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erklaerung muenster zu hausdurchsuchungen


  • Subject: erklaerung muenster zu hausdurchsuchungen
  • From: ID-SCHLESWIGHOLSTEIN@BIONIC.zer.de (ID-Schleswig-Holstein)
  • Date: 21 Jun 1995 17:24:00 +0000

  • 
    
    
    Erklärung der aus Münster von den Polizeiaktionen Betroffenen
    Wir sind betroffen!
    Wir, das sind all diejenigen, die am Dienstag, den 13.6.95 morgens um 6  
    Uhr von der Staatsgewalt überfallen wurden. Wir, das sind drei Menschen,  
    die nun ein Ermittlungsverfahren haben und alle Freundinnen und Freunde,  
    die mit eben diesen Menschen zusammenwohnen. Wir das sind auch die, mit  
    denen Rainer gemeinsam wohnt und die, bei denen er übernachtet, und wo er  
    aus dem Bett herraus verhaftet worden ist.
    Betroffen sind wir nun alle, ob Erwachsene oder Kinder, mit und ohne  
    Ermittlungsverfahren, von dem brutalen Eindringen in unser alltägliches  
    Leben. Dienstag haben sie in allen unseren persönlichen und  
    arbeitsrelevanten Dingen geschnüffelt, das Unterste zuoberst gekehrt. Sie  
    haben Rainer in die totale Isolation nach Karlsruhe gebracht, drei  
    Menschen der ED-Behandlung (Fotos, Fingerabdrücke...)und der Vernehmung  
    unterzogen. Sie haben uns kriminalisiert und tun dies weiter, obwohl wir,  
    und dazu gehört auch Rainer, keine Kriminellen sind. Sie belegen uns mit  
    dem Begriff Terrorismus, und dabei sind sie es, die uns terrorisieren: Die  
    Telefone werden überwacht, wir werden in unserem gesamten Tun beobachtet  
    und protokolliert. Sie wollen uns Angst machen und entziehen uns das Recht  
    der Sicherheit in unserem Leben und unseren Kindern das Recht auf die  
    sichere Anwesenheit ihrer Eltern.
    Warum dies alles?
    Der Vorwurf an die von den juristischen Ermittlungen Betroffenen und gegen  
    Rainer lautet, daß sie an der Herausgabe der Zeitschrift "Radikal"  
    beteiligt sind und damit einer kriminellen Vereinigung angehören sollen,  
    und mittels ihrer Verbreitung für linksterroristische Gruppen geworben  
    bzw. diese unterstützt haben sollen. Dabei beziehen sie sich primär auf  
    ein (angebliches) Treffen 1993 (!) in der Eifel. Die "Radikal" ist eine  
    Zeitschrift, welche aus linker Position heraus Stellung bezieht zu  
    aktuellen politischen Vorgängen, und in der verschiedene Gruppen die  
    Möglichkeit haben, zum Widerstand aufzurufen, wie z.B. gegen  
    internationale Währungspolitik, Sozialabbau, Knastbedingungen,  
    Atommüllagerung etc. Sie veröffentlicht zudem BekennerInnenschreiben zu  
    verschiedenen Aktionen und diversen militanten Anschlägen. Aufgrund ihrer  
    linken Ausrichtung, ihren Inhalten und der Nicht-Zensierung hebt sie sich  
    von der herkömmlichen Medienlandschaft ab, die dem sog. Tendenzschutz  
    unterliegt. Letzterer verhindert eben auch, daß wir die whren Abläufe und  
    Anklagepunkte derzeit veröffentlichen können.
    Seit 1984 erscheint die "Radikal" illegal, da sie von den Staatsbehörden  
    aufgrund der Ihnen unbequemen Veröffentlichungen immer wieder zum Anlaß  
    genommen wurde, Anzeigen gegen und Verhaftungen von Menschen vorzunehmen.  
    Dies war und ist nicht tragbar. Haben sie diese Zeitschrift zunächst in  
    die Illegalität gezwungen, so benutzen sie diese Tatsache seitdem  
    willkürlich gegen Menschen vorzugehen, deren selbstständiges Denken und  
    Leben nicht in ihr Schema passt. Unangepaßtheit wird umfunktionalisiert,  
    um einen angeblichen Schlag gegen den Terrorismus vorzunehmen. Die  
    Unterdückung von Presse-und Meinungsfreiheit steht unserer Ansicht nach in  
    einem nach rechts tendierenden Kontext. In den vergangenen zehn Jahren hat  
    es immer wieder Situationen wie die heutige gegeben, in der die  
    politischen Ermittlungsbehörden sich genötigt sahen, sog. Erfolge gegen  
    die linke/linksextreme Szene vorweisen zu müssen, dieses jedoch nicht  
    konnten.
    Es ist hier nicht unser Anliegen, Anschläge zu diskutieren, sehen es aber  
    nicht als eine kriminelle Handlung an, wenn Menschen diesbezügliche  
    Informationen veröffentlichen. Kanther selbst sieht in der  
    terrorisierenden Aktion einen "präventiven" Schlag gegen die linke Szene.  
    Wenn er unter präventiv versteht, daß wir uns selbst den Mund verbieten,  
    uns unsere unterschiedlichen Lebensformen verbieten lassen und unsere  
    Gedanken in eine konservative Schablone pressen lassen, so ist ihm diese  
    Prävention nicht gelungen. Dies wird für uns darüber hinaus in der  
    vielfältigen praktischen wie emotionalen Unterstützung anderer Menschen  
    deutlich.
    Die von den Ermittlungsverfahren betroffenen Personen werden vom  
    Staatsschutz dem Druck der Kronzeugenregelung ausgesetzt, d.h.:Einerseits  
    sollen sie Aussagen über und gegen Rainer machen, die das Verfahren gegen  
    ihn und seine Haft begründen. Hierbei handelt es sich um ein weiteres  
    Indiz, daß sie eigentlich über keine Grundlage verfügen, die ihr  
    derzeitiges vorgehen rechtfertigt. Andererseits wollen sie den  
    alltäglichen Druck auf uns und die Angst verstärken. Was sie dabei  
    übersehen und vergessen ist, daß wir uns mögen, lieben, unterstützen und  
    selbstbewußt genug sind, uns weder diese Gefühle noch unsere Gedanken  
    stehlen zu lassen. Wir sind nicht bereit, uns dahingehend  
    funktionalisieren zu lassen, ihnen eine Rechtfertigung zu geben für ihr  
    erpresserisches und schnüfflerisches Tun und ihr merkwürdiges, verzerrtes  
    Weltbild.
    Unsere Solidarität gilt den Inhaftierten und allen anderen Betroffenen.
    
    einige Betroffene, Münster
    
    

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