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Wed Sep 25 23:26:58 1996
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"Solidarität ist wie eine Wärmewelle ..."
Ein Interview mit Werner Konnerth
Was bedeutet für dich der Knastaufenthalt im nachhinein?
Noch bevor ich an die Reihe kam, wußte ich, daß es
Knäste gibt und wozu sie da sind. Der Kerker hängt ja als Drohung
über jedem rebellischen Kopf, und über die Jahre verschwanden immer
wieder Bekannte darin. Ich hörte und las von Gefangenen, die weiter
kämpften, und anderen, die es mit Dealerei versuchten, was ziemlich eklig
und schäbig rüberkam, denn meistens ging es auf Kosten anderer.
Solche Erfahrungen trugen zur gedanklichen Vorbereitung auf den Knast bei.
Trotzdem blieb er eine Vorstellung. Jetzt hab ich das Gefängnis erlebt und
weiß, daß es nicht das Ende ist. Wenn du dich selbst nicht
aufgibst, geht es unter anderen Bedingungen weiter; dann verliert das
Eingesperrt-Sein einen großen Teil des Schreckens, und du bist stark. Ich
hab weniger Angst vorm Knast, und das möchte ich gerne
rüberbringen.
Inwiefern unterscheidet sich die Vorstellung vom Knast von der
Realität?
Das Thema Knast wird meiner Ansicht nach zu sehr aus einer Opferrolle
heraus gesehen. Betont werden zuerst die Fiesheiten, die Angst, die Wut, und
lang dahinter kommt die Frage, wie du mit der Situation umgehen, sie
bewältigen und sogar Positives draus ziehen kannst. Oft wird auf die
Tränendrüsen gedrückt und sich über die Schlechtigkeit der
Gegenseite beschwert, die man und frau ja gerade bekämpft. Aber wenn ich
einem auf die Glocke haue, brauch ich mich nicht wundern, wenn der
zurückhaut. Und wenn ich gegen diesen Staat und dies Gesellschaftssystem
bin, werden solche Leute wie ich logisch bekämpft.
Es ist eines, Knast und Isolation im Rahmen einer Öffentlichkeitsarbeit
anzuprangern, die von den Herrschenden ihre eigenen humanistischen Werte, wie
Menschenrechte, einfordert; ein anderes sich darüber zu empören,
daß dieses System seine tatsächlichen oder vermeintlichen Feinde
verfolgt. Wenn du dich schon draußen Illusionen hingegeben hast, wendet
sich die Naivität im Knast doppelt gegen dich. Du mußt noch mehr um
deine politische Identität kämpfen.
Wie waren deine Haftbedingungen?
In Moabit hatte ich Sonderhaftbedingungen, wie sie bei beim Vorwurf der
Paragraphen 129 und 129a üblich sind. Die Sicherungsverfügung
umfasste etwa 30 Punkte. Im wesentlichen war das: Einzelzelle, allein zur
Dusche, allein Hofgang, also alles alleine. Ich durfte mit keinem reden und
hatte immer mindestens zwei Schließer oder Wachteln auf den Hacken, wenn
ich mal aus der Zelle raus bin. Die Besuche liefen hinter einer Tennscheibe ab
- also nichts mit Anfassen oder Abknutschen - und wurden von zwei
Staatsschützern und einem Justizbüttel überwacht. Die
saßen immer mit bei, haben zugehört und mitgeschrieben. Zum
Schluß waren's sogar fünf Büttel. Außerdem gab's
Körperfilze, Zellenfilze, natürlich kein Umschluß, kein Sport -
also 23 Stunden auf Zelle.
Was hast du gemacht, um das auszuhalten?
Zum Beispiel einen Tagesplan. Ich hab täglich Gymnastik getrieben,
geboxt, gelesen und Briefe geschrieben. Du mußt dich beschäftigen
und etwas gegen die aufkommenden Konzentrationsstörungen tun, und du
darfst dich nicht hängenlassen, sonst greifen die ganzen Mechanismen, und
du wirst verzeifelt, denkst nur noch an Freilassung, statt mit dem momentanen
Leben klarzukommen.
Für mich waren besonders die Briefe wichtig. Zumal die Post die letzte
Brücke nach draußen ist, wenn man von den sogenannten Besuchen mal
absieht. Bei den Briefen passiert was im Kopp, du tauchst in eine andere Welt
ein und kommst gedanklich raus aus der Zelle. Auch Zeitungen sind wichtig,
damit du mitbekommst, was draußen abgeht, und dich nicht noch mehr
einigelst, als es die Zustände schon erzwingen. Bei mir hat es drei Monate
gedauert, bis ich Zeitungen bekam, und das war nur Schikane, um die Isolation
zu verstärken, solange du noch weich bist.
In extremen Situationen hat mir auch weitergeholfen, an die Menschen zu denken,
die unter viel herberen Bedingungen leben und kämpfen, wie im Trikont oder
früher im Widerstand gegen die Nazis. Ich hab mir zwei Gesichter über
den Tisch gehängt, ein alter Kommunist, ehemaliger KZ-Insasse, und eine
Roma-Frau. Die hab ich oft angeschaut, an guten und an schlechten Tagen, und
das hat mir geholfen, weil diese Bilder meine Situation relativiert haben.
Wichtig war auch das Gefühl, nicht allein zu sein, also nicht für ein
individuelles Ding zu sitzen, sondern stellvertretend für ein Kollektiv,
letztendlich für die radikale Linke. Es gab viele Zeichen von
draußen, und so sehr auch versucht wurde, sie von mir fernzuhalten, im
Knast habe ich die Solidarität wie eine Wärmewelle gespürt.
Kannst du genauer beschreiben, was du mit Hängenlassen meinst?
Auf der Station gab es einen, der in einer ungewissen Zukunft gelebt
hat. Er stand am Fenster und konnte nur über seinen anstehenden
Prozeß und die Hoffnung auf halboffenen Vollzug reden, vom Haß auf
seine Freundin, die ihn angeblich betrog. Er lebte in einer von Einbildungen
und Wünschen bestimmten Scheinwelt. Dazu lag er den ganzen Tag im Bett und
glotzte in die Röhre, und er verzichtete sogar auf den Hofgang, wenn es
ihm draußen zu kalt war. Der Mann war halbtot hinter seiner
körperlichen Hülle. Das meine ich mit Hängenlassen.
