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          Sat Oct  7 02:43:58 1995
         
       
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erklaerung muenster zu hausdurchsuchungen
Erklärung der aus Münster von den Polizeiaktionen Betroffenen
Wir sind betroffen!
Wir, das sind all diejenigen, die am Dienstag, den 13.6.95 morgens um 6  
Uhr von der Staatsgewalt überfallen wurden. Wir, das sind drei Menschen,  
die nun ein Ermittlungsverfahren haben und alle Freundinnen und Freunde,  
die mit eben diesen Menschen zusammenwohnen. Wir das sind auch die, mit  
denen Rainer gemeinsam wohnt und die, bei denen er übernachtet, und wo er  
aus dem Bett herraus verhaftet worden ist.
Betroffen sind wir nun alle, ob Erwachsene oder Kinder, mit und ohne  
Ermittlungsverfahren, von dem brutalen Eindringen in unser alltägliches  
Leben. Dienstag haben sie in allen unseren persönlichen und  
arbeitsrelevanten Dingen geschnüffelt, das Unterste zuoberst gekehrt. Sie  
haben Rainer in die totale Isolation nach Karlsruhe gebracht, drei  
Menschen der ED-Behandlung (Fotos, Fingerabdrücke...)und der Vernehmung  
unterzogen. Sie haben uns kriminalisiert und tun dies weiter, obwohl wir,  
und dazu gehört auch Rainer, keine Kriminellen sind. Sie belegen uns mit  
dem Begriff Terrorismus, und dabei sind sie es, die uns terrorisieren: Die  
Telefone werden überwacht, wir werden in unserem gesamten Tun beobachtet  
und protokolliert. Sie wollen uns Angst machen und entziehen uns das Recht  
der Sicherheit in unserem Leben und unseren Kindern das Recht auf die  
sichere Anwesenheit ihrer Eltern.
Warum dies alles?
Der Vorwurf an die von den juristischen Ermittlungen Betroffenen und gegen  
Rainer lautet, daß sie an der Herausgabe der Zeitschrift "Radikal"  
beteiligt sind und damit einer kriminellen Vereinigung angehören sollen,  
und mittels ihrer Verbreitung für linksterroristische Gruppen geworben  
bzw. diese unterstützt haben sollen. Dabei beziehen sie sich primär auf  
ein (angebliches) Treffen 1993 (!) in der Eifel. Die "Radikal" ist eine  
Zeitschrift, welche aus linker Position heraus Stellung bezieht zu  
aktuellen politischen Vorgängen, und in der verschiedene Gruppen die  
Möglichkeit haben, zum Widerstand aufzurufen, wie z.B. gegen  
internationale Währungspolitik, Sozialabbau, Knastbedingungen,  
Atommüllagerung etc. Sie veröffentlicht zudem BekennerInnenschreiben zu  
verschiedenen Aktionen und diversen militanten Anschlägen. Aufgrund ihrer  
linken Ausrichtung, ihren Inhalten und der Nicht-Zensierung hebt sie sich  
von der herkömmlichen Medienlandschaft ab, die dem sog. Tendenzschutz  
unterliegt. Letzterer verhindert eben auch, daß wir die whren Abläufe und  
Anklagepunkte derzeit veröffentlichen können.
Seit 1984 erscheint die "Radikal" illegal, da sie von den Staatsbehörden  
aufgrund der Ihnen unbequemen Veröffentlichungen immer wieder zum Anlaß  
genommen wurde, Anzeigen gegen und Verhaftungen von Menschen vorzunehmen.  
Dies war und ist nicht tragbar. Haben sie diese Zeitschrift zunächst in  
die Illegalität gezwungen, so benutzen sie diese Tatsache seitdem  
willkürlich gegen Menschen vorzugehen, deren selbstständiges Denken und  
Leben nicht in ihr Schema passt. Unangepaßtheit wird umfunktionalisiert,  
um einen angeblichen Schlag gegen den Terrorismus vorzunehmen. Die  
Unterdückung von Presse-und Meinungsfreiheit steht unserer Ansicht nach in  
einem nach rechts tendierenden Kontext. In den vergangenen zehn Jahren hat  
es immer wieder Situationen wie die heutige gegeben, in der die  
politischen Ermittlungsbehörden sich genötigt sahen, sog. Erfolge gegen  
die linke/linksextreme Szene vorweisen zu müssen, dieses jedoch nicht  
konnten.
Es ist hier nicht unser Anliegen, Anschläge zu diskutieren, sehen es aber  
nicht als eine kriminelle Handlung an, wenn Menschen diesbezügliche  
Informationen veröffentlichen. Kanther selbst sieht in der  
terrorisierenden Aktion einen "präventiven" Schlag gegen die linke Szene.  
Wenn er unter präventiv versteht, daß wir uns selbst den Mund verbieten,  
uns unsere unterschiedlichen Lebensformen verbieten lassen und unsere  
Gedanken in eine konservative Schablone pressen lassen, so ist ihm diese  
Prävention nicht gelungen. Dies wird für uns darüber hinaus in der  
vielfältigen praktischen wie emotionalen Unterstützung anderer Menschen  
deutlich.
Die von den Ermittlungsverfahren betroffenen Personen werden vom  
Staatsschutz dem Druck der Kronzeugenregelung ausgesetzt, d.h.:Einerseits  
sollen sie Aussagen über und gegen Rainer machen, die das Verfahren gegen  
ihn und seine Haft begründen. Hierbei handelt es sich um ein weiteres  
Indiz, daß sie eigentlich über keine Grundlage verfügen, die ihr  
derzeitiges vorgehen rechtfertigt. Andererseits wollen sie den  
alltäglichen Druck auf uns und die Angst verstärken. Was sie dabei  
übersehen und vergessen ist, daß wir uns mögen, lieben, unterstützen und  
selbstbewußt genug sind, uns weder diese Gefühle noch unsere Gedanken  
stehlen zu lassen. Wir sind nicht bereit, uns dahingehend  
funktionalisieren zu lassen, ihnen eine Rechtfertigung zu geben für ihr  
erpresserisches und schnüfflerisches Tun und ihr merkwürdiges, verzerrtes  
Weltbild.
Unsere Solidarität gilt den Inhaftierten und allen anderen Betroffenen.
einige Betroffene, Münster