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Wed Apr 23 08:26:38 1997
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Quelle: www.spiegel.de
Autor: Sabine Helmers
Hotspot
16.04.97
Gewitterwolken am Netzhorizont -
Neue Blockadema?nahmen gegen
XS4ALL
Von Sabine Helmers
Der leuchtende Streifen Hale-Bopp bewegt sich nun
wieder aus dem Blickfeld der Erde, und es wird dunkler am
n?chtlichen Himmel. Doch nicht nur am Firmament, auch in
der Netzwelt gibt es seit dem 11. April eine Verdunkelung
- k?nstlich herbeigef?hrt durch den Verein Deutsches
Forschungsnetz (DFN), dem ?ltesten und noch immer
bedeutendsten Internetprovider in Deutschland, der
Universit?ten und Forschungsinstitute vernetzt.
Gegenstand der Verdunkelung ist der WWW-Server des
holl?ndischen Internetproviders XS4ALL. Die Webadresse
"www.xs4all.nl" ist via DFN-Internetanbindung nicht mehr
erreichbar. Mit dieser Sperre folgt der DFN einem
Ersuchen des Bundeskriminalamtes. Dem wiederum liegt
das Ansinnen der Bundesanwaltschaft zugrunde, die
Verbreitung eines in Deutschland verbotenen Textes ?ber
das Internet zu verhindern.
Der Text, um den es geht, hat bereits im vergangenen Jahr
Schlagzeilen gemacht: Es handelt sich um einen Artikel
aus der Ausgabe 154 der Zeitschrift RADIKAL, in dem Tips
und Tricks der Eisenbahnsabotage erl?utert werden.
Dieser Text verst??t gegen deutsches Recht, wenn man
ihn, wie die Bundesanwaltschaft, als Aufruf zu
gemeingef?hrlichen Gewalttaten versteht und einen
Straftatsbestand nach ?? 129a Abs. 3, 130a Abs. 1 sowie
140 Nr. 2 StGB erf?llt sieht. Schon im letzten August sind
Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt wegen eben
dieses Artikels in RADIKAL an die gro?en deutschen
Internetprovider mit dem Hinweis herangetreten, da? der
Text per Internet deutsches Hoheitsgebiet erreicht und da?
sich die Provider m?glicherweise einer Beihilfe zu diesen
Straftaten schuldig machen, wenn sie den Internetzugang
zu diesem Artikel nicht unterbinden.
Bisher ist jedoch das Aussortieren von einzelnen Inhalten
aus Datenstr?men des Internet nicht m?glich. F?r solche
Ma?nahmen wurde das Netz nicht entworfen. Einem
Internetprovider, der hierzu gedr?ngt wird, bleibt allein die
technisch platte M?glichkeit, nicht nur den einen Text,
sondern den gesamten Ursprungsort aus seinem
Internetadressierungssystem herauszustreichen und
komplett zu blockieren. Im Falle von XS4ALL werden
dadurch unterschiedslos Tausende von WWW-Seiten
gesperrt, mit Informationen bespielsweise von
Amsterdamer Sportvereinen und K?nstlern, Seiten der
israelischen Botschaft, Universit?tsseiten, private
Homepages - all das, was ?blicherweise auf WWW-
Servern von ganz normalen Internetprovidern zu finden ist,
und was nach deutschen Recht v?llig unproblematisch ist.
Allerdings ist XS4ALL kein ganz normaler kommerzieller
Internetanbieter, sondern hat seine historischen Wurzeln in
der holl?ndischen Hackerbewegung und betrachtet es als
eines seiner Ziele, Internetzugang f?r jedermann - access
for all - anzubieten. Die Manager von XS4ALL weigern
sich vehement, den RADIKAL-Artikel, den einer ihrer
Internetkunden, die holl?ndische "Solidarit?tsgruppe
politischer Gefangener" auf den Webserver gelegt hat, zu
entfernen. Der Text verst??t nicht gegen holl?ndische
Gesetze.
Im vergangenen September reagierten einige der
kommerziellen deutschen Internetprovider auf das
Rundschreiben der Bundesanwaltschaft recht eilig mit
einer mehrere Woche dauernden WWW-Blockade gegen
die holl?ndischen Kollegen. Der DFN-Verein allerdings
hatte damals nur einen Brief an XS4ALL geschickt, mit der
Aufforderung, den RADIKAL-Artikel vom Server zu
nehmen. Au?erdem begann man beim DFN mit einer
eigenen Pr?fung der Rechtslage. Die kommerziellen
Provider beendeten ihre Sperre, nachdem die
"Solidarit?tsgruppe" - wenn auch nur f?r einen kurzen
Zeitraum - die problematische RADIKAL-Ausgabe vom
Server genommen hatte. Zwischenzeitlich war der Text
weltweit an zahlreichen Orten von
Meinungsfreiheitsfundamentalisten in Kopien ins WWW
gestellt worden. F?r viele schien die Angelegenheit damit
ausgestanden.