Ich lebte um einiges bewußter wie draußen. Das kam fast
automatisch, denn das Angebot an Aktivitäten und Reizen ist geringer. Also
mußt du dich mit dem Wenigen, was es gibt, mehr auseinandersetzen, und
dadurch gehst du mehr in die Tiefe und wirst genauer. Wenn du z.B. frißt,
was auf den Teller kommt, und dich körperlich nicht forderst, dann quillst
du auf und wirst noch unbeweglicher. Wenn du nicht denkst und dich
auseinandersetzt, verstärkst du den verordneten Reizentzug und wirst flach
im Kopf. Und wenn du auf deine Phantasie verzichtest, statt sie zu entwickeln,
verlierst du einen überlebenswichtigen Teil, den sie nie so einsperren und
kontrollieren können wie deinen Körper. All das kostet natürlich
Überwindung, zumal die Knastatmosphäre zur Faulheit geradezu
einlädt. Aber es ist ein Kampf für dich selber, bei dem ich eine
Menge lernte.
Wo hattest du rückblickend die größten Probleme mit der
Isolierung?
Die meisten Probleme ergeben sich aus der Einknastung an sich, also
daß dir deine Selbstbestimmung genommen wird und die Bewegungsfreiheit.
Anfangs hatte ich Bammel vor dem, was ich mir unter Knastkoller vorgestellt
habe, daß du verrückt wirst in diesem kleinen, verschlossenen Raum.
Aber mit der Zeit richtete ich mich ein. Ich nutzte jeden Zentimeter
Zellenboden für diverse Übungen, und später wurde auch die
Stunde Hofgang zu einem genußreichen Höhepunkt des Tages, nachdem
ich mich wochenlang mit dem stupiden Im-Kreis-Rennen gar nicht anfreunden
konnte.
Unangenehm war, daß ich mit niemand richtig reden konnte, allein im Kopp
mit mir, und daß jede Kommunikation über Briefe und beim Besuch
überwacht und zensiert wurde. Je weniger von außen kam, desto mehr
mußte ich aus mir ziehen. Dabei lernst du dich auf eine neue Art kennen,
und das war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte, mit guten und
schlechten Seiten.
Im Alltag draußen bist du ja nie so allein auf dich gestellt, und da kam
es ganz gut, zu merken, daß sie dich trotz verordneter Einsamkeit und dem
ganzen Brimborium nicht alle machen können, daß ich auch ohne meine
Leute Tiefpunkte überstand und Power hatte. Es gibt im Knast und alleine
Möglichkeiten, sich zu wehren, und als ich das gecheckt hatte, fühlte
ich mich schon viel besser. Dann ging es weniger um gequältes Aushalten
dieser Zeit, sondern ich wollte aus dem Knastalltag das beste machen und so
viel wie möglich selbst bestimmen gegen die Maschine.
Du hast ja auf einer Station mitten unter anderen Gefangenen gelegen. Gab es
da keine Möglichkeiten, die Isolation zu durchbrechen?
Die gab es. Die gegen uns angewendete Form der Isolation ist nicht
perfekt. Ich denke du findest immer Schlupflöcher, wenn sie dich nicht in
einen toten Trakt stecken wie viele RAF-Gefangene, wo du außer deinem
Pulsschlag gar nichts hörst.
Das Kontaktverbot wirkte zum Teil über Drohung. Auf der Station war
nämlich bekannt, daß ich ein Sonderfall war. Das klebte auch dick an
der Tür und wurde bei jedem Öffnen der Zelle deutlich, wenn sie mit
zwei Schlüsseln davor standen. Die meisten Knackis riskierten nichts, denn
es wurde suggeriert, daß jede Kontaktaufnahme bestraft wird. Manchmal
konnte ich mit dem Ohr an der Tür Gespräche draußen verfolgen,
und ich muß sagen, der Umgangston der meisten Gefangenen zu den
Schlüsseln war unterwürfig und anbiedernd, und mit solchen Gesellen
wollte ich auch nicht reden.
Auch am Fenster hätte ich mich mit dem einen oder anderen unterhalten
können. Aber ich wollte es nicht, denn in meiner Ecke saßen viele
Idioten mit lauter Scheiße im Hirn. Ihre Kommunikation bestand darin,
sich allerlei Heldentaten zu rühmen und übers Ficken zu reden, wobei
mit Gewaltphantasien nicht gegeizt wurde. Mit den meisten Ausländern
konnte ich mich nicht veständigen, weil ich ihre Sprache nicht verstand,
aber das was ankam - Rumänisch verstehe ich ganz gut -, unterschied sich
nicht von der beschriebenen Art.
Ich weiß nicht, ob sie mich absichtlich in diesen Teil gelegt haben oder
ob die Gefangenen um mich rum einen repräsentativen Querschnitt der
heutigen Knastbelegschaft darstellen. Ich entdeckte jedenfalls kaum Gefangene,
die sich politisch verstehen. Es gab zwei, drei Kurden, die wegen politischer
Delikte eingelocht worden waren, und das ist heute allgemein so, daß
wesentlich mehr AusländerInnen als Deutsche wegen politischer Delikte
sitzen.
Hattest du Kontakt mit Kurden?
Ja, zu Ihsan, aber nur über Zeichen und Kampfparolen, denn er
verstand kein Wort Deutsch oder Englisch. Sie hatten ihn als angeblichen Chef
der Berliner PKK eingelocht und ihm dieselbe Sicherungsverfügung wie mir
reingeknallt, also auch Isolierung, Einzelhof und den ganzen Scheiß. Ein
anderer Kurde steckte mir mal einen Brief zu, aber er wurde danach sofort
verlegt.
