolgreich trägt und die sie als bundesweit und hochkonspirativ bezeichnen. Hier sehe ich Gemeinsamkeiten mit dem Verfahren gegen die Antifa M aus Göttingen, wo ebenfalls über den SS 129 ein Mammutprozeß gegen 17 Beschuldigte über ein Jahr terminiert wurde. In diesen Strukturen hat sich im Laufe der Jahre etwas entwickelt, das für mehr als Zeitungsmachen oder regionale Antifapolitik genutzt werden kann, und das beunruhigt sie, insbesondere wenn sie keine Spitzel drin haben und auf sogenannte Zufallsfunde wie die Abhörung dieser Eifel-Hütte angewiesen sind. Alles, was sie nicht kontrollieren, ist ihnen ein Dorn im Auge, besonders weil sie innen Ruhe brauchen, wenn sie außen aufrüsten und immer offener als Kriegspartei auftreten.
Auf der anderen Seite passen ihnen natürlich die staats- und herrschaftsfeindlichen Inhalte nicht, insbesondere daß sich die
radikal kontinuierlich und solidarisch mit militanten Aktionen und bewaffnetem Kampf beschäftigt. Diese Inhalte sind ja laut radikal der Grund für die verdeckte Struktur, denn erst als 1984 der Abdruck von Erklärungen kriminalisiert wurde, wurde die Zeitschrift konspirativ organisiert. Inhalt und Form sind demnach auch geschichtlich als Einheit zu sehen.

Nun ist es mit der Diskussion militanter und bewaffneter Politik auch in der radikal nicht allzu weit her ...

Wie auch, wenn sie nur auf dem Papier einer Zeitschrift läuft? Es verhält sich hier nicht groß anders wie in der Linken allgemein: Nach der Erklärung der RAF und der Auflösung einer RZ 1992 gab es eine Flut von Positionspapieren, aber mittlerweile ist Ruhe im Karton.
Niemand sagt, daß die militante Debatte in der radikal befriedigend stattfindet. Der Punkt ist, daß sie noch am ehesten die Möglichkeit für diese Diskussion bietet, die ja nur schlecht über Vollversammlungen oder legale Medien geführt werden kann. Sie enthält regelmäßig Erklärungen zu militanten Aktionen, die teilweise kommentiert werden und Diskussionsansätze bieten. So werden die militante Debatte für die Linke wenigstens wach gehalten und die Reste an Kommunikation gewährleistet.
Wie gesagt, wurde die radikal offensichtlich als Reaktion auf die Kriminalisierung von Inhalten verdeckt organisiert, weil die Selbstbestimmung und die Authentizität der eigenen Diskussionen an erster Stelle stand und weil radikale Inhalte zwangsläufig der Schere im eigenen Kopf zum Opfer fallen, wenn du als Verantwortliche greifbar und einem ständigen Repressionsdruck ausgesetzt bist. Fast alle Stadtzeitungen der 80er Jahre sind daran zugrunde gegangen. Insofern kann die radikal vom Selbstverständnis und Aufbau her ein zentraler Ort für eine umfassende Auseinandersetzung über die Neubestimmung militanter und bewaffneter Politik sein.
Anzunehmen, daß auch Kanther & Konsorten so was vermuten, und deshalb handeln sie präventiv. Sie möchten natürlich, daß militante und bewaffnete Aktionen von der Bildfläche verschwinden und für immer aus dem Bewußtsein getilgt werden, denn dann wäre die Linke zahnlos.

Widerspricht das nicht der realen Bedeutung militanter und bewaffneter Aktionen?

Die Bedeutung militanter Aktionen tendiert derzeit ebenso gegen Null, wie du die gesellschaftliche Bedeutung der Linken allgemein mit der Lupe suchen mußt. In meinen Augen sind militante und bewaffnete Gruppen Teil der Linken, insofern ist es ein und dasselbe Problem. Entsprechend den offen arbeitenden Gruppen haben sich natürlich auch militante Gruppen aufgelöst und dezimiert, hier wie da fand eine Zäsur statt und besteht Diskussionsbedarf.
Für viele Teile der Linken ist es eine Zeit des Sammelns und der Neubestimmung, warum also nicht auch für die militante? Daran ist erst mal nichts Besonderes, auch wenn natürlich zehnmal mehr Schweinwerfer auf eine selbstkritische Erklärung der RAF gerichtet sind als z.B. auf eine Infoladengruppe. Die Auflösung zahlreicher Strukturen der legalen Linken wird wie selbstverständlich nur zur Kenntnis genommen, während das Halali groß ist, wenn eine RZ ihren Abgang erklärt. Ich finde, daran zeigt sich ein schräges Verhältnis, eine unausgesprochene Hierarchie der legalen Linken zu ihren militanten Teilen.

