Eine Frage, die sich viele - und vor allem lokal orientierte Medien - immer wieder stellen, ist: Was machen eigentlich die LeserInnen mit unseren Blättern? Der seit 1989 unregelmäßig mit einer Auflage von 800 herauskommende internationalistische bremer kassiber - stadtzeitung für politik, alltag, revolution befragte im Sommer 1993 seine LeserInnen.
"In der letzten Ausgabe des kassiber lag ein gelber Fragebogen bei. Wir forderten 5.000 Antworten von unseren LeserInnen, sollten diese nicht bei uns eintreffen, drohten wir mit der Fortsetzung unserer Arbeit.
Leider kamen keine 5.000 Antworten, die Antworten, die wir erhielten repräsentieren aber dennoch 10% der verkauften Auflage. Eine überraschend hohe Beteiligung, wenn wir bedenken, das der größte Teil unser LeserInnenschaft von jedweder Aushorchung (zu Recht) nichts hält und wir nur darauf hoffen konnten, daß eine Ausnahme gemacht wurde.
Nehmen wir einmal das Ergebnis als repräsentativ, dann ergibt sich über unsere LeserInnenschaft folgendes Bild: Knapp ein Drittel der LeserInnen sind Frauen, das Durchschnittsalter der kassiber-lesenden Frauen und Männer liegt bei 32 Jahren und die meisten sind StudentInnen (SchülerInnen) oder fristen ihr Leben als JobberInnen. Immerhin 10% sind erwerbslos und ebenfalls jedeR Zehnte nennt sich ein/e BerufsrevolutionärIn. Wir Empiriker können natürlich nicht behaupten, daß die Gruppe der Erwerbslosen mit denen der BerufsrevolutionärInnen identisch ist.
Wie dem auch sei, etwa 8% arbeiten im sozialpädagogischen Bereich oder im Zusammenhang mit Kultur, abgerundet wird das Bild durch eine bekennende "irgendwie Hausfrau".
Wenn unsere LeserInnen nicht ihren Tätigkeiten nachgehen und nicht kassiber lesen, engagieren sie sich im politischen Bereich. Fast die Hälfte kann sich glücklich schätzen, einer sterbenden Spezies anzugehören: Einer Polit-Gruppe. Immerhin fast 10% engagieren sich in der Gewerkschaft, einzelne arbeiten in Parteien, Jugendinitiativen, in der Frauen&Lesbenbewegung oder Kulturgruppen mit. Niemand wirkt in einer Flüchtlingsgruppe mit und fast 20% engagieren sich überhaupt nicht öffentlich-politisch.
Unsere LeserInnen lesen neben kassiber unglaublich viel: Im Durchschnitt nehmen sie regelmäßig drei Zeitungen/Zeitschriften zu sich, unregelmäßig kommen nocheinmal mindestens ebensoviele hinzu. Da es aber auch ausgesprochene "Ausschließlich-kassiber"-LeserInnen gibt, müssen die anderen noch mehr lesen, damit sich dieser Durchschnitt ergibt. Das heißt: Die Hälfte der LeserInnen ließt nur kassiber, die andere Hälfte dagegen mehrere Tages- und Monatszeitungen.
Internationalistische und feministische Zeitungen werden eher selten gelesen, autonome Blätter gehören dagegen zur Lieblingslektüre. Kultur, schwules und lesbisches Leben scheint kaum zu interessieren, der ak und das konkret dagegen werden dagegen werden häufig konsumiert. Die Blätter für internationale Politik sind wohl fast unbekannt, es wird mehr taz als Weserkurier regelmäßig gelesen, aber beide Tageszeitungen werden von ebensovielen LeserInnen nicht gelesen (jeweils ca. 50%).
Was aber ist nun mit kassiber?
Die Hälfte unserer LeserInnen kauft den kassiber im Buchladen oder in der Kneipe, und fast alle kaufen ihn regelmäßig, alle schon seit mehreren Nummern, die Hälfte schon länger als zwei Jahre.
Durchschnittlich wird der kassiber von 2,5 Personen gelesen, die zum überwiegenden Teil die gesamte Zeitung lesen - das würde bedeuten, über 3000 Frauen und Männer lesen (fast) alle Artikel der Zeitung. 5% lesen vorrangig die Schwerpunktthemen. Unsere LeserInnen sind auch ausgesprochene Sammler: Fast 80% archivieren die Zeitung und nur ca. 4% wickeln Fisch hinein."