Mehr Kontakt hatte ich zu Benjamin Ramos Vega aus Barcelona, der aufgrund einer
durch Folter erpreßten Aussage seit über einem Jahr isoliert in
Auslieferungshaft sitzt. Sie sagen, er soll eine Wohnung für ein
ETA-Kommando besorgt haben. Die ersten Kontakte liefen von meinem Fenster aus,
denn ich konnte einen Teil des Einzelhofs sehen, der 1980 für Gefangene
vom 2. Juni und der RAF gebaut wurde und an den inzwischen geschlossenen Trakt
angrenzt. Er hat fünf Meter hohe Mauern und einen extra Wachturm, obwohl
er mitten im Knast liegt. Heute laufen dort alle möglichen schweren Jungs,
nicht nur sogenannte Terroristen.
Dort hatte ich jedenfalls Hofgang, und auch Benjamin und Ihsan liefen dort ihre
Runden. Von Benjamin wußte ich aus der Interim, war mir aber unsicher, ob
er's ist, und so hab ich ganz klassisch die Faust an die Gitter gehalten und
venceremos (wir werden siegen) gerufen. Er hat sofort reagiert, und ab
da ging es los. Über seine Leute draußen konnte er mich bald
zuordnen. Er kann etwas Deutsch, ich hab mir ein Spanischwörterbuch
besorgt, und dann haben wir gerufen. Später haben wir mit Zetteln
angefangen und die an bestimmten Stellen im Hof abgebunkert, in einer Ecke, in
einem toten Winkel oder einfach an die Wand geklebt.
Den meisten Kontakt hatte ich zu einem anderen Gefangenen auf meiner Station.
Gut zwei Monate hat er mich mit Zeitungsausschnitten versorgt und ich ihn mit
Kopien der letzten fünf radikal-Ausgaben, die ich als Teil der
Akten auf Zelle hatte. Er kam vorbei, wenn die Luft rein war, und wir haben uns
den Kram durch einen Spalt über der Zellentür durchgeschoben. Das
klappte ganz gut, denn Moabit ist ein alter Knast und bei weitem nicht so
paßgenau gebaut wie die neuen Gefängnisse und Hochsicherheitstrakte.
Wir haben uns angefreundet und sogar brieflich diskutiert. Das war geil, weil
es trotz aller Verfügungen, Filzen und Kontrollen bestens funktionierte.
Gab es einen einschneidenden Punkt in den 6 Monaten Knast?
Nach etwa 3 Monaten stand ich vor der ersten größeren
Konfrontation. Solange dauerte es, bis ich mich einigermaßen eingelebt
und gefestigt hatte. Sie wissen natürlich, daß du gerade in der
ersten Zeit weich und labil bist, und sie versuchen diesen Zustand zu
verlängern und Druck auszuüben. Vielleicht kippst du ja um.
Solche Programme liefen gegen alle Gefangenen vom 13.6. Sie verboten
Lautsprecher bei Kundgebungen, Andreas wurde anfangs ständig verlegt,
Rainer steckten sie in Bielefeld gleich in den Trakt, sie hielten Briefe mit
lächerlichen Begründungen an und verweigerten den Besuch von
FreundInnen. Jeder Kontakt nach draußen widerspricht ja der Absicht, dich
weichzukochen. Bei mir lief die Schikane außerdem über die
Verweigerung von Zeitungen. Sie reagieren nicht auf Eingaben, händigen mir
genehmigte Sachen nicht aus, ich kam trotz Hepatitis nicht zum Arzt, kaltes
Wasser beim Duschen, zu kurzer Hofgang, und und...
Ich stand täglich vor der Frage, laß ich's durchgehen oder verlange
ich eine Veränderung. Du darfst natürlich nicht ausflippen, denn wenn
du wegen jeder Kleinigkeit zeckst, lachen sie dich aus, und du erreichst nur
das Gegenteil. Außerdem hast du nicht gerade viele Mittel an der Hand, um
dich durchzusetzen, und ein Hungerstreik muß gut geplant sein.
Nach diesen drei Monaten hatten sich mehrere Schikanen summiert, und auf meine
Vormelder (Anträge) kamen nur hinhaltende oder keine Reaktionen. Damit
konnte ich mich nicht abfinden, sonst hätte ich bei allen zukünftigen
Auseinandersetzungen verloren und auch meinen Anblick im Spiegel meiden
müssen. So wichtig wie der Respekt vor dir selbst, ist, daß die
Knasthierarchie dich respektiert und daß sich unter den Schlüsseln
rumspricht, daß sie nicht alles mit dir machen können.
Ich faßte also den ganzen Scheiß in einer Beschwerde an den
Knastleiter zusammen und machte klar, daß wenn jetzt nichts passiert, ich
andere Möglichkeiten erwägen würde, mir Gehör zu
verschaffen. Gleichzeitig telefonierte mein Anwalt, und siehe da, in den
nächsten Tagen erledigte sich ein angebliches Problem nach dem anderen wie
durch Zauberhand. Die Sachen wurden ausgehändigt, und ich bekam sogar
Antworten auf Melder, die ich längst gehakt hatte.
Wie erklärst du dir das? Ein so schnelles Nachgeben ist ja nicht gerade
üblich, oder?
Für mich war entscheidend, daß ich den nächsten Schritt
klar hatte, also daß es keine leere Drohung war, sondern eine
Ankündigung. Es wird eine Rolle gespielt haben, daß ich und wir
relativ prominente Gefangene waren, weil draußen einiges passierte.
Außerdem hatte ich darauf geachtet, daß alle meine Forderungen in
den Bereich der Knastleitung und nicht der BAW oder des BGH-Richters fielen.
Sie konnten die Sache also nicht nach oben abschieben und mußten
abwägen, ob sie deswegen Stunk und Aufsehen riskieren.
Das war also erst mal zu den Haftbedingungen ...
Moment, dazu möchte ich noch was sagen. Und zwar zu den Begriffen
von Isolation und politische Gefangene, denn darauf wurde bei der
Unterstützung einiges aufgebaut.
Zunächst mal entsprach meine Isolation bei weitem nicht jener von
Gefangenen aus der Guerilla. Der Begriff verwischt die Unterschiede der
Isolationsformen und daß sie erst mit zunehmender Dauer wirken. Ich merke
schon nach sechs Monaten die Auswirkungen meiner abgeschwächten Iso, aber
was z.B. in Bernd Rösner nach 17 Jahren Knast vorging, oder wie sich viele
Jahre im Hochsicherheitstrakt überstehen lassen, davon lange Zeit
vollkommen geräuschisoliert, das kann ich mir nicht vorstellen. Auch nicht
was die totale Kontaktsperre bedeutet, ohne Besuch, ohne Brief und ohne den
geringsten Austausch mit der Außenwelt.
