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radikal - Repressionsgeschichte


  • Subject: radikal - Repressionsgeschichte
  • From: ID-SCHLESWIGHOLSTEIN@BIONIC.zer.de (ID-Schleswig-Holstein)
  • Date: 21 Jun 1995 18:58:00 +0000

  • 
    
    
    
            radikal - Chronologie einer Repressionsgeschichte
    
    1976 wird die Berliner Stadtzeitung radikal gegründet - im Untertitel  
    "Sozialistische Zeitung für Westberlin"
    
    1978: Erste Verfahren gegen die radikal: Verurteilung des presserechtlich  
    Verantwortlichen zu 875 DM Geldstrafe, wg. Abdruck d. Mescalero-Nachrufes  
    im Zusammenhang mit der Buback-Ermordung; andere Verfahren in diesem  
    Zusammenhang mußten eingestellt werden und es erfolgte ein Freispruch
    
    1982: Durchsuchungen von 14 Privatwohnungen, 2 besetzten Häusern, 3  
    Druckereien, 2 Buchläden und eine Buchvertriebsstelle, 1 Verlag und eine  
    Fotosetzerei in Berlin.
    Der Abdruck der Erklärungen der Revolutionären Zellen sollte den  
    Straftatbestand des Werbens für eine terroristische Vereinigung (§129a)  
    erfüllen.
    Die radikal war zu dieser Zeit "Zeitung für unkonventionelle Bewegungen"  
    das wichtigste Sprachrohr der autonomen, militanten  
    HausbesetzerInnenbewegung in Berlin geworden und hatte als solche eine  
    große überregionale Bedeutung erlangt. Vor allem in ihrer  
    Koordinationsfunktion für die Bewegung sollte die Zeitung durch massive  
    Einschüchterung zerschlagen werden.
    
    1983: Im Juni werden die beiden in der Linken bekannten Journalisten,  
    Schriftsteller, Hausbesetzer und Pressesprecher Benny Härlin und Michael  
    Klöckner verhaftet. Sie werden stellvertretend für die MacherInnen der  
    radikal mit dem §129a belegt. Nach einem öffentlichen Proteststurm, der  
    vor allem auch von einer liberalen Öffentlichkeit getragen wurde, wurden  
    beiden gegen 30.000 DM Kaution nach 2 Monaten Isolationshaft  
    Haftverschonung gewährt. (Soviel zum Thema Bedeutung öffentlichen  
    Protests.)
    
    1984: Am 1.März werden Benny Härlin und Michael Klöckner zu je zweieinhalb  
    Jahren Knast verurteilt. Klöckner weil er redaktionell mitgearbeitet und  
    das Konto geführt haben soll, Härlin, weil er in einer früheren Nummer als  
    ViSdP zeichnete. Beweise für ihre aktuelle Verantwortlichkeit lagen dem  
    Richter Pahlhoff nicht vor. Im Mai werden beide auf der Liste der GRÜNEN  
    ins Europaparlament nach Straßburg gewählt und ihre IMMUNITÄT ALS  
    Abgeordnete bestätigt, wodurch sie zunächst um den Knast herumkommen.
    Bereits im April wurde das Konto der radikal gesperrt und beschlagnahmt,  
    das Postfach überwacht und eine Person festgenommen, als sie das Postfach  
    leeren wollte. Hiernach stellte die taz ihre Adresse für die radikal zur  
    Verfügung, damit diese postalisch weiter erreichbar bleibt.
    Im Mai werden die Räume der taz vom Staatsschutz durchwühlt und alle  
    eingegangenen Briefe für die radikal werden beschlagnahmt. Wenige Tage  
    später stellt die radikal ihr Erscheinen mit der Nummer 126/127 ein, die  
    Radaktion erklärt unter diesen Bedingungen nicht weiterarbeiten zu können.
    
    Herbst 1984: Die radikal erscheint erstmals aus dem "Untergrund". In der  
    Nummer 128 schreibt die Redaktion, daß die Zeitung ab jetzt nur noch  
    versteckt geschrieben und produziert werden kann.
    Der mit der Einstellungsverkündung der radikal schon verbuchte  
    Zensurerfolg zerrinnt für die Staatschützer in Sekundenschnelle ... die  
    Repression gegen die nun "versteckten" Strukturen der radikal geht  
    intensiv weiter. Da man nun nicht mehr der Redaktion habhaft werden kann,  
    die mutmaßlich in Holland verweilt, konzentrieren sich die Ermittlungen  
    auf die Verkaufsstellen und HandverkäuferInnen in der BRD.
    
    1986/87: In zwei großangelegten Durchsuchungswellen werden insgesamt über  
    100 Buchhandlungen, Infoläden, Zentren, Privatwohnungen durchsucht.
    Gegen 164 Buchhändler und 28 HandverkäuferInnen wird ermittelt. Gegen 38  
    Anklage erhoben, 12 davon erfahren eine Verhandlung, von denen wiederum 7  
    freigesprochen werden müssen und 5 Bewährungsstrafen erhalten.
    Hier wird die neue Stoßrichtung deutlich, die der §129a ermöglicht: die  
    massive Einschüchterung, die gar nicht einmal eine konkrete Verhandlung  
    zum Ziel hat, sondern als Zensurmaßnahme Angst erzeugen soll. 192 als  
    "Terrorismuswerber" diffamierte Personen stehen in keinem Verhältnis zu 5  
    recht geringen Bewährungsstrafen (Höchststrafe 10 Monate auf Bewährung).
    Die Ermittlungen gegen die weiter in unregelmäßigen Abständen erscheinende  
    radikal laufen zwar weiter, führen allerdings zu keinen weiteren Aktionen  
    seitens der Staatsanwaltschaft.
    
    1989: In der Edition ID-Archiv wird ein Interview mit der aktuellen  
    Redaktionsgruppe der radikal als Broschüre herausgegeben. Die Herausgeber  
    betonen den Stellenwert des Interviews für die Diskussionen innerhalb der  
    Linken, gerade weil die radikal nicht immer ungeteilte Akzeptanz fände.  
    Diese Broschüre - die nicht selbst inkriminiert wird - ist Anlaß zu  
    abstrusen Mutmaßungen der Staatsanwaltschaften. Es wird eine Beziehung, ja  
    sogar eine Identität der Herausgeber des Interviews und der Redaktion der  
    radikal konstruiert. Ziel ist die Durchsuchung der Verlagsräume und der  
    Aurora-Verlagsauslieferung in Berlin, sowie der Siegener Druckerei, und  
    damit die konkrete Behinderung der Arbeit dieser Projekte. Beschlagnahmt  
    werden Geschäftsunterlagen, die im Zusammenhang mit der Herausgabe des  
    Interviews als Broschüre stehen. Auch hier der Versuch einzuschüchtern und  
    wahllos Informationen zu sammeln. Ein juristisches Nachspiel fand nicht  
    statt.
    
    1995: Die großangelegte Durchsuchung von über 50 Wohnungen im gesamten  
    Bundesgebiet vom Dienstag, d. 13. Juni, die schon zwei Tage später als  
    riesiger Fahndungserfolg gegen die linksterroristische Szene in der Presse  
    verkündet wurde, führte zu vier Haftbefehlen gegen Menschen, denen die  
    redaktionelle Vorbereitung der radikal Ausgabe 148 unterstellt wird.  
    Angeblich hätten sich die vier im Dezember 1993(!!) zu diesem Zweck in der  
    Eifel getroffen.
    
    
    

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