Sie irrten sich, wie nun der DFN feststellen mu?te. Die
deutschen Justizbeamten surfen offenbar auch weiterhin
durch die Netzwelt, um nach den illegalen Inhalten
Ausschau zu halten. Am 2. April erhielt der DFN einen
Brief vom Bundeskriminalamt mit dem Hinweis, man habe
feststellen m?ssen, der Text sei noch immer in
Deutschland zug?nglich. Der DFN sah sich nach Pr?fung
der derzeitigen Rechtslage gezwungen, der Aufforderung
des BKA nachzukommen und XS4ALL zu sperren, um
gerichtliche Auseinandersetzungen mit den
Terrorismusbek?mpfern zu vermeiden.
Der DFN will die Sperre aufrechterhalten, solange der im
Schreiben vom BKA genannte RADIKAL-Text ?ber
XS4ALL nach Deutschland gelangen kann. Das wird fortan
t?glich gepr?ft. Da man in Holland nicht willens ist, sich
den deutschen Strafverfolgern zu beugen, kann die
Blockade wohl ziemlich lange dauern. Technisch ist eine
solche Sperre durchf?hrbar, aber es bleibt fraglich, ob sie
zumutbar ist - ob man in einem Netz, das dem
internationalen Verbund von Forschung aller
Fachrichtungen und der m?glichst uneingeschr?nkten
Kommunikation der Wissenschaft dienen soll, im
nationalen Alleingang gr??ere Informationsbereiche, wie
jetzt im Falle von XS4ALL, einfach ausgrenzen kann, ohne
in Konflikt mit seinem Auftrag als Provider zu geraten.
Der DFN informiert seit heute auf seinem Webserver ?berdie Sperrma?nahme,
enth?lt sich allerdings eines
weitergehenden Kommentars zu der Angelegenheit. Auch
am Telephon wollte der Sprecher des DFN nicht mehr
sagen, als aus der offiziellen Verlautbarung hervorgeht.
In Amsterdam, im Management von XS4ALL, reagiert man
auf die erneute Blockade des Angebots mit
Fassungslosigkeit. Felipe Rodriquez, einer der Manager,
gegen den die Bundesanwaltschaft im letzten Jahr ermittelt
hat und m?glicherweise auch noch weiterhin ermittelt,
kommentiert:
"Bisher ist weder die deutsche noch die holl?ndische Justiz
mit uns wegen des RADIKAL-Textes in Verbindung
getreten. Ob wir einen Text aus rechtlichen Gr?nden von
unserem Server nehmen m?ssen, bliebe aber immer einer
Entscheidung holl?ndischer Gerichte vorbehalten. Es ist
nicht unsere Aufgabe als Provider, von uns aus und ohne
ordentliche Gerichtsentscheidung die Redefreiheit unserer
Internetkunden zu beschr?nken."
Auch die Tatsache, da? wiederum nur "xs4all" von der
deutschen Justizaktion betroffen ist, ver?rgert Rodriquez:
"Es sind bereits seit mehreren Monaten ?ber 40 Websites
weltweit bekannt, auf denen die RADIKAL-Seiten
gespiegelt werden. Warum blockiert DFN nur unseren
Webserver? Das ist vollkommen absurd. Ich werde Herrn
Maas von DFN eine Mitteilung ?ber die Mirror-Sites
schicken. Formell w?re er dann verpflichtet, auch all diese
Server zu blockieren."
W?hrend bislang bei den beiden Sperraktionen gegen
"www.xs4all.nl" das allseitige Bestreben festzustellen
war, m?glichst wenig Wirbel zu erzeugen, k?nnte sich die
Angelegenheit mit einer solchen Ma?nahme recht
st?rmisch entwickeln. Statt einer punktuellen,
m?glicherweise nur vor?bergehenden Sperraktion m??te
der DFN eine sehr viel weitr?umigere Blockade
durchf?hren, von der unter anderem auch gro?e
amerikanische Universit?ten betroffen sein k?nnten. Auf
lange Sicht w?rde eine solche Politik zu einer
zunehmenden Isolierung des deutschen Internet f?hren. Es
bleibt zu hoffen, da? sich das Gewitter, das hier am
Netzhorizont heraufzieht, kl?rend auf die deutsche
Rechtslage auswirkt.