Auch da muß differenziert werden. Denn ein gewisses Maß an
Isolation gehört zur Logik der U-Haft, weil du bis zum Prozeß
versuchen könntest, dich mit anderen Beschuldigten abzuquatschen oder
sonst was zu drehen. Während die in Strafhaft praktizierte Isolation in
der Regel Vernichtungshaft ist, also der systematische Versuch, die Gefangenen
in den Wahnsinn zu treiben, zum Abschwören zu bringen. Dem zu widerstehen
sind langwierige Kampferfahrungen, wovon ich gerade mal die ersten Schritte
beschnuppert habe.
Ein weiterer Aspekt besteht darin, daß nicht allein die klassisch
politischen Gefangenen Sonderhaftbedingungen unterliegen, sondern auch
Rebellinnen, sogenannte Gemeinschaftstäter und viele andere. Zwar wurden
in den 70er Jahren diverse Isolationstechniken mit an politischen Gefangenen
erprobt - insbesondere an jenen aus der Guerilla -, aber isoliert wurde auch
schon in den Kerkern der Jahrhunderwende, und die weiterentwickelten Techniken
sind zu großen Teilen in den sogenannten Normalvollzug integriert
worden.
Isolation gehört also zum Alltag des Knastsystems. Wenn einer unbeugsam
ist und ein paar Ausbruchsversuche hinter sich hat, landet der genauso im Trakt
wie eine politische Aktivistin, die den bewaffneten Kampf draußen
verteidigt. Isolation kann alle Gefangene treffen, besonders wenn sie sich
wehren oder zu organisieren versuchen.
Auch ich war nicht der einzige isolierte Gefangene. Daß man allein auf
Zelle sitzt, keinen Kontakt aufnehmen kann usw. - das haben auch andere
Gefangene gehabt. Gut, die Besuchsüberwachung, der Einzelhof, die Filzen
in dem Ausmaß, das sind schon besondere Sachen gewesen, aber dafür
hab ich Leute draußen, einen Anwalt und kann mich verständigen.
Ich war auf eine Art ein privilegierter Gefangener. Die Schlüssel haben
mitbekommen, daß die Kundgebungen wegen mir laufen, daß ein
Bundesrichter vom BGH drüber sitzt, und so waren sie vorsichtig. Auch die
größten Arschlöcher. Aber nebenan saß ein Vietnamese, und
da wurde mal die Tür zugemacht, und sie haben ihn "zur Brust
genommen", wie sie das nannten. Das heißt mit anderen Gefangenen
können sie machen was sie wollen, weil die einfach keine Lobby haben,
nichtmal Leute, die ihren Fall beobachten. Wenn eine draußen keine Leute
hat, dann würde sie sich sogar über einen Besuch mit Trennscheibe und
Kripo freuen; oder ein Russe, der in fünf Jahren nur dreimal Besuch von
Frau und Kind aus Moskau hatte. Wenn du aus einem anderen Land kommst und kein
Deutsch kannst, ist das auch eine Form von Isolation. Du kannst dich einfach
nicht richtig verständigen und weniger wehren wie deutschsprechende
Gefangene.
In einem Brief hast du geschrieben, daß du die Fixierung der
Soliarbeit auf dich, euch und allgemein auf politische Gefangene nicht gut
findest ...
Ja. Es gab oft die Forderung nach Freilassung der radikal-Gefangenen.
Ich hab mir gedacht, das ist weniger eine Parole als eine Frage des
Kräfteverhältnisses. Ich fand auch, daß andere die Freilassung
mindestens so nötig haben wie wir und daß sie vergessen werden.
Es gibt ja nicht nur Arschlöcher, sondern auch korrekte Knackis, die sich
sozial und solidarisch verhalten und wissen auf welcher Seite sie stehen. Und
es gibt Gefangene wie Christian Klar, der seit 14 Jahren sitzt, fünfmal
lebenslänglich hat und zu dessen Hungerstreik gerade mal 20 Leute auf eine
Kundgebung nach Bruchsal kamen. Auch in der Hinsicht hinterfrage ich die
Aufmerksamkeit, die wir genossen.
Also weg mit den Knästen?
Finde ich etwas utopisch. Weder kann ich mir hier eine Revolution
vorstellen noch eine nachrevolutionäre Gesellschaft ohne Knäste. Wenn
du die Umwälzung der bestehenden Verhältnisse als einen radikalen
Vorgang siehst, der sich nicht allein auf einen Austausch der Machteliten
beschränkt, dürfte es danach weder Vergewaltiger, Mißbraucher,
Faschisten, Politiker oder kapitalistische Blutsauger geben. Aktuell gibt es
sie aber, und vielleicht gehören die nicht in den Knast, aber doch
irgendwie weggeschlossen. Solange sich die Gesellschaft insgesamt nicht
ändert, wird es auch diese Gefängnisse geben.
Wie ist deine Entlassung abgelaufen?
Ich hab nicht damit gerechnet. Eine von der Sicherheit hielt mir das Fax
vom BGH unter die Nase, und ich fing an mit Packen. Eine Stunde später
stand ich draußen vorm Knast. Ich bin mit einem Taxi nach Hause, wo nach
und nach meine Leute eintrafen. Die waren zu spät nach Moabit gefahren,
und das war auch ganz gut so, denn ohne diese Verschnaufpause wäre es zu
viel gewesen. Allein schon wegen der Extreme, erst Reizentzug, dann
Reizüberflutung.
Es wurde eine Kaution festgesetzt?
Ja, 20.000,- DM und andere Auflagen, wie dreimal wöchentlich bei
den Bullen melden und das Verbot, keinen Kontakt untereinander aufzunehmen,
auch nicht über Dritte. Wenn ich mehr mit einer solchen Entlassung
gerechnet und darüber nachgedacht hätte, ich hätte mich
zumindest schwer getan mit den Auflagen. Die Kaution ist schon wieder so ein
Privileg, denn wer von den anderen Knackis kriegt mal locker 20 Mille
hingeblättert? Außerdem paßt mir das Prinzip nicht, für
deine Freilassung denen was zu zahlen, die dich nach ihren verschissenen
Rechtsnormen eingeknastet haben.