Was mißfällt dir an diesem Verhältnis?

Eine ganze Menge. Besonders, daß heute etliche zumeist gesetztere Linke daran arbeiten, militante und bewaffnete Geschichte abzuwickeln. Statt einer solidarischen Auseinandersetzung werden Stimmungen und Behauptungen ausgetauscht, und so können wenige aus dem Zusammenhang gerissene Sätze aus der Auflösungserklärung einer RZ die Geschichte aller Zellen im Handstreich erledigen. Wenn diese Linken über bewaffneten Kampf reden, ist das keine Reflektion, sondern Abwehr oder Distanzierung. Zwischen ihren Zeilen spiegeln sich die eigenen ungelösten Widersprüche, die sie gegen militante Gruppen wenden.
Es scheint der Gang der Dinge, daß jede emanzipative Bewegung nach ihrer Auflösung auch in den Herzen und dem Verstand ehemaliger AktivistInnen zu existieren aufhört. Wo sind die radikalen Linken von 68 geblieben oder die Autonomen der 80er Jahre? Mit zunehmendem Alter macht sich Resignation und Ohnmacht breit, man ist abgekämpft und sehnt sich vielleicht nach etwas mehr Ruhe und Sicherheiten. Im Widerspruch dazu steht das Wissen, daß der Weg zurück in ein bürgerliches Leben Verrat an den eigenen Idealen ist, und da sind es gerade militante Aktionen, die mit diesem durchaus persönlichen Widerspruch konfrontieren. Denn unabhängig vom jeweiligen Blickwinkel bleibt die Frage, wie die Verhältnisse radikal zu ändern wären, ohne auch bewaffneten Kampf, und wie ohne Militanz die Option einer ernstzunehmenden Gegenmacht aufgebaut werden kann, die nicht nur appelliert, sondern auch mit Nachdruck Forderungen aufstellen kann.

Nun gibt es ja genug Gründe, bewaffnete Strategien und Praxis gründlich zu diskutieren.

Natürlich, aber mir geht es um die Motivation bei der Diskussion. Stell dir eine Gesprächsrunde von Leuten vor, die nach vorne diskutieren und die Geschichte in Richtung Neubestimmung aufarbeiten wollen. Wenn da welche bei sind, die das gar nicht wollen, die eigentlich nur Ballast abwerfen und die Geschichte militanter Aktionen und des bewaffneten Kampfes für immer abschließen wollen, wird das die Runde sprengen. Sie werden mit ihren Widersprüchen dominieren.
Übertrage dieses Bild auf den Mainstream der Auseinandersetzung in linken und auch linksradikalen Medien, und es wird klar, warum Gegenpositionen nicht nur schlechte Karten haben, sondern sich kaum noch äußern. Wer hängt sich bei diesem Thema schon gerne aus dem Fenster, vor allem dem öffentlichen?

Kannst du ein konkretes Beispiel nennen?

Die Argumentation findet meist in Nebensätzen und verschleiert statt. Du findest sie auch in der Soliarbeit zur radikal, beispielsweise in dem Film "Happy birthday Haftbefehl". Dort legt sogar jemand von der
radikal mit verzerrter Stimme nahe, Militanz als geschichtliches Relikt abzuhaken, da sie unter anderem heute von den Rechten dominiert wäre. In Verlängerung dieser Argumentation schreibt der Autor des Films danach in der konkret, Feuer und Flamme hätten als Mittel gegen den Staat ausgedient, weil sie heute auch das Leben von Flüchtlingen gefährden.
Nun mag ein Brandsatz dem anderen gleichen, aber entscheidend bleibt doch, wohin er fliegt und mit welchem politischen Hintergrund. Eine Argumentation, die da keine Unterschiede macht, erinnert mich an die von der taz in den 80ern angeleierte Gewaltdebatte, in der das Mittel an sich verteufelt wurde, ohne den Inhalt und die Hintergründe zu berücksichtigen. Im Ergebnis bleibt das Gewaltmonopol beim Staat, und wird uns täglich in der Flüchtlingspolitik, in Somalia, Bosnien undundund vorgeführt. Die zitierten Äußerungen verfolgen evtl. das Ziel, die radikal als pluralistisches Diskussionsforum darzustellen, und deswegen werden ihre inhaltlich militanten Schwerpunkte verkleinert. Aber wenn ich mir die Ausgaben 148-152 anschaue, wegen der wir angeklagt werden sollen, finden sich darin jede Menge Aktionserklärungen mit wohlwollenden Kommentaren, selbst die Anleitung für die aktuell im Castor-Widerstand beliebten Wurfanker auf Bahnoberleitungen. Also frage ich mich, wem gegenüber läuft eigentlich diese Argumentation und zu welchem Zweck wird militante Politik zum Modetrend umgedichtet und ihrer Inhalte beraubt?