Wie geht es weiter?
Mal schaun. Nach unserer Entlassung hat die Bundesanwaltschaft das
Verfahren aufgesplittet. In unserem Fall gingen 110 Aktenordner an den
Oberstaatsanwalt in Koblenz, der irgendwann vor dem dortigen OLG anklagen wird.
Diese Sache haben sie also etwas tiefer gehängt.
Aber die Ermittlungen gegen die vier Abgetauchten im radikal-Verfahren
laufen weiter über die BAW.
In den nächsten Monaten werden wir uns darauf konzentrieren, für
alle, die es betrifft, eine Prozeßstrategie zu entwerfen. Für mich
kann ich sagen, daß mir die Rolle als Angeklagter gar nicht gefällt
und daß ich jedem Gericht die Legitimation abspreche, über uns zu
urteilen. Mal sehen, ob wird den Spieß wenigstens in Teilen umdrehen
können.
Was steckt deiner Meinung nach hinter den Durchsuchungen vom 13.6. und den
Verfahren?
Ich halte relativ banale Hintergründe für möglich. Wenn
ich mich in die Herrschaften von der Bundesanwaltschaft reinversetze, die
bisherige Aktenlage berücksichtige und das Ganze mit einem Schuß
Phantasie würze, ergibt sich folgendes Szenario:
Sie belauschen sieben Leute in einer Hütte in der Eifel und stellen
verwundert fest, daß sie angeblich ein radikal-Treffen am Wickel
haben statt der begehrten RAF-Connection. Nicht schlecht, denken sie, denn auch
hinter der radikal sind sie ein gutes Jahrzehnt her, und diese Leute in
der Hütte scheinen nicht erst seit gestern politisch aktiv zu sein. In
ihren Hirnen nistet der Gedanke, daß ein hochkonspiratives
Untergrundblatt natürlich auch Kontakte zu richtigen Bombenwerfern haben
muß, etwa zu den AIZ, dem KOMITEE und natürlich zur RAF. Also
observieren sie höchstwahrscheinlich die Leute mitsamt Umfeld über
1[ring] Jahre, aber leider scheint die Schnüffelei nicht viel Neues
herzugeben. Denn nach diesen 1[ring] Jahren kriegen sie Haftbefehle nur
für genau diese sieben Leute, die sie in der Eifel belauscht haben wollen
(später kommt noch ein achter dazu), sie schnappen vier von ihnen,
während drei entwischen (wie auch der achte später).
Möglicherweise hatte die BAW die Faxen dicke und erhoffte sich neue
Erkenntnisse über die Durchsuchungen. Das ganze plazieren sie
medienwirksam als großangelegte Anti-Terror-Aktion, als Schlag gegen den
Linksextremismus, und wenn solche Begriffe fallen, interessiert sich eh kaum
noch jemand dafür, was wirklich dahinter steckt und ob sie überhaupt
Beweise für ihre Behauptungen haben.
Aber auch bei den Durchsuchungen scheint nichts Berühmtes abzufallen
für ihre heiße These, denn sie kommen keiner einzigen dieser irre
gefährlichen TerroristInnen auf die Spur. Ergo kein neuer Haftbefehl. Ganz
leer wollen sie natürlich nicht ausgegangen sein; zumindest was die
radikal betrifft, vermerken sie angeblich relevante Funde in ihren Akten. Sie
präsentieren z.B. ein Protokoll, das angeblich das abgehörte Treffen
in der Eifel-Hütte zusammenfaßt.
Angesichts der insgesamt mageren Ausbeute und frustriert von den Hoffnungen des
einstigen Ansatzes, reicht es womöglich sogar den wackeren BAWisten: nach
26 Monaten eifrigem, aber recht glücklosen Puzzle drücken sie 110
Aktenordner Ermittlungsergebnisse einem untergeordneten Koblenzer
Oberstaatsanwalt in die abwehrenden Hände. Jetzt, wo es
"nur" noch um eine Zeitung geht, soll der sich drum
kümmern.
Das wäre eine mögliche Vorstellung aus dem Inneren ihrer
Gehirnwindungen, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, sich den
Hintergründen des 13.6. zu nähern. Beispielsweise über die KGT
(Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung) oder andere Oberchecker, die
etwas weiter und vor allem politischer und strategischer denken als untergebene
Beamtenhirne. Wenn Kanther von einem präventiven Schlag gegen die
linksextremistische Szene spricht, kommen wir seinen Absichten vielleicht recht
nahe, aber auch er bleibt relativ glücklos. Denn bis heute wurde nicht
viel aus dem furchtbar abschreckenden Konstrukt einer riesigen terroristischen
Vereinigung mit lauter Querverbindungen, und selbst die radikal haben
sie nicht plattgemacht. Sie werden sich wutschnaubend in den Arsch gebissen
haben, als die neue Ausgabe erschienen ist.
Demzufolge müßten sie das Verfahren so gut es geht
runterspielen?
Einiges deutet daraufhin, aber die Geschichte ist noch lange nicht zu
Ende. Natürlich werden sie versuchen, das Gesicht zu wahren, und nicht vor
laufenden Kameras eingestehen, daß sie in mancherlei Hinsicht einen
Schlag ins Wasser gelandet haben.
Nur in mancherlei Hinsicht?
Die Ermittlungen gegen die radikal laufen weiter, es wird eine
Anklage und einen Prozeß mit hohem Verurteilungsdruck geben. Vier Leute
sind auf der Flucht und würden bei ihrem Auftauchen wahrscheinlich genauso
eingeknastet werden wie die drei K.O.M.I.T.E.E.-Beschuldigten oder eine Frau
aus Frankfurt, die mit der Knastsprengung der RAF in Weiterstadt in Verbindung
gebracht wird.
Ich will damit sagen: Selbst wenn ihre Theorien und Konstrukte nicht aufgehen,
hat die repressive Welle der letzten Monate auch gegen die Antifa M und Antifas
in Weimar, Passau und Arolsen spürbare Folgen, die nicht verniedlicht
werden können. Es ist ja bekannt, daß die Paragraphen 129 und 129a
in erster Linie dazu dienen, Beschuldigte, Gruppen und ganze Szenen mit
polizeilichen Mitteln auszuspionieren. Du bist quasi vogelfrei, obwohl nicht
verurteilt, und die Bullen können ganz ungezwungen abhören, V-Leute
einsetzen, Informationen von Behörden einholen - also alles Dinge, die
ansonsten (noch) nicht ganz legal sind. Diese Informationsbeschaffung wird mit
lautem Terror-Geschrei legitimiert, worauf nur ganzen selten - ich glaube in
etwa 3% aller Fälle beim SS 129a - eine gerichtliche Verurteilung folgt.
In der Regel blasen sie die Backen auf wie Frösche, die Medien geifern,
die Öffentlichkeit wird konditioniert, und wenn keine mehr hinschaut,
verlaufen die Ermittlungen im Sande, oder die Prozesse werden schnell und
geräuschlos abgewickelt.
Hinzu kommt, daß seit dem 13.6. eine Menge Leute in mehreren Städten
in die Antirepressionsarbeit eingebunden und damit aus anderen Aktivitäten
und Strukturen abgezogen sind. Es gibt haufenweise Zeugen- und
Zeuginnen-Vorladungen in Frankfurt, Wiesbaden, Berlin und anderen Städten.
Die Repression will also nicht nur abschrecken, sondern auch beschäftigen.
Allerdings muß sich diese relativ aufgezwungene Beschäftigung nicht
nur schlecht auswirken, denn gerade auch aus so einer Arbeit lassen sich
politische Diskussionen und Erkenntnisse über das Wesen des Systems und
seiner Schwachpunkte ziehen, Leute lernen sich neu kennen und arbeiten
zusammen.
Nochmal zum radikal-Verfahren: Was bleibt übrig, wenn die
Verbindungen zu militanten und bewaffneten Gruppen nicht konstruiert werden
können?
Moment, ich hab gesagt, daß es derzeit nicht danach aussieht, und
einigen Vorstellungen freien Lauf gelassen. Aber staatsanwaltliche Konstrukte
sind Interpretationen, die einem politischen Interesse folgen und wenig mit
tatsächlichen Fakten zu tun haben. Der SS 129 ist nicht vom Tisch, und
hier streben sie ein Präzedenzurteil an. Erstmalig soll eine als Redaktion
verdächtigte Gruppe als kriminelle Vereinigung abgeschossen werden, und
wenn das durchkommt, können sie in Zukunft alle anderen linken
Stadtzeitungen und Medien im allgemeinen kriminalisieren. Ob und wieweit sie
sich vorwagen, hängt wesentlich vom Gegenwind ab...
... der nicht gerade stürmisch bläst. Warum gibt es heute weniger
Protest gegen diesen grundsätzlichen Angriff auf die Pressefreiheit als
vor 12 Jahren?
Das wüßte ich auch gerne. Damals war die Linke allgemein noch
nicht so schwach, und es gab einen fließenden Übergang zu Teilen des
liberalen und bürgerlichen Lagers, die sich für Meinungsfreiheit und
Menschenrechte eingesetzt haben. Heute gehen liberale und emanzipative
Positionen im Trend der rechten Volksgemeinschaft unter bzw. passen sich an.
Die Lichterketten waren die letzten öffentlichen Auftritte dieses
Spektrums, heute existiert es als politische Kraft genausowenig wie die
Linke.
Anfangs hatte ich Illusionen, weil die radikal 1984 viel Sympathie
genoß und gegen die Repression unterstützt wurde. Jetzt halte ich es
für richtig, bei der Soliarbeit auf die eigenen Leute zu setzen, also die
radikale Linke. Das hat den Vorteil, daß du nicht paar Obercheckern in
Parteien und Vereinen in den Arsch kriechen mußt, nur weil du sie
brauchst, daß du statt opportunistischem Herumlavieren die eigenen
Inhalte betonen und weiterentwickeln kannst. Diejenigen, die sich auf dieser
Grundlage für den Fall interessieren, werden sich einklinken. Denn ich
rede nicht von einer sektiererischen oder arroganten Politik, sondern von einer
Öffentlichkeitsarbeit, die sich mit klaren Positionen präsentiert,
nach außen geht und Informationen anbietet.
Welche anderen Gründe - neben den extensiven Auslegung des SS 129 -
kannst du dir bei der Verfolgung speziell der radikal vorstellen?
Zum einen wird es ihnen um die Struktur gehen, die die radikal
offensichtlich seit Jahren erfolgreich trägt und die sie als
bundesweit und hochkonspirativ bezeichnen. Hier sehe ich Gemeinsamkeiten mit
dem Verfahren gegen die Antifa M aus Göttingen, wo ebenfalls über den
SS 129 ein Mammutprozeß gegen 17 Beschuldigte über ein Jahr
terminiert wurde. In diesen Strukturen hat sich im Laufe der Jahre etwas
entwickelt, das für mehr als Zeitungsmachen oder regionale Antifapolitik
genutzt werden kann, und das beunruhigt sie, insbesondere wenn sie keine
Spitzel drin haben und auf sogenannte Zufallsfunde wie die Abhörung dieser
Eifel-Hütte angewiesen sind. Alles, was sie nicht kontrollieren, ist ihnen
ein Dorn im Auge, besonders weil sie innen Ruhe brauchen, wenn sie außen
aufrüsten und immer offener als Kriegspartei auftreten.
Auf der anderen Seite passen ihnen natürlich die staats- und
herrschaftsfeindlichen Inhalte nicht, insbesondere daß sich die
radikal kontinuierlich und solidarisch mit militanten Aktionen und
bewaffnetem Kampf beschäftigt. Diese Inhalte sind ja laut radikal
der Grund für die verdeckte Struktur, denn erst als 1984 der Abdruck
von Erklärungen kriminalisiert wurde, wurde die Zeitschrift konspirativ
organisiert. Inhalt und Form sind demnach auch geschichtlich als Einheit zu
sehen.