Welche Rolle kann die radikal dabei spielen, die von dir befürchtete Abwicklung zu verhindern?

Das hab ich im wesentlichen schon gesagt: Sie bietet Grundvorausetzungen und Möglichkeiten, wie Kontinuitäten, Grundsolidarität und eine scheinbar weitgestreute Verbreitung. Der Rest liegt bei den betreffenden Genossen und Genossinnen, die die militante Debatte führen und ihre Beweggründe vermitteln oder zur Diskussion stellen wollen. Geschieht dies nicht, verliert die radikal eventuell einen erheblichen Teil ihrer Existenzberechtigung, vielleicht hat sie sich dann ganz überlebt.
Militante Aktionen und bewaffneten Kampf wird es trotzdem weiter geben, auch wenn sie von Flüchtlingen und MigrantInnen getragen werden. Vielleicht hat die deutsche Linke damit nichts mehr zu tun, und ihre aktuellen Glanzlichter distanzieren sich dann genauso von Gewalt wie ihre VorgängerInnen bei der
taz und den Grünen.

Wie erklärst du dir die relativ starke Mobilisierung zum radikal-Verfahren, beispielsweise bei der Demo in Hamburg?

Das liegt bestimmt auch am Thema, der Zeitschrift selbst. Du kannst sie anfassen, sie ist sichtbar, und von daher ergibt sich eher eine Betroffenheit und Verbundenheit als für abstraktere Geschichten. Wir als Beschuldigte scheinen auch relativ gut verwurzelt zu sein in unseren Städten, denn ohne die Freunde und Genossinnen würde bestimmt weniger laufen.
Außerdem scheinen ältere GenossInnen heute zu erkennen, daß zwischen dem individuellen Gebrauchswert der Zeitung für sie selbst und ihrer politischen Funktion ein Unterschied besteht. Für andere, jüngere, ist die radikal vielleicht auch ein Symbol, das sich seit über einem Jahrzehnt erfolgreich gegen die Kriminalisierung wehrt. Das vermittelt Glaubwürdigkeit, d.h. die Inhalte der Zeitung stehen im Einklang mit ihrer Praxis, und nicht wenige gehen dabei Risiken ein. In einer Zeit, wo in großen Teilen der Alt-Linken vornehmlich überlegt und geredet wird, ohne die Diskussionen in die Praxis zu übersetzen, wo gewachsene linke Strukturen zerfallen sind oder zerschlagen wurden, wirkt so was natürlich mobilisierend.
An diesem Mythos der radikal kann ich nichts Schlechtes entdecken, denn er gründet auf Erfolgen, wegen der man sich nicht verstecken muß. Die Problematik von Mythen besteht meines Erachtens im Umgang mit ihnen. Du kannst sie reproduzieren, indem du dich zum Fatzke machst, dich aufs Podest stellst oder zur Avantgarde erklärst. Oder du kannst dich als Mensch aus Fleisch und Blut vorstellen und den Mythos nutzen, um deine Inhalte rüberzubringen.

Noch ein Schlußwort?

Ja, aus einer Rede von Heinrich Böll, 1958:
"Es ist kein Zufall, daß immer da, wo der Geist als Gefahr angesehen wird, als erstes die Bücher verboten, die Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkmeldungen einer strengen Zensur unterworfen werden; zwischen zwei Zeilen, aus dieser winzigen Schußlinie des Druckers, kann man Dynamit genug anhäufen, um Welten in die Luft zu sprengen.
In allen Staaten, in denen Terror herrscht, ist das Wort fast noch mehr gefürchtet als bewaffneter Widerstand, und oft ist das letzte die Folge des ersten. Die Sprache kann der letzte Hort der Freiheit sein. Wir wissen, daß ein Gespräch, daß ein heimlich weitergereichtes Gedicht kostbarer werden kann als Brot, nach dem in allen Revolutionen die Aufständischen geschrien haben."