Nun ist es mit der Diskussion militanter und bewaffneter Politik auch in der
radikal nicht allzu weit her ...
Wie auch, wenn sie nur auf dem Papier einer Zeitschrift läuft? Es
verhält sich hier nicht groß anders wie in der Linken allgemein:
Nach der Erklärung der RAF und der Auflösung einer RZ 1992 gab es
eine Flut von Positionspapieren, aber mittlerweile ist Ruhe im Karton.
Niemand sagt, daß die militante Debatte in der radikal
befriedigend stattfindet. Der Punkt ist, daß sie noch am ehesten
die Möglichkeit für diese Diskussion bietet, die ja nur
schlecht über Vollversammlungen oder legale Medien geführt werden
kann. Sie enthält regelmäßig Erklärungen zu militanten
Aktionen, die teilweise kommentiert werden und Diskussionsansätze bieten.
So werden die militante Debatte für die Linke wenigstens wach gehalten und
die Reste an Kommunikation gewährleistet.
Wie gesagt, wurde die radikal offensichtlich als Reaktion auf die
Kriminalisierung von Inhalten verdeckt organisiert, weil die Selbstbestimmung
und die Authentizität der eigenen Diskussionen an erster Stelle stand und
weil radikale Inhalte zwangsläufig der Schere im eigenen Kopf zum Opfer
fallen, wenn du als Verantwortliche greifbar und einem ständigen
Repressionsdruck ausgesetzt bist. Fast alle Stadtzeitungen der 80er Jahre sind
daran zugrunde gegangen. Insofern kann die radikal vom
Selbstverständnis und Aufbau her ein zentraler Ort für eine
umfassende Auseinandersetzung über die Neubestimmung militanter und
bewaffneter Politik sein.
Anzunehmen, daß auch Kanther & Konsorten so was vermuten, und deshalb
handeln sie präventiv. Sie möchten natürlich, daß
militante und bewaffnete Aktionen von der Bildfläche verschwinden und
für immer aus dem Bewußtsein getilgt werden, denn dann wäre die
Linke zahnlos.
Widerspricht das nicht der realen Bedeutung militanter und bewaffneter
Aktionen?
Die Bedeutung militanter Aktionen tendiert derzeit ebenso gegen Null,
wie du die gesellschaftliche Bedeutung der Linken allgemein mit der Lupe suchen
mußt. In meinen Augen sind militante und bewaffnete Gruppen Teil der
Linken, insofern ist es ein und dasselbe Problem. Entsprechend den offen
arbeitenden Gruppen haben sich natürlich auch militante Gruppen
aufgelöst und dezimiert, hier wie da fand eine Zäsur statt und
besteht Diskussionsbedarf.
Für viele Teile der Linken ist es eine Zeit des Sammelns und der
Neubestimmung, warum also nicht auch für die militante? Daran ist erst mal
nichts Besonderes, auch wenn natürlich zehnmal mehr Schweinwerfer auf eine
selbstkritische Erklärung der RAF gerichtet sind als z.B. auf eine
Infoladengruppe. Die Auflösung zahlreicher Strukturen der legalen Linken
wird wie selbstverständlich nur zur Kenntnis genommen, während das
Halali groß ist, wenn eine RZ ihren Abgang erklärt. Ich finde, daran
zeigt sich ein schräges Verhältnis, eine unausgesprochene Hierarchie
der legalen Linken zu ihren militanten Teilen.
Was mißfällt dir an diesem Verhältnis?
Eine ganze Menge. Besonders, daß heute etliche zumeist gesetztere
Linke daran arbeiten, militante und bewaffnete Geschichte abzuwickeln. Statt
einer solidarischen Auseinandersetzung werden Stimmungen und Behauptungen
ausgetauscht, und so können wenige aus dem Zusammenhang gerissene
Sätze aus der Auflösungserklärung einer RZ die Geschichte aller
Zellen im Handstreich erledigen. Wenn diese Linken über bewaffneten Kampf
reden, ist das keine Reflektion, sondern Abwehr oder Distanzierung. Zwischen
ihren Zeilen spiegeln sich die eigenen ungelösten Widersprüche, die
sie gegen militante Gruppen wenden.
Es scheint der Gang der Dinge, daß jede emanzipative Bewegung nach ihrer
Auflösung auch in den Herzen und dem Verstand ehemaliger AktivistInnen zu
existieren aufhört. Wo sind die radikalen Linken von 68 geblieben oder die
Autonomen der 80er Jahre? Mit zunehmendem Alter macht sich Resignation und
Ohnmacht breit, man ist abgekämpft und sehnt sich vielleicht nach etwas
mehr Ruhe und Sicherheiten. Im Widerspruch dazu steht das Wissen, daß der
Weg zurück in ein bürgerliches Leben Verrat an den eigenen Idealen
ist, und da sind es gerade militante Aktionen, die mit diesem durchaus
persönlichen Widerspruch konfrontieren. Denn unabhängig vom
jeweiligen Blickwinkel bleibt die Frage, wie die Verhältnisse radikal zu
ändern wären, ohne auch bewaffneten Kampf, und wie ohne Militanz die
Option einer ernstzunehmenden Gegenmacht aufgebaut werden kann, die nicht nur
appelliert, sondern auch mit Nachdruck Forderungen aufstellen kann.
Nun gibt es ja genug Gründe, bewaffnete Strategien und Praxis
gründlich zu diskutieren.
Natürlich, aber mir geht es um die Motivation bei der Diskussion.
Stell dir eine Gesprächsrunde von Leuten vor, die nach vorne diskutieren
und die Geschichte in Richtung Neubestimmung aufarbeiten wollen. Wenn da welche
bei sind, die das gar nicht wollen, die eigentlich nur Ballast abwerfen und die
Geschichte militanter Aktionen und des bewaffneten Kampfes für immer
abschließen wollen, wird das die Runde sprengen. Sie werden mit ihren
Widersprüchen dominieren.
Übertrage dieses Bild auf den Mainstream der Auseinandersetzung in linken
und auch linksradikalen Medien, und es wird klar, warum Gegenpositionen nicht
nur schlechte Karten haben, sondern sich kaum noch äußern. Wer
hängt sich bei diesem Thema schon gerne aus dem Fenster, vor allem dem
öffentlichen?
Kannst du ein konkretes Beispiel nennen?
Die Argumentation findet meist in Nebensätzen und verschleiert
statt. Du findest sie auch in der Soliarbeit zur radikal, beispielsweise in dem
Film "Happy birthday Haftbefehl". Dort legt sogar jemand von der
radikal mit verzerrter Stimme nahe, Militanz als geschichtliches Relikt
abzuhaken, da sie unter anderem heute von den Rechten dominiert wäre. In
Verlängerung dieser Argumentation schreibt der Autor des Films danach in
der konkret, Feuer und Flamme hätten als Mittel gegen den Staat
ausgedient, weil sie heute auch das Leben von Flüchtlingen
gefährden.
Nun mag ein Brandsatz dem anderen gleichen, aber entscheidend bleibt doch,
wohin er fliegt und mit welchem politischen Hintergrund. Eine Argumentation,
die da keine Unterschiede macht, erinnert mich an die von der taz in den
80ern angeleierte Gewaltdebatte, in der das Mittel an sich verteufelt wurde,
ohne den Inhalt und die Hintergründe zu berücksichtigen. Im Ergebnis
bleibt das Gewaltmonopol beim Staat, und wird uns täglich in der
Flüchtlingspolitik, in Somalia, Bosnien undundund vorgeführt. Die
zitierten Äußerungen verfolgen evtl. das Ziel, die radikal
als pluralistisches Diskussionsforum darzustellen, und deswegen werden ihre
inhaltlich militanten Schwerpunkte verkleinert. Aber wenn ich mir die Ausgaben
148-152 anschaue, wegen der wir angeklagt werden sollen, finden sich darin jede
Menge Aktionserklärungen mit wohlwollenden Kommentaren, selbst die
Anleitung für die aktuell im Castor-Widerstand beliebten Wurfanker auf
Bahnoberleitungen. Also frage ich mich, wem gegenüber läuft
eigentlich diese Argumentation und zu welchem Zweck wird militante Politik zum
Modetrend umgedichtet und ihrer Inhalte beraubt?
Welche Rolle kann die radikal dabei spielen, die von dir
befürchtete Abwicklung zu verhindern?
Das hab ich im wesentlichen schon gesagt: Sie bietet Grundvorausetzungen
und Möglichkeiten, wie Kontinuitäten, Grundsolidarität und eine
scheinbar weitgestreute Verbreitung. Der Rest liegt bei den betreffenden
Genossen und Genossinnen, die die militante Debatte führen und ihre
Beweggründe vermitteln oder zur Diskussion stellen wollen. Geschieht dies
nicht, verliert die radikal eventuell einen erheblichen Teil ihrer
Existenzberechtigung, vielleicht hat sie sich dann ganz überlebt.
Militante Aktionen und bewaffneten Kampf wird es trotzdem weiter geben, auch
wenn sie von Flüchtlingen und MigrantInnen getragen werden. Vielleicht hat
die deutsche Linke damit nichts mehr zu tun, und ihre aktuellen Glanzlichter
distanzieren sich dann genauso von Gewalt wie ihre VorgängerInnen bei der
taz und den Grünen.
Wie erklärst du dir die relativ starke Mobilisierung zum
radikal-Verfahren, beispielsweise bei der Demo in Hamburg?
Das liegt bestimmt auch am Thema, der Zeitschrift selbst. Du kannst sie
anfassen, sie ist sichtbar, und von daher ergibt sich eher eine Betroffenheit
und Verbundenheit als für abstraktere Geschichten. Wir als Beschuldigte
scheinen auch relativ gut verwurzelt zu sein in unseren Städten, denn ohne
die Freunde und Genossinnen würde bestimmt weniger laufen.
Außerdem scheinen ältere GenossInnen heute zu erkennen, daß
zwischen dem individuellen Gebrauchswert der Zeitung für sie selbst und
ihrer politischen Funktion ein Unterschied besteht. Für andere,
jüngere, ist die radikal vielleicht auch ein Symbol, das sich seit
über einem Jahrzehnt erfolgreich gegen die Kriminalisierung wehrt. Das
vermittelt Glaubwürdigkeit, d.h. die Inhalte der Zeitung stehen im
Einklang mit ihrer Praxis, und nicht wenige gehen dabei Risiken ein. In einer
Zeit, wo in großen Teilen der Alt-Linken vornehmlich überlegt und
geredet wird, ohne die Diskussionen in die Praxis zu übersetzen, wo
gewachsene linke Strukturen zerfallen sind oder zerschlagen wurden, wirkt so
was natürlich mobilisierend.
An diesem Mythos der radikal kann ich nichts Schlechtes
entdecken, denn er gründet auf Erfolgen, wegen der man sich nicht
verstecken muß. Die Problematik von Mythen besteht meines Erachtens im
Umgang mit ihnen. Du kannst sie reproduzieren, indem du dich zum Fatzke machst,
dich aufs Podest stellst oder zur Avantgarde erklärst. Oder du kannst dich
als Mensch aus Fleisch und Blut vorstellen und den Mythos nutzen, um deine
Inhalte rüberzubringen.
Noch ein Schlußwort?
Ja, aus einer Rede von Heinrich Böll, 1958:
"Es ist kein Zufall, daß immer da, wo der Geist als Gefahr
angesehen wird, als erstes die Bücher verboten, die Zeitungen,
Zeitschriften und Rundfunkmeldungen einer strengen Zensur unterworfen werden;
zwischen zwei Zeilen, aus dieser winzigen Schußlinie des Druckers, kann
man Dynamit genug anhäufen, um Welten in die Luft zu sprengen.
In allen Staaten, in denen Terror herrscht, ist das Wort fast noch mehr
gefürchtet als bewaffneter Widerstand, und oft ist das letzte die Folge
des ersten. Die Sprache kann der letzte Hort der Freiheit sein. Wir wissen,
daß ein Gespräch, daß ein heimlich weitergereichtes Gedicht
kostbarer werden kann als Brot, nach dem in allen Revolutionen die
Aufständischen geschrien haben."